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Venezuela: Wie die Eliten sich selber bestreiken

Im folgenden ein Text, der den "Ausstand" in Venezuela ein wenig anders
betrachtet als die hiesigen Medien...!

Venezuela - Wie die Eliten sich selber bestreiken

Dario Azzelini

Medien produzieren virtuellen Notstand. Doch die Situation stablisiert
sich dank einer beispiellosen Mobilisierung der Armen, die "ihre
Regierung" verteidigt.

Während die venezolanischen Medien, die mehrheitlich von der rechten
Opposition kontrolliert werden, ein Bild eines sich nähernden Kollapses
des Landes zeichnen, normalisiert sich die Versorgungs- und
Produktionssituation zunehmend. Die Fernsehanstalten schrecken bei ihren
Manipulationen vor nichts zurück. Ein Video, dass die privaten
TV-Anstalten als Beweis für die Verantwortung der Regierung für die drei
Toten eines Schusswaffenanschlags am Samstag zeigten, erwies sich als
Fälschung. Die Aufzeichnung sollte den Schützen mit hohen Vertretern des
Regierungsbündnisses zeigen. Der betreffende Schütze reiste jedoch erst
nach dem Aufnahmezeitpunkt nach Venezuela ein.

Derweil ließ der zweifache venezolanische Präsident Carlos Andres Perez,
der für die Niederschlagung der Armutsrevolte 1989 mit tausenden von
Toten verantwortlich war und im Hintergrund die Fäden der Putschisten
zieht, aus dem Exil wissen, es sei "keine friedliche Lösung mehr möglich
(...) es wird einen militärischen Ausgang als einzig möglichen geben".

Tatsächlich setzt die Opposition mittlerweile alles auf eine derartige
Zuspitzung der Situation, dass die sogenannte "demokratische Charta" der
Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Kraft tritt, gemäß derer
eine militärische Intervention zur "Wiederherstellung der Demokratie"
gutgeheißen werden kann. Der Präsident der OAS, der ehemalige
kolumbianische Präsident Cásar Gaviria, der sich als vermeintlicher
Vermittler zwischen Regierung und Opposition seit Ende November in
Venezuela aufhält, hat sich am Montag offen auf die Seite der
Putschisten geschlagen und in einer von privaten TV-Anstalten
ausgesendeten Rede die Polizei zum Einschreiten gegen die
bolivarianischen Demonstranten aufgefordert.

In diesem Kontext kündigten die Abgeordneten der Opposition auch an
nicht mehr an den Sitzungen der Nationalversammlung teilzunehmen.
Angesichts der medialen Inszenierung eines Notstandes, bis hin zu
offenen Aufrufen putschistischer Militärs zur Gewalt gegen Chavez und
seine Anhänger über die oppositionellen TV-Sender, führen Anhänger der
bolivarianischen Revolution seit Montag Kundgebungen vor allen
Oppositionsmedien durch und fordern diese auf "die Wahrheit zu
erzählen". Von Chavez hingegen wollen sie, dass er diesen Sendern
Lizenzen entzieht. Laut der privaten TV-Sender sollen Chavisten auch
einen Sender der Opposition verwüstet haben, fraglich ist nur, warum es
davon keinerlei Fernsehaufnahmen gibt, sondern nur von den bereits
verwüsteten Anlagen.

Die Opposition führte hingegen eine Kundgebung vor der staatlichen
Fernsehanstalt VTV durch, aus der heraus mehrere Schüsse auf das Gebäude
abgegeben wurden. Anschliessend versammelten sich Tausende von Anhängern
der Revolution beim Sender, um ihn zu schützen
Aktiv am Streik beteiligen sich vor allem transnationale Konzerne und
Ketten wie McDonalds und Wendys, sowie einige Banken. Die
Milchabfüllanlage der italienischen Parmalat wurde von Arbeitern und
Chavisten besetzt und wieder in Betrieb genommen, nachdem sich die
Betriebsleitung geweigert hatte, angelieferte Milch aufzukaufen und die
Arbeit deshalb eingestellt worden ist. Ebenso erging es in den
vergangenen Tagen zahlreichen anderen Fabriken, darunter auch der
Abfüllerei von Pepsi Cola.

