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Essen-Borbeck: Demo am 08.02.2003

WHAT HAPPENED...
Am 11. August 2002 wurde in der Zinkstrasse in Essen-Borbeck eine kongolesische Familie in ihrer Erdgeschosswohnung von AnwohnerInnen angegriffen. Die AngreiferInnen zerschlugen die Fensterscheibe, und konnten nur davon abgehalten werden die Wohnungstür einzutreten, indem der Vater der Familie einen Kühlschrank vor diese schob. Während die AnwohnerInnen gewaltsam versuchten in die Wohnung einzudringen, applaudierten weitere NachbarInnen. Dieser Vorfall stellte den Höhepunkt alltäglicher Schikanen dar. Die von der Familie selbst herbeigerufene Polizei erstattete Anzeige gegen einen 42jährigen Nachbarn wegen Volksverhetzung. Kurz nach dem Abrücken der Polizei sammelte sich der Mob der rassistischen AnwohnerInnen erneut und "pöbelte" lautstark auf der Straße vor der Wohnung der KongolesInnen.
Am 21. September wurde aufgrund der nunmehr lebensbedrohlichen Umstände ein Umzug organisiert. Auch bei dieser Gelegenheit, ließen die BewohnerInnen der Zinkstraße es sich nicht nehmen, ihren Hass gegenüber Familie und UmzugshelferInnen zu zeigen. Sie pöbelten auf der Strasse und behinderten durch Handgreiflichkeiten den Umzug. Dabei taten sich neben einigen Jugendlichen besonders die benachbarten Hausfrauen und Mütter hervor, die samt ihren Kindern unverhohlen ihrem Rassismus freien Lauf ließen und so die Stimmung weiter anheizten. Auch an dem Tag des Umzugs nahm die Polizei drei alkoholisierte Jugendliche fest. Die Situation spitzte sich zu, als immer mehr Menschen zusammen kamen um dem rassistischen Spektakel ihre Zustimmung zu geben. UmzugshelferInnen der Familie wurden mit Messern von Jugendlichen bedroht und ihnen wurde durch die Mütter, die ausschließlich in Sorge um das Wohlergehen ihrer deutschen Kinder waren, körperliche Gewalt angedroht.
Borbeck, einschließlich angrenzender Stadtteile wie Bergeborbeck, Frintrop und Dellwig, hat sich nicht erst in den letzten Jahren zu einer Hochburg für Nazis und ihr Anhängsel gewandelt. Gerade bei Heimspielen des Fußballvereins Rot-Weiß-Essen wird Borbeck aufgrund des rechten Hoolspektrums zur "no-go-area" für MigrantInnen und Linke. Borbeck ist eins von vielen mehr als deutlichen Beispielen für das Zusammenwirken jugendlicher Nazis, die ihren Hass gegen 'AusländerInnen', Linke und anderen nicht in ihr Weltbild passende Leute brutal in die Tat umsetzen, und einem bürgerlichen Mob, der diese Situation durch offen zur Schau gestellten Rassismus unterstützt. Das alljährliche Marktfest in Borbeck am jeweils letzten Augustwochenende, ist ein Tummelplatz der Essener Naziszene, die in Einvernehmen mit der ortsansässigen Bevölkerung an den Bierständen steht, und 'AusländerInnen', Linken und Homosexuellen die Möglichkeit nimmt, sich an diesen Wochenenden in der Borbecker Einkaufsstrasse aufzuhalten. Aber nicht nur zu solchen Feierlichkeiten, sondern nahezu an jedem Wochentag finden Übergriffe gegen Menschen in Borbeck statt, die nicht ins Weltbild der RassistInnen passen.

Nur einen Monat nach den Übergriffen in der Zinkstrasse kam es in Algermissen, einem Dorf in der Nähe von Hannover, zu pogromartigen Ausschreitungen der AnwohnerInnen gegen die BewohnerInnen der städtischen Flüchtlingsunterkunft.

