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Leipzig: "Kritische Popkultur"? Eine Veranstaltungsreihe des Conne Island

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 pop@island.free.de

Die diesjährige PopUp-Messe steht vor der Tür, und wie sich mittlerweile überall herumgesprochen haben dürfte, beteiligt sich das Conne Island weder als aktiver Teil noch als Austragungsort an den Messeveranstaltungen. Was ist geschehen? Nun, es ging nicht um Kohle oder ähnlich Banales; alles scheint viel komplizierter und ist doch eigentlich ganz einfach – es geht ums Ganze.
Pop ist tot. So oder ähnlich kann das allgemeine Unbehagen im Conne Island beschrieben werden, sich an einer allzu leichtfertigen Neuauflage überlebter Popkonzepte, wie sie durch die PopUp euphorisch vermittelt werden sollen, zu beteiligen. Nach den Debatten der neunziger Jahre um den "Mainstream der Minderheiten" und mit dem Wissen um das Ende von Subkulturen fällt es uns grundsätzlich schwer, dort anzusetzen, wo wir die Ausrichterinnen und Ausrichter der Messe leider noch nicht einmal wähnen – an einer kritischen Hinterfragung des Popbegriffs, noch bevor er sich zu eigen gemacht wird. Wie und vor allem von was sich die Messe "unabhängig" macht, bleibt bis heute genauso offen wie die Frage nach dem Sinn und Zweck eines derartigen Events aus unserer Sicht nicht beantwortet werden kann.
Weiteres Unbehagen speist sich zudem aus der uns zugedachten Rolle. Den gewünschten "subversiven Part", den wir mit unserem Anspruch und unserer Geschichte eingebracht hätten, können und wollen wir nicht wahrnehmen. Entgegen dem gesellschaftlich dominanten Prinzip des pluralistischen Miteinander entschieden wir uns so gegen eine Teilnahme an der Messe, die durch einen "kritischen" Part wohl nur Pluspunkte in Sachen Vollständigkeit und Hipness gewonnen hätte.
Es lebe Pop. Trotz allen Unbehagens hat Popkultur für uns ihre Relevanz nicht verloren, wenngleich unter bestimmten Voraussetzungen. An dieser Stelle sei nochmals an den Satz von Tine Plesch erinnert, der sich gleich einem roten Faden durch unsere Auseinandersetzung über die Grenzen und Möglichkeiten von Pop zieht und so etwas wie das Einstiegslevel bezeichnet, unter dem wir es nicht machen werden: "Sogenannte kritische oder politische Popkultur muss, wenn sie diesen Impetus tatsächlich vertreten will, ihr eigenes Scheitern und ihre unabänderliche Eingebundenheit in die kapitalistische Popkulturindustrie stets mitdenken und tatsächlich auch thematisieren." Vor diesem Hintergrund, der nach der inhaltlichen Leere der neunziger Jahre zugleich die Diskussionen um Pop am Laden befördern soll, haben wir uns entschieden, die PopUp-Messe mit verschiedenen Veranstaltungen kritisch zu begleiten. Wohlgemerkt verstehen wir diese Auseinandersetzung dabei nicht als Konkurrenz zum im übrigen für uns legitimen Veranstaltungsziel der Messe, sondern als Bereicherung eines Themenfeldes, das unseres Erachtens nicht leichtfertig in die "popkulturelle" Beliebigkeit verwiesen werden darf.
Vom 9. bis zum 10. Mai und darüber hinaus werden wir deshalb diverse inhaltliche Veranstaltungen um Popkultur hier im Conne Island ausrichten, die im folgenden mit kurzen Texten eingeleitet werden. Mittels der Frage, ob "Kritische Popkultur" heutzutage überhaupt noch Relevanz haben kann, wollen wir uns mit verschiedenen Gästen verschiedenen Themengebieten nähern und mögliche Perspektiven diskutieren, die im folgenden in Kürze vorgestellt werden sollen. Als erstes jedoch sollen mittels verschiedener Statements, die unseren Zugang zu Pop verdeutlichen, grundlegende Verständnisfragen unserer Herangehensweise geklärt werden.

