nadir start
 
initiativ periodika archiv adressbuch kampagnen aktuell

Merseburg: 1.Mai-Demo gegen den deutschen Arbeitswahn

Gegen den deutschen Arbeitswahn – Für ein selbstbestimmtes Leben

Auch dieses Jahr am 1. Mai – dem internationalen Tag der Arbeit - wird es
wieder weltweit Demonstrationen geben, auf denen dem “Arbeitsgott” gehuldigt
wird, obwohl dieser sich schon längst sein eigenes Grab geschaufelt hat. Denn
spätestens seit dem Beginn der mikroelektronischen Revolution in der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts ist der Verkauf der Ware Arbeitskraft genauso
aussichtsreich, wie der von Webstühlen.
Doch statt ein Leben in Muße und Luxus anzustreben, gehen auch hierzulande
Nazis, Gewerkschaften und “Neue Mitte” auf die Straße, um in die nach
Beschäftigung schreienden Mäuler ein Stück des Kuchens der Selbstzurichtungsanstalt
Arbeit zu stopfen. Während der Druck auf Menschen, die nicht mehr
kapitalistisch verwertbar sind, wächst, wird das gängige Motto “Wer nicht arbeitet, soll
auch nicht essen” wohl auch in der BRD bald bittere Realität werden.
Doch uns geht es keineswegs darum, verlorenen Arbeitsplätzen nachzutrauern
oder gar Arbeit für alle uns als Ziel zu setzen; vielmehr ist unser zentrales
Anliegen, am Tag der Arbeit zu fordern, mit dem allgegenwärtigen
Arbeitsfetisch zu brechen und die kapitalistischen Verhältnisse zu überwinden.
Der Begriff “Arbeit” kann jedoch nur im Kontext einer ernsthaften
Kapitalismuskritik erklärt werden. Der Arbeit ist es nämlich völlig gleich, welche
Produkte durch sie hergestellt werden. Ob Brot, Autos oder Atombomben – nicht die
Befriedigung menschlicher Bedürfnisse ist das Ziel der Arbeit, sondern
ausschließlich ein höchstmöglicher Profit im Sinne des Kapitals. So wird die
menschliche Arbeitskraft genauso zur Ware in der Produktionssphäre wie etwa
Maschinen oder Naturressourcen.
Im Kapitalismus wird die Arbeit dabei als so naturgegeben angesehen, wie
etwa Regen oder Vulkanausbrüche. Gerade jetzt, beim Aussterben der Arbeit und
der damit einhergehenden Erhöhung der Arbeitslosigkeit, fühlen sich Menschen
mehr denn je nutzlos oder gar überflüssig, wenn ihnen eine Vollbeschäftigung
verwehrt bleibt. Arbeit wird immer mehr zum Selbstzweck und
Arbeitsbeschaffungsmassnahmen, Hartz-Konzept oder sonstige idiotische Ideen des Staates dienen
nicht etwa irgendeiner realen oder unrealen Produktion, sondern werden einzig
und allein der Arbeit selbst wegen propagiert und eingeführt. Dieser
zwanghafte, selbstzerstörerische Charakter der Arbeit hat besonders in Deutschland
eine lange und grauenhafte Tradition.

Das Spezifische der “deutschen Arbeit”

