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Halle: 9. Prozessbericht vom 129a Verfahren gegen drei Magdeburger

9. Prozesstag (25. 11. 2003)

Nach der überfälligen Aufhebung der Haftbefehle am 21. 11. blieb auch am
9. Prozesstag alles offen.

In insgesamt etwa 50 Minuten entschieden die Richter über einen
Beweisantrag des Bundesanwalts und die (ersten) Beweisanträge der
VerteidigerInnen. Die Staatsanwaltschaft hatte beantragt, als
Beweismittel das Gedächtnisprotokoll der Vernehmung des B. vorzulesen
und den Polizeibeamten Brockmüller vorzuladen, der für B.s Vernehmung
verantwortlich gewesen war. Zuvor hatte das Gericht jedoch bereits zu
erkennen gegeben, daß eine Einführung der Vernehmung als Beweisstück =
in
den Prozeß wegen unerlaubter Verhörmethoden nicht in Frage kommt. Das
Gedächtnisprotokoll selbst ist Teil der Verteidigungsunterlagen B.s und
kann daher ebenfalls nicht Beweismittel im laufenden Verfahren sein. Der
Bundesanwalt verwies in der Begründung seines Beweisantrags auf ein
Schreiben des Anwalts von B. Hierin wird das Protokoll als Mittel
bezeichnet, um im Verfahren den erpresserischen Charakter von B.s
Vernehmung zu belegen. Daraus schlußfolgerte er, daß der Anwalt B.s
nichts gegen eine Einführung des Gedächtnisprotokolls einzuwenden hät=
te.
Gleichzeitig belegte das Schreiben jedoch eindeutig, dass das
Gedächtnisprotokoll Teil der Verteidigungsunterlagen B.s ist. Diesen
Umstand bestritt dann der Staatsanwalt kurioserweise trotzdem und
begründete dies damit, daß B. dieses Protokoll Carsten bei seiner
Verhaftung gerade übergeben wollte. Bundesanwalt Hornick bestritt
außerdem erneut die Verwendung von unerlaubten Verhörmethoden. Die
Richter waren von diesem widersprüchlichen Antrag des Staatsanwalts
wenig begeistert, zumal in seiner Begründung auf Unterlagen
zurückgegriffen wurde, die bisher kein Bestandteil des Verfahrens gegen
Marco, Daniel und Carsten gewesen sind.

Nach einer langen Unterbrechung entschied das Gericht dann auch, den
Antrag des Bundesanwalts in allen Punkten abzulehnen. Es hob dabei
nochmals eindeutig hervor (und dies diesmal nicht nur implizit sondern
sehr ausführlich), dass B.s Aussagen beim BKA nur unter erpresserischen
Druck zustande kamen. Ein Gedächtnisprotokoll, welches nur über die
Vernehmung berichtet, unterliege dann auch dem gleichen
Verwertungsverbot, wie die eigentliche Vernehmung und ist nicht als
separates Schriftstück zu werten. Darüber hinaus sei das Gedächtnis-
protokoll eindeutig als Verteidigerunterlagen zu betrachten, auch wenn
dieses zusätzlich noch anderen als Lektüre zur Verfügung gestellt wir=
d.
Wichtig sei dabei allein, daß es grundsätzlich für den Anwalt gedacht
war und damit auf jeden Fall nicht für Polizei, Staatsanwaltschaft oder
Gericht.

Allerdings lehnten die Richter auch sämtliche Beweisanträge der
AnwältInnen vom 8. Prozesstag ab. Die beantragte Verlesung der
Telefonüberwachungen und Observationsprotokolle wurde abgelehnt, da
diese sich nur auf den Zeitraum nach den Anschlägen beziehen und daher
keine Aussagekraft über die Art des Kontakts von Marco, Daniel und
Carsten während der ihnen vorgeworfenen Anschlägen treffen könnten. D=
ies
ist interessant, da gerade die Haftbefehle mit dem angeblich so
intensiven Kontakt der drei miteinander in eben diesem Zeitraum
mitbegründet wurden. Die Vorladung von Mitarbeitern des
Verfassungsschutzes (diese sollten ihre Einschätzung wiedergeben, dass
die Anschläge nicht von denselben Personengruppen begangen wurden waren)
wurde abgelehnt, da deren Aussagen von den Richtern nicht als Beweis
sondern als Bestandteil der Beweisermittlung bewertet wurden.
Beweisermittlungsanträge sind im Prozess jedoch nicht mehr zulässig.
Auch die Verlesung von Leserbriefen der Volksstimme, die den legalen
Charakter des AZ hervorheben, wurde abgelehnt, da diese nicht zwingend
als Beweise für die vollständige Legalität des AZ anzusehen seien.

Zum Schluss des Prozesstages bezeichnete der vorsitzende Richter
erstmals ausdrücklich eine Verurteilung Marcos, Daniels und Carstens
nach § 129a als nicht wahrscheinlich. Als möglicher Anklagepunkt käme
jetzt gemeinschaftliche schwere Brandstiftung infrage. Damit ist der
§129a-Vorwurf wohl endgültig vom Tisch. Allerdings hat das Gericht noch
nicht den Vorwurf des Bundesanwalts zurückgewiesen, dass es bis zu deren
Auflösung (siehe Begründung der Entlassung aus der U-Haft) eine
terroristische Vereinigung gegeben habe, deren Mitglieder Marco, Carsten
und Daniel gewesen seien. Folgt das Gericht der Ansicht der
Staatsanwaltschaft, hätte das schwerwiegende Auswirkungen auf die drei
Angeklagten. Dann nämlich könnte das Gericht auch ohne Einzeltatnachweis
über eine angebliche gemeinsame Brandstiftung in vier Fällen
entscheiden. Jetzt liegt es an den AnwältInnen, mit immer wieder neuen
Beweisanträgen die Richter davon zu überzeugen, von der Nicht-Existenz
einer terroristischen Vereinigung auszugehen.

Trotzdem hatte dieser Prozeßtages noch etwas Besonderes zu bieten. Zum
ersten Mal wurden unsere Genossen nicht in Handschellen in den Saal
geführt und zu jeder Prozeßpause in Einzelzellen weggesperrt. Diesmal
konnten wir mit ihnen zusammen anreisen, zwischendurch einen Kaffee
trinken und am Schluß wieder nach Hause fahren. Das ist zwar nur ein
Zwischenschritt zum eigentlich notwendigen Freispruch, aber dennoch ein
tolles Gefühl.


Soligruppe Magdeburg/Quedlinburg
Rote Hilfe


 

26.11.2003
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