Von offizieller Seite drückt sich rassistische Diskriminierung, den dumpfen Rassismus des Pöbels kaschierend, in der Einteilung nach volkswirtschaftlicher Notwendigkeit- in solche die dem Standort nützen und solche die uns ausnutzen- aus. Also eine Transformation des Rassismus die suggeriert, dass von der alten "Alle Raus!" Mentalität zugunsten einer absolut rationalen Argumentation Abschied genommen wurde, und damit den Rassismus auf die Höhe des neoliberalen Zeitgeistes brachte.
Aber ob sich die EssenerInnen in der Zinkstrasse auch Gedanken über diese rationale Klassifizierung gemacht haben oder einfach nur ihrem Ressentiment gegen das ‚Fremde' freien Lauf ließen und somit zum rechten, außerparlamentarischen Arm des staatlichen Rassismus wurden?
Anständig und deutsch, wie die Aufständigen vom Sommer 2000, waren ihre Opfer, die kongolesische Familie, auf jeden Fall nicht- sonst hätten sie sich hervorragend in die Szenerie der Einfamilienhäuser von Anstand und Trostlosigkeit eingefügt. Ein Bild das im Ruhrgebiet in jeder Stadt zu finden ist, und Ereignisse, die sich genau so überall hätten ereignen können und ereignen wie beispielsweise in Algermissen, oder Rostock, Sebnitz, Bernsdorf.
Wenn auch die Dimensionen der Ausschreitungen in diesen Beispielen sich von den Vorkommnissen in Essen deutlich abheben, ist hier ein roter Faden aufzuzeigen der sich durch alle diese Beispiele zieht. Die TäterInnen waren nicht der stereotype, glatzköpfige Mob , sondern ganz normale Biedermänner von nebenan mit ihrem paramilitärischen Arm, in Person von jugendlichen Nachwuchs-Nazis.
Hier vollzieht sich der pathologische Wahn dieser ‚autoritären Rebellen', jenen aufständigen Subjekten die gegen ihre eigene Überflüssigkeit und Vereinzelung in Orten wie Essen-Borbeck rebellieren, indem sie gegen die Feinde ihrer Identifikationsinstanz, dem deutschen Kollektiv, vorgehen und ihren Rassismus vor der eigenen Haustür exerzieren. Die eigene Negativität dieser Vorstadtzombies wird, trotz aller Formen der Selbstüberwachung, nicht bei sich selbst, sondern am als Bedrohung empfundenen Fremden bekämpft.
Was wir hier sehen ist kein als singulär zu betrachtendes Phänomen, es ist Ausdruck einer Kontinuität von Ressentiments die sich in Deutschland auf unheimliche Weise immer wieder gegen Außenseiter der 'Volksgemeinschaft', oder harmloser ausgedrückt, der Zivilgesellschaft richten. Wie universell dieses Feindbild angewendet werden kann zeigte sich an Sebnitz, als das Rassistendorf selbst dem übrigen Deutschland zum Hassobjekt wurde. Damals ging es auch um den Anstand, den die SebnitzerInnen in den Augen des zivilisierten Deutschlands durch ihre Form von Eigeninitiative allerdings nicht mehr gewahrt hatten, um dessen Bild im Ausland man sich aber Sorgen machte. Die SebnitzerInnen ihrerseits waren ebenfalls beschäftigt eine Bedrohung abzuwehren. Nur in ihrer Perspektive von außen, durch Presse, Polizei und anreisende AntifaschistInnen. Man sah sich als Opfer eines Komplotts gegen ‚ihr Dorf', gegen ‚ihre Heimat'.
Die Selbststilisierung in eine Opferrolle folgt immer dann, wenn die ‚Schicksalsgemeinschaft der Deutschen' ihrem Wahn wieder Ausdruck verleiht. Es ist der selbe Mund, aus dem man sich nach millionenfachem Mord der Shoa über deutsche Bombenopfer und Vertriebenenschicksale empört, aus dem auch gebetsmühlenartig "Bei uns gibt es doch gar keine Nazis" zu hören ist. Durch die kollektive Abwehr und Abgrenzung gegen das ‚nicht-Nützliche', parasitäre Fremde, Zersetzende konstituiert sich in Deutschland Gemeinschaft und Zusammenhalt. Die unbescholtenen BürgerInnen, die sich wie an diesem 21. September in eingeschworener Loyalität mit den Straßennazis befanden, haben auch soweit recht, wenn sie sich selbst nicht als Nazis bezeichnen. Sie sind keine Nazis, sie sind bloß ganz normale Deutsche.