Gerade die Entwicklung des Kampfbegriffes der “deutschen Arbeit” ist seit
jeher eng an das Aufblühen des antisemitischen Wahns der deutschen
“Volksgemeinschaft” gekoppelt.
Bereits im Mittelalter war unter den Christen der Handel verpönt – ihm wurde
schon damals die “schaffende, ehrliche” Arbeit gegenüber gestellt. Da Juden
der Zugang zu handwerklichen Berufen meist verwehrt blieb, waren diese
gezwungen, eben im Handel ihren Lebensunterhalt zu verdienen. So wurden sie von
Anfang an als Gegenpol zu den christlichen Kollektiven wahrgenommen, die sich
mehr über die Ausgrenzung des Fremden – zunehmend dem Jüdischen – definierten,
als über ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Gemeinsamkeiten. Mit der
Verteufelung des Handels ging im Bewusstsein der Christen eine Verteufelung der
Juden einher, denen eine Unfähigkeit zur harten, körperlichen Arbeit
bescheinigt wurde. Schon Martin Luther – ein Wegbereiter des modernen Antisemitismus –
trat für die Zwangsarbeit für Juden ein, obgleich er selbst nicht an einen
Erfolg glaubte, “da sie (die Juden [JbM.]) keine Arbeit gewohnt seien” und
forderte daher deren Vertreibung. Das von Luther propagierte Ziel der “Arbeit um
ihrer selbst willen” zieht sich wie ein roter Faden durch die deutsche
Geschichte.
Während im Gegensatz dazu in Großbritannien zu Zeiten der Industrialisierung
das Produkt und die Ausrichtung auf den Markt im Mittelpunkt der Arbeit
standen, war es in Deutschland stets die Arbeit selbst.
Die Definition der “deutschen Arbeit” wurde zunehmend in Abgrenzung der
“jüdischen Nicht-Arbeit” und damit der Juden selbst formuliert. Das
Nicht-Verstehen der Funktionsweise des Marktes zu Beginn kapitalistischer Entwicklungen
war eine der Ursachen, weshalb die damit einhergehenden Widersprüche und
sozialen Konflikte auf die Juden projiziert wurden. Das abstrakte Wesen des
Kapitalismus wurde nicht begriffen, sondern lediglich seine Erscheinungen
wahrgenommen, die zunehmend auf alles “Jüdische” konkretisiert wurden.
Dieser fatale Antikapitalismus fand in den Öfen von Auschwitz seine
bitterste Vollendung. Unheimlich wirkt dabei der Spruch “Arbeit macht frei” über den
Toren der Vernichtungsstätte, die das Zerstörerische und Antisemitische der
“deutschen Arbeit” brutalstmöglich auf die Spitze treibt.
Wie auch andere Ideologeme der Nazizeit konnten sich der Antisemitismus und
der Selbstzweckcharakter der “deutschen Arbeit” in die Nachkriegszeit – wenn
auch in gewandelter Form – hinüberretten. So fasste z.B. Gerhard Schröder auf
einer Wahlkampfrede treffend zusammen, was unter dem deutschem Sonderweg zu
verstehen sei: “Die Zeiten, in denen uns, was die Wirtschaft angeht, Amerika
und andere als Vorbild dienen sollten, die sind nun wirklich vorbei. Das
Ausplündern kleiner Leute, in den Vereinigten Staaten, die sich jetzt Sorgen um
ihre Altersversorgung machen müssen, während ein paar Spitzenmanager nach
Firmenpleiten Millionen und Milliarden nach Hause tragen, das ist nicht der
deutsche Weg, den wir für unser Volk haben wollen, meine Damen und Herren”
(Hannover, 5.8.02).
Wenn heute also über “Sozialschmarotzer” schwadroniert wird, die den
“ehrlich arbeitenden” deutschen “Volkskörper” “aussaugen”, wenn dem “ausbeuterischen
Raubtierkapitalismus” der USA ein “schaffender“, “humaner“ deutscher
Kapitalismus gegenübergestellt wird und so immer noch kapitalistische
Erscheinungsformen auf das Fremde verkürzt werden, dann sind dies keine Ausrutscher,
sondern deutsche antisemitische Tradition.
Deshalb ist es aus emanzipatorischer Sichtweise notwendig, nicht nur den
Arbeitswahn allgemein zu kritisieren, sondern speziell den deutschen Charakter.

Arbeit und Patriarchat

Durch den sich steigernden Arbeitswahn werden patriarchale
Herrschaftsverhältnisse weiter zementiert. Im Alltag findet dabei eine Trennung in zwei
Sphären statt, die direkt aneinander gekoppelt sind: Zum einen gibt es die Sphäre
der Arbeit – also die Produktionssphäre – , die als männlich angesehen wird
und die der Reproduktion, die das “Heimische“ verkörpert und somit als weiblich
wahrgenommen wird. Die Sphären werden zwar getrennt, bedingen sich jedoch
gegenseitig. Das harte Arbeiten „“draussen“ findet in der “heimischen“
Reproduktionssphäre ihren Ausgleich. Soll meinen: Der Mann geht den ganzen Tag
schuften und wird von seiner Frau danach zu Hause bewirtet, gepflegt und mit Liebe
und Geborgenheit “versorgt“ , damit dieser am nächsten Tag wieder fit genug
ist, sich “ausgeruht“ zur Maloche zu schleppen. Während der Mann tagsüber
Befehle und Anweisungen erhält, ist er nach Feierabend der “Herr im Haus“, und
kann sich durch seine Herrschaft über seine Frau sein angeschlagenes Ego
aufpolieren. Damit projeziert der Mann, die in der gesamten kapitalistischen
Gesellschaft und insbesondere auf der Arbeit erfahrenen, Hierarchien, an denen er
meist Befehlsempfänger ist und bleibt, auf seine Frau, indem er nun selbst die
“Hosen an hat“ und sagen kann, wo´s lang geht.
Dieses patriarchale Herrschaftsverhältnis ist dennoch kein Privates, sondern
eine der Arbeit gesamtgesellschaftlich innewohnende Struktur. Daran ändert
auch nichts, dass in den letzten Jahrzehnten immer mehr Frauen ihre
Arbeitskraft verkaufen müssen/wollen. Dass Frauen arbeiten, hat mit ihrer Emanzipation
genauso viel zu tun, wie Werbespots mit sachlicher Information.
Arbeitende Frauen brechen nicht patriarchale Herrschaftsverhältnisse auf,
sondern passen sich ihnen an und “dürfen“ sich nun genauso wie Männer ausbeuten
lassen. Die Sphärentrennung mit ihrer Charakterisierung bleibt jedoch
grundsätzlich bestehen, äussert sich jedoch nun anders. Der Ausgleich in der
Reproduktionssphäre wird weiterhin prinzipiell.als “weiblich“ interpretiert und
verschiebt sich nun vom heimischen Kamin in die verschiedenen Konsumtempel und
Verblödungsanstalten wie Glotze, Kneipe und Kegelverein.
Auch wenn alle Frauen arbeiten würden, bleibt die Institution “Arbeit“ immer
eine strukturell patriarchale. “Weibliche“ Lohnarbeit findet dabei zumeist
in als weiblich definierten Sektoren wie Fürsorge, Pflege oder in einfacheren
Dienstleistungsbereichen statt und wird prinzipiell schlechter bezahlt, als
“männliche“ Arbeit in gleichen Positionen.
Es kann jedoch nicht das Ziel sein, gleiche Löhne für Frauen zu fordern,
sondern nur die Abschaffung der kapitalistischen Lohnarbeit – und damit des
Kapitalismus selbst, kann die seit Jahrtausenden währende Unterdrückung der Frau
beenden.

