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§129a-Verfahren in Sachsen-Anhalt

Zu den § 129-Verfahren in Sachsen-Anhalt


- Verhaftung und Hausdurchsuchung:


Am Morgen des 27.11.02 weckte mich gegen 10.30 Uhr das Klingeln des
Telefons. Ich befand mich gerade für einige Tage zu Besuch bei meiner
Mutter in Quedlinburg.


Als ich völlig verschlafen den Hörer abnahm meldete sich am anderen
Ende eine männliche Stimme mit dem Satz "BKA, bitte öffnen sie die
Tür!" und legte sofort wieder auf. Ich wusste im ersten Moment nicht
was ich davon halten sollte und bewegte mich erst einmal langsam zur
Tür, nahm den Hörer der Sprechanlage ab und horchte. Niemand meldete
sich auf mein fragendes "Hallo?".


Daraufhin schaute ich durch den Türspion und sah eine große Anzahl
von Männern und eine Frau im Hausflur stehen. Ich öffnete die Tür
einen Spalt um zu fragen, was sie denn wollen. In diesem Moment wurde
die Tür kräftig aufgestoßen und fünf Männer und eine Frau (3
Beamte des BKA, 2 Beamte des KLA und ein junger szenebekannter FK-4
Beamter der PDMD) stürmten in die Wohnung meiner Mutter.


Sie erklärten mir, dass sie auf Grund von "Gefahr im Verzug" eine
Durchsuchung der Wohnung meiner Mutter und unserer WG in MD
durchführen würden. Außerdem erklärten sie mir meine Festnahme,
da ich beschuldigt wäre der terroristischen Vereinigung "Kommando
Freilassung aller politischen Gefangenen" anzugehören.


Sie strömten in der Wohnung aus und wollten mit der Durchsuchung
beginnen. Ich wies daufhin, dass ich in dieser Wohnung nur ein Zimmer
nutzen würde und sie nicht dazu berechtigt wären, die anderen
Räume zu durchsuchen. Dies bestätigte ihr Einsatzleiter und sie
konzentrierten sich auf die Durchsuchung meines Zimmers.


Nach einer halben Stunde durfte ich dann nach ständigem Drängen
einen Anwalt informieren. Die anwesenden LKA'ler sicherten Wohnungs-
und Balkontür ab.


Um 13.55 Uhr wurde die Durchsuchung beendet und es erfolgte die
Beschlagnahmung diverser Sachen (u.a. pers. Unterlagen, der Rechner
meiner Mutter, Handys etc.). Mir wurden Handschellen angelegt und wir
verließen in einem schwarzen Mercedes Quedlinburg. Ich wurde in die
Sternstraße, PDMD, gebracht, wo ich ED behandelt wurde. Eine
Speichelprobe für eine DNA-Analyse verweigerte ich ebenso wie ein
"Gesprächsangebot".


Neben den Wohnungen in MD und QLB wurde auch die Wohnung meiner
Verlobten in Berlin durchsucht, wobei sich das BKA doch lediglich mit
der Beschlagnahmung einer kleinen Tüte Katzengras (in Verdacht auf
eine "betäubungsmittelverdächtige Substanz") zufrieden gab.


In MD wurde mein kompletter Rechner, der Server-Rechner meines
Mitbewohners (auf den ich durch Vernetzung ja Zugriff hatte und der auf
Grund dessen zu beschlagnahmen war), etliche persönliche Unterlagen,
Disketten, CD-Roms, sämtliche Telefonrechnungen (abgeheftet) mit
Verbindungsdaten (Handy), Adressbücher usw. beschlagnahmt. Dabei
beschädigten sie auch noch meinen Kleiderschrank.


- BGH, Transport und Inhaftierung


Am Morgen des 28.11.02 wurde ich aus meiner Zelle geholt, in die man
mich am Nachmittag des Vortages verbrachte.


Ich wurde schon am 27.11. darüber informiert, dass man mich nach
Karlsruhe bringen werde und dem zuständigen Richter am BGH vorführen
wolle.

Ich wurde in einen schwarzen BMW verfrachtet und sah in einem anderen
Fahrzeug meinen Freund Marco sitzen. Der Konvoi von zwei schwarzen BMW
und einem schwarzen Mercedes, brachte uns, abgesehen von einer
Pinkelpause, auf direktem Weg nach Karlsruhe.

