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Genua: An die 300.000 von Genua

Gipfelinfo - Meldungen über globalisierte Solidarität
und die Proteste gegen unsolidarische Globalisierung
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- An die 300.000 von Genua
- Haidi Giuliani an die Sozialen Foren
- Haidi Giuliani an den Bürgermeister von Genua

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An die 300.000 von Genua

Zwei Vereine (und eine freie Gruppe, die Dokumentation und Gegenermittlungen von
unten anstellt), haben während der 31 Monate, die seit Genua 2001 vergangen
sind, unablässig gekämpft, damit die Wahrheit über Genua ans Licht kommen kann.
Es ist so weit, dass wieder alle 300.000, die da waren, und die Millionen, die
davon gehört haben, gefragt sind, um Wichtiges zu verteidigen. Haidi Giuliani,
die Mutter von Carlo, der in Genua starb, und Lorenzo Guadagnucci, ein
Journalist, der in der Diaz-Schule durch Polizeischläge mehrere Knochenbrüche
erlitten hat und in einem der beiden Vereine aktiv ist, richten anlässlich der
bevorstehenden Prozesse gegen Protestteilnehmer und damit die restlose
Aufklärung der politischen Verantwortlichkeiten lautstark eingefordert werden
kann stellvertretend für ihre Vereine einen Appell an die 300.000 von Genua.


12.02.04

Appell
An die 300.000 von Genua,
an die Sprecher der Sozialen Foren,
an alle demokratischen Menschen

Am 2. März beginnt der Prozess wegen den Vorfällen während des g8. Die
Beschuldigten sind 26 Demonstranten und riskieren höchste Strafen. Wir sind sehr
besorgt.

Seit den Tagen von Genua sind zweieinhalbe Jahre vergangen, aber wir haben
nichts vergessen. Nicht einmal die Details. Wir haben den Tränengas-Horror nicht
vergessen, und auch nicht den Lärm der Hubschrauber, das Grauen im Angesicht
jener Polizisten die grundlos Menschen jagten und verhafteten. Wir haben den
Horror der Diaz-Schule nicht vergessen, und die Schlagstockschläge, die Tritte,
das Blut, die Rettungstragen, die zu Dutzenden aus der schule kamen, und vor den
Leitern der Staatspolizei Revue passierten. Wir haben die Folterungen von
Bolzaneto nicht vergessen und auch nicht die von Forte San Giuliano. Und wir
werden die sinnlose Tötung Carlos nie akzeptieren.

Zweieinhalbe Jahre sind vergangen, und wir fordern immer noch Gerechtigkeit. Wir
werden in den Gerichtssälen nach ihr suchen, aber wir wollen sie auch in der
Gesellschaft, und dass sie den Tod Carlos ad acta gelegt haben ist egal, weil es
nichts gibt, das ad eingestellt werden könnte. Die Suche nach der Wahrheit hört
nicht an der Schwelle der Gerichtssäle auf, deshalb werden wir nicht müde
werden, aufzuzeigen und nachzuweisen, wie Carlo wirklich umgebracht wurde. Es
ist unsere Pflicht, das zu tun.

Tag für Tag, seit diesem Juli 2001 haben wir das Wachsen der Empörung in unserem
Inneren gespürt: Tausende Menschen waren freudig nach Genua gekommen, getrieben
vom Bedürfnis, etwas für eine bessere Welt zu tun; Sie sind terrorisiert,
verletzt, gedemütigt nach Hause gekehrt. Die Empörung ist gewachsen, weil der
organisierte Terror dieser Tage immer noch keine Schuldigen hat, und keine
Erklärung. Es gibt zwei richterliche Untersuchungen, und der eine oder der
andere wird sich vielleicht für das verantworten müssen, was in der Diaz-Schule
und in Bolzaneto geschehen ist, während dessen sind vier der Beschuldigten mit
den höchsten Rangpositionen aber befördert worden. Wir wissen noch nichts über
die politischen Verantwortlichkeiten und es gibt solche, die die Geschichte
dieser Tage am liebsten neu schreiben möchten. Wie oft haben wir uns von
Politikern, von den Medien, von den viel zu vielen Leuten, die immer noch nicht
die Fakten kennen anhören müssen, dass Genua durch Tausende Gewalttäter
verwüstet worden ist? Wie oft haben sie uns gesagt, dass die Ordnungskräfte nur
auf einen Angriff reagiert haben? Sie haben es bis zur Erschöpfung wiederholt,
so sehr, dass viele am Ende daran geglaubt haben.