Gegen Kapitalismus heißt gegen Arbeit

Kapitalismus kann dabei jedoch nur als Zusammenhang seines Wesens und seiner
Erscheinungen begriffen werden. Das heißt, Kapitalismus kann nur als in sich
geschlossenes – wenn auch widersprüchliches – System wahrgenommen werden. Er
ist stets auf die Vermehrung von Kapital ausgerichtet, was für den einzelnen
Menschen bedeutet, seine Arbeitskraft früher oder später verkaufen zu
müssen, um überleben zu können.
Durch den Tausch des Wertes Arbeitskraft in Geld wird ein
Zirkulationsprozess am Leben erhalten, der eben die Kapitalvermehrung zum Ziel hat. Durch den
Warencharakter der Arbeit wird der Mensch selbst zur Ware. Gerade durch die
Ausrichtung auf den Profit, befindet sich der Einzelne stets in Konkurrenz mit
seiner Umwelt. Jedes andere Unternehmen, jede andere Abteilung im Betrieb,
jeder Arbeitskollege stellt für den Einzelnen eine persönliche
Existenzbedrohung dar. “Jeder ist sich selbst der Nächste” gilt wohl im Kapitalismus mehr
denn je.
Unabhängig davon, wie viel Arbeit es auf dem Markt real gibt, ist der Wille
der Deutschen zur Arbeit so verinnerlicht, dass ihnen ein Leben jenseits
dieser Selbstgeißelung unmöglich erscheint.
Doch genau da müssen wir ansetzen: Ohne Arbeit kein Kapitalismus und
umgekehrt. Nur wenn konsequent mit dem Arbeitsfetisch gebrochen wird, ist ein Ende
des Kapitalismus – und damit die Möglichkeit auf eine befreite Gesellschaft –
überhaupt erst denkbar. Dass bedeutet jedoch nicht, das wir dabei stehen
bleiben wollen, ein Recht auf Faulheit einzufordern, sondern vielmehr die
Möglichkeit für alle, selbstbestimmt leben und handeln zu können und eben nicht das
halbe Leben einem zerstörerischen und gleichwohl sterbenden Arbeitsgott
nachzuhecheln. Es geht uns am 1. Mai darum, unsere Utopien und unsere
Gesellschaftskritik so zu vermitteln, das wir klar aufzeigen, was wir von dieser
Gesellschaft halten, wir uns aber trotz dieser uns scheinbar übermächtig
gegenüberstehenden Realität offensiv mit dieser auseinandersetzen wollen. Wir werden –
wie auch in den vergangenen Jahren – eine laute, stimmungsvolle aber diesmal
auch inhaltlich konfrontative Party-Demonstration durchführen, um eine
Gegenposition zum arbeitsgeilen Mainstream einzunehmen.

In diesem Sinne: Proletarier aller Länder: macht Feierabend!

Jugendbündnis Merseburg

Treffpunkt:
1.Mai, 16.00 Uhr
Bahnhofsvorplatz, Merseburg


Website zur Demo:  http://www.maidemo03.de.vu

 

07.04.2003
Jugendbündnis Merseburg   [Aktuelles zum Thema: Soziale Kämpfe]  [Schwerpunkt: 1.Mai]  Zurück zur Übersicht

Zurück zur Übersicht