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Reaktion von Ivo Bozic auf den offenen Brief von Bernhard Schmid

Kriegsangst wird instrumentalisiert: Wie mit Bellizimus-Vorwürfen eine Kampagne gegen vermeintliche "Antideutsche"
inszeniert wird

Derzeit findet in der Linken in Deutschland eine scharf geführte Debatte um
den bevorstehenden Irak-Krieg statt. Gruppen spalten sich, Veranstaltungen
werden gestört, nirgends kommt man an diesem Streit vorbei. Die linke
Wochezeitung Jungle World ist neben der Autorenzeitung konkret die einzige
Publikation, in der diese Debatte widergespiegelt wird. Die Jungle World ist
das einzige linke, journalistische Projekt außerhalb des Internets, welches
die aktuellen Debatten der Linken kontinuierlich reflektiert, aktiv führt und
immer wieder aufmacht, wo sie vorzeitig eingeebnet werden sollen. Zu einer
solchen Debatte gehört Meinungsvielfalt. Nur wo unterschiedliche Meinungen
auf einander treffen, kommt es zur Kontroverse, werden Differenzen sichtbar.

Leider fällt bei einem solchen Emo-Ding wie Krieg offenbar bei so mancher/m
Linken die letzte Bereitschaft, sich andere Meinungen anhören zu wollen weg.
Und wer sich nicht schnurstracks in die neue deutsche Friedensbewegung
einreiht, gilt sogleich als Bellizist. Friedenstäubchen ans Auto geheftet und
Schluss mit der Diskussion. Das nicht mitzumachen, muss ja schon verdächtig
sein, schließlich sind doch alle, alle gegen den Krieg - bis hin zur
Bundesregierung und den Nazis.

Leider sehe ich eine solche Absage an den Pluralismus auch bei Robert Kurz
und den von mir sehr geschätzten Kollegen Bernard Schmid. Richtig ist, dass
in der Jungle World auch Autorinnen und Autoren zu Wort kommen, die sich zwar
nicht für einen Krieg aussprechen, die ihm aber eher mit Hoffnung
gegenüberstehen, weil sie sich davon für die Menschen im Irak eine erhebliche
Verbesserung ihres durch eine faschistoide Repression gekennzeichneten Lebens
versprechen. Allerdings kommen - und zwar in der deutlichen Mehrzahl - auch
ganz andere AutorInnen zu Wort, solche, die jeden Krieg ablehnen, und auch
Vertreter der Friedensbewegung, ja selbst attac. Nur weil die Jungle World
den Meinungsfächer so breit aufmacht, kommt es zu den heftigen Kontroversen,
die nun einige offenbar nicht mehr ertragen können.

Bernard Schmids Argumentation in seinem Offenen Brief an mich, dreht sich
dabei völlig im Kreis. Er behauptet, dass er dafür gesorgt habe, dass
bestimmte Positionen in der Jungle ihren Platz gefunden haben. Und das ist
auch nicht ganz verkehrt. Kaum jemand hat die Jungle (von Anfang an) so sehr
geprägt, wie einer ihrer eifrigsten Autoren: Bernard Schmid. Aber genau
deshalb ist es ja auch Quatsch, zu behaupten, dass bestimmte Positionen in
der Jungle keinen Platz hätten. Das tut Bernard wohlweislich auch nicht. Er
beschwert sich nicht, dass "friedensbewegte" oder US-kritische Positionen
nicht in der Jungle vorkämen (kann er auch nicht, weil das nicht stimmen
würde). Er beschwert sich nur, dass bestimmte andere Positionen vorkommen,
die er als pro-amerikanisch bzw. bellizistisch ausmacht. So lässt sich aber
doch keine pluralistische Diskussion führen, lieber Bernard!

