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Hamburg / Kiel: Mobilisierungs/-Infoveranstaltung zu den Autoorganisationstagen 4.-11.4.04 in Berlin

Am 12.3. um 19 h wird es in der Alten Meierei in Kiel und am 13.3. um 19h im LIZ (Carolinenstr.) in HH eine Mobilisierungs/-Infoveranstaltung zu den Autoorganisationstagen,einem Vernetzungstreffen selbstorganisierter Strukturen im Rahmen von Kongress-und Aktionstagen vom 4.-11.4.04 in Berlin geben.

Weltweit kämpfen derzeit viele selbstorganisierte Projekte und Strukturen um ihr Überleben. Zum Beispiel wurden in Hamburg im Herbst 2002 die Wagenplätze Schützenstraße und Bambule geräumt, eine Vertreibungs- und Repressionswelle gegen WagenbewohnerInnen folgte.

In Berlin kämpft etliche Hausprojekte und Wagenplätze um ihren Fortbestand. In Lübeck und Kiel sind mit der “Alternative” und der “Alten Meierei” zwei linke Zentren von Vertreibung an den Stadtrand oder Räumung bedroht. Auch international stellt sich die Frage nach den Perspektiven, z.B. beim Blitz in Oslo, dem EKH in Wien und den besetzten Häusern in Barcelona. Den europäischen Richtlinien gegen Hausbesetzungen wird bisher kaum international begegnet. Egal ob die einzelnen Konflikte sich nun um geänderte Eigentumsverhältnisse, autoritäre Verordnungen, die das dauerhafte Wohnen im Wagen kriminalisieren, oder um für nicht kommerzielle Projekte unerfüllbare Auflagen von Ämtern handelt, das Muster ist immer ähnlich: Widerständige und nicht kommerzialisierte Strukturen und Projekte fügen sich einfach nicht in das Idealbild einer durchkapitalisierten Gesellschaft ein und müssen mit Angriffen auf verschiedensten Ebenen rechnen. Daher handelt es sich bei den Konflikten in den einzelnen Städten auch nicht um lokale Konflikte, sondern um einzelne Facetten einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung.

In selbstorganisierten Projekten wird unser politischer Anspruch von Herrschaftsvermeidung wenigstens teilweise im Alltag verwirklicht. Hausprojekte und Wagenburgen sind nicht nur Rückzugs- und Schutzraum, sondern gerade auch Ausgangspunkte für den politischen Kampf nach außen. Kollektives Wohnen, Volxküchen, Umsonstläden ermöglichen es, sich der kapitalistischen Verwertungslogik wenigstens teilweise zu entziehen. Arbeitskollektive und selbstverwaltete Betriebe bieten eine Alternative zu einer Arbeitswelt, die von Konkurrenz, Leistungsdruck und Individualisierung geprägt ist. Infoläden und unabhängige Medien schaffen nicht nur Gegenöffentlichkeit, sondern dienen auch der Vernetzung emanzipatorischer Projekte untereinander. Autonome Zentren bieten Raum sich zusammen zu organisieren, für politische Veranstaltungen aber auch für Kulturveranstaltungen jenseits des Mainstreams. In diesen linken Strukturen wird ein Leben ohne Rassismus, Sexismus, Nationalismus und Herrschaft zumindest vorstellbar. Es geht uns aber nicht darum, uns eine friedliche alternative Nische zu schaffen abseits der schlimmen Welt; vielmehr sind linke selbstorganisierte Strukturen eine wichtige Basis unserer politischen Kämpfe. So geht es bei dem Kampf für den Aufbau und Erhalt linker Strukturen auch darum, linke Politik als solche zu verteidigen.
Dies wird immer wichtiger in einer Gesellschaft, die immer unsozialer und repressiver wird.

Im Namen der Inneren Sicherheit ist - spätestens seit dem 11.09.2001 - fast alles erlaubt. Persönlichkeitsrechte werden ausgehöhlt, die (Video-)Überwachung des Öffentlichen Raumes wird ausgebaut und die Befugnisse von Polizei und Geheimdienstbehörden werden ständig erweitert. Dieses verstärkt autoritäre Auftreten des Staates in der Innenpolitik, geht einher mit einem Rückzug des Staates aus den sozialen Bereichen. Im Sicherheitsdiskurs werden auch linke AktistInnen und Projekte grundsätzlich als verdächtig betrachtet.
Im Zuge der Neoliberalisierung der Gesellschaft gibt es den grundsätzlichen Trend, dass auch Städte und Länder sich immer mehr als Unternehmen begreifen, die untereinander in Konkurrenz stehen. Die erkämpften sozialen Errungenschaften müssen dieser Verwaltungstechnokratie weichen. Damit soll nicht der “sozialen” Marktwirtschaft oder dem “Wohlfahrtsstaat” hinterher getrauert werden. Es ist aber drzeit eine klare Verschärfung der Situation zu sehen: ein gesellschaftliches Ungleichgewicht wird zunehmend härter, unmenschlicher und bisher erkämpftes wird in Frage gestellt.

Dies trifft insbesondere solche Gruppen, die schon bislang am Rande der Gesellschaft standen. So werden verarmten, kranken und erwerbslosen Menschen durch die Kürzung öffentlicher Ausgaben zunehmend die Unterstützung entzogen. Die Integration von Behinderten und die berufliche Förderung von Frauen wird ebenso in Frage gestellt wie die gesundheitliche Grundversorgung und Prävention.
SozialhilfeempfängerInnen und Arbeitslose sollen jeden Job annehmen. Alle Gruppen, die sich nicht in die schöne neue Konsumwelt einpassen, sollen zumindest nicht mehr im Stadtbild sichtbar sein und werden aus den Innenstädten vertrieben.
MigrantInnen sollen sich assimilieren, sofern sie Lohnarbeit leisten, und ansonsten aus der Festung Europa entfernt werden. Es verschärft sich so das abgestufte System der Ausbeutung und Konkurrenz mit miesen Jobs, hoher Arbeitslosigkeit und der gesundheitlichen, finanziellen und sozialen Aussonderung von immer mehr Menschen.

