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Hamburg: Diskussionsbeitrag - Die zwei Seiten einer Fahne

April 04

Die letzte Ausgabe des Hamburger Szene-Infos Zeck konnte Über die Ereignisse auf der Antifa-Demo vom 31.1.04 keine befriedigende Auskunft geben. Die
verschiedenen Erklärungen stellen das Geschehen völlig unterschiedlich
dar: Wollten die Trägerinnen und Träger der Israelfahnen tatsächlich
die Demo an sich vorbeiziehen lassen, um sich hinten irgendwo einzureihen,
wurden dann aber mit antisemitischen Parolen und Gewalt attackiert? Kamen
sie - wie in der Darstellung der KP-Berlin zu lesen ist, nur Genossinnen und Genossen zu Hilfe, deren Transparent ,,Deutschland denken heißt Auschwitz denken'' aus dem Demozug heraus angegriffen wurde oder hat man sich mit
Gewalt und Fahnen die ersten Reihen erkämpfen wollen, wie vom veranstaltenden Bündnis behauptet?

Unstrittig scheint nur zu sein: Es gab israelische Fahnen, es gab das Transparent mit dem oben genannten Text und es gab eine Schlägerei, die schließlich durch die eingreifende Polizei beendet wurde. Die verschiedenen
Erklärungen diverser Beteiligter nach diesem Vorfall eint vor allem, dass
sie wenig an einer Diskussion interessiert sind. Unsere Stellungnahme soll
dem daher keine weitere Version des Geschehenen hinzufügen, sondern sich
den Fragen widmen, die vom tatsächlichen Hergang der Ereignisse unabhängig sind und uns als relevant erscheinen.


Die Feindinnen und Feinde: indiskutabel

Stets eskaliert die Situation, werden Antiimps und andere Traditionslinke mit Insignien des Staates Israel konfrontiert, wurde doch in diesen Kreisen die israelische Fahne bisher nur
zur politischen Selbstvergewisserung rituell verbrannt. Nach dem 31.1. wurde die Eskalation v.a. damit begründet, nationale Symbole hätten auf ein
er linken Demonstration generell nichts verloren. Wer sich aber bereits öfters auf linken Demonstrationen bewegt hat, dürfte dort eine ganze Menge
nationaler Symbole zu sehen bekommen haben: Fahnen existierender Staaten oder welche von Organisationen, die einen solchen anstreben (sog. nationalen
Befreiungsbewegungen) gehörten seit Jahrzehnten zum Symbolrepertoire der
Neuen Linken: Die Fahnen der Sowjetunion, Chinas, Vietnams oder Kubas hatten seit den 60ern die Symbole der Arbeiterbewegung abgelöst. In den letzten Jahren säumten auch die jugoslawische Fahne, oder Irak- und Palästina-Fahnen linke Demozüge. Sicher waren sie nicht immer unumstritten, da Staaten per se nicht für antiautoritäre oder besonders fortschrittliche Politik stehen. Selten aber gab es zu mehr Anlass als zu Verbalattacken. Mindestens den Angehörigen der Nation XY und ihrem deutschen Umfeld (Freundinnen und Freunde des XY-Volkes) wurde das Fahnenschwenken nachgesehen. Ein
generelles Verbot von Nationalfahnen auf linken Demos ist ein Novum und trat erst mit den ersten israelischen Fahnen auf. Es ist daher nichts anderes
als ein schlecht rationalisiertes Verbot israelischer Fahnen.[1] Dieser Ein
druck ergibt sich jedenfalls, vergleicht man die Reaktionen nach dem 31.1.
innerhalb der ,,Szene'' mit jenen auf eine Demonstration kurz danach: Am 18.3., zum Jahrestag des amerikanischen Angriffs auf den Irak, wurden in Berlin nicht nur unzählige irakische, libanesische und palästinensische Fahnen geschwungen, sondern gleich die deutsche dazu. Eine Empörung über das Tragen von Nationalfahnen, die mit jener vergleichbar wäre, die der Anblick israelischer Fahnen in Teilen der Linken auslöste, blieb angesicht
s des Berliner Fahnenmarsches trotz Schwarz-Rot-Gold aus. Gegen das verhasste amerikanische Imperium scheint in antiimperialistischen Kreisen selbst dann Nationalismus legitim, wenn er wie in Deutschland beim besten Willen nicht als ,,revolutionär'' beschönigt werden kann.

