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FFM/Dresden: LG verhandelt erneut über Doppelbestrafung eines Totalen Kriegsdienstverweigerers

Am Freitag, dem 10.10.2003,
findet um 9:00 Uhr am Landgericht Frankfurt a.M. (Hammelsgasse 1,
Gerichtsgebäude E, Raum 17) erneut eine Berufungsverhandlung gegen den
Totalen Kriegsdienstverweigerer Torsten Froese (32) statt. Zuletzt hatte
das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. am 21.03.03 das vorhergehende
Urteil des Landgerichts Frankfurt a.M., mit dem das Verfahren wegen des
Verbots der Doppelbestrafung eingestellt worden war, auf die Revision
der Staatsanwaltschaft hin aufgehoben und die Sache zur erneuten
Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen.
Froese war bereits 1993 rechtskräftig zu einer dreimonatigen
Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden, dann aber erneut zum
Zivildienst einberufen und angeklagt worden. Im November 1993 hatte das
AG Hanau das erste Urteil in dieser Sache gefällt – drei Monate auf
Bewährung gegen einen Totalen Kriegsdienstverweigerer, der nicht nur den
Wehr-, sondern auch den Zivildienst wegen dessen militärischer Relevanz
sowie der anti-sozialen Funktion verweigerte. Die Urteilsgründe fielen
denkbar knapp aus: ganze acht Sätze, inkl. Tenor und Kostenentscheidung.
Entsprechend hatte der damalige Richter Hoos sich auch nicht
ausdrücklich dazu geäußert, ob dem Fall seiner Meinung nach eine
Gewissensentscheidung zugrunde lag. Im schriftlichen Urteil hieß es
lediglich: “Die vom Angeklagten vorgebrachten politischen und
moralischen Gründe vermögen sein Verhalten weder zu rechtfertigen noch
zu entschuldigen. Sie können jedoch bei der Strafzumessung
Berücksichtigung finden.”
Das Bundesverfassungsgericht hatte 1968 entschieden, daß die
Nichtbefolgung mehrerer Einberufungen zumindest dann nicht mehrfach
bestraft werden dürfe, wenn dem Entschluß eine Gewissensentscheidung
zugrundeliege. Hätte das Amtsgericht seinerzeit die Vokabel
“Gewissensentscheidung” bemüht, hätte das Bundesamt für den Zivildienst
(BAZ) die Sache als erledigt angesehen. So aber witterte die Behörde die
Chance, mittels einer erneuten Einberufung eine erneute Verurteilung zu
erreichen. Doch erwies sich dies zunächst schwieriger als geplant.
Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt a.M. lehnte nach der
erneuten Einberufung und dem erneuten Fernbleiben Froeses vom
Zivildienst die Erhebung der öffentlichen Klage ab: Es liege der selbe
Sachverhalt vor, eine erneute Verurteilung sei vor dem Verbot der
Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) nicht möglich. Das BAZ legte
daraufhin Beschwerde ein, aber auch die Generalstaatsanwaltschaft in
Frankfurt beurteilte den Fall gleich. Nun strengte das BAZ ein
Klageerzwingungsverfahren beim Oberlandesgericht an – dieses berief sich
auf längst überholte Rechtsprechung und ordnete die Klageerhebung an.
Aber auch die Gerichte sahen die Sache so, wie sie die
Staatsanwaltschaften zunächst gesehen hatten: Amts- und Landgericht
stellten das Verfahren jeweils wegen des verfassungsrechtlichen Verbots
der Mehrfachbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) ein. Die Staatsanwaltschaft
indes hatte in der Zwischenzeit die Sachbearbeiterin als auch die
Meinung zum Verfahren ausgetauscht: Sie hatte nunmehr durch alle
Instanzen Rechtsmittel eingelegt und diese damit begründet, daß die
Gerichte für das Vorliegen einer Gewissensentscheidung die falschen
Kriterien angelegt hätten. So sei etwa die Tatsache, daß sich der
Zivildienst “als ein Bestandteil der Landesverteidigung” darstelle, dem
