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Berlin: „Mit den Wölfen heulen“ ist kein Widerstand

Vor 60 Jahren scheiterten das Attentat auf Hitler und damit der Versuch
eines Staatsstreichs. Aus diesem Anlass verarbeiten die
öffentlich-rechtlichen Medien zur Zeit die Geschichte der Attentäter in
Spielfilmen und Dokumentationen. Damit begleiten sie die nationale
Mythenbildung von Bundesregierung und Bundeswehr, die auch 2004 in einem
Gelöbnis am 20. Juli ihren Höhepunkt finden wird.

Dass ausgerechnet die „Männer des 20. Julis“ bzw. des so genannten
militärischen Widerstands identitätsstiftend für die Bundesrepublik sein
sollen, ist kein Zufall, war der Widerstand dieser Männer doch
vorwiegend nationalistisch-deutsch motiviert.

Als Militärs hatten sie in einem Staat ihre Karrieren fortgesetzt oder
gemacht, in dem bereits seit 1933 antisemitische Verbrechen und die
blutige Verfolgung Anders-denkender in der Öffentlichkeit stattfanden.
Sie hatten der NS-Großraumpolitik und den Eroberungsplänen nicht nur
nicht widersprochen, sondern waren in verantwortlichen Positionen in der
Wehrmacht auch dann noch verblieben, als sie Kenntnis von
Kriegsverbrechen und Völkermord hatten. Vor allem an der Ostfront haben
Männer wie Henning von Tresckow den Vernichtungsfeldzug gegen die
Zivilbevölkerung geduldet oder mitgetragen. Im Vordergrund ihrer
Umsturzpläne stand, Hitler zu beseitigen, eine bedingungslose
Kapitulation zu vermeiden und den Machterhalt des Deutschen Reichs zu
sichern. Zu den Motiven wenigstens eines Teils der Verschwörer gehörte
gewiss auch, „das Morden zu beenden“, doch selbst die Waffen
niederzulegen oder überzulaufen, kam für sie nicht in Frage.

Die These von den ehrenhaften gescheiterten „Tyrannenmördern“ trägt dazu
bei, die Deutschen, die die NS-Politik weit bis in die späten
Kriegsjahre hinein und vielfach aus Überzeugung mittrugen, von ihrer
Verantwortung für die Shoa und für den Zweiten Weltkrieg zu entlasten.
Der antifaschistische Widerstand, die Tausende von sozialdemokratisch,
kommunistisch, anarchistisch, internationalistisch und einfach
humanistisch gesinnten Menschen, die sich dem NS-Staat, der Deportation
und dem Mord an Jüdinnen und Juden widersetzten, stellt hingegen die
Integrität der deutschen MittäterInnen in Frage und eignet sich deshalb
weit weniger für die wieder erstarkte deutsche Selbstsicherheit, mit der
bei weltweiten Kriegseinsätzen die Frage nur noch heißt: mit Mandat oder
auch ohne? Die Bundeswehr zudem hat sich in ihrer Traditionspflege nie
klar von der Wehrmacht distanziert.

Im gestrigen Teil 2 der ZDF-Dokumentation „Sie wollten Hitler töten“
äußerte der ehemalige Mitverschwörer Philipp von Boeselager zur
Kooperation der Verschwörer mit Tätern wie dem SS-Brigadeführer Arthur
Nebe, einem der „exponiertesten Vertreter der Vernichtungspolitik“ (Hans
Mommsen): Man habe „mit den Wölfen heulen müssen“, auch wenn man um
deren Verbrechen gewusst hätte. Der konsequente Widerstand aus den
Reihen des Militärs, Deserteure, Wehrkraftzersetzer und
Kriegsdienstverweigerer jedoch hat nicht mit den Wölfen geheult, sondern
die Waffen niedergelegt und sich der Teilnahme an Verbrechen verweigert.
Sie zählen nach Zehntausenden.

 

10.03.2004
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