Bereits ein kurzer Blick auf die mittlerweile zur Unkenntlichkeit verklärte ,,irakische Nation'' zeigt, wie geschichtslos und einseitig der antiimperialistische Blick auf den ,,Nahen Osten'' war und ist. Denn so sehr der Hinweis auf den ,,faschistischen Charakter des Zionismus'' jahrelang als en vogue galt, wurde das Elend anderer Staaten meist ignoriert. Zum Irak daher
einige Erinnerungen: Ende der Vierziger Jahre wurde die jüdische Bevölkerung des Irak im Rahmen einer antikommunistischen (!) Kampagne nach Israel
vertrieben. Das panarabische Baath-Regime hat später seine Nachbarstaaten mit Krieg überzogen, darunter mit dem ersten Golfkrieg auch einer der verlustreichsten Raubkriege der jüngsten Vergangenheit. Die irakischen Herrscher terrorisierten die eigene Bevölkerung, bis hin zum Giftgasangriff
1988 auf die kurdische Stadt Halabja. Sinnvoller als heute die Fahnen arabischer Diktaturen durch die Straßen zu tragen, wäre eine Forderung nach
Entschädigung der Kurdinnen und Kurden durch die deutsche Industrie und Politik, die durch den Rüstungsexport für das Massaker mit die Verantwortung tragen. Dafür, den Krieg gegen den Irak abzulehnen, gab es eine Reihe guter Argumente. Für eine Verklärung der irakischen Vergangenheit und
der derzeitigen Terroranschläge und Kämpfe im Stile der jungen welt gibt es nicht eines.[2] Derartige Sympathiebekundungen gegenüber den arabisch-islamischen Staaten und die Propaganda gegen die ,,Besetzung des Irak und Palästinas'' sind ein Armutszeugnis. Sie beweisen, dass die Linke - wie
früher auch - die Situation im Nahen Osten nur wahrnimmt, wenn die USA oder Israel den Part des ,,Bösen'' innehaben: Es erweckt dagegen kaum Interesse, dass derzeit im baathistischen Syrien eine Welle massiver Repression
gegen die kurdische Bevölkerung läuft, dass der Libanon noch syrisch besetzt ist oder die Westsahara marokkanisch. Niemand baut eine Pappmauer in
deutschen Großstädten auf, weil Kuwait und Saudi-Arabien an ihren Staatsgrenzen große Sperrzäune zur ,,Abwehr von Terroristen'' konstruieren.
Kaum fällt die Scheinheiligkeit auf, mit der Algerien oder Ägypten es
scharf verurteilen, wenn Israel den Hamas-Chef Yassin umbringt, die gleichen Staaten selbst aber kaum weniger massiv gegen Anhänger islamistischer Gruppen vorgehen. Die Situation der palästinensischen Flüchtlinge in den
anderen arabischen Staaten ist selten Thema, auch nicht die der Frauen, nichtislamischen Minderheiten, Homosexuellen, säkularen oder dissidenten Strömungen. Stets verstand es der Internationalismus, mit seinem Pazifismus
zu haushalten. So schwieg der größte Teil der Linken, als Haifa von den Golanhöhen aus beschossen wurde oder der Irak Scud-Raketen auf Israel abfeuerte. Im Antizionismus, nach 1967 ideologische Selbstverständlichkeit
im Theoriegebäude der radikalen Linken, wurden neben klassisch antisemitischen Ressentiments auch die strategischen Positionen des Panarabismus reproduziert. Analysen, die der besonderen Geschichte des Konfliktes im Nahen
Osten hätten gerecht werden können, wurde sich dagegen verweigert.

Der proarabische Antiimperialismus hat einen recht schalen Beigeschmack. Zu
m politischen Kampf für die Linke taugt er nicht. Der nachleninsche Glaube, dass der Befreiung von ,,Fremdherrschaft'' die Befreiung des Proletariats folge, ist ein romantisches Echo längst vergangener Zeiten. Von nichts
waren ,,selbstbestimmte'' arabische oder islamische Regime weiter entfernt
als von der Emanzipation der eigenen Bevölkerung. Auch die Traditionslinien proarabischer Solidarität sind zweifelhaft: Betrachtet man beispielswe
ise die Propaganda, mit der auch die NSDAP in den Dreißiger Jahren Front
gegen vor allem Großbritannien machte und antikoloniale Kämpfe im arabischen Raum unterstützte, wundert es nicht, dass in Antiimp-Kreisen ein Transparent mit der Parole ,,Deutschland denken heißt Auschwitz denken'' heruntergerissen werden kann.

