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Berlin-Moabit: Offener Brief von Daniel

Im folgenden Veröffentlichen wir einen Offenen Brief von Daniel, § 129a
Gefangener aus Magdeburg.
Bitte Verbreitet den Brief in euren Publikationen weiter.

Mit solidarischen Grüßen
Soligruppe Magdeburg/Quedlinburg

An den Generalbundesanwalt
beim Bundesgerichtshof
Brauerstr. 30

76137 Karlsruhe

Offener Brief

Berlin-Moabit, den 02.06.2003

Sehr geehrte Frau Rieger,

heute bekam ich ihren Antrag auf Anhalt der an mich gesendeten Büchersendung
"Bewaffneter Kampf in Europa". Ich fand ihre Begründung diesbezüglich sehr
interessant, zeugt diese doch von Unwissenheit über zeitgeschichtliche
Ereignisse und noch viel schlimmer für eine Person in ihrer Stellung, von
Unkenntnis über den Alltag in deutschen Haftanstalten !

Ich sehe diesen Antrag als erneute Schikane gegenüber meiner Person, genauso
wie den gesamten Terrorvorwurf nach § 129 a StGB gegen meine angeblichen
Mittäter und mich.

Ich sehe nicht ein, ihnen in Zeiten der globalen Terrorhysterie als
Karrieresprungbrett zu dienen und mich diesbezüglich zu diesem Zweck
mißbrauchen zu lassen !

Auch wenn ihnen das fremd zu sein scheint, gibt es noch einige Menschen in
diesem Land, die kein Interesse an persönlicher Bereicherung und wachsenden
Machtbefugnissen auf Kosten von schwächeren Menschen und diskriminierten
Minderheiten haben.

Aber kommen wir zu ihrem Antrag zurück. Sie schreiben in ihrer Begründung:

"In dem Buch "Bewaffneter Kampf in Europa" behauptet der Autor, die
RAF-Terroristen Andreas Baader, Jan Carl Raspe, Gudrun Ensslin, Ulrike
Meinhof und Ingrid Schubert seien während ihrer Inhaftierung einem "Arsenal
der Folter" ausgesetzt gewesen und schließlich "im Knast ermordet worden"
(Seite 107 ff). Um die Öffentlichkeit irre zu führen, habe man später
versucht, diese RAF-Terroristen "als Selbstmörder zu präsentieren"."

Zum Tode von Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Gudrun Ensslin blieben
einige ungeklärte Fragen offen, die ich Ihnen gerne noch mal vor Augen
führen möchte.

So wurde bei der Untersuchung des Todes von Ulrike Meinhof, durch eine
unabhängige internationale Untersuchungskommission festgestellt, dass sich
kein geeignetes Werkzeug in Meinhof`s Zelle befand, mit dem der Strick, der
zu ihrem Tode führte, festgemacht werden konnte. Auch wurde bewiesen, dass
die Obduktion ihrer Leiche nur oberflächlich vorgenommen wurde und die für
die Ermittlung eines Selbstmordes bei vermuteter Strangulierung wesentliche
Histaminprobe nicht erfolgte.
Zum Tod von Andreas Baader schrieb der Spiegel 1980, dass dieser "von einem
Schuß aus einer direkt am unteren Hinterkopf aufgesetzten Pistole getötet
worden sei". Dies ist für einen Selbstmord eine untypische Vorgehensweise.
Baader soll die Pistole festgehalten haben, indem er sie mit beiden Händen
umgekehrt, also mit dem Griff nach oben, gegen seinen Hinterkopf drückte. Im
Juli 1978 gab das BKA ein Vergleichsschußgutachten heraus, aus dem
hervorgeht, der tödliche Schuß sei aus einem Abstand von 30 - 40 cm
abgefeuert worden. Diese Feststellung ergab sich unter anderem aus der
Pulverdampfkonzentration an der Einschußwunde und an der Tatsache, dass das
Haar um die Wunde nicht im geringsten angesengt war. Damit ist die
offizielle Selbstmordversion nicht mehr haltbar.
(Die Pistole maß immerhin 17 cm.)
Folgt man schließlich den Lehrbüchern, dann ist die für eine direkt
aufgesetzte Pistole zu geringe Pulverdampfkonzentration an der
Einschußstelle nur mit der Benutzung eines Schalldämpfers zu erklären. Die
bei Baader gefundene Pistole trug keinen Schalldämpfer. Das schrieb der
Anwalt Pieter Baaker Schut in "Stammheim - Der Prozeß gegen die RAF".

Ein weiteres Gutachten kam zudem zum Schluß, dass sich Baader mit der
rechten Hand erschossen haben muß, da dort Pulverspuren gefunden sein
sollen. Baader war jedoch Linkshänder !
Eigenartig ist auch, dass in seiner Zelle drei Patronenhülsen gefunden
wurden, er also mehrmals geschossen haben muß. Auch bei Gudrun Ensslin
ergaben sich einige Widersprüche. So brach das Elektrokabel mit dem sie sich
erhängt haben soll, beim Abnehmen ihrer Leiche. Eine Untersuchung, inwieweit
das Kabel überhaupt die bei Erhängung auftretenden Zugkräfte aushalten kann,
hat es nie gegeben.

Auch sie wies Verletzungen auf, die den amtlichen Ärzten zufolge von einem
heftigen Pendeln gegen harte Gegenstände herrühren, unabhängigen Ärzten
zufolge aber auch bei Erhängungen nicht auftreten.

Die internationale Untersuchungskommission zum Tode vom Ulrike Meinhof
förderte noch andere Ungereimtheiten zu Tage. So soll sich der
Zellenschlüssel nachts normalerweise in einem mit einer Alarmanlage
gesicherten Kasten befunden haben. Allerdings sagte das Wachpersonal aus,
dass nie Buch über die Schlüsselvergabe geführt wurde. Später erklärte die
Gefängnisleitung zudem, dass es mindestens noch einen weiteren Schlüssel
gegeben habe, der sich außerhalb der Anstalt befand.