Der Streik konzentriert sich ohnehin nahezu vollständig auf die
Hauptstadt. Er ist eindeutig vom ersten Tag an eklatant fehlgeschlagen.
Flughäfen, Häfen, kleine und mittlere Betriebe sowie Geschäfte haben -
bis auf einige große Einkaufszentren und Läden in reichen Stadtteilen -
regulär geöffnet. Die oberen Klassen bestreiken sich also nur selbst.
Auch der Nahverkehr und die Überlandbusse arbeiteten reibungslos. Die
U-Bahn in Caracas funktioniert weiterhin regulär. Francisco Torrealba,
Vorsitzender der Metroarbeiter-Gewerkschaft von Caracas (Sitramenca)
sagte, es habe nur zwei kurzzeitige Unterbrechungen bei zwei Linien
aufgrund von Sabotageakten gegeben.

Sichergestellt ist auch die Lebensmittelversorgung - ganz im Gegensatz
zu den Meldungen der Presse, die durch Meldungen über
Versorgungsengpässe versucht, Panikstimmung zu erzeugen. Selbst der
Großmarkt von Caracas funktioniert und hat sich nie dem Streik
angeschlossen.
Die Universitäten in den verschiedenen Provinzstädten Venezuelas
funktionieren normal. In der Universität von Caracas (UCV), wo in den
vergangenen Tagen immer wieder linke Studenten und Professoren von
oppositionellen Organisationen bedroht wurden, beschloss der
Universitätsrat, weiterhin normal zu öffnen. Es gelang, die
oppositionellen Provokateure vom Universitätsgelände zu werfen. Der
Orinoco, die wichtigste Wasserstrasse des Landes, ist ohne Probleme
navigierbar, da die Wasserpolizei und dortigen Marineeinheiten loyal zur
Verfassung stehen.

In verschiedenen Regionen und Städten versuchen oppositionelle
Bürgermeister und Gouverneure mit bisher wenig Erfolg, Geschäfte und
Unternehmen zum Streik zu zwingen. Sie setzen Polizeieinheiten gegen die
regierungstreue Bevölkerung ein. Die Blockade innerhalb der
Erdölgesellschaft PDVSA ist ebenfalls kein Arbeiterausstand, sondern
eine Arbeitsverweigerung der Unternehmenseliten, die das Unternehmen
durch ihre enormen Gehälter und die maßlose Korruption zum
unproduktivsten Erdölunternehmen der Welt gemacht haben. Im Ausstand
befinden sich die Unternehmensleitung, einige Kapitäne der Öltanker,
einige Ingenieure und Teile des oberen Verwaltungsapparats; da diese
Kräfte auch aktiv die computergesteuerten Anlagen sabotieren, sind die
Folgen teilweise beträchtlich.

Die Treibstoffversorgung im Land ist sicher gestellt. Während die
transnationalen Erdölkonzerne Mobil Oil, Shell und BP ihr
Tankstellennetz geschlossen haben, funktionieren alle Tankstellen der
staatlichen PDV. In Caracas, wo sich das Zentrum der oppositionellen
Proteste befindet, werden die Tankstellen von der Nationalgarde bewacht,
während sie außerhalb der Hauptstadt ohnehin in Betrieb sind.

Seit die von tausenden von Menschen unterstützte Armee am Wochenende die
Kontrolle über die Erdölraffininerien und Exportzentren übernommen hat,
normalisiert sich die Situation auch dort wieder. Dies entgegen den
Pressemeldungen, die einen Kollaps in Kürze vorhersagen. Gesucht wird
aber vor allem hochqualifiziertes Personal, das für die Saboteure
einspringen kann. Die Raffinerie in Yagua zum Beispiel wird., wie viele
andere, von 6.000 Menschen geschützt, während die Tanklaster der PDVSA
für die Benzinversorgung im Land abgefüllt werden und ausfahren. Gewisse
Subunternehmen, die mit der gleichen Aufgabe betraut sind, haben ihren
Fahrern verboten, zur Arbeit zu gehen. Sie stellen ihre Tanklaster nicht
zur Verfügung. Bei Zuwiderhandlung droht Entlassung. Die Gewerkschaft
der Tanklasterfahrer kündigte an, die Versorgung der Hauptstadt sei zu
100 Prozent sichergestellt, da 120 Fahrer regulär ihren Dienst leisten
würden.