DO THE RIGHT THING
Wir gehen nicht nach Borbeck um denjenigen, die unsere Demonstration als Störung ihres Bedürfnisses nach Ruhe sehen etwas mitzuteilen, sondern richten uns gegen diejenigen, welche in einem rassistischen Alltag ihre Ruhe finden. Wir demonstrieren gegen die rassistischen BürgerInnen und ihre Kinder, die in Borbeck vorzugsweise als Nazis eingekleidet herumlaufen, linke Jugendliche terrorisieren und Ausländer vertreiben.
Wir demonstrieren in Essen, eine der größten Städte Deutschlands, wo linke, antifaschistische Strukturen nahezu nicht vorhanden sind. Ein Grund mehr zu zeigen, dass Menschen vor Ort, die nicht mit dem rassistischen, deutschen Bild konform sind und Angst haben müssen, in der S-Bahn oder auf offener Straße als AusländerInnen, Homosexuelle oder Linke attackiert zu werden , nicht alleingelassen sind in einer Welt, die hier im Ruhrgebiet so alles andere als lebenswert ist. Dabei suchen wir nicht ein Forum zum Mitmachen für die radikale Linke, die bereitwillig bei der Gleichzeitigkeit von Toleranzgefasel und Strafbedürfnis der Deutschen in Form von ‚anständigen Aufständen' mitmischt, und dieser konservativen Revolte weitgehend einhellig hinterhergetrottet ist, um sich damit am Kampf um das Copyright der besseren Deutschen zu beteiligen. Vielmehr sind Ansätze zu finden, um in Zeiten in denen die Linke in einem Zustand ständigem Verfalls steht, vor Ort direkte Gegenwehr gegen RassistInnen und Nazis zu organisieren, aber vor allem dieses Projekt in klarer Abgrenzung von staatlichem Antifaschismus zu sehen.
Antifaschismus bedeutet, sich konsequent gegen Nazis und den deutschen Mob zu stellen, anstatt moralisch aufzuklären und an das Rechtsbewusstsein der Nation zu appellieren, um damit einen Beitrag zur Befriedung des Elends zu bieten. Dieser Realität eben keinen Frieden zu gönnen heißt, wie in Sebnitz oder Bernsdorf, mit der Nadel ins Wespennest zu stechen. Antifaschismus muss gegen die volksgemeinschaftliche Einigkeit gehen und die Ruhe stören, welche in Essen-Borbeck die Voraussetzung für die Pogromstimmung vom 21. September gewesen ist. Eine Stimmung die sich genauso gut Unruhestifter wie Nazigangs vorknüpfen kann, im nächsten Augenblick sich dann gegen eine geplante forensische Klinik, wie in Herne oder Herten, Sozialhilfeempfänger, Russenmafia oder eben die kongolesische Familie von gegenüber richtet, nur davon abhängig, wer im diesem Moment die heile Welt ihrer Volksgemeinschaft stört. Das mögen Fälle sein, die objektiv nichts miteinander zu tun haben scheinen, aber ein Blick auf den Alltag in Deutschland verdeutlicht den gemeinsamen Charakter als ekelhafte, rassistische und antisemitische Realität, in der die Sinnlosigkeit der Frage nach dem Unterschied zwischen dem Volkszorn deutscher Zivilgesellschaft und bekennendem rechten Rand offenbar wird.

AUF NACH BORBECK!
KEIN FRIEDE DEN DEUTSCHEN ZUSTÄNDEN! RASSISMUS BEKÄMPFEN!


Demonstration am Sa. 08.02.2003 | 12Uhr in Essen-Borbeck, Treffpunkt am Bahnhof.

 

29.01.2003
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