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Berlin: Kundgebung am 23.2.04 gegen Tschetschenienkrieg


Aufruf Osteuropa-AG Berlin & friends

Internationaler Aktionstag gegen den Krieg in Tschetschenien

KUNDGEBUNG BERLIN
MONTAG 23.2.04 17:00
RUSSISCHE BOTSCHAFT
UNTER DEN LINDEN 63-65

Am 23.2.2004 jährt sich zum 60. Mal der Beginn der massenhaften
Deportation der tschetschenischen Bevölkerung durch die stalinistische
Sowjetunion. Gleichzeitig ist der 23. Februar in Russland der "Tag der
Verteidiger des Vaterlands" und wird als männlich-militaristisch
aufgeladener "Männertag" gefeiert.
Aus diesem doppelten Anlass rufen anarchistische und autonome
AktivistInnen in Russland zu einem internationalen Aktionstag auf, um
auf den fortdauernden Krieg gegen die tschetschenische Bevölkerung
hinzuweisen.

Mit einer Kundgebung vor der russischen Botschaft in Berlin wollen wir
gegen den Krieg und die Diskriminierung der tschetschenischen
Bevölkerung in Russland protestieren. Gleichzeitig verurteilen wir das
Vorgehen der durch den Kreml legitimierten tschetschenischen Kräfte, die
durch Entführungen, Folter und Mord die Politik der russischen Armee
fortsetzen.

Schluss mit dem Krieg in Tschetschenien!

Wir wollen mit dieser Kundgebung aber auch die Verlogenheit der
deutschen Politik kritisieren und fordern auf zur Solidarität mit den
Betroffenen der Auswirkungen des Konflikts: Krieg, Bomben,
Bombenanschläge, Folter, Vergewaltigung, Entführung, Wehrpflicht.

Schluss mit den Abschiebungen!
Bleiberecht für alle Betroffenen, die das wollen!

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##### Aufruf der Autonomen Aktion Moskau #####

Aufruf zu einem internationalen Aktionstag gegen den
Tschetschenienkrieg

Der Himmel war blau am Morgen des 23.Februar 1944 in Grosny. Die
BewohnerInnen der Stadt waren eingeladen worden, auf einem Platz den 26.
Jahrestag der Gründung der Roten Armee zu feiern. Der Vize-Kommandeur
des örtlichen Regiments der Roten Armee trat auf die Tribüne und
richtete einen harschen Satz an die gesamte Nation: "... Die
kommunistische Partei und die sowjetische Regierung haben entschieden,
alle Tschetschenen und Inguscheten zu deportieren. Widerstand ist
zwecklos, das Zentrum der Region ist von bewaffnete Kräften
eingeschlossen."

Entsetzt marschierte die Menge in Viererreihen zu Sammelpunkten, wo sie
auf LKWs geladen wurden, die zum Bahnhof fuhren.. Dies geschah in der
gesamten Republik; in einigen Dörfern begann die Deportation am Abend,
nachdem die BewohnerInnen zu Gesang und Tanz am Lagerfeuer eingeladen
worden waren.. Im Dorf Haibah ordnete ein "colonel" des NKWD (Vorläufer
des späteren KGB und heutigen FSB) , Gveshiani, an, alle 700
BewohnerInnen lebendig zu verbrennen, eine Tat, die später von NKWD-Chef
Berija gefeiert wurde. Dieser war drei Tage zuvor in der Republik
angekommen, um persönlich die Operation zu befehligen, die als
"Chechewitsa" (Linsen) bekannt wurde.

Über 14.200 Güterwaggons und 1000 Personenwaggons mit 480.000 Menschen
fuhren in die Steppen Kasachstans und Kirgistans. Die Reise dauerte fast
einen Monat und ein Fünftel der PassagierInnen erreichte das Ziel nie.
Es gab Hunger, Durst und Typhus in den ungeheizten und überfüllten
Waggons. Zahllose weitere starben an Hunger und Krankheiten in der
Steppe in den Jahren danach. Erst im Jahr 1956 durften die
TschetschenInnen und InguschetInnen in den Kaukasus zurückkehren.

In 60 Jahren haben sich einige Sachen in Russland nicht verändert. Der
23. Februar ist heute der "Tag der Verteidiger des Vaterlands" und wurde
kürzlich zum offiziellen Feiertag erklärt. Und die ethnischen
Säuberungen dauern noch an; Statistiken zufolge verschwinden in
Tschetschenien Menschen mit genau solcher Wahrscheinlichkeit - oder aber
werden willkürlich verhaftet - , wie sowjetische BürgerInnen in den
dunkelsten Jahren des Stalinismus um 1937 herum Opfer von Repression
wurden. Der Krieg, der seit 1994 mit unterschiedlicher Intensität
andauert, ist alles, aber nicht vorbei; höchstens vielleicht zwischen
dem 20. und 25. Dezember. 19 Bombenangriffe oder Schießereien zwischen
tschetschenischer Guerilla, örtlicher Polizei und russischer Armee
wurden aus Tschetschenien und den benachbarten Regionen berichtet. JedeR
kann zwischen die Fronten geraten; Dutzende Menschen starben in
ekelhaften Bombenattentaten in Moskau und Stawropolskij Kraj im
Dezember.