Es ist alles sehr merkwürdig: Fast die gesamte Argumentation bauen sowohl
Bernard Schmid als auch Robert Kurz auf die Jungle-Beiträge des Autoren-Teams
Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer auf. Beide schreiben auch in der
konkret. Auch Bernard Schmid und Robert Kurz schreiben in der konkret. Ganz
friedlich neben den beiden Thomassen. Wo ist die Erklärung der beiden, nicht
mehr für konkret zu schreiben? Offenbar scheint die Diffamierung der Jungle
World dringlicher, weil man ihr einen größeren Einfluss auf den linken
Diskurs zubilligt.

Ich bin in der Tat der Meinung, dass es derzeit so etwas wie eine Kampagne
gibt. Nicht abgesprochen, nicht bewusst geplant. Aber die Platt-Antiimps
wittern derzeit Morgenluft. Kriegsangst wird instrumentalisiert. Wo alle
Emotionen so hochgekocht sind, sieht man die Chance, nun endlich mit den
vermeintlichen "Spaltern", denen die die Linke angeblich lähmen, statt zu
sammeln, abzurechnen. Die Jungle World ist ein gutes, weil leicht
angreifbares Objekt, eben genau deshalb, weil wir als Zeitung kein
Strömungs-Blatt sind, und nicht das Organ irgendeiner Gruppe oder Bewegung.
Aber auch die Spaltungen, die wir in anderen Gruppen derzeit beobachten,
haben das selbe Schema zur Grundlage. Die Methode ist einfach: Den
Antideutschen, und allen die man dafür hält, vorzuwerfen, für den Krieg zu
sein, und sie sogleich als Bellizisten ("Kriegstreiber") zu brandmarken. Ich
glaube nicht, dass Bernard Schmid eine solche Kampagne bewusst unterstützen
würde. Aber er tut es durch seine Veröffentlich im ak leider trotzdem.

Noch ein Wort zu Robert Kurz. Für ihn gilt das selbe. Meinungsvielfalt
scheint ihm nicht länger in den Kram zu passen. Es ist eine billige Masche:
Da unterstellt man der Jungle eine "Generallinie" und alles was davon
abweicht seien "Alibi-Positionen". Ja, mit so einer Wahrnehmung kann man
natürlich prima alles behaupten. Aber genau so gut könnte man es anders herum
sehen. Seine Verärgerung basiert ja nicht darauf, dass seine Positionen in
der Jungle keinen Platz hätten. Im Gegenteil! Er war angefragt worden, einen
Beitrag für die Jungle zu dem Thema zu schreiben. Dass er statt zum Thema,
lieber eine von Verleumdungen und Unwahrheiten gespickte dumpfe Polemik gegen
die Jungle fabrizierte, und dann so tut, als sei sein Artikel wegen seinen
Positionen zum Krieg abgelehnt worden, finde ich reichlich unfair. Ich finde
es unlauter von Autoren, die selber entscheiden, ihre Position nicht in der
Jungle zu veröffentlichen, der Jungle vorzuwerfen, ihre Positionen nicht
widerzuspiegeln.

Ich bin auch gespannt, wie Robert Kurz mit dieser Argumentation weiterfahren
will. Dass er die Zusammenarbeit mit der Jungle aufkündigt, weil sie sich
nicht deutlich genug gegen den Krieg ausspreche, lässt immerhin einiges
offen. Mit dieser Begründung kann er ja für alle derzeit so friedensbewegten
bürgerlichen Tageszeitungen schreiben, oder - um es polemisch zu sagen - auch
für die Junge Freiheit. Die ist auch gegen den Krieg. Ich will damit nur
fragen: Wie definiert der Herr Kurz bitteschön, was "links" ist? Hauptsache
nicht "pro-westlich?" Ohjeh, es klingt fast so, aber das will ich ihm, der
klüger ist, nicht unterstellen. Naja, der Mann ist eben besser in seinem
Neuen Deutschland aufgehoben, wo man schon mal Jürgen Möllemann als Autoren
heranbittet, Fahndungssteckbriefe der Polizei veröffentlicht und unter
Beteiligung von Nazis Debatten über das Verhältnis der Linken zur Nation anzettelt.
Kritik daran von Kurz? Fehlanzeige.

