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Hamburg/Istanbul: Delegation in Istanbul beobachtet Armutluprozess


Tayad-Komitee Hamburg
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Fax.:0049/40/28053685
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Hamburg, den 07.12.2003

Delegation vom 02. - 05. Dezember in Istanbul beobachtet Armutluprozess

Eine 4-Köpfige Delegation aus deutschen Tayadunterstützern, einem freien
Journalisten sowie einem >Amnesty International< -Aktivisten traf sich in
Istanbul mit griechischen Regierungsangestellten und Gewerkschaftlern um gemeinsam
während des Armutluprozesses für internationale Beobachtung und Unterstützung
der 28 Männer und Frauen zu sorgen. Neben der Prozessbeobachtung fanden auch
Gespräche mit Anwälten und Mitglieder sowie dem Vereinsvorsizenden der
Gruppe Tayad (deutsch: Angehörige) statt. Desweiteren wurden ein linkes
Jugendkulturzentrum und die Zeitung "ekmek ve adalet"(deutsch: Brot und Gerechtigkeit)
besucht. Diese ist zwar legal, wird jdoch durchschnittlich 2 mal pro Jahr
durch die Polizei gestürmt: Es kam häufig zu Misshandlung von Journalisten;
PC`s, Druckmaschienen und Nachschlagewerke werden beschlagnahmt oder zerstört.

Zur Vorgeschichte:
Am 5. November 2001 stürmte das türkische Militär Hand in Hand mit der
Polizei ein Istanbuler Haus im Armenstadtteil (Slum) Armutlu. Dort fand seit
geraumer Zeit ein Todesfasten statt, dessen Sinn darin bestand Angehörige der
Fastenden in der Isolationshaft zu unterstützen. Bei diesem Überfall kamen 4
Menschen ums Leben, 28 weitere wurden verhaftet und sind seither in verschiedenen
Punkten angeklagt und in Isolationshaft. Das Todesfasten, das in Deutschland
ebenso umstritten ist wie in vielen Teilen der türkischen Linken gilt
seither als das einzige friedliche Mittel, das Inhaftierten und deren Angehörigen
geblieben ist um sich gegen die menschenverachtenden Haftbedingungen der
türkischen Staatsgefängnisse, vor allem für politische Aktivisten zu wehren:

1984 wurde auf diese Weise die Einführung von Gefängniskleidung verhindert;
1996 wurden mithilfe des breiten öffentlichen Interesses das jenes Fasten
hervorrief ein Großteil des brutalen Vorgehens der Polizei zurückgedrängt.
Seit 2000 fanden nunmehr immer wieder Todesfasten statt die kaum an die
internationale oder auch nur türkische Öffentlichkeit gelangeten - was nicht
zuletzt mit einem starken Interesse türkischer Regierungs - und Militär wie
Polizeivertreter zu tun hat, jede Untersützung der Gefangenen durch "außen" zu
vermeiden. Trotzdem war es schon häufig möglich, dass Delegationen aus
verschiedenen Ländern sowohl Prozesse gegen politische Aktivisten überwachten.

Zum Prozessverlauf:
Die Anklage lautet Mitgliedschaft in einer Terroristischen Vereinigung. Seit
ihrer Verhaftung sitzen die Angeklagten in verschiedenen Gefängnissen vom Typ
F ( Isolationsgefängnisse) die als Foltereinrichtungen bekannt sind, ohne
dass ihnen eine Schuld nachgewiesen wurde. Prozesstermine werden häufig
verschoben, die Zeit von einem zum nächsten Prozesstag beträgt in der Regel 2-3
Monate. Aussagen der Verteidigergruppe gehen von Folter und Erpressung von Zeugen
über Schläge und Bedrohung der Anwälte.