Wir wenden uns an die Dreihunderttausend von Genua, an die Sprecher des Genoa
Social Forum, das die Demonstrationen organisiert hatte, an alle Demokraten,
damit sie uns helfen, die Lügen abzuweisen. Im Juli 2001 wurden in Genua
Ungerechtigkeiten aller Art verübt. Alles ist dokumentiert: es gibt Bücher,
Filme, Fotografien, viele Dutzend Zeugnisse. Wir sind in diesen zweieinhalben
Jahren durch Italien gezogen, um zu erzählen, was Genua gewesen ist. Ab es
reicht immer noch nicht.

Am 2. März beginnt der Prozess gegen 26 Demonstrationsteilnehmer. Sie werden
wegen unterschiedlichen Vorfällen beschuldigt, aber allen wird eine extrem
schwerwiegende Straftat vorgeworfen, die "Verwüstung und Plünderung" lautet.
Hierfür ist eine Mindeststrafe von acht Jahren vorgesehen. Acht Jahre. Mehr als
das Strafmaß, das meistens ein Vergewaltiger bekommt. Wir glauben nicht, dass es
unsere Aufgabe sei, die einzelnen Aktionen der einen und der anderen zu
beurteilen. Aber es ist unsere Aufgabe, zu verhindern, dass es zum Fällen eines
exemplarischen Urteils kommt, mit extrem hohen Strafen, die in keinem Verhältnis
mit den Episoden stehen, welche die Verhandlung nachweisen müssen wird, und dass
eine Gruppe von Menschen eingelocht wird, um die politischen und operativen
Verantwortlichkeiten derer zu decken, die während der G8-Tage die öffentliche
Ordnung leiteten.

Aus diesen Gründen bitten wir euch, am 28. und 29. Februar und am 2. März nach
Genua zu kommen, um an den Initiativen Teil zu nehmen, die unsere Komitees
organisiert haben. Es ist etwas, das euch alle angeht. Wir bitten euch, die
Erinnerung an diese Tage nach Genua zu tragen, und die Kunde dessen
mitzubringen, was ihr gemacht, gesehen und erlitten habt und die Konsequenzen,
die ihr gezogen habt. Wir bitten euch, nach Genua zu kommen, und eure Empörung
wegen der in jenen Tagen vollzogenen Ungerechtigkeiten mitzubringen und eure
Lust, zu kämpfen, damit die Wahrheit in den Gerichtssälen und in der
Gesellschaft respektiert wird.

Am Wochenende werden wir die ganze Geschichte des G8 auf die Straße bringen: die
Diaz-Schule, Bolzaneto, Forte San Giuliano, Piazza Alimonda, den Angriff auf die
Demonstration in der Via Tolemaide, die Übergriffe auf der Piaza Manin und auf
dem Corso Italia. Wir werden über Grundrechte reden und von einer Petition, um
die Gesetze des Staates zu verbessern. Am 2. März würden wir froh sein, mit der
„Karawane für den Frieden“* durch Genua zu ziehen, die am 20. März Rom erreichen
wird. Wir wären froh, wenn die Karawane vor der Ankunft auf der Piazza De
Ferrari vorher an der Kaserne Bolzaneto, an der Diaz-Schule und durch die Piazza
Alimonda ziehen würde. Es sind einige der Orte des G8: dort sind Dinge
geschehen, die in der ganzen Welt Empörung ausgelöst haben und die in einer
Welt, in der Frieden und Gerechtigkeit herrschen, nicht sein dürfen.

Wir möchten diese drei Tage mit der Kraft unserer Beweggründe leben, ohne uns
der geringsten Provokation auszusetzen, ohne Kontakte mit jene zu riskieren, die
wahrscheinlich dafür sorgen werden, dass die Stadt dicht gemacht wird. Wir
scheren uns nicht um sie, weil sie uns nicht überzeugen: wir haben den Vorteil,
dass wir nichts zu verbergen und viel, sehr viel zu sagen haben.

Wir warten auf euch.

