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München: Bericht vom SiKo-Wochenende!

BERICHT VOM SIKO-WOCHENENDE!

Das erste Februarwochenende hat wieder einmal bewiesen, dass öffentliche Kritik
an der sogenannten NATO-"Sicherheitskonferenz in hohem Maße unerwünscht ist.
Widerstand und Protest gegen diese Kriegskonferenz soll in München um jeden
Preis und mit allen Mitteln unterbunden werden. Ein martialisches Aufgebot von
4000 Einsatzkräften aus dem gesamten Bundesgebiet, von Seiten der
Polizeiführung bereits im Vorfeld der Konferenz als "Deeskalation durch Stärke"
höhnisch angekündigt, verwandelte die Innenstadt der Bayernmetropole für das
komplette Wochenende in ein Ausnahmezustandsgebiet. "Je näher man an den
Bayerischen Hof kommt, desto mehr erinnert die Bewachung an einen
südamerikanischen Polizeistaat", ist sogar in der SZ zu lesen.

Der Freitag:

Etwa 1500 Menschen kamen am Freitagnachmittag an den vier Kundgebungsorten -
Lenbachplatz, Platz der Opfer des Nationalsozialismus, Odeonsplatz und
Schrammer-/Theatinerstr. - zusammen, um die Anreise der Kriegstreiber zu
stören. Vor allem am "Platz der Opfer des Nationalsozialismus" war die
Situation von Anfang an geprägt von massiven Attacken der Polizei, bereits zu
langsames Überqueren von Straßen wurde als "Blockadeversuch" gewertet und mit
Einkesselungen und Festnahmen beantwortet. Zum Teil vermummte Spezialeinheiten
sowie Greiftrupps in Zivil griffen immer wieder willkürlich und mit brutalen
Mitteln Einzelne aus der Kundgebung raus. Belegt sind zwei Fälle von erheblich
verletzen Demonstranten, einer wurde bewusstlos geschlagen und über den Platz
geschleift, eine ärztliche Versorgung wurde erst nach ca. 30 Minuten
zugelassen. Im zweiten Fall musste ein Demonstrant, vermutlich nach
Tonfas-Einsatz, mit einem Leberriss ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Darüber hinaus wurde einem Journalisten aus einem Polizeifahrzeug heraus mit
Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Einige Fotographen wurden offenbar
gezwungen, ihr Bildmaterial von Polizeiübergriffen zu löschen.

Kurzzeitig gelang es einer größeren Gruppe DemonstrantInnen den Verkehr zu
blockieren und einen Konvoi mit TeilnehmerInnen der Konferenz an der Durchfahrt
zu hindern. Die Polizeikräfte waren jedoch derart massiv präsent, so dass die
Blockade ziemlich bald abgeräumt war. Rund um den Platz wurden daraufhin etwa
80-100 Leute in drei Polizeikesseln eingeschlossen, immer wieder wurden die
Leute in den Kesseln mit Tonfas, Schlägen, Fußtritten und Pfefferspray
malträtiert, Frauen wurden zudem mit übelsten sexistischen Sprüchen angemacht.
Sämtliche BlockiererInnen und auch Leute, die dort lediglich rum standen
durften anschließend die "gesiebte Luft" in der Ettstraße genießen. Insgesamt
wurden am Freitag laut Ermittlungsausschuss (EA) über 200 Menschen
vorübergehend festgenommen, der Polizeibericht spricht von insgesamt 147
Personen in Gewahrsam und 28 Festnahmen.

Durch das massive und äußerst brutale Vorgehen der Einsatzkräfte war es
definitiv unmöglich die angemeldeten Versammlungen unter regulären Bedingungen
durchzuführen. Schon vor Beginn der Kundgebungen wurde jede/r als DemonstrantIn
erkennbare Mensch systematisch mit Kameras abgefilmt. Der Lenbachplatz war
komplett eingegittert, KonferenzgegnerInnen durften erst nach Taschen- und
Personalienkontrolle den "Polizeikäfig" betreten. Am "Platz der Opfer des
Nationalsozialismus" konnte die Kundgebung nur unter extremen Schwierigkeiten
abgehalten werden, da einzelne Einsatztrupps immer wieder bis vor die Bühne
stürmten. Der Platz selber war von Hunderten bis an die Zähne bewaffneten
Polizisten umzingelt, speziell das bayerische USK machte seinem negativen Ruf
einer besonders üblen "Schlägertruppe" wieder mal alle Ehre. Selbst vor den
"Promis" wurde nicht Halt gemacht, Tobias Pflüger, von der Informationsstelle
Militarisierung in Tübingen, wurde nach seiner Rede vom Lautsprecherwagen
gezerrt und festgenommen. Dabei wurde ihm der Hals verdreht und verletzt. Grund
soll, wie schon im letzten Jahr, der Inhalt seiner Rede gewesen sein. Auch die
geplante Menschenkette wurde stark behindert, Einzelpersonen wurden von Polizei
mit und ohne Uniform herausgegriffen und es wurde Pfefferspray eingesetzt,
deshalb war sie letztendlich auch nicht durchführbar.