Mich ärgert diese Kampagne auch deshalb besonders, weil sie von BEIDEN Seiten
geführt wird. Die Jungle World ist ja eben NICHT das Zentralorgan der
Antideutschen und es vergeht keine Bahamas-Ausgabe und keine Verlautbarung
Antideutscher Kommunisten und ähnlicher Grüppchen ohne zünftiges
Jungle-Bashing. Auch von jener Seite haben schon diverse Autoren. (und zwar
wesentlich mehr als die beiden Kurz und Schmid) die Zusammenarbeit
aufgekündigt. Auch dort ist die Toleranz anderer Meinungen gleich Null. Die
Jungle World sitzt im wahrsten Sinne des Wortes zwischen den Stühlen. Ich
finde das in dieser Situation nicht den schlechtesten Platz, denn so einfach
ist es in Sachen Irak eben nicht mit Positionierungen - sofern sie links sein
sollen.

Gegen den Irak-Krieg zu sein (und ich bin gegen den Irak-Krieg, um das
klarzustellen), ist jedenfalls noch lange nicht links (Das sehen wir daran,
dass - und gerade - auch ganz Rechte, gegen den Krieg sind). Auch ein
berechtigter Antiimperialismus muss nicht automatisch in eine
Anti-Kriegs-Position münden. Denn Einfluss auf die Region erhofft sich die
USA zwar über Krieg, Deutschland hingegen über seine Kriegsgegnerschaft.
Auch der Bundesregierung geht es dabei um imperialistische Ziele. Und die USA
hatte imperialistische Motive, als sie Saddam unterstützte, und sie hat eben
auch welche, jetzt da sie ihn wieder loswerden will. Will sagen: Nicht nur
der Krieg dient dem Imperialismus.

Auch wenn man aus ganz klassischen internationalistischen
Solidaritätsbewegungen kommt, kann einem die Positionierung schwer fallen.
Schließlich erhofft sich ein Großteil der irakischen Kurden, denen so manche
Soli-Arbeit der Vergangenheit galt, sehr wohl einen Krieg und sind bereit an
der Seite der Amis gegen Saddam zu kämpfen, der sie seit Jahrzehnten
unterdrückt und sie Ende der 80er mit Giftgas angriff. Dazu kommt, dass die
USA eben nicht eine linke, emanzipatorische Entwicklung bekämpfen wollen (wie
beispielsweise auf ganz anderer Art derzeit in Venezuela), sondern dass ihr
Ziel ist, einen faschistoiden und schwer antisemitischen Diktator, den sie
selbst mit aufgebaut haben, wieder loszuwerden.

Und noch etwas kommt dazu, etwas, dem die Jungle World ein besonderes
Augenmerk widmet: Seit einiger Zeit versucht sich Europa - und dabei ganz
wesentlich Deutschland - als internationaler Konkurrent zur Weltmacht USA.
Das sieht man an wirtschaftlichen Tätigkeiten in Lateinamerika und an der
Außenpolitik, auch jetzt in Sachen Irak. Wir beobachten, wie Europa versucht,
sich von den USA zu emanzipieren, um selber mehr Gewicht in der Welt zu
bekommen. Deutschland auf dem Weg zur Großmacht - mit Hilfe Europas. Die
Jungle beobachtet diese Entwicklung sehr genau, und stellt fest, dass im Zuge
dieses Prozesses der Antiamerikanismus von Rechts und Links wächst, wobei er
zumindest von Rechts eindeutig auf den Wunsch zurückzuführen ist,
Deutschlands Position in der Welt zu stärken. Dass die kritische Analyse
dieser Entwicklung in der Jungle gelegentlich zu einer zu unkritischen
Haltung gegenüber der US-Gesellschaft (nicht -Regierung!) und sog.
"westlichen Werten" führte, sehe ich auch so. Aber jedes Mal, wenn solche
Artikel erschienen, gab es Beiträge, die darauf geantwortet und genau das
kritisiert haben. Es wird eben diskutiert in dieser Zeitung.

