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                        Gipfelinfo: Genua / Riva del Garda Gipfelinfo - Meldungen über globalisierte Solidarität
und die Proteste gegen unsolidarische Globalisierung
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 Genua: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Polizei und Carabinieri 
73 Funktionäre und Beamte wegen Übergriffen in der Diaz-Schule, in Bolzaneto
 und in der Pascoli-Schule bald vor Gericht
 Am Freitag den 12. September hat die Staatsanwaltschaft in Genua ihre
Ermittlungen gegen Polizei und Carabinieri beendet und Anklage gegen 73 leitende
 Funktionäre, Beamte und Angestellte, darunter auch medizinisches Personal,
 erhoben. 43 von ihnen sind wegen der Ereignisse in Bolzaneto angeklagt, 27 wegen
 der Diaz-Schule und 3 wegen der Pascoli-Schule, in der unter anderem das
 Medienzentrum untergebracht war.
 Die Anklagen stützen sich hauptsächlich auf die ZeugInnenaussagen von
 Betroffenen aus der Diaz-Schule. Viele von ihnen wurden letztes Jahr in Deutschland
 von italienischen StaatsanwältInnen befragt.
 Die Beklagten haben nun 20 Tage Zeit, um etwaige entlastende Beweise
einzureichen, dann entscheiden 2 RichterInnen ob das Verfahren eingeleitet wird. Mit
 dem Verfahren betraute AnwältInnen haben daran allerdings keinerlei Zweifel.
 Tatsächlich war das Medienecho enorm; die auflagenstärksten Zeitungen haben
das Thema alle als Aufmacher auf den ersten 3 Seiten behandelt.
 Unter den Angeklagten sind z.B. Francesco Gratteri, Ex-Chef der SCO
(Servizio Centrale Operativo), Gianni Luperi (Vize-Direktor der "Anti-Terroreinheit"
 UCIGOS), Vincenzo Canterini (Kommandant des Primo Reparto Celere in Rom) und
 Spartaco Mortola (Ex-Kommandant der DIGOS in Genua).
 Insgesamt gibt es 10 verschiedene Ermittlungsverfahren, die nun zur Anklage
kommen. Die Anschuldigungen im Einzelnen:
 Bolzaneto: Angeklagt sind medizinisches Personal (2 Männer und 2 Frauen) und
39 Männer der Polizei, Carabinieri und Guardie Carcerarie. Die Anschuldigung
 lautet, etwa 300 Verhaftete gedemütigt, geschlagen, misshandelt und verletzt
 zu haben, zum Teil in gemeinschaftlicher Tatausübung. Das medizinische
 Personal ist angeklagt wegen Amtsmissbrauch und Beteiligung an den Übergriffen.
 Diaz-Schule: Die Anklage lautet, dass die Polizei grundlos 93 Personen
verhaftet und geschlagen und ihnen Beweise untergeschoben hat (87 Personen mussten
 im Krankenhaus behandelt werden). Es gibt 4 verschiedene Ermittlungsstränge
 (gegen 10 Mitglieder des Reparto Celere wegen Übergriffen, gegen 14
 Funktionäre wegen Falschaussagen, gegen 2 Beamte wegen Beweisfälschung und gegen einen
 Beamten und einen Funktionär wegen des untergeschobenen Molotov-Cocktails).
 Pascoli-Schule: Die Polizei hat ohne Grund das Medienzentrum gestürmt und
die Einrichtung zerstoert. Angeklagt sind 2 Funktionäre und ein Inspektor.
 293 Personen wurden damals offiziell im Rahmen des G8 festgenommen; 28
wurden sofort freigelassen, 76 Festnahmen auf richterlichen Beschluss wieder
 aufgehoben. Von den übrigen 149 wurden 100 zügig entlassen, da keine Gründe für
 eine Untersuchungshaft vorlagen (z.B. Fluchtgefahr, Vernichtung von
 Beweismaterial).
 Über 500 DemonstrantInnen wurden offiziell in Krankenhäusern medizinisch
 versorgt. Insgesamt ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen mindestens 117
 PolizeibeamtInnen und gegen mindestens 463 DemonstrantInnen; allerdings wird nicht
 in allen Fällen Anklage erhoben werden. Mindestens eine Person befindet sich
 noch immer in Haft, andere haben Meldeauflagen.
 Inzwischen hat sich auch die Polizeigewerkschaft zu Wort gemeldet, die die
Vorwürfe herunterspielt und eine Untersuchungskommission fordert. Ähnlich
 kommentierte auch Innenminister Pisanu; die Polizeikräfte hätten sich nichts
 vorzuwerfen, etwaige Übergriffe seien Einzelfälle und er würde den Ausgang der
 Verfahren abwarten.
 Die Disobbedienti haben eine Erklärung zu den Anklagen veröffentlicht. Sie
 kritisieren, dass lediglich Polizeifunktionäre und Angestellte, aber keine
 PolitikerInnen unter Anklage stehen. Francesco Caruso (No Global) macht darauf
 aufmerksam, dass Vizepräsident Gianfranco Fini in der Einsatzzentrale der
 Carabinieri war als Carlo Giuliani erschossen wurde und die Übergriffe der
 Einsatzkräfte keineswegs Einzelfälle waren. Giuliano Giuliani, Vater des ermordeten
 Carlo Giuliani, begrüsste die Anklage und forderte, das Verfahren gegen den
 Mörder von Carlo ebenfalls wiederaufzunehmen.