“persönlichen Verantwortungsbereich des Angeklagten” entzogen. Eine
Gewissensentscheidung könne sich daher nur auf die “konkret abverlangte
Tätigkeit” im Zivildienst beziehen – eine Auffassung, die einzelne
Gerichte in den 80’er Jahren zu vertreten versucht haben, um in der
Praxis keinem einzigen Totalverweigerer Gewissensgründe attestieren zu
müssen, da sich eine Gewissensentscheidung gegen die “konkret
abverlangte Tätigkeit” praktisch nie ergeben würde.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob das
Oberlandesgericht in der Verhandlung am 21.03.03 das einstellende Urteil
des Landgerichts zwar aufgrund angeblich unzureichender tatsächlicher
Feststellungen zur Gewissensentscheidung auf, erteilte der Begründung
der Staatsanwaltschaft aber eine klare Absage und schloß sich – was die
o.a. von der Staatsanwaltschaft benannten Kriterien für das Vorliegen
einer Gewissensentscheidung anbelangt – den Argumenten der Verteidigung
in vollem Umfang an.
Hintergrund für das geradezu sprunghaft gestiegene
Strafverfolgungsinteresse der Staatsanwaltschaft dürften u.a. die
Ereignisse um die erste geplante Amtsgerichtsverhandlung in dem
Doppelbestrafungsverfahren sein: Am 23.06.1998 hatte Richterin Mickerts
zwei Wahlverteidigern (und selbst Totalen Kriegsdienstverweigerern)
Froeses, die gem. § 138 Abs. 2 StPO ihre Zulassung in diesem Verfahren
beantragen wollten, hierzu keine Möglichkeit eingeräumt. Ein daraufhin
zu stellendes Befangenheitsgesuch des Angeklagten unterband sie, indem
sie Froese, der sich direkt vor dem Verhandlungssaal zur Formulierung
des Antrags befand, von Justizwachtmeistern mit Gewalt in den
Verhandlungssaal zurückbringen ließ. Dort verkündete sie einen – ohne
jede Rechtsgrundlage ausgestellten – Haftbefehl, brach die Verhandlung
ab und ließ Froese für 16 Tage in die JVA Weiterstadt verschwinden. Das
Landgericht hob den Haftbefehl schließlich auf, Richterin Mickerts wurde
wegen Befangenheit abgelehnt, und eine Zulassung von Detlev Beutner,
einer der beiden ursprünglichen Wahlverteidiger, erfolgte in der neu
angesetzten Verhandlung am Amtsgericht am 25.01.99. Die Zulassung des
zweiten Wahlverteidigers, Jörg Eichler, wurde nunmehr durch das
Landgericht ebenfalls nachgeholt.
Wegen dieser Vorfälle wurde zugleich ein Verfahren gegen Froese
wegen Widerstands und Körperverletzung eingeleitet, das in der letzten
Verhandlung am Landgericht mit einer Verurteilung zu einer achtmonatigen
Freiheitsstrafe auf Bewährung endete. Gegen dieses Urteil wiederum hatte
Froese erfolgreich Revision eingelegt, so daß hierüber ebenfalls am
Freitag erneut entschieden werden wird.
Verteidiger Jörg Eichler erklärte, „die Verbissenheit, mit der hier Hand
in Hand Wehrersatzbehörden und Justiz einen Totalen
Kriegsdienstverweigerer nunmehr schon im zehnten Jahr mit unverminderter
Heftigkeit strafverfolgen“, mache deutlich, worum es in diesem Verfahren
geht: Einerseits um die unbedingte Ablehnung “jedweder Unterstützung
militärischen Handelns, ob direkt oder indirekt”, andererseits um die
Antwort des Staates, die hier “die angeblich garantierte
Gewissensfreiheit zu einer Farce verkommen läßt – wo militärpolitische
Interessen beginnen, hören Grundgesetz und -rechte ggf. auf.”


Für die Richtigkeit

i.A. Jörg Eichler

Aktenzeichen: 5/10 Ns 46/03

Kontakte:

Ø Torsten Froese, Tel: 069 / 53 31 05;
Ø Verteidiger Jörg Eichler, siehe Briefkopf;
Ø Verteidiger Detlev Beutner, Tel. 0175 / 4 06 68 53;
Ø Landgericht Frankfurt a.M., 10. Strafk., Tel: 069 / 13 67 - 81
46 (Geschäftsstelle).

 

06.10.2003
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