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Berlin: Bisherige und zukünftige Tote

AMEN ACAS KATE ! Wir bleiben hier! Punkt!!!
Gruppe Berlin

WIR,
BERLINER ROMAFLÜCHTLINGE AUS JUGOSLAWIEN,
haben heute, am Sonntag, dem 8.12.2002, um 11.00 Uhr,
VOR DEM WILLY-BRANDT-HAUS
(Parteizentrale SPD,Wilhelmstraße 141, 10963 Berlin-Kreuzberg)
unserer bisherigen und zukünftigen Toten gedacht.


Aus der Innenministerkonferenz am 5./6.12. in Bremen ist keine Entscheidung
bekannt geworden, dass wir vor Abschiebungen nach Jugoslawien, nach Serbien
geschützt werden.

Wir mussten daher nicht nur unserer bisherigen, sondern auch unserer zukünftigen
Toten gedenken. Solange wir das noch können.

Immerhin konnten wir die Öffentlichkeit auf unsere Situation auferksam machen.
In den Medien wurde über die Besetzung der PDS-Zentrale in Berlin durch "Amen
acas kate" berichtet, über die Besetzungen der Büros der Grünen und der SPD in
Nordrhein-Westfalen. Unser Eindringen bei den Grünen im berliner
Abgeordnetenhaus fand nicht nur im arte-Fernsehen Beachtung. Frau Lötzsch (PDS)
hat auf uns am gleichen Tage im Bundestag aufmerksam gemacht, Frau Beer sich
heute auf dem Parteitag der Grünen gegen die Abschiebung von
Bürgerkriegsflüchtlingen - wie uns - ausgesprochen

Wir danken denen, die sich dafür einsetzen, dass in Zukunft weniger von uns
sterben werden.

Wir haben keine Wahl!
Amen acas kate! Wir bleiben hier! Punkt!!!


ERGÄNZUNGEN:
- Einige Romaflüchtlinge, die sterben werden
- Gedenkrede Slobodan Savic vom 08.12.2002

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ERGÄNZUNG 1:

EINIGE ROMAFLÜCHTLINGE, DIE STERBEN WERDEN

Diese unserer kranken Menschen werden nach einer Abschiebung mit Sicherheit
sterben, weil ihre Behandlung in Jugoslawien nicht verfügbar oder bezahlbar ist.
Sie wurden alle bereits zur Ausreise aufgefordert. Da sie nicht "freiwillig"
ausgereist sind, müssen sie jetzt mit zwangsweiser Abschiebung rechnen.

Das Auswärtige Amt informiert deutsche Touristen unter "Reisehinweise" für
Jugoslawien:
"Selbst Krankenhäuser verfügen nicht über ausreichend Medikamente und sind
häufig nicht in der Lage, selbst Notfall-Patienten angemessen medizinisch zu
versorgen."

Es werden daher nicht überleben:
- J.R.: Schwerer Herzinfarkt, Zentralarterienverschluss rechtes Auge, schwere
Coronarsklerose; bei Unterbrechung der Behandlung: völlige Erblindung und
lebensbedrohliche Herzinsuffizienz
- S.A.: Depression mit Suizidgefahr
- E.D., 11 Jahre: ausgebrochener Systemischer Lupus erythematodes (SLE - eine
schubweise verlaufende, chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung), schreitet
unbehandelt schnell fort, bis Tod durch Nieren- und/oder Herzversagen eintritt;
bei optimaler Behandlung 70% Überlebensrate nach 5 Jahren; Zwillingsschwester
ebenfalls erste Anzeichen SLE
- S.J.: Nach Myokardinfarkt schwere Herzerkrankung, PTCA der RCA, PTBS:
ununterbrochene Therapie lebensnotwendig
- R.K.: 2 Hirnschläge vor einem halben Jahr, insulinpflichtiger Diabetes,
herzkrank: ohne medizinische Versorgung vital gefährdet
- S.S.: durch Tuberkulose zerstört: ganzer linker Lungenflügel, Großteil rechts;
schwerste Bronchiektasie, dringend operationsbedürftig, schwere Begleitrisiken
- C.A.: schwere Depression, 2. Selbstmordversuch, mit Lebensgefahr ins
Krankenhaus eingeliefert
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ERGÄNZUNG 2:
Slobodan Savic "AMEN ACAS KATE" - Gruppe Berlin
Rede zum 8.12.2002
"WIR GEDENKEN UNSERER BISHERIGEN UND ZUKÜNFTIGEN TOTEN"

Heute ist der 8. Dezember. Für uns ist das ein Tag des Todes, ein Tag des Todes
aus Deutschland. An diesem Tag im Jahr 1938 hat Heinrich Himmler angeordnet,
dass "die Zigeunerfrage, aus dem Wesen der Rasse heraus, zu lösen" sei.
Das bedeutete, dass auch für alle Roma und Cinti die sogenannte Endlösung
vorgesehen war. Auch in Jugoslawien wurden unsere Roma systematisch ermordet,
durch deutsche Nazis oder mit Billigung der deutschen Nazis. Das Morden an Juden
und Roma dauerte bei uns Jahre. Der deutsche Militärbefehlshaber für Serbien
stellte im März 1943 fest: "Die Juden- und Zigeunerfrage ist gelöst."
Wir sind Nachkommen der Überlebenden. Aber wir wissen, wie viele unserer
Menschen getötet wurden.
WIR GEDENKEN DER DURCH DIE NAZIS GETÖTETETEN ROMA.