Haidi Giuliani, Comitato Piazza Carlo Giuliani

Lorenzo Guadagnucci, Comitato Verità e Giustizia per Genova

* Eine der Aktionen/Mobilisierungen der Sozialen Foren und der Bewegung der
Bewegungen in Italien, die am 7.-8. Februar beschlossen wurden. Am 20. März
findet der internationale Aktionstag gegen den Krieg und gegen die Besatzung in
Irak, der von den US-amerikanischen Friedens- und Antikriegsbewegungen
vorgeschlagen und von ESF und WSF mitgetragen wird, es wird hierzu zwei
Karavanen geben, eine nach Irak und eine im Inneren des Landes, die in zweit
Teilen von Süden und von Norden den Weg nach Rom aufnehmen wird, um am Tag der
internationalen Mobilisierung dort einzutreffen.

[indymedia.de, von Haidi Giuliani und Lorenzo Guadagnucci / rf - 13.02.2004 14:07]


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Haidi Giuliani an die Sozialen Foren

Botschaft von Haidi Giuliani an das landesweite Treffen der italienischen
Sozialen Foren in Bologna am 7. und 8. Februar 2004 und ihres persönlichen
Appells wegen der bevorstehenden Verfahren vom 2. März gegen 26
Protestteilnehmer. Der Kampf um Gerechtigkeit ist und bleibt schwer. Verhärtete
Fronten in den Bewegungen zum Umgang mit Gewalt verschlimmerten das lange Zeit.
Manche benutzten die Debatte um sich von so genannten Gewaltbereiten
abzugrenzen, andere entzogen sich den Kämpfen vor Gericht, weil sie
„institutionelle“ Wege wie gerichtliche Auseinandersetzungen „radikal“ ablehnen
und ebenfalls auf „Abgrenzung“ von „Pazifisten“ beharrten. Jetzt sind 26 Leute
dran. Haidi Giuliani hat sich in allen „Spektren“ viel eingesetzt, damit
Solidarität jedem zuteil werde, der in Genua war.


Botschaft und Appell von Haidi Giuliani an die Sozialen Foren
Bologna, 7.-8. Februar 2004

Das Soziale Forum ist praktisch in Genua 2001 geboren.
Aber es hat seine Beziehung zu Genua immer noch nicht geklärt.
Schuldgefühle?
Opportunismus?
Angst, mit den „Gewaltbereiten“ über einen Kamm geschert zu werden?

In zweieinhalben Jahren hat man einen Riesenpalaver um black blocks,
Unterwanderer, legitime und illegitime Formen, seinen Dissens kund zu tun,
Gewalt und Gewaltfreiheit gemacht.

Aber man ist nie wirklich das Problem angegangen.

Unter den vielen, die gerufen wurden, Teil zu nehmen, gibt es welche, die in
diesen zweieinhalben Jahren in Haft gewesen sind, die immer noch einer
Meldepflicht unterliegen und manche, die sehr wahrscheinlich wieder in Haft
kommen werden, die sich allein gelassen fühlen.

Es existiert keine einzige Klage der Bewegung wegen der Übergriffe und Attacken
seitens der Ordnungskräfte am Freitag, den 20. Juli. Warum?

Ich möchte euch einladen, über diese Tatsache nachzudenken, und über das
schlechte Befinden von vielen lokalen sozialen Foren, und über die Enttäuschung
und den Vertrauensverlust von so vielen Leuten, die sich nicht mehr
identifizieren, die nicht mehr wie früher auf Aufrufe reagieren.

Der Appell, der folgt, ist an Parlamentarier, Journalisten und an die
Verantwortlichen von genuesischen Vereinigungen geschickt worden. Ich richte ihn
auch an euch: Lasst uns etwas tun!

Ich kann nicht daran denken, dass Carlo, nachdem er geschlagen, eingegast,
erschossen und überfahren wurde und nachdem ihm die Stirn zerbrochen und er
getreten, beschimpft und diffamiert wurde, jetzt hinter Schloss und Riegel muss.

Haidi Giuliani


APPELL

Am kommenden 2. März wird in Genua 26 Demonstrationsteilnehmern der Prozess
gemacht, die am Gegengipfel anti-g8 Teil genommen hatten.

Einige von ihnen haben Steine geworfen und Schaufenster zerschlagen.
Einige haben zugeguckt.
Andere haben Steine gegen die Ordnungskräfte geworfen.
Drei waren auf der Piazza Alimonda, wie Carlo.
Alle müssen sich der Verwüstung und der Plünderung verantworten;
wegen dieser Anschuldigung riskieren sie mehrere Jahre Haft.