Zu einem Zwischenfall kam es auch unter den Sicherheitskräften. Im Tagungshotel
"Bayerischer Hof" löste sich aus bislang unbekannten Gründen um 13.10 Uhr aus
der Waffe eines französischen Personenschützers ein Schuss. Das Projektil
schlug im Marmorboden eines Seitenflures ein. Mehrere umstehende Personen
wurden von Marmor-Splittern getroffen, darunter drei Journalisten und ein
Angehöriger der Bundeswehr. Vier Polizeibeamte erlitten ein Knalltrauma. Die
Kriminalpolizei ermittelt jetzt!

Einigen Dutzend KriegsgegnerInnen gelang es am späteren Abend noch,
US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld beim Abendessen mit hochrangigen
NATO-Generälen im Nobelrestaurant "Feinkost Käfer", in der Prinzregentenstraße,
mit ihrem Protest zu konfrontieren. Während einige direkt ins Restaurant liefen
und Parolen riefen, setzten sich andere in den Eingangsbereich bzw. waren vor
dem Nobelschuppen lautstark präsent. Nach kurzer Zeit wimmelte es jedoch nur so
von Polizei, die unverzüglich Jagd auf die ungebetenen Gäste machte und
schließlich rund 30 Leute einkesselte und für etliche Stunden in
Unterbindungsgewahrsam steckte.

Der Samstag:

Nach der Auftaktkundgebung auf dem Marienplatz formierten sich etwa sieben bis
zehntausend Menschen zu einem Demonstrationszug. Die Auflagen beinhalteten,
dass Seitentransparente verboten sind, solange ihre Unterkante nicht mindestens
2 Meter über dem Boden verläuft. Der Sinn dieser Auflage war klar, die Bullen
wollten die Möglichkeit behalten, in die Demonstration hineinzukommen und
wollten freie Sicht zum photographieren. Letztes Jahr hatten sie diese Auflagen
vergessen und sahen sich mit einem vollkommen geschlossenen
internationalistischen Block konfrontiert, der sich mit Seitentransparenten und
Seilen gegen Zugriffe abgesichert hatte.

Mehrfach wurde auch dieses Jahr versucht, Seitentransparente am
internationalistischen Block anzubringen. Es blieb aber beim Versuch, denn
jedesmal griffen die "Robocops" den Block sofort an und entrissen die
verbotenen Kundgebungsmittel mit brachialer Gewalt. Dabei kam es immer wieder
zu kleineren Scharmützeln zwischen der Blockspitze und dem USK. Bereits im Tal
kam es zur ersten und heftigsten Auseinandersetzung, mit Fußtritten und
gezielten Schlägen wurde versucht die ersten beiden Reihen zu zermürben und
den Leuten Verletzungen zuzufügen. Als dann der Befehl "Helm auf" kam, drohte
die Situation zu eskalieren. Das besonnene Verhalten im Block, unzählige
PhotographInnen, die sich im Gewühle tümmelten und einzelne
FriedensfreundInnen, die sich beherzt zwischen die "Fronten" warfen, sorgten
jedoch dafür, dass sich die Situation wieder entspannte und die Bullen sich
zurückzogen.

Der ganze vordere Teil der Demo lief von Beginn bis Ende in einem dichten
Spalier (bis zu 3 Reihen auf jeder Seite), eine Art Wanderkessel. Trotz
mehrfacher Versuche, durch Stehenbleiben, Haut-ab-Rufen oder Verhandlungen war
dieser Zustand nicht zu beseitigen. Während der gesamten Demonstration wurde
verhindert, dass sich einzelne TeilnehmerInnen aus dem Zug entfernten, der
Charakter eines Kessels wurde dadurch nicht nur optisch bestätigt. Immer wieder
wurden Personen aus völlig unersichtlichen Gründen aus der Demo abgegriffen.
Nähe Viktualienmarkt war noch eine lustige Aktion nicht nur zu sehen, sondern
auch zu riechen, ein offensichtlich verloren gegangener Bullenhelm ging
plötzlich in Flammen auf (Kommentar eines Cops: "da brennt die Dummheit eines
Kollegen").

