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BERICHT: Antikriegs-Mobilisierung in Frankreich

BERICHT Antikriegs-Mobilisierung in Frankreich

Überwiegend linke Beteiligung; das Projekt einer
"Weder-links-noch-Rechts"-Ausrichtung ist kompletter Fehlschlag

Zwichen 150.000 (nach Polizeiangaben) und 300.000 (laut Veranstaltern)
nahmen am Samstag, 15. Februar an der Pariser Antikriegs-Demonstration
teil. Genaue Schätzungen sind sehr schwierig, da zahlreiche Teilnehmer
stundenlang nicht aus den verstopften Metro-Ausgängen auf die Place
Denfert-Rocherau (wo es losging) gelangen konnten, oder Seiten- und
Parallelstraßen zum Demonstrieren benutzten, um überhaupt vorwärts zu
kommen. Damit war die Mobilisierung für den internationalen
Antikriegs-Aktionstag die mit Abstand bedeutendste, die bisher im Rahmen der
Vorbereitung auf den drohenden Irakkrieg stattgefunden hat. Die letzte
Demonstration in der franzöisischen Hauptstadt zum Thema am 18. Januar hatte
noch gut 10.000 TeilnehmerInnen versammelt.

In 60 weiteren französischen Städten (Marseille, Lyon, Strasbourg, im
bretonischen Lorient...) fanden ebenfalls Demonstrationen statt, obwohl aus
der gesamten Nordhälfte Frankreichs Busse nach Paris fuhren. Insgesamt
gingen zwischen mindestens 300.000 (Polizeiangaben) und rund 500.000 (Medien
und Veranstalter) Personen auf die Straße. Freilich ist die Mobilisierung
derzeit nicht so stark wie in Ländern, deren Regierungen offen die
Kriegspläne George W. Bushs unterstützen und/ oder die amerikanische
Militärbasen auf ihrem Territorium haben (das ist in Frankreich nicht der
Fall), von denen aus Angriffe gestartet werden - siehe Großbritannien,
Italien und Spanien.

Der Pariser Demonstrationszug war im wesentlichen folgendermaßen
zusammengesetzt: Nach dem "Promiblock" mit Vertretern linker und halblinker
Organisationen - Marie-George Buffet von der französischen KP, mehreren
grünen Politikern (Gilles Lemaire, No Mamre, Yves Contassot, Yves
Cochet), Alain Krive von der LCR (undomgatischer Teil der französischen
Trotzkisten), José Bové von der linksalternativen Bauerngewerkschaft -
liefen zuerst französische Golfkriegs-Veteranen von 1991. Die Nachfahren
damaliger Soldaten, die an den Spätfolgen des Einsatzes gestorben sind,
trugen symbolische schwarze Pappsärge. Hinter ihnen kamen mehrere hundert
Americans against the war, die - ebenso wie die später kommenden "New Yorker
gegen den Krieg" - auf Schritt und Tritt durch die Menge auf den Trottoirs
beklatscht wurden. Zahlreiche in Paris lebenden, amerikanische Studierende,
Hochschullehrer oder Künstler hatten sich angeschlossen.

Im Anschluss kam die eher traditionelle, linksbürgerliche
"Friedensbewegung" (le mouvement de la paix, der irgendwo im weiteren
KP-Umfeld anzuordnen ist). Hier wurde vor allem ein Veto der französischen
Regierung im UN-Sicherheitsrat eingefordert, allerdings bisweilen von
politischen Drohungen begleitet ("Chirac, si tu recules, on t'allume" -
Chirac, wenn Du einen Rückzieher macht's, wird's brenzlig für Dich). Den
nächsten massiven, nach mehreren Tausenden zählenden Demoblock bildeten die
eher linksradikal geprägten Antikriegs-Kollektive mit vor allem jungen
Teilnehmern. Hier hieß es vor allem: "Ob mit oder ohne UN-Votum, wir wollen
diesen Krieg auf keinen Fall" - und auf Chirac möchte man ebenso wenig
vertrauen wie auf die offiziellen internationalen Institutionen. Im
Anschluss hatte die Palästina-Solidaritätsbewegung ebenfalls mehrere tausend
Menschen, darunter viele ImmigrantInnen, mobilisiert.

Weiter hinten waren die Blöcke von ATTAC Frankreich (das insgesamt
stärker mit sozialen Basisbewegungen verflochten ist, als ihre später
gegründete deutsche Schwesteorganisation) sowie, mit Abstrichen, der
Antirassismusbewegung MRAP ebenfalls gut bestückt. Von den Gewerkschaften
hatte vor allem die CGT massiv mobilisiert, die - zahlenmäßig insgesamt
schwächeren - linksalternativen SUD-Gewerkschaften legten ebenfalls eine
anständige Präsenz hin. Von den politischen Organisationen waren vor allem
die LCR und die KP mit sehr massiven Blöcken vertreten, hinter ihnen fanden
sich daneben auch die Grünen und Lutte Ouvrire (LO, die "klassischere" -
eher traditionalistische - Variante des französischen Trotzkismus). Die
Schlusslichter bildeten der Partei des travailleurs (PT - "Partei der
Arbeiter", eine links-autoritäre Politsekte) und ein kleiner Block der
Linksnationalisten des früheren Innenministers Jean-Marie Chevnement
(soeben von MDC in MRC, für "Staatsbürgerlich-republikanische Bewegung",
umbenannt).

