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Algermissen: Offener Brief an die Initiatoren/innen der "Algermissener Resolution"


Anmerkung: Gemeindevertreter/innen aus CDU und SPD sowie Vertreter der evangelischen und der katholischen Kirche in Algermissen trafen sich am Freitag letzter Woche am Runden Tisch und verabschiedeten im Anschluss eine Resolution, in der die rassistischen Überfälle auf das "Schlichthaus" in Algermissen unmissverständlich verurteilt wurden (s. HAZ vom 7.9.2002). Allerdings enthielt die Resolution gleichzeitig einige Behauptungen und Deutungen, die zu Empörung bei Flüchtlingsverbänden und Betroffenen führten, die zu dem "Runden Tisch" am letzten Freitag von Gemeindedirektor Faubel ausdrücklich ausgeladen worden waren. Der nachfolgende "offene Brief" ist eine Reaktion darauf.

Offener Brief

An die Initiatoren der Resolution: "Algermissen ist weltoffen und tolerant"

Wir begrüßen, dass Sie sich als GemeindevertreterInnen deutlich für ein "menschliches, weltoffenes und tolerantes Algermissen" ausgesprochen haben und die rassistischen Überfälleauf die Flüchtlingsunterkunft im "Schlichthaus" verurteilen. Allerdings enthält Ihre Resolution auch einige Behauptungen und Deutungen, die uns empören und die wir so nicht akzeptieren können. Dies entwertet in unseren Augen Ihr Bekenntnis und diskreditiert die positive Absicht, die Sie vermutlich verfolgen. Ihre Resolution ist u.E. eher geeignet, den Rassismus, der alltägliche Realität ist, zu verdrängen und zu verharmlosen, als ihm wirkungsvoll entgegenzutreten. Dies wird insbesondere in den Passagen deutlich, in denen Sie direkte oder indirekte Schuldzuweisungen vornehmen.

* Sie behaupten, die Täter seien "von auswärts" nach Algermissen gekommen und nur "einzelne Algermissener" hätten sich beteiligt. Wie kommen Sie dazu, die Täter primär auswärts zu suchen und lediglich einzelne Algermisser als Mitläufer darzustellen? Abgesehen davon, dass die Polizei in ihrer Stellungnahme ausdrücklich festgestellt hat, dass die Hauptbeteiligten an dem Pogrom aus Algermissen kamen (HAZ vom 7.9.), hilft es wenig, das Problem anderen Gemeinden zuzuschieben. Wir haben den Eindruck, Sie sorgen sich mehr um den guten Ruf und den Namen Ihrer Gemeinde als darum, dass eine gründliche Sachaufklärung vorgenommen und die rassistischen Handlungen in Algermissen kritisch aufgearbeitet werden.

* Neben auswärtigen Tätern machen Sie auch den Landkreis Hildesheim verantwortlich, weil er Ihrer Gemeinde 18 Flüchtlinge zugewiesen habe. Sie schreiben, dies führe angeblich "fast zwangsläufig zu negativen Vorkommnissen". Es erscheint uns mehr als zynisch, wenn Sie die Anwesenheit von Flüchtlingen im Dorf zur Ursache der Angriffe erklären. Damit stützen Sie zumindest indirekt die Logik der Täter, die in der bloßen Gegenwart von Flüchtlingen schon ein Problem sehen, und verwischen den Unterschied zwischen Tätern und Opfern. Im Übrigen stellen die Flüchtlinge ganze 0,3% der Algermissener Bevölkerung dar -- hört hier schon ihre Weltoffenheit und Toleranz auf?

Kein Wort verlieren Sie dagegen z.B. über die Integrationsdefizite, die sich auch die Gemeinde Algermissen zuschreiben lassen muss: Warum wurden alle 18 Flüchtlinge in einem einzigen Haus -- unter äußerst prekären Bedingungen -- untergebracht? Warum wurden nicht spätestens nach den rassistischen Wandschmierereien und Bedrohungen, die sich schon in den vorangegangenen Wochen und Monaten ereignet haben, zumindest einfachste Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Betroffenen ergriffen? Warum hat die Gemeinde bisher keine Angebote an die Flüchtlinge gemacht, um sie in das Gemeindeleben zu integrieren? Und welche Maßnahmen oder Angebote an die deutsche Bevölkerung gab es, um ein "friedliches Zusammenleben" und gegenseitiges Verständnis zu fördern?

* In Ihrer Resolution beklagen Sie "Selbstjustiz" und appellieren an "alle Beteiligten (sich) an die Gesetze und Gepflogenheiten beispielsweise des respektvollen Umgangs zwischen Mann und Frau" zu halten. Diese Formulierung zielt offenkundig auf den Vorwurf der sexuellen Belästigung, den die rassistischen Täter zu Unrecht gegen die Bewohner des Schlichthauses erhoben haben. Dabei hat die Polizei ausdrücklich erklärt, dass an diesem Fall "wahrscheinlich keiner der belagerten Bewohner" beteiligt war. Wenn Sie dennoch ohne Anlass einen "respektvollen Umgang zwischen Mann und Frau" anmahnen, reproduzieren Sie damit nicht nur ein rassistisches Klischee, sondern suggerieren auch, dass die Motive der Täter nachvollziehbar und berechtigt waren.

* Schlussendlich: Wir vermissen konkrete Konsequenzen aus Ihrem Bekenntnis zu Weltoffenheit und Toleranz. Ihr Appell an ein "gemeinsames Miteinander" bleibt deklaratorisch. Warum haben Sie uns von dem runden Tisch, der Ihre Resolution verabschiedet hat, ausdrücklich ausgeschlossen? Warum haben Sie die Flüchtlinge statt dessen weiter unter Druck gesetzt und in der Öffentlichkeit fälschlicherweise behauptet, sie hätten jetzt keine Angst mehr und fühlten sich sicher in Algermissen? Wir fragen Sie: Wie weit reicht Ihre Bereitschaft, der postulierten Weltoffenheit und Toleranz auch einen interkulturellen Dialog folgen zu lassen?

gez.

Sutharsan Arunakiri, ehem. Bewohner des "Schlichthauses"

Wajeed Meera Mohideen, ehem. Bewohner des "Schlichthauses"

Ramesh Palanivel, ehem. Bewohner des "Schlichthauses"

Chandran Markandu ehem. Bewohner des "Schlichthauses"

Pramilla Nandakumar, Vorstandsmitglied des Asyl e.V. Hildesheim

Justus Reuleaux, Vorstandsmitglied des Asyl e.V. Hildesheim

Kai Weber, Geschäftsführer des Niedersächsischen Flüchtlingsrats

Timmo Scherenberg, Mitarbeiter des Niedersächsischen Flüchtlingsrats

 

10.09.2002
Betroffene des Pogroms und UnterstuetzerInnen   [Aktuelles zum Thema: Antirassismus]  Zurück zur Übersicht

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