Es ist bemerkenswert, dass die Hamburger ,,Palästina-Solidarität'' der
B5 noch letzten Herbst Plakate mit einer Landkarte kleben konnte, auf der die Grenzen Israels zugunsten jener eines palästinensischen Staates verschwunden waren und eine solche Vernichtungsphantasie gegenüber mehr als 5 Millionen jüdischen Israelis in der Hamburger Szene keine Konsequenzen hatte. Eine angemessene Reaktion auf diese antisemitische Kampagne wäre mindestens gewesen, den lange fälligen Hinauswurf der B5 aus Strukturen und Bündnissen zu vollziehen. Doch bleiben sie Teil der lokalen Strukturen, werden sogar in Antifa-Mobilisierungen einbezogen, selbst wenn alle Israel-Debatten mindestens der letzten 15 Jahre offensichtlich an ihnen vorbeigegangen sind. Die Erklärung der Hamburger Antifa-Koordination zum 31.1. zeigt,
dass das politische Problem nicht begriffen wurde. Entsprechend dem Schema
der Schuldabwehr fiel das Statement zu den antisemitischen Rufen vom 31.1.
aus: Mit dem Hinweis, sie seien eine Randerscheinung gewesen, wird die Auseinandersetzung verweigert, als gäbe es nicht eine lange Tradition des linken Antisemitismus. Sie geht den Konflikt enthistorisierend an und erkennt nicht, dass ein Bündnis mit den Antiimps unauflösbare Widersprüche mit sich bringt, ein antifaschistisches Zweckbündnis mit der B5 absurd ist.[3]

Eine Auseinandersetzung über die B5 ist also dringend nötig. Mit der B5
, das zeigte sich schon beim Konflikt im FSK, ist nicht mehr zu reden. Das
Projekt hat sich durch Duldung des und Partizipation am linken Antisemitismus, wie viele andere in der Geschichte der Linken, selbst aus dem Diskurs um Revolution und Emanzipation verabschiedet. Gegenüber der an der Fahnenschwenkerei unbeteiligten ,,Bad Weather Antifa'' war man dagegen weniger zögerlich, hier reichte der Verdacht proisraelischer Neigungen, um sie in
der Antifa zu boykottieren und aus Lokalitäten wie dem Störtebeker auszuschließen. Wer angesichts des Vormarsches reaktionärer, militaristischer und patriarchaler Kräfte im arabischen Raum, nach weltweiten Anschlägen auf Synagogen oder Züge mit spanischen ArbeiterInnen ein paar Israel-
Fahnen, die deutschen Nazis entgegengehalten werden, noch immer für das größere Übel hält, befindet sich bereits da, wo andere ihren Weg begonnen haben: in der Gesellschaft Horst Mahlers.


Die Liebhaberinnen und Liebhaber: identitär

Eine Antifa-Demo ist in Deutschland, zumal im Kontext einer Ausstellung über die Kriegsverbrechen der
Deutschen Wehrmacht oder gegen eine Palästina-Solidaritätsdemo der Nazis, der richtige Ort, um die Fahne der Weltkriegsalliierten und Israels zu
zeigen. Nicht von innen heraus, nur durch die alliierten Armeen wurde das ,
,Dritte Reich'' zerschlagen. Israel ist als Konsequenz aus der Shoah mit Unterstützung der UN gegründet worden. Der Antisemitismus ist eine der Grundpositionen jener völkischen und nationalen Kräfte, gegen die sich die Demonstration gewendet hat. Längst trägt der Neonazi zu solchen Anlässen das Palästinensertuch, wie auch am 27.3. bei Christian Worch zu sehen war. Diesen Epigonen der Nazi-Massenmörder die Fahne des israelische
n Staates und seiner Streitkräfte vor Augen zu führen, ist also eine angemessene Performance.

Keine angemessene Performance ist es dagegen, die israelische Fahne und jene der Alliierten als Feldzeichen für Machtspielchen innerhalb der Linken
zu verwenden. Dass eben dies das Anliegen der FahnenträgerInnen war, ist
an einer Lücke zu erkennen. Denn nicht vertreten in der Farbensammlung jener, die vorgaben, sich auf den 2. Weltkrieg zu beziehen, waren Frankreich
und die Sowjetunion. Statt der vier Mächte von Potsdam waren aber mit dem
Union Jack und dem Star-spangled Banner eben nur die Farben der Führungsnationen der Irak-Allianz vertreten. So wurde sich vorgeblich hinter den Farben der Weltkriegs-Alliierten gezeigt, um so ein Statement zur Allianz des
Irak-Krieges zu lancieren. Ein solches In-Eins-Setzen zweier historisch grundverschiedener Ereignisse ist geschichtsklitternd und erinnert - beachtet
man den impliziten ,,Hitler-Export'' - eher an die Totalitarismustheorie oder die rot-grüne Außenpolitik während des Jugoslawien-Krieges.