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Kann das Conne Island als Plattform für Popkultur als "kulturindustriellen Schund" – ist ein Außenvor doch nicht möglich – dennoch Angebote machen, die im Kern Gleichnis dessen sind, das sein soll, und damit dem Wollen nach Veränderung Gestalt verleihen? Quasi als Anweisung auf die Praxis einer grundlegenden Kritik der Kulturindustrie? Wie bitte? Und was hat das bitte mit Musik zu tun?

Wenngleich etwas kryptisch daher kommend, könnte ersteres zur Gretchenfrage eben auch des Conne Island erklärt werden. "Kulturindustrieller Schund" ist dabei nicht abwertend zu verstehen, sondern vielmehr als Ausdruck des notwendigen Selbsteingeständnisses, trotz beständiger ehrlicher oder gekaufter Rebellion, genauso handzahm wie deutscher Schlager auf dem Markt der Möglichkeiten erworben zu werden. Auch für ein Konzert im Conne Island muss Geld bezahlt werden, auch das Conne Island ist auf die Wirksamkeit von Werbung angewiesen, im Conne Island auftretende Act's benötigen Gage und verkaufen ihre Tonträger. Soweit so banal, was aber macht Veranstaltungen zu mehr als nur ein Stück Butter, produziert, um gekauft zu werden und nicht um satt zu machen? Sich als Gleichnis dessen zu verstehen oder verstanden werden, das sein soll. So unkonkret und unspezifisch das auch sein mag, setzt es zumindest im ausschließenden Sinne die Ablehnung des Alltäglichen voraus. Setzt es voraus, sich ein Bild von unserer Gesellschaft zu machen, um zumindest im kulturellen eine (abwenderische) Antwort geben zu können. Um wirklich als Wegweiser von Veränderung gelten zu können, mehr als nur "kulturindustrieller Schund" zu sein, gilt es dabei das konstitutive Element von Popkultur – progressives Aufbegehren – auf der Höhe der Zeit zu wollen und tatsächlich zu vollziehen. Dabei dürfen wir die Spielregeln des eigenen Schaffens nicht aus den Augen verlieren. So könnte zeitgemäß an ein einstiges Ideal von Kunst, als den materiellen Leiden in der kulturellen Sphäre utopisch entgegenstehend, angeschlossen werden.
Diese Perspektive betätigen oder verwerfen wird die Redaktion der Testcard 10. Mai 2003 19:00Uhr Conne Island

Das Spiegelbild dessen, was sein soll, zu Gehör zu bringen werden sich die Glowgirls (Radio FSK/HH) und Dj Mapache widmen.
10. Mai 2003 22:00 Uhr Conne Island

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Nothing new on the German Front – Popkultur nach dem 11. September
09.5., 19:00, Conne Island

Die Anschläge vom 11. September 2001 sowie der gegenwärtige Irak-Krieg sind auch an popkulturellen Zusammenhängen nicht spurlos vorübergegangen. Während sich die Auseinandersetzung in den Vereinigten Staaten an den Polen des Patriotismus eines Neil Young und Bruce Springsteen und der Indizierung vermeintlich anstößiger Lieder entzündete, dominierte in Deutschland die offen antiamerikanische Interpretation der Geschehnisse, die angesichts der alliierten Militärintervention im Irak ihre noch gesteigerte Verlängerung bis in die Gegenwart findet. Wurde der 11. September schnell aus der eigenen Verantwortung der Amerikaner erklärt, wird der Irak-Krieg für eine noch gewalttätigere Interpretation etwa in dem Sinne genutzt, mit den Amerikanern nun endlich mal richtig abrechnen zu können. Unter dem Vorwand, die Deutschen hätten aus ihrer Geschichte gelernt, bilden auch die Vertreter deutscher Popkultur von Grönemeyer über die Fantastischen Vier bis zu Gentleman eine Einheit, die hinter ihrem unbedingtem Friedenswillen das antiamerikanische Ressentiment transportiert. Sie stellen sich damit zugleich in eine Reihe von Tendenzen der neunziger Jahre, die die angloamerikanischen Wurzeln von Popkultur auszublenden versucht und einer deutschen Ummantelung von Pop das Wort redet.
Auffällig an dem ganzen Schwachsinn, der da konsensual von links bis rechts geäußert wird, ist vor allem, dass Bands und Publikum sich anlässlich des Irak-Krieges wieder einmal bemüßigt sehen, sich politisch zu engagieren. Dass sie dabei in Einklang mit der deutschen Regierungspolitik auf die Straße und vor die Mikrofone treten, stört sie nicht bzw. fällt ihnen wohl gar nicht auf, schließlich wird eine deutsche "Friedensposition" ja oft genug sogar gefordert. Festzuhalten bleibt trotz aller Widerwärtigkeit aber, dass es sich derzeit nicht um eine genuin neue Entwicklung, sondern lediglich um einen neuerlichen, in kultureller Tradition der deutschen Friedensbewegung seit den 60er Jahren stehenden und in Amerikafragen stets abrufbaren Ausbruch deutscher Befindlichkeiten handelt, der als solcher in Gänze zu kritisieren ist.
Eine Veranstaltung in der Reihe "Kritische Popkultur?" wird sich deshalb mit diesem neuerlichen antiamerikanischem Backlash in der deutschen Popkultur auseinandersetzen. Dabei wird es neben der Darstellung der Entwicklung seit dem 11. September und ihrer Herleitung aus dem Amerikabild der Kulturlinken seit 1968 auch um die Frage gehen, wie sich ein als linkes Zentrum verstehender Laden wie das Conne Island mit dem Thema auseinandersetzt und welche Konsequenzen für die tägliche Ladenpolitik zu ziehen sind.


