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Cancún: Abschliessender Berichte zur gescheiterten WTO-Konferenz


Direkte Solidarität mit Chiapas für den "Vorwärts":

Cancún: Die WTO am "Kilometer Null" entgleist!

Am 10. September läuteten die WTO-Abgeordneten im grossräumig
abgesperrten Kongresszentrum einmal mehr den Versuch einer
Liberalisierungsrunde im Agrarbereich ein. Währenddessen durchbrachen 10.000
DemonstrantInnen, angeführt von der Bauernorganisation "Via
Campesina", einen Teil der zehn Kilometer entfernten Absperrung zur
roten Zone. Bei der Aktion erstach sich der koreanische Bauernführer Lee
Kyung Hae in einem tragischen Akt mit einem Messer. Da wegen massiver
Polizeigewalt kein Weiterkommen möglich war, zog sich die Demo zurück.
Das Ende der Proteste? Keinesfalls!

"Wir sind alle Lee Kyung Hae"

Noch am selben Abend des 10. Septembers zog die über hundert Personen
umfassende koreanische Bauerndelegation mit ihren Zelten vor den bereits
wiedererrichteten und verstärkten Zaun am sogenannten "Kilometer Null"
am Eingang zu Cancúns Hotelzone. Es wurden Trauerreden und
Solidaritätsbotschaften in Koreanisch und Spanisch verlesen, Kerzen
angezündet, und bald schon wurde die Parole "Wir sind alle Lee Kyung
Hae" zum prägendsten Element aller weiteren Proteste gegen die WTO in
Cancún.

Die Reaktionen auf Lee's Tod von offizieller Seite hingegen könnten
zynischer nicht sein: Die mexikanischen Tele-Medien stürzten sich auf
die Schreckensbilder und monopolisierten die dramatischsten Sequenzen.
Die lokalen Printmedien übten sich in teils absurden Versuchen, den Tod
des 56- jährigen Bauernführers zu pathologisieren und der
konservativ-grüne Bürgermeister Cancún's, Jaime Hendricks, gab zu
bedenken: "Gäbe es diese Demonstrationen nicht, dann gäbe es auch keine
Toten." Die Absicht, das schreckliche Ereignis seines politischen
Kontexts berauben zu wollen, wurde immer offensichtlicher.

Dabei hat die koreanische Bauernbewegung eine lange Tradition radikalen
Kampfes, die auch im Widerstand gegen die Diktatur wurzelt. Beeinflusst
von der erfolgreichen Landverteilung in Nordkorea, praktizierte Südkorea
während vieler Jahre eine subventionistische Agrarpolitik. Den Bauern
wurden Landparzellen verteilt und grosszügige Abnahmegarantien für deren
Produkte sichergestellt. Mit der aus der 1995 aus der Uruguay-Runde
hervorgegangenen Liberalisierung änderte sich die Situation hingegen
schlagartig: Subventionen wurden gekürzt und Einfuhrzölle für
Agrarimporte gesenkt. Die neue Wettbewerbssituation führte zum
Zusammenbruch der nationalen Landwirtschaft, da die Kleinstbauern mit
ihren Parzellen von höchstens zwei Hektaren nicht mithalten konnten. In
der Folge breiteten sich Landflucht und verzweifelte Selbstmorde von
Familienoberhäuptern wie eine Epidemie im ganzen Land aus. Lee Kyung
Hae´s Tod ist demnach weder Schuld der globalisierungskritischen
Bewegung, noch Verzweiflungstat eines Depressiven, sondern Produkt einer
weltweiten Politik, die Kleinbauern zum Verschwinden bringen will. Die
während der Bauerndemonstration oft skandierte Parole "Die WTO tötet
Bauern" hat in Cancun ihre tragische Realität gezeigt.


Viele Wege führen zum Kongresszentrum

Währenddem die Trauerfeiern und Solidaritätsbekundungen um Lees Tod den
zehnten September prägten, wurden in den zwei darauffolgenden Tagen die
politischen Aktionen immer vielfältiger. Unterschiedliche
Affinitätsgruppen agierten weitgehend autonom im Cancuner Zentrum und
auch in der eigentlich unzugänglichen Hotelzone. Am Donnerstagabend zog
eine Gruppe von 500 AnarchistInnen mit Lärminstrumenten bewaffnet durch
die Innenstadt; es fanden Nacktdemonstrationen vor Mc Donalds und
Wal-Mart-Filialen statt und immer wieder gelangten einige "störende"
Eindringlinge ins Kongresszentrum der WTO. So auch drei AktivistInnen
aus Seattle, die am 12. September ein riesengrosses Transparent an einem
Baukran befestigten, der unmittelbar gegenüber des Kongresszentrums
stand. Das Transparent forderte die Damen und Herren im Tagunszentrum
mit argentinischer Eindeutigkeit auf, sofort zu verschwinden: "Que se
vayan todos!" Die weitaus grösste Delegation, welche die - an
europäischen Verhältnissen gemessen - mager ausgerüstete Polizei an der
Nase herumführte, bestand aus 82 US-StudentInnen. Mit Sonnehüten,
Badehosen und Sonnenblock als Badegäste getarnt konnten sie gemeinsam in
einem Reisebus via Flughafen direkt vors Kongresszentrum gelangen. Die
Unsicherheit und berühmte strategische Unfähigkeit der mexikanischen
"Präventiv-Polizei" wurde nach allen Regeln der Kunst ausgenutzt.


Am Gipfel des Gipfeltreffens

Trotz Hetze und schlimmsten Befürchtungen in der nationalen Presse über
die drohende Gewalt an der grossen Schluss- Demonstration zum Gipfel des
Gipfeltreffens geschah am 13. September das Unerwartete: 6000
DemonstrantInnen zogen einmal mehr während zirka einer Stunde zum
bereits zum Kultstatus avancierten "Kilometer Null", wo sich Lee Kyung
Hae aus Protest gegen die WTO das Leben nahm. Um Eskalation im Vorfeld
zu vermeiden, ging eine grosse Gruppe Frauen ans Werk und demontierte
mit Hilfe der verbliebenen Bauern die gesamte Abschrankung. Der Konsens
diesseits des Zauns hielt: Es gab keine Angriffe auf die Polizei und die
Masse setzte sich auf die Strasse, währenddessen jenseits des Zauns in
allen wichtigen Streitfragen keine Einigung zustande kam. WTO-Sprecher
Kenneth Rockwell liess an einer Pressekonferenz verlauten: "...der
einzige Konsens der 146 WTO Mitgliedstaaten besteht darin, dass niemand
die präsentierte Abschlusserklärung akzeptieren kann." Die WTO ist am
"Kilometer Null" entgleist und hat einmal mehr bewiesen, dass sie im
Namen ihrer Interessen über Leichen geht.

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Der aktuelle Vorwärts wird auch Berichte zu den Besetzungsaktionen in
Bern und Genf im Zusammenhang mit der WTO sowie zu den Verhaftungen in
Genf bezgl. den Aktivitäten gegen den G8 drin sein (siehe dazu auch
 http://ch.indymedia.org/de ).

 http://www.pda.ch/vorwaerts
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Direkte Solidarität mit Chiapas
Postfach 8616
8036 Zürich, SUIZA
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Eglistrasse 25
8004 Zürich

 

16.09.2003
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