 [Gipfelsoli]
 
Von Riva nach Cancun
 Weiterhin Widerstandskultur in Italien: Mehr als zehntausend Menschen
protestierten am Gardasee gegen EU-Treffen
 Hohe Berge und klare Seen, dazu ein tiefblauer Spätsommerhimmel. Die
 Landschaft am Gardasee in Norditalien ist tatsächlich wie aus dem Bilderbuch. Doch
 plötzlich sind kämpferische Parolen und laute HipHopmusik zu hören. Die
 kommunistische Jugend Italiens ist mit einem mir einer Kuba- und einer
 Palästina-Fahne geschmückten Wagen in die Idylle eingebrochen. Sie ist nur die Vorhut.
 Danach treffen immer mehr Busse und Wagen ein. Zum Schluss sind es über 10000
 Menschen, die am Samstagmorgen gegen das Treffen der Europäischen
 Aussenminister in Riva del Garda [1] protestieren [2]. Alle linken Gruppen Italiens sind
 beisammen, wie man an den verschiedenen Fahnen und Transparenten erkennen
 konnte. Die Kommunisten dominieren mit Hammer- und Sichel-Emblemen. Aber auch
 die Regenbogenfahnen mit dem Pace-Schriftzug sind überall zu sehen [3].
 Dazwischen finden sich immer wieder Transparente mit Parolen gegen das EU-Treffen in
 unmittelbarer Nähe aber auch gegen die WTO (Welthandelsorganisation), die in
 den nächsten Tagen im mexikanischen Nobelort Cancun tagen wird [4] . Die
 italienischen Demoorganisatoren aus dem Spektrum des Europäischen Sozialforums
 (ESF) sahen ihre Proteste gleichzeitig als Beitrag des internationalen
 Widerstandsstand gegen das WTO-Treffen. Am deutlichsten haben es die Disobbedienti
 [5] mit ihrer Parole "Von Riva nach Cancun" zum Ausdruck gebracht. Die der
 undogmatischen Linken entstammenden Disobbedienti waren mit einem starken Block
 auf der Demonstration vertreten und fanden gerade unter jungen Leuten viel
 Zuspruch. Sie hatten schon am Freitag mit einer Straßenblockade den
 EU-Außenministern und ihren Mitarbeitern symbolisch den Zugang zum Gardasee verwehrt
 [6]. Doch anders als noch vor zwei Jahren in Genua blieben dieses Mal direkte
 Aktionen weitgehend aus. Am Ende der Demonstration vergnügten sich alle Gruppen
 gemeinsam bei einem großen Konzert am Rande von Riva del Garda. Dort hatte
 schon von Donnerstag an eine Konferenz mit dem Motto Das Europa, das wir
 wünschen [7] stattgefunden. Auf zahlreichen Foren und Podiumsdiskussionen hatten
 Vertreter sozialer Gruppen gegen die Privatisierung von Dienstleistungen,
 gegen eine zunehmende Militarisierung auch der europäischen Außenpolitik und
 gegen die Abwehr von Flüchtlingen in der "Festung Europa" Stellung genommen. Das
 Alternativforum erarbeitete auch Beschlüsse, die im Europäischen Sozialforum
 im November in Paris weiter diskutiert werden sollen. Die Demoorganisatoren
 waren mit dem Zuspruch bei den Protesten zufrieden. Die Aktionen hätten
 gezeigt, dass in Italien weiterhin eine Widerstandskultur besteht, erklärte ein
 Sprecher des Bündnisses. Die Zusammenarbeit so unterschiedlicher Spektren, wie
 linker Christen, kommunistischer Aktivisten und undogmatischer Linker habe
 sich auch an diesem Wochenende wieder bewährt. Allerdings war die Stimmung
 dieses Mal nicht so euphorisch, wie man es noch auf der Grossdemonstration zum
 Abschluss des Europäischen Sozialforums im letzten November in Florenz erlebt
 hatte. Über weite Strecken wurden dieses Mal kaum Parolen gerufen. Das lag
 allerdings auch an der ungünstigen Route, die über Industriegelände und
 weitgehend unbewohntes Gebiet führte und die Stadt nur am Rande streifte. Aus
 Sicherheitsgründen waren große Teile der Altstadt von Riva del Garda zur 'Roten Zone'
 erklärt worden und somit für die Demonstration gesperrt worden. An dieser
 Linie war die Polizei postiert. Ansonsten haben sich die Ordnungskräfte an
 diesem Wochenende weitgehend zurück gehalten. Hässliche Bilder von Polizisten,
 die auf friedliche Demonstranten einprügeln, wie sie im Sommer 2001 aus Genua
 um die Welt gingen (vgl. "Solidarität mit den AktivistInnen in Genua!" [8]),
 konnte und wollte sich die Berlusconi-Regierung dieses Mal nicht leisten.
 Links
 [1] <
  http://www.rivadelgarda.com> [2] <
  http://italy.indymedia.org> [3] <
  http://www.tvglobal.org> [4] <
  http://www.wto.org/english/thewto_e/> minist_e/min03_e/min03_e.htm [5] <
  http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/tute> [6] <
  http://www.ebund.com/ebund.asp?SOURCE=/news/eBund/Ausland/438952.HTML> [7] <
  http://europasociale.clarence.com/archive/015475.html> [8] <
  http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/9135/1.html> Telepolis Artikel-URL:
 <
  http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/15574/1.html> [Peter Nowak, Riva del Garda 07.09.2003]
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