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Veranstaltungsankündigung: "Pop und Geschlechterrollen"
17.5., 19:00, Conne Island

Die Veranstaltung Pop und Geschlechterrollen soll erläutern, auf welche Weise auch in der pop culture patriarchale Strukturen und Geschlechterrollen widergespiegelt werden. Da Pop sich selber den Anspruch gibt, solchen Strukturen entgegenzuwirken, ist uns daran gelegen, genau diesen Anspruch zu hinterfragen und zu schauen, ob Pop diesem Anspruch gerecht wird. Versucht werden soll, eine Analyse, die unter anderem auf dem Wertabspaltungsansatz von Roswitha Scholz beruht, mit praktischen Ansätzen und Auswegen zu verknüpfen. Auch das Conne Island wird dazu referieren und versuchen, den Widerspruch zwischen Anspruch des Ladens und Wirklichkeit zu reflektieren.
Wir hoffen, dass wir durch die Veranstaltung neue Schlüsse ziehen und zeigen zu können, dass Pop mehr sein sollte als nur ein schöner und netter Kulturteil.

 pop@island.free.de

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Statements:


Rebellion und Pop: Rebellion ist dagegen sein. Rebellion richtet sich gegen konkrete gesellschaftliche Missstände, wie Faschismus, Sexismus, Rassismus und alles was nicht emanzipativ ist. Rebellion ist daher notwendig und für uns erst einmal positiv zu betrachten. Dennoch man kann heute auch sagen: je rebellischer sich etwas gibt, um so besser lässt es sich verkaufen. Scheinbare Rebellion funktioniert daher gut als weiterer Teil des Marktes, der ständig nach Sättigung und Abdeckung möglichst vieler Facetten verlangt. Somit vergisst Rebellion oft, sich selber in einer kapitalistischen Funktionsweise zu reflektieren. Eine Band ist in diesem Sinne ideal, wenn sie von sich selber glaubhaft behaupten kann, dass sie selber niemals ideal sein kann.

Pop is universal: = Anspruch von Pop, über Konstrukte wie Nation, Geschlecht, Rasse etc. hinauszuweisen – darin liegt der emanzipative und subversive Gehalt von Popkultur. Die Internationalisierung der ursprünglich anglo-amerikanischen pop culture trat dem nationalistischem Mief und dem Bezug auf "nationale Kulturen" entgegen. Die Integration von Pop in den kapitalistischen Musikmarkt geht jedoch einher mit der Vermarktung und dem Verlust seines subversiven Potentials; nationale Segmentierung funktioniert als Vermarktungsstrategie (VIVA, Themensampler "Neue Heimat – Electronic music made in Germany" u.ä.) à Widerspruch zum Grundpostulat: "nationaler Pop" ist reaktionär und losgelöst von jedem weitergehenden Anspruch und Gesellschaftskritik, den Pop beinhalten sollte.