Trotz der Tatsache, dass der Lautsprecherwagen aufgrund technischer Pannen die
meiste Zeit ruhig war, war es eine laute und nicht zu überhörende Demo. Nach
fast drei Stunden war dann schließlich der Platz der Abschlusskundgebung in
unmittelbarer Nähe des Tagungsortes der
"Sicherheitskonferenz" erreicht. Dort war bereits ein riesiger Kessel mit
Absperrgittern aufgebaut, um zu verhindern, dass einzelne Gruppen sich dem
Tagungsort noch weiter nähern. Anfängliche Gerüchte, es käme jetzt keiner mehr
von dem Platz weg, erwiesen sich jedoch als unbegründet.

Nach Abschluss der Kundgebung versuchten einige TeilnehmerInnen noch zum
Polizeipräsidium in der Ettstraße vorzudringen, um die dort einsitzenden
Festgenommenen zu unterstützen. Die Ettstraße war aber komplett abgeriegelt und
es kam auch hier nochmal zu einigen Festnahmen. Gruppen abziehender
DemonstrantInnen wurden von Greiftrupps quer durch die Innenstadt gehetzt, zum
Teil eingekesselt und verhaftet. Den ganzen Nachmittag über bis in den frühen
Abend hinein versuchte die Einsatzleitung mit Hubschraubern einzelne
TeilnehmerInnen der Demo zu identifizieren und im Stadtgebiet noch festnehmen
zu lassen. Ein Mensch, der bereits heftig heftig blutete, wurde z.B. von den
Bullen äußerst unsanft aus dem Kaufhof geschleift.

Am Samstag Abend fanden dann noch in Gebäuden in Giesing und im Westend zwei
Scheinbesetzungen statt, die eindeutig Position gegen die
"Sicherheitskonferenz" bezogen. Sachschaden entstand dann noch in der Nacht zum
Sonntag als Unbekannte am Stiglmaierplatz etwa zehn Schaufensterscheiben
entglasten, für die Bullen war jedoch sofort klar, dass es sich bei dieser
Aktion nur um auswärtige Autonome handeln konnte.

Insgesamt kam es am Samstag zu ca. 60 Festnahmen, laut EA sind an diesem
Wochenende fast 300 Leute eingefahren. Im Polizeibericht ist die Rede von 74
Festnahmen, 177 Gewahrsamnahmen und 8 Identitätsfeststellungen.

Dem EA liegen Berichte vor, nach denen in den Zellen des Polizeipräsidiums
erkrankte und verletzte Festgenommene die medizinische Versorgung verweigert
wurde. Gefangene bekamen stundenlang kein Essen oder ausreichende Decken in der
Nacht. Ein Gefangener wurde in Polizeigewahrsam von mehreren Polizisten
körperlich misshandelt. Er wurde eine Treppe herunter gestoßen und getreten,
u.a. in die Genitalien. Gegen den in Österreich lebenden türkischen
Staatsangehörigen wurde später vom Ermittlungsrichter wegen Fluchtgefahr
Untersuchungshaft verhängt. Dies wird begründet mit der österreichischen
Meldeadresse des Beschuldigten. Alle anderen Verhafteten jedoch sind
mittlerweile wieder auf freien Fuß gesetzt, auch Betroffene aus anderen
Ländern.

Am Donnerstag, 12.02.04, soll es eine Soliaktion für diesen Genossen geben!

Eine Einschätzung und politische Auswertung des Wochenendes steht noch aus,
dafür brauchen wir noch den Raum für eine gemeinsame Auseinandersetzung, fürs
erste nur soviel: Der Zynismus des bayerischen Innenministers Beckstein, der
die "professionelle Arbeit" der Polizei am Wochenende in seiner
Pressemitteilung rühmt, ist nicht zu überbieten. Wer die Brutalität der
Einsatzkräfte, die sich willkürlich durch das Wochenende prügelten, als
professionelle Arbeit tituliert, der macht offen welch Geistes Kind er ist. Die
sogenannte "Bayerische Linie" würde sogar jeglichem Polizeistaat alle Ehre
machen.

Con Action

 

10.02.2004
Con Action   [Aktuelles zum Thema: Antimilitarismus]  [Schwerpunkt: NATO Kriegskonferenz]  Zurück zur Übersicht

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