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Halle: Jugendhilfeausschuss streicht Stelle wegen Kritik an der Stadt

Kellnerstaße e.V.
Ludwigstr. 37
06110 Halle/S.


Datum 06.09.03

Pressemitteilung

Jugendhilfeausschuss streicht Stelle wegen Kritik an der Stadt Halle
Verein klagt gegen undemokratisches Vorgehen bei der Mittelvergabe

Ende August hat der Verein Kellnerstraße e.V. Klage gegen eine
Entscheidung des Jugendhilfeausschusses der Stadt Halle eingereicht.
Dieser hatte beschlossen, dass aufgrund einer kritischen
Meinungsäußerung seitens des Vereins die einzige Stelle für mobile
Jugendarbeit zu streichen sei. Damit konnte dieser Arbeitsbereich des
Kellnerstraße e.V., für den im Stadtgebiet ein großer Bedarf besteht,
nicht länger aufrecht erhalten werden.

Nachdem am 17.11.2002 die Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag auf dem
Gertrauden­friedhof in Halle von 200 Rechtsextremisten als Ausweichort
für eine verbotene Veran­staltung in Halbe („Heldengedenken“) genutzt
worden war, hatte der Kellnerstraße e.V. auf seiner Internetseite wie
auch in einem Offenen Brief an die Fraktionen sowie die
Ober­bürgermeisterin das Verhalten der anwesenden Vertreter von Stadt,
Fraktionen, Institutionen und Verbänden kritisiert.
Dies wurde auf der Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 31.01.2003
offenbar zum Anlass genommen, den für das Jahr 2003 gestellten Antrag
auf Weiterführung der Feststelle für mo­bile Jugendarbeit im Stadtgebiet
abzulehnen.
Diese durch ein Programm des Landes Sachsen-Anhalt finanzierte Stelle
bestand seit Januar 2001 in Trägerschaft des Kellnerstraße e.V. und
musste nach der unerwarteten Entscheidung des Jugendhilfeausschusses zum
31.01.03 gekündigt werden.
Betroffen sind von dieser Entscheidung die Jugendlichen, denen der
„mobile Sozialarbeiter“ ein wichtiger Ansprechpartner geworden war.
Vor allem aber ist nicht hinzunehmen, dass kritische Äußerungen mit der
Vergabe bzw. Nichtvergabe von öffentlichen Mitteln gelenkt oder
unterbunden werden sollen.
Einzelheiten zum Inhalt der Öffentlichkeitsarbeit des Kellnerstraße e.V.
Der Hauptgrund für die Ablehnung der Förderung der „mobilen
Jugendarbeit“ war für den Jugend­hilfeausschuss – wie auf telefonische
Nachfrage beim Fachbereich Kinder, Jugend und Familie zu erfahren war –
die Internetseite des Kellnerstraße e.V. Auf dieser wurde das Verhalten
der städtischen Vertreter beim Aufmarsch der 200 Rechtsextremisten
kritisiert und gefordert, dass es keine gemeinsame Gedenkveranstaltung
von Stadt und Neonazis geben dürfe - dass die Anwesenden, auch wenn sie
überrascht worden waren, das Veranstaltungskonzept hätten ändern müssen.
Keines­falls sei es akzeptabel, dass die Oberbürgermeisterin bei einem
rechtsextremistischen Aufmarsch eine Rede hält. Diese Kritik war nicht
nur auf der Internetseite des Vereins zu lesen, sondern wurde allen
Stadtratsfraktionen sowie der Oberbürgermeisterin Frau Häußler in einem
Offenen Brief zugesandt. Daraufhin erhielt der Kellnerstraße e.V. unter
anderem von Frau Häußler ein Antwortschreiben, in welchem zwar kein
Fehler von Seiten der Stadt eingeräumt wurde, jedoch bestätigt wurde,
dass einem solchen Vorfall in Zukunft vorgebeugt werden müsse, dass
sich, mit anderen Worten, solches nicht wiederholen dürfe.
Auf der fraglichen Internetseite waren außerdem die Termine der
NATO-Tagung in München im Fe­bruar 2003 veröffentlicht. Zu Protesten
gegen diese Veranstaltung hatten zahlreiche NGOs, Frie­densinitiativen,
kirchliche Gruppen u.v.a. aufgerufen. Ob auch diese Veröffentlichung das
Missfallen des Jugendhilfeausschusses fand, ist allerdings nicht bekannt.
Einzelheiten zur mobilen Jugendarbeit des Kellnerstraße e.V.
Der Arbeitsbereich der mobilen Jugendarbeit im Stadtgebiet im
Kellnerstraße e.V. konnte nach Be­willigung der Feststelle geschaffen
werden. Mit Unterstützung des Trägers gelang es dem sehr enga­gierten
Sozialpädagogen, ein geeignetes Tätigkeitskonzept zu entwickeln und
umzusetzen, Kontakt zu den Kinder- und Jugendgruppen des Wohngebietes zu
finden, sie bei der Gestaltung ihrer Freizeit sowie bei Alltagsproblemen
zu unterstützen, die von der Stadt und der benachbarten Schule bereit
gestellten Sportstätten zu betreuen und die Vernetzung mit anderen
Trägern der Jugendarbeit zu fördern und zu stärken. Er betreute sein
Arbeitsgebiet sehr selbständig und fand bei Bedarf materielle und
personelle Unterstützung im Verein. Eine politische Beeinflussung auf
diese Arbeit durch den Träger fand nicht statt. Dass die betreuten
Jugendlichen von dem Offenen Brief des Vereins an die Stadt überhaupt
wussten, ist wenig wahrscheinlich. Selbstverständlich wurden sie nicht
veranlasst, diese veröffentlichte Meinung des Vereins oder irgendeine
andere Meinung zu übernehmen.
Resultate der bisher eingelegten Rechtsmittel
Der schriftliche Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf
Weiterführung der Feststelle enthielt als Begründung nicht die
Öffentlichkeitsarbeit des Vereins, sondern die Kürzung der
Jugendhilfepau­schale sowie der Landeszuweisungen für das
Feststellenprogramm. Zuvor hatte eine Anhörung zwi­schen Vertretern des
Fachbereichs Kinder, Jugend und Familie und des Kellnerstraße e.V.
stattge­funden, die jedoch nicht dazu diente, Streitfragen zu klären
oder nur zu benennen, sondern vor allem den rechtlichen Bestimmungen
folgte, die eine solche Anhörung vorschreiben. Eine vom Kellnerstra­ße
e.V. beauftragte Anwältin beantragte daraufhin Akteneinsicht und legte
Widerspruch ein. Der mehrseitige Widerspruchsbescheid erging am
18.07.2003 unter anderem mit folgendem Inhalt:
„Ursächlich für die Ablehnung waren die Methoden des Trägers in seiner
politischen Jugendbildungs­arbeit, die anhand einer politischen
Stellungnahme zu den Ereignissen des Volkstrauertages 2002 auf dem
Gertraudenfriedhof am 17.11.2002 und eines Protestaufrufs gegen die
NATO-Konferenz am 07./08.02.2003, die der Verein auf seine Internetseite
gestellt hat, im Jugendhilfeausschuss diskutiert wurden.“ (S. 2) - „Wie
bereits begründet, bestehen ... Zweifel daran, dass der Kellnerstraße
e.V. die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit
gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 bietet.“ (S. 5)
Nachdem nun alle anderen Rechtsmittel ausgeschöpft sind, hat der
Kellnerstraße e.V. Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht.

weitere Infos  http://www.ludwigstrasse37.de

 

08.09.2003
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