Die Gefangenen berichteten ständig, dass anstaltsfremde Beamte von BKA und
BND laufend unkontrollierten Zugang zum Trakt im 7. Stock in
Stuttgart-Stammheim hatten. Auch die Anwälte machten diesen Zugang bekannt.
Allerdings wurde erst im Verlauf der Abhöraffäre im März 1977 von
baden-württembergischen Justizminister dieser Zugang zugegeben. Auf einer
Pressekonferenz vom 19.10.1977 sagte der jetzige Bundesinnenminister Otto
Schily:
"Uns hat immer bereits die Tatsache zu denken gegeben, dass zu diesem
Sondertrakt im 7. Stock einen separaten Zugang gibt, von dem man uns bis
heute nicht verraten hat, was dass mit diesem Zugang für eine Bewandtnis
hat.... Wir wissen aber aus der Vergangenheit, obwohl ich den Unterschied
gewiß nicht verkenne, aber wir wissen immerhin soviel, dass anläßlich dieser
Abhöraffäre, dieser illegalen Abhörmaßnahme, sicher auch die Geheimdienste,
die in diesem Land tätig sind, sich Zutritt zu diesem Gefängnis verschaffen
konnten, so dass es nicht außerhalb des Denkbaren liegt, dass auch von
dieser Seite Aktionen dieser Art veranstaltet worden sind."
(alles nachzulesen in der "Initial" Ausgabe Nr. 05, Januar 2003)

Über all diese offenen Fragen, die nicht nur mich, sondern auch Otto Schily
an einem Selbstmord der RAF-Gefangenen zweifeln lassen, laß ich mich von
Ihnen gerne eines besseren belehren, sofern dies die offenen Fragen aus der
Welt räumt und argumentativ belegbar ist. Bis dahin werde ich als
Terrorverdächtiger gewisse offene Fragen nur schwer ablegen können. Am
12.03.2003 kam ich von einem Umschluß bei einem Mitgefangenen auf meine
Zelle zurück und stellte fest, dass jemand in meiner Zelle war. Auf
schriftliche Anfrage bei der Abteilung "Sicherheit" der JVA Moabit wurde mir
mitgeteilt, dass weder eine hausinterne noch eine hausexterne
Zellenkontrolle stattgefunden habe. Eigenartig dass ausgerechnet während
dieses Nachmittages zweimal der Alarm ging, bei dem ja auch mögliche
Beobachter wie die Hausarbeiter weggeschlossen werden.

Aus Ihrem Antrag war auch herauszulesen, dass sie die Isolationshaft nicht
als Folter anerkennen. Ich hatte zum Beginn meiner Untersuchungshaft
glücklicherweise nur einige Tage unter diesen Bedingungen zu leiden, kann
Ihnen aber mitteilen, dass es sich dabei sehr wohl um einen unmenschlichen
Vorgang handelt, unter dem leider viele Inhaftierte in den Gefängnissen der
Welt staatlich verordnet leiden müssen !

In der Begründung zum Antrag auf Anhalten des Buches "Bewaffneter Kampf in
Europa" schreiben Sie weiterhin:

"Diese erfundenen Schilderungen erwecken beim Leser den Eindruck,
"mißliebige" Untersuchungsgefangene müßten in deutschen Haftanstalten - auch
heute noch - (ist das ein Eingeständnis ? der Verfasser) mit Folter und
Ermordung rechnen. Solche verzerrenden Unwahrheiten sind geeignet, bei dem
Untersuchungsgefangenen und den übrigen Insassen der Justizvollzugsanstalt
Unruhe und Angst auslösen, sowie das Vertrauen in einen rechtsstaatlichen
Strafvollzug nachhaltig zu beschädigen. Reaktionen, die zu
Widerständlichkeiten und Aufstand gegen Anstaltsbedienstete führen, sind
naheliegende Folge.
Diese können nur verhindert werden, wenn die Bücher dem
Untersuchungsgefangenen Daniel Winter nicht ausgehändigt, sondern
zurückgeschickt werden."

Dass - auch heute noch !!! - mißliebige Gefangene mit psychischer Folter in
deutschen Haftanstalten rechnen müssen, ist leider keine verzerrende
Unwahrheit, sondern trauriger Alltag !
Rassismus, Vorurteile und Intoleranz sind nicht nur innerhalb der
Gesellschaft, sondern auch innerhalb ihrer JVA`s zuhause. Auch körperliche
Gewalt geht nicht nur aus Konflikten mit anderen Häftlingen hervor !
Reaktionen, die zu Widersätzlichkeiten und Aufständen gegen
Anstaltsbedienstete führen, sind ein logisches Produkt aus deren Schikanen
und Rechtsverletzungen ! Diese Widerstände finden täglich in fast jeder JVA
in der BRD statt !

Daher ist es mir unverständlich wieso mir dieses Buch verwehrt wird, ist es
doch offiziell und legal in jeder Buchhandlung erhältlich. Um einen
Knastaufstand anzuzetteln benötigt man keinen Buch über den bewaffneten
Kampf in Europa, sondern nur ein halbwegs ausgeprägtes
Gerechtigkeitsempfinden und Menschenkenntnis !

Daher fordere ich die Herausgabe des mir zustehenden Buches !

Über die Beantwortung aller hier offen gebliebenen Fragen, wäre ich
ebenfalls dankbar.


Daniel Winter

 

11.07.2003
Soligruppe Magdeburg/Quedlinburg   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: 129a-Verfahren in Sachsen-Anhalt]  Zurück zur Übersicht

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