Meinungsumfragen ergaben, dass mehr und mehr Menschen unzufrieden sind
mit der Art, wie Putin mit dem Tschetschenienkonflikt umgeht und fast
niemand glaubt an die Aussage, dass "der Konflikt geregelt wurde".
Dennoch geben nur wenige Menschen zu, dass alle Lösungen, die im Rahmen
der "Realpolitik" vorgeschlagen werden, zu nichts führen. Das Konzept
eines "vereinigten und ungeteilten Russlands" ist so tot wie die
Konzepte vom "unabhängigen Itschkeria", von "temporärer UN-geführter
Verwaltung" und "Verhandlungen zwischen Putin und Maschadow". Die
Wiederholung des Chassaw-Jurt-Experiments von 1996 würde bloß zu
weiterer Verfolgung nationaler und religiöser Minderheiten führen, zu
weiterer Verbreitung von islamischem Fundamentalismus, Entführungen und
Sklavenhandel.

Krieg lohnt sich für Herrscher, weil es die Aufmerksamkeit der
BewohnerInnen von Russland von sozialen und ökonomischen Problemen
ablenkt. In einer Welle allgemeiner Kriegsbegeisterung und Hetze ist es
leichter, militaristische und chauvinistische Hysterie zu verbreiten,
repressive Institutionen zu stärken, unpopuläre Reformen zu
verabschieden und Menschen auzuplündern. Der Krieg in Tschetschenien ist
das Förderband der Henker und Sadisten, die oft nicht in der Lage sind,
in ein friedliches Leben zurückzukehren. Gewöhnt an Angst und Töten u=
nd
indifferent gegenüber den Werten des Lebens, füllen sie die Ränge der
Spezialkräfte und der OMON und sähen die Saat des Chauvinismus im
Bewußtsein der Menschen um sie herum. Dieser Krieg wirft 18-jährige
Wehrpflichtige mit kurzer Ausbildung in den Alptraum es bewaffneten
Konflikts; Akte des Schreckens in russischen Städten gibt es wegen
dieses Krieges. Es ist naiv zu glauben, dieser Krieg wäre nicht
unserer. Er kann uns alle treffen, genauso wie er die SchauspielerInnen
und das Publikum es Nord-Ost traf, wie er die Opfer von
Polizeibrutalität und der OMON traf, die aus Tschetschenien zurückkamen.
Heute greifen sie in Russland nicht nur friedliche Demonstrationen an,
sondern auch legale Rockkonzerte. Wir feiern den 23. Februar nicht, weil
es für uns an diesem Jahrestag der ethnischen Säuberung der
TschetschenInnen nichts zu feiern gibt. Außerdem feiern wir den 23.
Februar nicht, weil wir kein Vaterland anerkennen (russisch,
tschetschenisch oder was auch immer), das es sich zu verteidigen lohnte
mit Hilfe von Besatzung, Entführungen, Filtrierungslagern, Folter, Mord,
manipulierten Wahlen, rassistischer Propaganda oder Bombenangriffen
gegen friedliche Menschen jeglicher Nationalität. Wir sind die
AntagonistInnen der PatriotInnen jedes Landes.

KeinE PolitikerIn wird je eine Lösung des Konfliktes finden, weil die
Abschaffung von Chauvinismus das Ende ihrer Macht bedeuten würde.
Erinnert Euch daran, dass Putin wegen einer Militärhysterie Präsident
wurde. Nur die BewohnerInnen Russlands und Tschetscheniens können eine
Lösung des Konflikts finden, indem sie ihre Zukunft in ihre eigenen
Hände nehmen. Diese Lösung kann nicht losgelöst von der Emanzipation =
den
Menschen von Staat, Kapital, Nationalismus und Rassismus sein. Die
Einigkeit der Menschen gegen PolitikerInnen und über politischen Grenzen
hinweg muss stärker sein als Ideen von "der Einigkeit Russlands", der
"Unabhängigkeit Itschkerias" oder jedweder religiösen
Selbstgerechtigkeit.

Wir sollten niemals still sein am 23. Februar. Wir werden solange
kämpfen wie einE einzigeR NationalistIn, PolitikerIn oder KapitalistIn
entscheidet, wie wir leben sollten! Wir rufen AnarchistInnen und
UnterstützerInnen freier Gesellschaften dazu auf, um den 23. Februar
2004 herum alle Arten von Aktionen zu organisieren, um an den 60.
Jahrestag der tschetschenischen Deportation zu erinnern und gegen das
andauernde Abschlachten der friedlichen BewohnerInnen von Russland und
Tschetschenien zu protestieren. Eure Aktion kann eine Kundgebung, ein
Graffiti, eine Konzert oder eine Lesung sein; es gibt zahllose
Möglichkeiten, also nutzt Eure Phantasie.

Wenn Ihr unserem Aufruf zustimmt und an den Aktionen teilnehmen wollt,
bitte kontaktiert die Initiativgruppe in Moskau:  Adm@avtonom.org oder
P.O.Box 13, 109028 Moskau Russland

Wir werden eine Übersicht der Aktionen aller Gruppen erstellen, die
unserem Aufruf zustimmen. Selbst wenn Ihr uns nicht in allen Punkten
zustimmt, kontaktiert uns und wir werden Eure Aktion separat aufführen.

Nieder mit dem Krieg = Staat! Es lebe die freie Gesellschaft!

AnarchistInnen aus Moskau

 

19.02.2004
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