Die Vereinigung der Seeleute der kolumbianischen Handelsmarine und
Fischereiflotte Unimpescol bot mittlerweile der Regierung Chavez ihre
Unterstützung an, um die sich verweigernden Kapitäne und Offiziere der
Tanker und Handelsschiffe zu ersetzen. Bisher haben auch schon drei
Kapitäne aus dem Ausland ihren Dienst auf venezolanischen Tankern
angetreten. Bis auf die Kapitäne der Öltanker streikt allerdings niemand
auf den Schiffen, in einigen Fällen "meuterte" die Besatzung sogar gegen
den eigenen, die Arbeit verweigernden Kapitän.

Indes nehmen terroristische Aktionen der vermeintlich demokratischen
Opposition stetig zu. Anwohner meldeten, dass oppositionelle Miltärs von
der Plaza Altamira auf ein vorbeifahrendes Auto geschossen hätten.
Oppositionelle haben einen Milchtransporter verbrannt. Andere wurden
angehalten und die Milch abgelassen. Auf das Auto des Ministers für Land
und Landwirtschaft wurde mehrmals geschossen, die Karosserie an der
Stelle, an der er normalerweise sitzt, durchsiebt. Doch er hatte den
Wagen wenige Minuten vorher verlassen. Ebenso wurden auf sein Büro im
Ministerium mehrere Salven abgegeben. Dabei wurden zwei Personen
verletzt. Im Nationalen Institut für Fluss- und Kanalschifffahrt brach -
wahrscheinlich durch Brandstiftung - ein Feuer aus. Als am Dienstag
morgen Unbekannte das Feuer auf den Personaleingang des
Erziehungsministerium eröffneten, kam ein Angehöriger der Nationalgarde
ums Leben, der sich in einem Auto davor befand.

Die Plaza Altamira, auf der sich seit Wochen die am Putsch beteiligten
Militärs, unterstützt von einigen Hundert Anhängern, sammeln, war am
Montag Abend leer. Die Galionsfiguren der Ultrarechten, vom
Gewerkschafter Carlos Ortega bis zu den putschistischen Generälen, haben
seit einigen Tagen keine öffentlichen Auftritte mehr gehabt. Es wird
bereits spekuliert, sie würden versuchen, das Land zu verlassen. Allein
das Gerücht führte dazu, dass sich hunderte Anhänger der
"bolivarianischen Revolution" zum Flughafen von Caracas begaben, um dies
zu verhindern.

Nach einer Woche tätlichen Angriffen und Einschüchterungen gegen
Anhänger der Revolution in den besser gestellten Stadtvierteln, scheint
sich das Blatt so weit gewendet zu haben, dass es heute auch in
bürgerlichen Städten zu Kundgebungen für die Regierung kommt. Die
Reaktion der Bevölkerung ist diesmal wesentlicher stärker und
organisierter, als sie es noch beim vergangenen Putsch im April gewesen
war. Zugleich hat die Kampagne der Opposition stets offenere
rechtsradikale und rassistische Ausprägungen.

Die Armen, die am Dienstag nach tagelangen bewaffneten Angriffen der
Opposition auf ihre Wohngebiete, wieder begannen, zu Zehntausenden von
den Slums auf den Hängen rund um Caracas in die Hauptstadt zu kommen, um
"ihre Regierung" zu verteidigen, sind diesmal zu allem entschlossen.
"Wir wollten sehen, wie weit sie gehen", so ein Demonstrant, "aber wenn
sie Chavez stürzen, entfesseln sie einen Bürgerkrieg". Präsident Hugo
Chavez hat zur allgemeinen Mobilisierung der Bevölkerung gegen den
erneuten Putschversuch aufgerufen. Im ganzen Land sind Millionen von
Menschen unterwegs, demonstrieren ihre Unterstützung für die Regierung,
besetzen Fabriken, schützen Institutionen und versuchen eine Eskalation
zu verhindern.

Dennoch ist keine Entspannung angesagt, denn es ist unklar welchen
Trumpf die Opposition noch aus dem Ärmel zieht. Sie haben alles auf eine
Karte gesetzt und scheinen verloren zu haben. Das kann auch zu extremen
Verzweiflungstaten führen.

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12.12.2002
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