Wer in dieser komplizierten Lage meint, einfach ein paar alte
Friedenstäubchen aus dem Schrank kramen zu müssen, und schon habe man eine
geile linke Bewegung, der verhält sich in höchstem Maße unverantwortlich und
politisch dumm. Die Jungle World jedenfalls tut sich mit einer Positionierung
nicht so einfach, und hat das auch nicht nötig, denn es ist eine Zeitung,
EINFACH NUR EINE ZEITUNG. Das scheinen einige zu vergessen. Auf die Jungle
World werden Konflikte projiziert, die man in der eigenen Gruppe offenbar
nicht ausdiskutiert bekommt. Die Jungle World erhebt nicht den Anspruch, eine
allgemein richtige Position zu erarbeiten. Wir kritisieren und wir
analysieren, wir fördern Debatten, wir reflektieren die Debatten der Linken,
wir berichten über die Rechte und liefern Hintergründe. Wir sind in erster
Linie ein journalistisches Projekt und kein politisches. Allerdings ein sehr
politisches journalistisches Projekt!

Natürlich nehmen wir immer wieder an bestimmten Punkten auch Positionen ein,
und es gibt sicher inhaltliche Entwicklungen und so etwas wie ein sich
entwickelndes Image der Zeitung. Aber wir machen eine Kiste nicht zu, solange
es noch irgendwo Widerspruch, Diskussionsbedarf oder Streit gibt. Wir haben
es auch geschafft, finde ich, dass die anfangs etwas ins Beliebige gehende
Meinungsvielfalt inzwischen einem diskursiven Pluralismus gewichen ist. Die
Beiträge stehen fast immer in Bezug zu einander, und nur selten bleiben die
verschiednen Positionen unvermittelt neben einander stehen. Immer wieder
entwickeln sich daraus lebendige Debatten.

Dabei stellt sich wohl kaum ein Projekt so sehr wie die Jungle World immer
wieder selbst in Frage. Das geht so weit, dass man zum 5jährigen Jubiläum
Jürgen Elsässer bittet, einen Artikel zu schreiben, in dem er begründet,
warum es die Jungle besser nicht geben sollte. Der Artikel erschien in
unserer Jubiläums-Ausgabe. Und das ist nur ein kleines Beispiel für das
ständige Selbsthinterfragen, das in der Jungle stattfindet. Ich kenne keine
2. Zeitung, die so selbstkritisch reflektiert, was sie macht.

Wer nun behauptet, ausgerechnet die Jungle vertrete bellizistische
Positionen, der ist entweder Blind für die Vielfalt im Blatt oder der/die
will es einfach nicht sehen. Neulich traf sich die Redaktion mit einer
größeren Anzahl von AutorInnen und debattierte über die Bellizismus-Vorwürfe
und über den drohenden Krieg. Niemand, aber auch niemand in dieser Runde war
für einen Irak-Krieg. Das heißt nicht, dass man nicht unterschiedliche
Erwartungen haben kann, über die möglichen Folgen eines Krieges, und damit
auch den zu erwartenden Krieg an sich unterschiedlich bewertet. Es mag auch
Leute geben, die zwar nicht für, aber auch nicht gegen einen Krieg sind. Die
der Meinung sind, es sei weder links für, noch sei es links gegen den Krieg
zu sein. (Ich habe dazu mehr in meinem Beitrag "Antwort auf den Vorwurf des
Bellizismus in der Jungle World" auf nadir
 http://www.nadir.org/nadir/aktuell/2003/01/27/14047.html geschrieben.)
Das mag anderen wiederum nicht gefallen, aber das als "Kriegshetze“ (Bellizismus)
zu bezeichnen, halte ich für diffamierend. Es gibt innerhalb der Jungle-AutorInnen
und -Redaktion unterschiedliche Meinungen, wie derzeit überall in der
vernunftbegabten Linken. Diese Diskussion tragen wir offensiv aus, und wer damit
nicht leben kann, der soll doch die taz lesen.

Ivo Bozic
Autor und einer von vielen Mitherausgebern der Jungle World

 

04.02.2003
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