Wir haben die Filme gesehen, die zeigen, wie in den Straßen und auf den Plätzen
von Genua Carabinieri, Poliziotti und Guardia di Finanza, mit Schlagstock Hiebe
verteilen, treten, Arme, Beine, Köpfe und Zähne von wehrlosen Demonstranten
brechen: keiner von ihnen steht unter Anklage; nur „die von der Diaz“ und von
„Bolzaneto“ (aber nicht alle, wegen der Schwierigkeiten, sie einzeln zu
identifizieren). Sie werden bestellt werden, damit sie sich wegen der einen oder
der anderen Sache verantworten: derweil haben sie versucht, den Prozess nach
Turin verlegen zu lassen, was bedeuten würde, dass alles von vorne aufgerollt
werden müsste, und dass jene, die geklagt haben, weitere Reisen und weitere
Belastungen in Kauf nehmen müssten.

Ich glaube nicht, dass es unsere Aufgabe ist, die einzelnen Aktionen der einen
oder der anderen zu beurteilen. Das Problem liegt weiter oben, in der
politischen Verantwortung und in der Lenkung der öffentlichen Ordnung. Das
Problem ist, dass man von Seiten der Richterschaft und der Presse nie die
Bereitschaft gezeigt hat, die Gesamtdynamik der „Zwischenfälle“ jener beiden
Tage untersuchen zu wollen; die Theorie nach der die Gewaltakte der
Demonstrationsteilnehmer die „Übertreibungen“ der Ordnungskräfte provoziert
haben ist vollkommen falsch, wir wissen es, aber keiner sagt es.

In jenen Tagen sind unerträgliche Ungerechtigkeiten vollzogen worden.

Werden wir weiter schweigen, während nun neue Ungerechtigkeiten vollzogen werden?

Werden wir schweigen, während junge Leute wie Verbrecher oder Terroristen in den
Knast geworfen werden?

Und was werden wir dann all den jungen Leuten sagen, die an Gerechtigkeit
glauben können wollen?

Die Mutter von Carlo

[indymedia.de, von Haidi Giuliani / Übersetzung: Roter Faden - 13.02.2004 14:42]


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Haidi Giuliani an den Bürgermeister von Genua

Dieser "Offene Brief" wurde gestern, am 12. Februar 2004, von Haidi Giuliani,
der Mutter von Carlo, der in Genua 2001 um sein Leben gebracht wurde, im Rathaus
von Genua zu Händen des Oberbürgermeisters Pericu übergeben, der Vorsitzender in
jenem Stadtparlament ist, das vor wenigen Tagen beschlossen hat, im Verfahren
gegen 26 Protestteilnehmer beim G8 2001 als Nebenkläger aufzutreten.

Für ihre knappe, unmissverständliche Aussage, die auf den Punkt bringt, worum es
bei der Aufarbeitung von Genua eigentlich gehen sollte und mit welcher Empörung
die Entscheidung der Stadt Genua von denen, die noch um Gerechtigkeit kämpfen
aufgenommen wurde, verliert Haidi Giuliani in ihrer Ansprache nur wenige Worte.
Im Weiteren lässt sie die Abschrift eines Briefes sprechen, den eine andere
„Mutter“ von Genua, deren Tochter in Bolzaneto war, wenige Tage zuvor ebenfalls
an den genuesischen Bürgermeister gerichtet hatte, mit der Bitte, dass die Stadt
Genua u.a. als Nebenkläger im Verfahren gegen die Polizeiangehöreigen, die wegen
den Affären Diaz und Bolzaneto beschuldigt sind auftreten möge. Der Bitte wurde
nicht nur nicht Folge geleistet, die Stadt Genua hat im Gegensatz beschlossen,
vielmehr gegen 26 Protestteilnehmer in die Nebenklage zu gehen.


**************************************
Offener Brief an den Bürgermeister von Genua.
**************************************

Die Stadt Genua hat 31 Monate nach dem G8 und vor dem Prozess vom 2. März
beschlossen, als Nebenkläger gegen die Black Block aufzutreten, die am 20. und
21. Juli 2001 die Stadt verwüstet haben.

Wollen Sie ihre Namen?
Hier sind sie.