Dort beschloss der Richter Marcos und meinen Haftbefehl und ich wurde
der JVA Rheinbach und Marco der JVA Köln-Ossendorf zugewiesen. Bevor
sich der Konvoi nach Abfahrt in Karlsruhe trennte, erhielten wir die
Möglichkeit was Warmes zu essen. Dazu fuhren wir eine Raststätte an
und mir wurde ein Omelett in das Fahrzeug gereicht. Während der Fahrt
nach Karlsruhe wurden wir mit Müsliriegeln und Mineralwasser versorgt.

Kurz vor Mitternacht erreichten wir die JVA Rheinbach. Ich wurde in eine
2x4 Meter große Einzelzelle im "Bunker" der JVA gesteckt., wo ich auch
die nächsten vier Nächte und drei Tage bleiben sollte.

Die Zelle war eisig kalt, die Heizung brachte kaum Leistung und es zog
von mehreren Seiten. Mein einstündiger Hofgang fand anfangs ebenfalls
unter isolierten Bedingungen statt.

Nach drei Tagen wurde ich in die reguläre U-Haft verlegt und bekam die
selben Rechte und Haftbedingungen wie die anderen Gefangenen auch.


-Vernehmung und Besuche


Am frühen Nachmittag des 12.12.02 wurde ich mit der Begründung, dass
mein Anwalt da wäre von einem Schließer aus der Zelle geholt. Ich
schnappte mir den Aktenordner mit meiner Verteidigerpost und wurde in
den Besucherbereich geführt. Als ich den mir zugewiesenen Besucherraum
betrat, staunte ich nicht schlecht, als mir anstelle meines Anwalts zwei
Beamte des BKA gegenüber standen. Sie hatten eine Laptop aufgebaut und
baten mich darum doch bitte Platz zu nehmen. Sie belehrten mich und
wiesen mich daraufhin, dass sie mir ja nur helfen wollen und ich mit
meiner Mitarbeit doch dabei helfen könne meine Unschuld zu beweisen.

Ich lehnte jedes Gespräch ab und teilte ihnen mit, dass ich mich nur
über meinen Anwalt äußern werde.

Daraufhin erklärte mir einer der Beamten, dass er auch für die
Besuchstermine zuständig sei (die immer nur in Anwesenheit des BKA
stattfinden dürfen) und er in den letzten Tagen desöfteren mit
meiner Mutter telefonierte (was nicht stimmte, denn meine Mutter
telefonierte lediglich und zwangsweise zwecks eines Besuchstermins mit
dem BKA).

Er machte mich darauf aufmerksam, dass sich meine Mutter ja in einer
sehr schlechten seelischen Verfassung befinde und es ihr zunehmend
schlechter ginge. Allerdings könnte ich ja dazu beitragen, dass es ihr
bald besser geht, indem ich mich kooperativ zeigen würde.20

(ungefährer Wortlaut)

Damit war das Verhör nach wenigen Minuten beendet und ich durfte
zurück in meine Zelle. Am nächsten Tag bekam ich das erste Mal seit
meiner Festnahme Besuch.

Auch der BKA-Beamte des Vortages war anwesend. Das BKA hört fleissig
zu und schreibt auch bei jedem Besuch fleissig mit.


-Transport und Verlegung


Am Freitag den 10.01.2003 erfuhr ich von meinem Schliesser, dass ich
kommenden Dienstag auf Transport gehen würde und nach Berlin-Moabit
verlegt werde. Der Transport dauerte insgesamt 8 Tage und ging von
Rheinbach über Siegburg, Köln, Münster, Bielefeld, Hannover,
Magdeburg, Brandenburg nach Berlin.20

Noch am Dienstag erreichten ich und andere Gefangene die JVA
"Brackenwede I" in Bielefeld.20

Dort blieb ich bis Freitag. Von dort aus ging es direkt bis nach
Hannover. Dort fuhren wir erst einmal den Abschiebeknast mit
benachbartem Kleinflugplatz an, um einige Gefangene "abzuliefern".