In Jugoslawien haben wir friedlich gelebt. Wir haben nicht immer gut gelebt,
aber wir konnten uns manchmal etwas erarbeiten. Wir wurden auch damals
diskriminiert, aber es war wenigstens offiziell nicht akzeptiert.
Dann brach Jugoslawien auseinander und die Kriege begannen. Es gab Krieg in
Kroatien, es gab Krieg in Bosnien, es gab Krieg in Kosovo, es gab Krieg mit der
NATO, es gab Krieg in Mazedonien. An jedem dieser Kriege war Serbien direkt oder
indirekt beteiligt.
Jede Volksgruppe versuchte, sich ein eigenes Gebiet zu erkämpfen. Nur die Roma
nicht.
Die Kriege dauerten zusammen fast so lange wie das Nazi-Reich. Auch in diesen
Kriegen starben unsere Menschen.
WIR GEDENKEN DER IN DEN JUGOSLAWISCHEN KRIEGEN GETÖTETEN ROMA.

Vor jedem der jugoslawischen Kriege flohen auch unsere Menschen. Ein Teil kam
nach Deutschland. Das war auch ein Beweis unseres Vertrauens in das jetzige,
demokratische Deutschland. Viele von uns sind jetzt zehn Jahre hier. Andere sind
später geflüchtet.
Es war hier sehr viel besser als im Krieg in Jugoslawien. Aber es war kein
Paradies:
- Wir mussten in Heimen wohnen und durften keine normale Wohnung mieten.
- Wir durften Berlin nicht verlassen, sonst wurden wir bestraft.
- Wir bekamen weniger Sozialhilfe als Deutsche. Und die bekommen schon nicht
genug.
Es war nicht unser Wunsch so zu leben. Wir hätten unsere Familien gerne durch
Arbeit ernährt. Wir durften nicht arbeiten. Wir haben keine Arbeitserlaubnis
bekommen.
Trotzdem haben wir alles ertragen. Denn eine Heimat, in die wir zurückkehren
können, haben wir nicht mehr. Wir haben alles ertragen in der Hoffnung, dass uns
irgendwann ein Bleiberecht gegeben wird. Eben weil wir keine Heimat haben.
Die offiziellen Kriege in Jugoslawien sind zu Ende. Das wird uns gesagt. Der
stille Krieg gegen uns Roma geht in Jugoslawien weiter. Das sagen wir.
Und trotzdem sollen wir jetzt alle abgeschoben werden. Für uns Roma aus Serbien
gilt keine "Altfallregelung" wie für andere Flüchtlinge.
So müssen wir jeden Tag Angst haben, Angst vor Abschiebung.
Manche haben diese Angst nicht ausgehalten. Sie haben sich verbrannt oder
Tabletten geschluckt, um zu sterben. Die Behörden sagen dazu: Sie wollen sich
"der Abschiebung entziehen".
WIR GEDENKEN DER ROMA, DIE SICH AUS ANGST VOR ABSCHIEBUNG IN DEN TOD
FLÜCHTEN.

Unsere Angst ist so groß, weil wir wissen, was uns in Jugoslawien, in Serbien,
erwartet:
Nicht nur haben wir alles, was wir in Jugoslawien hatten, verloren: unsere
Häuschen und Häuser, unsere Arbeit, unsere Autos, und viele Menschen.
Einige unserer Menschen werden dort mit tödlicher Sicherheit sterben. Sie sind
schwer krank und werden dort nicht behandelt. Das Wenige, was es in
Krankenhäusern gibt, bekommen wir Roma nicht. Und unsere Menschen haben das Geld
nicht, das man braucht, um Ärzte mit Bestechung dazu zu bringen unsere Kranken
zu behandeln und Medikamente zu bezahlen.
Bei anderen ist es eine Frage der Zeit, wen und wann es trifft. Wir machen uns
ganz besonders Sorgen um unsere Kinder.
Die übrigen müssen - in Anführungszeichen: nur - Hunger, Obdachlosigkeit, Kälte
und tagtägliche Diskriminierung fürchten.
WIR GEDENKEN UNSERER MENSCHEN, DIE IN DEN TOD ABGESCHOBEN WERDEN.

Wenn wir hier nicht nur unserer bisherigen, sondern auch unserer zukünftigen
Toten gedenken, so mögen das manche makaber finden. Es trifft aber die
Wirklichkeit, in der wir leben müssen.
Wir gedenken hier und heute unserer Toten, weil wir das hier und heute noch tun
können.
Wir haben vieler Toter zu gedenken. Wir fordern von der verantwortlichen
Politikern alles zu tun, damit es nicht noch mehr Tote werden.

DESHALB: WIR HABEN KEINE WAHL! AMEN ACAS KATE !
PUNKT!!!

 

08.12.2002
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