Silvio BERLUSCONI, Präsident des Ministerkabinetts, aus dem Palazzo Ducale
Gianfranco FINI, Vize von Berlusconi, aus der Kaserne von S.Giuliano
Claudio SCAJOLA, Innenminister, aus verschiedenen Orten
Gianni DE GENNARO, Polizeichef, aus Rom
Francesco GRATTERI, Chef des SCO, auf dem Hof der Diaz-Schule
Gilberto CALDAROZZI, Vize von Gratteri, auf dem selben Hof
Giovanni LUPERI, Vizechef der UCIGOS auf dem selben Hof
Vincenzo CANTERINI, Chef der 7. mobilen Abteilung, in der Diaz-Schule
Alessandro PERUGINI, ex Digos von Genova, in Bolzaneto und nicht nur dort
...

Reicht Ihnen das?

Haidi Gaggio Giuliani

P.S.: Wir Mütter, ich bitte um Entschuldigung für den respektlosen Vergleich,
sind ein wenig wie der Papst: alle sind gerührt, wenn wir sprechen, aber sie
vergessen sofort unsere Worte oder tun so, als hätten sie nicht verstanden.

Vor wenigen Tagen hat eine weitere Mutter einen Brief an den Bürgermeister
unserer Stadt geschrieben.

Ich führe ihn für jene, die das übersehen haben, an dieser Stelle an.

OFFENER BRIEF AN HERRN PERICU, BÜRGERMEISTER VON GENUA

Beginnend mit diesem Monat und für die gesamte Dauer von 2004 wird die Stadt
Genua europäische Kulturhauptstadt sein „ es ist eine wichtige Aufgabe und sie
haben mit Sicherheit gemeinsam mit Ihren Mitbürgern ein breites Programm an
Kulturhappenings geplant, um dieses Ereignis zu zelebrieren. Ich bin keine
genuesische Bürgerin, Herr Pericu, aber ich erlaube mir dennoch, Sie aus diesem
Anlass um Ihren Einsatz zu bitten; ich bitte Sie auch im Namen von Hunderten und
Tausenden Bürgern und Bürgerinnen von Genua, aus Europa und der ganzen Welt, die
während der anti-G8 Demonstrationen im Monat Juli 2001 in Genua schwere
Verletzungen erlitten haben und deshalb immer noch leiden.

Wie sie und Ihre Mitbürger sich sicher erinnern, wurden viele der in unserer
Verfassung und in den europäischen und internationalen Normen verankerte
Grundrechte während dieser Tage mit Füßen getreten. Das Recht, zu demonstrieren,
ohne durch Polizistenhand getötet oder verletzt zu werden (und dabei den Tod zu
riskieren), wie geschehen auf der Piazza Alimonda, in den Straßen und in der
Diaz-Schule. Das Recht, bei Verletzung medizinisch versorgt zu werden, das Recht
auf Benachrichtigung von Angehörigen bzw. von Konsulaten für die Ausländer bei
Verhaftung, das Recht für die Verhafteten, zu erfahren, wo sie sich befinden und
warum, und wo man sie hinbringen wird. Das Recht, das für jeden der in Gewahrsam
oder verhaftet ist vorschreibt, das ihm zusteht, dass er von den Ordnungskräften
die ihn bewachen zu beschützen ist, und nicht dass er übel beschimpft,
geschlagen und gefoltert zu werden hat, wie es in der Kaserne von Bolzaneto oder
in San Giuliano geschehen ist.

All diese Rechte und viele mehr wurden im Juli 2001 in Genua außer Kraft gesetzt.

Als ersten Bürger der Stadt Genua, bitte ich Sie, sich einzusetzen, damit alle
Verantwortlichkeiten auf allen Ebenen geklärt werden und damit eine
parlamentarische Untersuchungskommission mit voller Ermächtigung eingerichtet
werde, die das, was in jenen dramatischen Tagen geschehen ist, rekonstruieren möge.

Ich bitte Sie darum, weil Genua, solange dies nicht geschehen sein wird, (und es
sind bereits zweieinhalbe Jahre vergangen) weiter ein Wort voller Feindseligkeit
sein wird und weiterhin viele, zu viele Menschen an die dunkelsten Tage unserer
Demokratie erinnern wird. Und kulturelle Ereignisse werden, selbst wenn von
höchstem Niveau, nicht reichen, um den Schrecken und die Panik die dieser Name
immer noch in uns hervorruft auszuradieren. Und die Segnungen des Erzbischofs
von Bolzaneto* oder unwahrscheinliche Besichtigungen der Kaserne für Schüler
reichen uns nicht, da ist ganz was anderes nötig, damit der Bruch, der sich
zwischen Bürgern und Ordnungskräfte ereignet hat, sich wieder fügen könnte, es
werden dafür Wahrheit und Gerechtigkeit nötig sein.