Identität: Das Streben nach Differenz u. Abgrenzung ist in der Pop- u. Subkultur konstitutiv. Marginalisierte Identität (wie "schwarze Hautfarbe", schwul/lesbisch etc.) wird zum Bezugspunkt gegen den Universalismus in den kapitalistischen Verhältnissen positiv gewendet. Die Debatte um d. "Recht auf Differenz" u. Identität wurde von Anfang an als eine politische verstanden, die im Sinn eines strategischen Bezugs marginalisierte Positionen starkmachen, Gehör u. Handlungsspielraum verschaffen wollte. Dieser strategische Bezug sollte d. Überwindung von Hierarchisierungen im Kontext von "Rasse", "Geschlecht", "Klasse" u. d. Auflösung dieser Konstrukte nicht aus den Augen verlieren

Geschlechterrollen: Freiheit in d. Popkultur ist ein junger Mann. Motivation, Struktur und Ausdruck d. Popkultur sind überwiegend männlich geprägt. Kritische Popkultur im Sinne d. Infragestellung gängiger Geschlechterbilder sowie männlich/weiblicher Verhaltensweisen ist jedoch mehr als nur die Frage nach d. Quote. Ein Umgang mit in Allgegenwart heterosexuell geprägter Kultur anerzogenen Verhalten meint zu hinterfragen, warum Menschen d. anderen Geschlechts anders begegnet wird als d. jeweils eigenen. Es meint auch nach dem Verhältnis von individueller Verantwortung und Verhaftung in kapitalistischer Vergesellschaftung zu fragen.

Independent, aus dem englischen kommende Beschreibung für "unabhängig sein" von der Musikindustrie. Durch eigene Strukturen sollten Akzente gesetzt werden gegenüber großen Majorfirmen. Unterstützung fanden dort vor allem KünstlerInnen, die bewusst mit "Individualität" einer vorherrschenden schwammigen Massenästhetik etwas entgegnen wollten. Vergessen wird dabei, dass genannte Versuche von "independent - strukturen" denselben kapitalistischen Marktstrategien unterliegen. So entdeckten vor allem viele Majorfirmen den "Independent Charakter" als äußerst rentabel. Eine bewusste Grenze zwischen dem "unabhängigen" und dem "abhängigen" ist sowohl ästhetisch als auch inhaltlich nicht mehr auszumachen. Independent sein heißt heute nicht viel mehr als sich die Taschen voll zu lügen und sich über oberflächliche Codes und Styles zu definieren, die alles andere als unabhängig sind.

Subkultur, die: kulturelles Gegenmodell das mit scheinbarer gesellschaftlichen Reflexion sich bewusst von herkömmlichen Kultursparten abgrenzt. Inhaltliche Auseinandersetzung war dabei oft nicht bloß Teil, sondern eigentlicher Kern und Wesen der Existenz von Subkulturen. Doch leider ist auch hier zu diagnostizieren, dass geleistete Errungenschaften und richtige Ansatzpunkte im "Mainstream der Minderheiten" aufgegangen sind. Denn auch Subkulturen waren alles andere gefeit von Vermarktung. Ein revolutionäres Antlitz ist heutzutage populärer und angesagter wie nie. Bei allen positiven Anknüpfungspunkten zu entstandenen Identitäten in Subkulturen, ist ein Abschied vom Modell als solches für das Weiterdenken gesellschaftlicher Kritik mehr als wichtig.

Kulturindustrie, die; 1944 von M. Horkheimer und T.W. Adorno eingeführter, bis heute gültiger Begriff zur Bezeichnung der Eigenschaft und des Funktionierens der kulturellen Sphäre im spätkapitalistischen Zeitalter. Meint entgegen weit verbreiteter Annahme nicht die "bösen" (amerikanischen) Kulturmonopole, sondern ein System, das wie alle gesellschaftlichen Bereiche dem Gesetz der Warenförmigkeit unterliegt und somit an den Menschen bloß als an ihren Kunden und Angestellten interessiert ist und sie zu Objekten degradiert. Weitere Aspekte der Kulturindustrie sind die Einebnung von Differenz, Wiederkehr des Immergleichen und ihre Funktion für die Aufrechterhaltung des Arbeitsprozesses. Die Totalität der Kulturindustriethese ist unbestritten, wenngleich ihre übermäßige Inanspruchnahme in Kulturpessimismus auszuufern droht.

 

22.04.2003
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