Die zu verzeichnende Beteiligung von Immigranten war erheblich, selbst
der - ansonsten auf Demos nicht zu vernehmende - Verband der taiwanesischen
Studenten in Frankreich hatte einen eigenen Block. Die "Union junger
Vietnamesen in Frankreich" war offensiv - mit eigenen Handzetteln - präsent,
was ebenfalls ein Novum ist, da die vietnamesische Einwanderungsbevölkerung
lange Zeit eher antikommunistisch und "der Politik" gegenüber misstrauisch
geprägt war. Die Massendemonstrationen gegen Jean-Marie Le Pen im April und
Mai 2002 haben möglicherweise zu einigen Veränderungen beigetragen.

Der Plan der patriotischen Wochenzeitschrift „Marianne“, die
Mobilisierung - die in ihren Augen ein Veto der französischen Regierung im
UN-Sicherheitsrat zum Hauptgegenstand haben sollte - in Richtung einer
"Weder-links-noch-Rechts"-Orientierung zu beeinflussen, blieb ein kompletter
Fehlschlag. Die Unterstützer der bürgerlichen Rechten waren am Samstag so
gut wie vollständig abwesend. Lediglich ein sehr kleiner Trupp von
traditionalistischen Gaullisten (d.h. solche, die die Orientierungen des
Regierungs-Neogaullismus Chiracs nicht mittragen, u.a. weil sie die
EU-Einbindung kritisieren) fand sich ein. Er trug zwar riesige französische
Fahnen (fast die einzigen, die am Samstag zu sehen waren - ferner entdeckte
ich später noch ingesamt 3 kleine Fahnen) mit dem "lothringischen Kreuz",
also dem gaullistischen Symbol. Dahinter fanden sich aber lediglich 30
Personen - überwiegend ältere Semester - ein. Aus den konservativ-liberalen
Regierungsparteien war keinerlei Präsenz zu sehen. Selbst die
Sozialdemokratie war kaum zugegen: Ein paar Jungsozialisten vom MJS (das
sind die französischen MJS) liefen mit, ansonsten stand eine
Promi-Delegation der sozialdemokratischen Partei - mit Ex-Ministerinnen wie
Martine Aubry und Elisabeth Guigou - vorübergehend am Rand, als die Demo
durch die Zentrumsbezirke zog. Die sozialliberale Gewerkschaft CFDT (die den
Marianne-Appel mit unterzeichnete) wurde so gut wie gar nicht gesichtet, von
den Polizeigewerkschaften war keine Spur.

Dennoch wird ein Streitpunkt innerhalb der Linken, die - zusammen mit dem
immigrantischen (maghrebinischen, türkischen, palästinensischen) Spektrum -
die Demo fast allein prägte, offen bleiben müssen. Nämlich zu der Frage, ob
man sich eher als Unterstützer für die derzeitige scheinbare
Anti-Kriegs-Position Chiracs begreift - solange dieser die Pläne der
US-Amerikaner aufhält - oder eher als Gegenmacht begreift. Die nationale
Sekretärin (Vorsitzende) der französischen KP, Marie-George Buffet, etwa
erklärte am Samstag in Interviews, die DemonstrantInnen seien auf der
Straße, um Chirac mit seiner derzeitigen Position zu unterstützen und ihm
den Rücken zu stärken, solange er den Plänen der US-Administration nicht
nachgebe. Das wird vor allem im linkeren Teil der Antikriegs-Bewegung ganz
anders gesehen, wo Wert darauf gelegt wird, dass man keinerlei Illusionen
in Bezug auf Chirac pflege.

Letzterer versucht nunmehr eine nationale Koordinierungsstruktur der
Antikriegs-Basiskomitees aufzubauen, die parallel zu der "offiziellen"
Koordination - die hauptsächlich ein lockeres Organisationskartell aus
Vereinigungen, Gewerkschaften und Linksparteien ist - stehen und eine
Eigendynamik jenseits bestehender Organisationsgrenzen entfachen soll. Auf
einer Versammlung am Sonntag morgen mit gut 100 Teilnehmern und Delegierten
aus den Komitees des Großraums Paris sowie einigen nordfranzösischen Städten
(Rouen, besanon..) wurde beschlossen, einen überregionalen Kongress am 22.
März zu organisieren. Daraus soll ein "Appel des 22. März" resultieren.
(Eine Anspielung: Die Initialzündung zur Bewegung des Mai 1968 in Paris war
durch die "Bewegung des 22. März" gegeben worden, die damals einen gewissen
Daniel Cohn-Bendit - der noch kein Neoliberaler war - zum Sprecher hatte.)

Parallel dazu soll der Appel von GewerkschafterInnen gegen den Krieg, der
aus demselben Spektrum heraus lanciert wurde, stärker entwickelt werden.
Dieser trägt derzeit 1.300 Unterschriften, von gewerkschaftlich
organisierten Personen wie auch von einzelnen gewerkschaftlichen Strukturen
(die Branchenorganisation SUD Rail, die CGT bei Post und Telekom im
Département 92 - d.h. um Nanterre bei Paris-, ..).

Bernhard Schmid, Paris

 

18.02.2003
Bernhard Schmid    [Schwerpunkt: Der angekündigte Krieg]  Zurück zur Übersicht

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