Das betrifft nicht nur uns, die wir Zeugen, Angehörige, Opfer des blinden und
ungerechtfertigten Wütens jener Tage sind, das betrifft auch Sie und Ihre
Mitbürger, damit Genua für uns wieder die wunderschöne und großzügige Stadt
werden kann, die wir vor dem G8 im Herzen hatten, und damit sie es für alle sein
kann, aus Italien und dem Ausland, die sie nur im Juli 2001 kennen gelernt haben
und seit dem nicht mehr in der in der Lage sind oder es nicht schaffen*, nach
Genua zurück zu kommen.

Herr Bürgermeister, ihre Stadt reagierte in jenen Tagen mit großer Solidarität
und authentischem Demokratiesinn, wir haben diese durch die Anwälte, die Ärzte,
die Journalisten und all jene kennen gelernt, die sich verwendeten, damit die
den Protestteilnehmern und der Demokratie zugefügten Verletzungen nicht noch
schwerer geraten würden, als sie es bereits waren, wofür ich mich bei Ihnen und
den Bürgern von Genua bedanke. Ich glaube, dass dieses Kulturjahr aber nicht
jene Tage vergessen machen kann, weil Kultur auch die Gefühle bedeutet, die uns
mit einer Stadt verbinden und die Ideale eines Bürgerrechts, das die Rechte
gewährleistet von denen, die dort leben und auch con denen, die dort nur
vorbeikommen, vielleicht nur für wenige Stunden, auf einem Ausflug, oder wegen
einer Demonstration.

Daher bitte ich Sie darum, dass die Stadt Genua als Nebenkläger in den
bevorstehenden Verfahren wegen Diaz und Bolzaneto auftreten möge, ich bitte Sie,
dafür zu sorgen, dass Genua im Jahr 2004 nicht nur europäische Kulturhauptstadt
werde, sondern auch europäische Hauptstadt der Rechte, in dem über das Jahr 2004
in Genua Treffen und weitere Initiativen zum Thema der Grundrechte organisiert
werden. Ich und der Comitato Veritá e Giustizia per Genova sind bereit, mit
Ihnen zusammen zu arbeiten.

Danke,

Enrica Bartesaghi, - Präsidentin des Comitato Veritá e Giustizia per Genova


Am Dienstag der laufenden Woche hat das genuesische Stadtparlament beschlossen,
dass die Stadt Genua als Nebenkläger im Verfahren gegen 26 Menschen, die u.a.
wegen Verwüstung und Plünderung während des G8 2001 unter Anklage stehen. Das
genuesische Rathaus klagt nicht gegen unbekannt sondern es will ganz konkret
gegen diese 26 Personen vorgehen, um Ersatz der moralischen und materiellen
Schäden zu erwirken. Über diese Menschen lasten die strafrechtlich grundsätzlich
schon außerordentlich schwerwiegenden Vorwürfe der Verwüstung und der
Plünderung, die mit einem Strafmaß zwischen 8 und 15 Jahren geahndet werden und
wegen denen es in Italien seit Ende des zweiten Weltkrieges erst ein einziges
Mal zu einer Verhandlung kam.

* Es gibt Menschen, die wegen der psychischen Traumen bis heute nicht in der
Lage sind, nach Genua zurück zu kehren. Es gibt sogar Menschen, die
Schwierigkeit haben, überhaupt die eigene Wohnung zu verlassen. Andere haben
sich körperlich nie mehr erholt, wie beispielsweise der vermutlich älteste
Insasse von Bolzaneto, ein Greis, der in seiner Jugend schon als Partisan gegen
die Nazis gekämpft hatte.

* * Vor einigen Monaten erhielt die Kaserne Bolzaneto erzbischöflichen Segen;
darüber hinaus soll die Kaserne Ort für Besichtigungen einer Kaserne (womit
natürlich nicht die Besichtigung als Stätte der Terrornächte 2001 gemeint ist)
durch Schulklassen werden.

[indymedia.de, von Haidi Giuliani / Übersetzung: Roter Faden - 13.02.2004 14:25]


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15.02.2004
gipfelsoli   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: Genua G8 Treffen]  Zurück zur Übersicht

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