Einher geht dieser Trend mit einer verschärften Kontrolle auf vielen Ebenen, sei es durch die Sozialgesetzgebung, Repressionen gegen linke Veranstaltungen auf Grund bloßen Verdachts oder neue Verordnungen und Erlasse gegen abweichendes Verhalten, wie pauschale Betretungsverbote für Obdachlose, Punks oder Junkies für einzelne Plätze in Innenstädten oder die Einführung neuer Ordnungswidrigkeiten wie das Wegwerfen von Müll.

Dieser autoritären gesellschaftlichen Formierung versuchen linke Einrichtungen praktische Alternativen und Ausgangspunkte für Widerstand entgegenzustellen. Egal ob einzelne Projekte durch geänderte Eigentumsverhältnisse, steigende Mieten oder Kontrollansprüche der Ämter bedroht werden: Die Mittel von Ausbeutung und Kontrolle sind vielfältig; das Ziel und die Wirkung sind gleich! Gerade dieser Konflikt macht linke Projekte aber umso wichtiger, da sie sich nicht nur einer totalen Kommerzialisierung der Stadt entgegenstellen, sondern die Möglichkeit eines anderen Lebens auch sichtbar machen.

Viele Projekte verschwinden aber nicht durch Angriffe von außen, sondern zerbrechen an inneren Konflikten um unterschiedliche politische Zielvorstellungen, Lebensperspektiven oder Attitüden. Andere Projekte durchlaufen oft in kurzer Zeit einen Prozess der Kommerzialisierung, bei dem aus einem ehemaligen Arbeitskollektiv mit egalitärem Anspruch ein Chef-Betrieb oder aus einem linken Kulturzentrum eine gewöhnliche kommerzielle oder staatlich bestimmte Einrichtung wird. Gerade die oft gewünschte Legalisierung oder öffentliche Förderung wird hier häufig zum Einfallstor.

Leider gehen zur Zeit wesentlich mehr selbstbestimmte Projekte an den oben genannten Konflikten kaputt als neue entstehen. Es gibt aber mit einigen erfolgreichen Neubesetzungen oder neuen basisdemokratischen Medienprojekten wie indymedia auch erfreuliche Gegenbeispiele.

Um uns über die vielfältigen Hindernisse, Konflikte, Widersprüche und offenen Fragen auszutauschen und erst recht, um mögliche Perspektiven, Vernetzungen und Lösungsansätze zu diskutieren, laden wir zu einer Kongress- und Aktionswoche am 4. bis 11. April in Berlin ein.

Im Rahmen des Kongresses sind folgende und vor allem weitere Ideen gefragt:

Austausch zwischen Projekten (gerade auch unterschiedlicher Art und Ausrichtung), z.B. über:

« Konflikte nach Außen (Räumung, Behördenstress, ...) und Auswege / Widerstandsmöglichkeiten

« Konflikte im Inneren wie Generationswechsel, Rückzug ins Private, Konsumverhalten, unterschiedliche Konzepte und Ziele, Egotrips, ...

« Alltag und Organisation

« Rechtliche Absicherung von Projekten

« Unsere Rolle in der Gesellschaft und der linken Szene, z.B:
« wie weit sind selbstorganisierte Strukturen noch wahrnehmbare Orte des Widerstandes?
« wie sieht der Rahmen für die Verteidigung von Projekten aus?
« Welche Rolle spielen selbstorganisierte Projekte für die Linke und wie kann ihr Rückhalt wieder gesteigert werden?
« Wie offen sind wir und wie offen wollen wir sein?


Während der Woche wird es nicht nur beim Reden bleiben. Vielmehr wollen wir uns hier in Berlin mit vielfältigen, radikalen Aktionen auch wieder Raum im Stadtbild und in der gesellschaftlichen Diskussion aneignen. Wir wollen mit vielen Aktionen und in sehr unterschiedlichen Formen öffentlichen Raum wieder besetzen, Ideen selbstorganisierter, linker Politik in die Öffentlichkeit bringen und linke Aktionen auf die Straße tragen.

Wenn ihr diese und weitere Workshops, Ags, etc. anbieten wollt, wenn ihr Ideen habt oder schon Aktionen ankündigen bzw. koordinieren wollt, meldet euch bitte schnell. Bringt eigene Ideen ein. Beteiligt euch an der Vorbereitung. Bitte wendet euch mit Fragen, Ideen und Ankündigungen an die Kontaktadresse.

Wir haben den Anspruch, dass es nicht nur bei einem einmaligen Treffen bleibt. Vielmehr kann Aktions- und Kongresswoche ein Ausgangspunkt für eine über das Treffen hinausgehende Vernetzung von selbstorganisierten Projekten sein und auch so etwas wie eine gemeinsame politisch-inhaltliche Plattform entwickeln.

Nur so scheint es uns möglich, wieder handlungsfähig zu werden, um gemeinsamen Widerstand gegen Räumungen zu entwickeln, perspektivisch neue Freiräume zu erkämpfen und gesellschaftlich wieder in die Offensive zu kommen.


 

10.03.2004
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: ÖffentlicherRaum]  Zurück zur Übersicht

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