Die israelische Fahne eignet sich nicht zur Selbstvergewisserung deutscher
Linker. Sie zu schwenken oder jene, die es tun - wie in der Erklärung Basisbanalitäten nachzulesen - durch sie zum Stellvertreter des israelischen
Staates zu halluzinieren, zeugt von einer typisch linksdeutschen Selbstherrlichkeit. Auch die Phrasen der Bahamas von der ,,Verteidigung der Fahne''
reduzieren eine politische Frage zu einer rein habituellen Angelegenheit und zeugen v.a. vom Bedürfnis, sich mit ihr als Ticket aus dem Friedhof ,,deutsche Geschichte'' davonzustehlen. Linkes Kitschbedürfnis hat aber in der Vergangenheit schon genügend solcher Zumutungen produziert, eine Neuauflage des Pathos der klassischen Soli-Bewegung, diesmal unter dem Davidstern, kann den Weg zum Ausgang auch nicht weisen. Sie beweist höchstens, das
s sich diese Strömung näher am verhassten Szene-Mainstream befindet, als ihr lieb sein kann. Klassisch hierfür sind Äußerungen der Bahamas,
v.a. ihre Darstellung der Hamburger Linken. Das in der Diktion religiöser
Eiferer geschriebene Pamphlet zum 31.1. funktioniert nur auf dem Betriebssystem ,,pathische Projektion''. Man orientiert sich eben schon lange an dem
alten Autonomen-Motto: ,,Wir machen uns die Welt, tralalala, wie sie uns gefällt...''

Identifikation, Überaffirmation und einfache Negation helfen nicht aus der Misere. Erfahrungsgemäß tendieren sie nach einiger Zeit dazu, in ihr
Gegenteil umzuschlagen. Sie verraten weniger über den Konflikt, als über die deutsche Sicht auf denselben. Nimmt man das psychoanalytische Postulat ernst, demnach durch jede übertriebene Angst ein versteckter Wunsch sich artikuliert, offenbart sich so manch lautstarke antideutsche Haltung als
verdrängte deutschnationale Omnipotenzphantasie. Der jüngste Kommentar
der Bahamas zum Gefallenen/Gefangenenaustausch Israels mit der Hisbollah zeigt, dass die Redaktion Israel keine eigene Politik zugesteht, sondern selbst seine diplomatischen Akte als von Deutschland gesteuert wahrnimmt. Das konsequente Ignorieren der politischen Ausrichtung der deutschen Nahostpolitik unter Joseph Fischer, als deren Grundlage in diesen Kreisen nach wie vor
das Protokoll der Wannsee-Konferenz angenommen zu werden scheint, zeigt, dass sich die Phantasien nur als einfache Negation vom verachteten Rest der
Bevölkerung unterscheiden. Es ist keine Frage, dass der neue deutsche Imperialismus sich anschickt, als Global Player Bedeutung zu erlangen und gerade in den arabischen oder islamischen Staaten Verbündete gegen die Dominanz der USA sucht und findet. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass die deutsche Israelpolitik bisher weit von tatsächlichen Sanktionen gegen den Staat entfernt ist. Daher fiel Fischers Kommentar zur Liquidierung von Yassin durch die israelischen Streitkräfte grundlegend anders aus als die
Verdammung der Aktion durch ausgerechnet den britischen Außenminister, das deutsche Abstimmungsverhalten in diversen UN-Gremien unterscheidet sich in den Israel betreffenden Fragen gravierend von dem Frankreichs. Wer aber bereits diese deutsche Außenpolitik für eine existentielle Bedrohung Israels hält, dürfte für die tatsächliche bedrohliche islamistische Politik keine Begriffe mehr zur Verfügung haben und unterschlägt zugleich
, wie in Deutschland üblich, die Dimensionen tatsächlicher deutscher Vernichtungspolitik.