Dann ging es weiter zur JVA, wo wir das Wochenende von Freitag bis
Montag verbringen sollten. Ich kam auf eine Vier-Mann-Zelle, die
verdreckter und veralteter kaum hätte sein können.20

Am Montag ging es über Braunschweig und Wolfenbüttel nach Magdeburg.
Dort verbrachten wir eine Nacht und es ging nach Brandenburg. Nach ca.
anderthalb Stunden Aufenthalt kam der Gefangenentransport aus Berlin mit
2 Bussen und brachte uns nach Moabit. Hier habe ich eine Einzelzelle
zugewiesen bekommen.

Auf der Aussenseite meiner Zellentür ist ein Zettel mit folgendem Text
angebracht worden:


"keine gemeinsame Unterbringung

keine gemeinschaftlichen Veranstaltungen

keine Arbeit

kein Gottesdienst

keine Beratung"


Damit auch jeder Schliesser sofort weiß, wie er mit mir umzugehen hat.

Persönliche Einschätzung zur politischen Situation in Magdeburg


Marcos und meine Verhaftung nach § 129a, die Anzahl von vier
zeitgleich durchgeführten Hausdurchsuchungen in MD, QLB und Berlin,
die monatelangen Observationen von BKA und LKA und schließlich die
Überwachung von Telefonen, Handys und des Internet-Verkehrs offenbaren
die Dimensionen staatlicher Repression, für die anscheinend
unbegrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.

Dennoch stellen sie nur die Spitze des Eisbergs staatlicher Repressalien
der vergangenen Monate gegen "linke Nestbeschmutzer" in Magdeburg dar.
Nach der überfallartigen Räumung der "Ulrike" (dem letzten autonomen
Hausprojekt), die immer noch mit ungeklärten Zwischenfällen in der
Nacht zuvor begründet wird, fand eine spontane Demo vor der
Polizeidirektion in der Magdeburger Sternstr. statt. Dort saßen einige
inhaftierte Hausbewohner ein. Die Polizei reagierte innerhalb
kürzester Zeit und beendete die Demo auf unschöne Art und Weise.

Ein großer Anteil der anwesenden Szene wurde ebenfalls in
Polizeigewahrsam genommen und dort ED behandelt. Somit konnten sich die
Staatsschutzbehörden umfangreicher Namen und Adressen bedienen.

Aber auch Gerichtsurteile des vergangenen Jahres verdeutlichen die
härtere Vorgehensweise gegen linke Szeneaktivisten. Bei einem Fall
wurde eine Person zu 80 Arbeitsstunden verurteilt, weil er/sie
containern ging, um nur ein Beispiel zu nennen.


Daran, dass in Magdeburg kein Wert mehr auf eine bunte, alternative
Jugendkultur gelegt wird, zweifelt mittlerweile wohl niemand mehr. So
sucht die Stadt lieber den Schulterschluss zur sowieso dominierenden
rechten Szene und läßt nach deren öffentlichen Forderungen das
letzte soziale, kulturelle und autonome Zentrum räumen. Es war ihnen
ja auch egal, dass nach der Räumung der "Ulrike" über dreissig
Jugendliche noch vor Einbruch des Winters in die Obdachlosigkeit
gedrängt wurden.

Dennoch versuchen die Betroffenen seither ständig öffentlich auf
ihre Situation aufmerksam zu machen. Und da sie sich trotz eines
Immobilienangebotes nicht an den Stadtrand drängen lassen wollen,
passt ein Ermittlungsverfahren nach § 129 a ja doch wunderbar zur
Kriminalisierung der Szene, die ja vielleicht doch noch das Mitleid und
die Unterstützung von bürgerlichen Kräften erhalten könnte.


Von totaler Überwachung via Telefon/Handy, Internet und weiträumigen
Observationen sollte momentan in Magdeburg ausgegangen werden!

Zielt dieses Ermittlungsverfahren doch nicht nur auf Erkenntnisse über
die ansässige Szene, sondern soll auch einschüchternd und zersetzend
wirken!

Es handelt sich hierbei um einen staatlichen Angriff rein politischer
Natur, dem auch entsprechend entgegengetreten und der abgeschmettert
werden muss!

Laßt Euch nicht zersetzen, einschüchtern und handlungsunfähig
machen!

Sie können uns zwar einfangen, wegsperren und demütigen, aber sie
können uns nicht brechen!


Mit der Faust zum Gruß


Daniel, 129a Gefangener aus Magdeburg


Berlin-Moabit, den 24.01.2003

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18.02.2003
  [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: 129a-Verfahren in Sachsen-Anhalt]  Zurück zur Übersicht

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