05.12.2003
Vor dem Gerichtsgebäude haben sich etwa 80 Menschen versammelt: einige
tragen Plakate mit Bildern von Menschen mit sich die bei dem Todesfasten bereits
ums Leben kamen. Militär sowie unzählige Polizisten umstellen das Gericht und
versperren den Eingang zum Gebäude. Jeder einzelne von ihnen trägt eine
Pistole, jeder dritte zusätzlich ein Maschienegewehr. Eintreten ist nur in
3er-5er-Gruppen gestattet.
Im Gerichtsaal stehen etwa 20 Soldatan und 20 Polizisten: An dieser Stelle
ist zu bemerken, dass die Prozessbesucher nur Angehörige jeden Alters und die
Delegation Zuschauerbereich aus ist es nicht möglich, etwas vom
Verhandlungsbereich zu sehen da die Soldaten dicht an dicht stehen.
8 der Angeklagten erscheinen vor Gericht ohne Schuhe. Dies ist eine Form des
Prozesses und Selbstschutzes: Jedes mal, wenn sie ihre Schuhe an - oder
Ausziehen werden sie durch Wachkräfte gefoltert. Ihr körperlicher Zustand zeugt
von schlechten Lebensbedingungen: Im Plädoyer der Verteidiger wird davon
berichtet, dass die Angeklagten zu harter Arbeit gezwungen werden. 24 Stunden
Folter und totale Abschottung von Außenwelt und Realität lassen die Betroffenen
verrückt werden. Eine Frau der 8 im Gerichtsaal stehenden befindet sich im
Todesfasten: Sie wird selbst vor den Augen der Prozessbesucher geschlagen.
Gleich nach Verlesung des Plädoyers müssen alle Besucher den Saal und das gesamte
Gerichtsgebäude verlassen: Später wird bekannt, dass der Prozess erneut
verschoben wird: Auf den 25. 02. 2004. Die Angeklagten werden auch in dieser Zeit
im Gefängnis bleiben.

Als die Besucher das Gericht verlassen kommt es zu einer leichten
Auseinandersetzung: Eine Angehörige beginnt zu schreien und weinen, sofort wird sie von
der Polizei grob aus dem Saal gedrängt, obwohl dies kaum möglich ist weil
gerade viele Menschen durch die kleine Tür gehen. Daher werden alle
zusammengedrückt und zu einem noch zügigeren und kaotischen Verlassen des Raumes
gezwungen. Ein Delegationsteilnehmer wird von den Beamten aggressiv angepackt und
durch die Tür gedrängt. Als Unterstützer der Delegation sich auf türkisch
darüber unterhalten versucht ein Polizist sie einzuschüchtern: "Das ist nicht
passiert, soetwas habt ihr nicht gesehen!"

Vor dem Gebäude haben Eeinige Besucher ein Transparent ausgebreitet.
Sämtliche türkische Medienvertreter machen Notitzen und fotografieren das Szenario.
Eine Zusammenfassung der Prozessgeschichte sowie die Forderung nach
Freilassung der Gefangenen und Verurteilung ihrer Folterer wurde verlesen. Nach kurzer
Zeit werden die Inhaftierten in Bussen abtransportiert. Die Polizei drückt
alle Zivilisten, die vor der Absperrung des Gebäudes stehen gewaltätig an die
Wand, eine alte Frau wird laut Zeugenberichten sogar geschlagen. Nachdem die
Gefangenen weggefahren sind löst sich auch die Menge der Besucher auf.

Anmerkung: Beim vorletzten Prozesstermin gingen die Übergriffe und die
Bbrutalität viel weiter. Die Delegation trägt sowohl zu einem Schutz der
Prozessbesucher, den Angehörigen der Angeklagten als auch zu einem vorsichtigerem
handeln der Richter bei. Dies wurde uns auch von Anwälten vor Ort bestätigt.

Daher ist es wichtig, auch für den nächsten Prozesstag am 25.02.2004 eine
Delegation zusammenzustellen. Für Unterkunft, Informationen und Besuche bei Anwälten,
politichen Organisationen und Einrichtungen wird gesorgt sein.
Delegationsteilnehmer können Anwälte, Menschenrechtsorganisationen, Ärzte aber auch alle
anderen Interessierten sein.
Wer an solcheiner delegation teilnehmen möchte, meldet sich bei: Tayad Komiteee Hamburg

 

09.12.2003
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