Nicht akzeptabel sind daher eine ganze Reihe modischer Textbausteine, die in Richtung Geschichtsklitterung tendieren. An erster Stelle wäre hier die
Gleichsetzung arabischer Diktaturen mit Nazideutschland zu nennen. Wer die
palästinensische Autonomiebehörde nicht vom Reichssicherheitshauptamt
unterscheiden kann oder Großmufti Al Husseini historisch für einen eben
bürtigen Partner Himmlers hält, hat die ökonomische und militärische Potenz des ,,Dritten Reichs'' nicht begriffen. Eine Reihe der proisraelischen Projektionen sind denen des Antizionismus nicht unähnlich. Israel im
Guten wie im Schlechten keine staatspolitische Realität zuzugestehen, sondern es als ,,erste gelungene Abschlagszahlung für den Kommunismus'' (Joachim Bruhn, ISF) zu betrachten, weist diese Haltung mehr als geschichtsteleologisch denn als materialistisch aus und bagatellisiert so ganz nebenbei
die Shoah zur Station auf dem Weg des Weltgeistes zum Kommunismus. Diese Argumentation legt den einen Kern frei, den diese Position im Extremfall beinhaltet: Israel wird Teil messianischen Denkens. Darin finden sich die Spuren anglikanischer Frömmler und der israelischen Nationalreligiösen. Die
se haben nichts mit Kommunismus zu tun. Möglich ist dieser metaphysische
Zug dadurch geworden, dass einige Antideutsche längst keine Religionskritik mehr leisten, sondern sich, hier wieder ganz Produkte deutscher Leitkultur, auf Islamkritik beschränken. Der analytische Gehalt antideutscher Pamphlete geht mittlerweile gegen Null. Wer also Näheres über die Entwicklung erfahren möchte, warum eine ehemals säkulare, politisierte und hoch
alphabetisierte Gesellschaft wie die palästinensische eine der derzeit reaktionärsten Massenbewegungen weltweit hervorgebracht hat, sollte zur Analyse der historischen und gesellschaftlichen Prozesse besser Moishe Postones Vortrag vom ,,Frankfurter Kommunismus-Kongress'' bemühen, statt auf die
Bahamas oder ISF zurückzugreifen.

Eine radikale Linke, zumal in Deutschland, sollte in ihre Debatten über Israel einbeziehen, dass Israel weder einfach ein Nationalstaat wie jeder andere, noch kein Nationalstaat ist. Es ist eben beides, der Begriff ,,Nationalstaat'' ist in diesem Falle ebenso über- wie unterdeterminiert. Eingedenk der monströsen Dimensionen der Geschichte ist hier nichts unangemessener als die Überbietungsgesten, mit denen sich manch ehemals kluge Genossinnen und Genossen heute untereinander ihrer Radikalität versichern. Bahamas, ISF und ihr Nachwuchs haben also nicht nur das Kunstwerk vollbracht, die Kritische Theorie des Nichtidentischen zum identitären Projekt zu verdinglichen, sie fallen auch weit hinter diese zurück. Denn nüchterner und
treffender als Bruhn fasste Max Horkheimer das Problem. Er schrieb ganz ohne metaphysische Schrullen: ,,(Israel) bezahlt sein Fortbestehen mit dem Tribut ans Gesetz der Welt, wie sie ist. (...) Es hat sich dem Zustand der Welt assimiliert.'' Zwischen diesen beiden Postulaten liegt ein ganzes Erkenntnisuniversum.


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[1] Es ist zudem zu bedenken, dass die allgemeine Kritik des Nationalstaates an Israel nicht aufgeht, da diesem Staat mit der Shoah ein besonderes Gründungsmoment innewohnt, das Israel von anderen Staaten prinzipiell unter
scheidet.

[2] Im Hinblick auf die Sympathien mancher westlichen Gegnerinnen und Gegner des Kapitalismus mit religiösen oder nationalen Strömungen Unterprivilegierter scheint es an der Zeit, einen neuen Internationalismus zu diskutieren, in dem ein gleicher Gegner noch lange kein gemeinsamer sein muss. Toleranz gegenüber den antiemanzipatorischen Inhalten der islamistischen Bewegungen, reaktionären Formen der Globalisierungskritik oder antisemitischer Propaganda nimmt zudem die politschen Bewegungen des Trikonts nicht ernst und entmündigt sie so.

[3] Ähnlich hat auf Bundesebene das Antifa-Infoblatt in der aktuellen Ausgabe durch die UnvereinbarkeitsADerklärung mit antideutschen Positionen
sich als unfähig erwiesen, die Diskussion politisch zu führen.

 

02.06.2004
Loge (Hamburg)   [Aktuelles zum Thema: Antifaschismus]  [Schwerpunkt: Deutsche Täter sind keine Opfer]  Zurück zur Übersicht

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