nadir start
 
initiativ periodika archiv adressbuch kampagnen aktuell

Algermissen bei Hildesheim: Rassistischer Mob greift 2 Tage lang Flüchtlingsunterkunft an

Bereits am Samstag wurde eine Gruppe von vier Tamilen von einer Horde von etwa 20 deutschen Jugendlichen, darunter 4 Skinheads, auf dem Schützenfest angegriffen. Die Flüchtlinge wurden umzingelt, beschimpft und angepöbelt. Eine gaffende Menge sah die-sem Schauspiel zu, ohne einzugreifen. Das Gerücht von einer versuchten sexuelle Nöti-gung, das laut HAZ vom 3.9.2002 der Anlass für die Überfälle darstellte, war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht aufgekommen. Die Flüchtlinge flohen zurück in ihre Unterkunft, wurden jedoch von der Gruppe verfolgt und mehrfach geschlagen. Ein Flüchtling erlitt eine Verletzung am Arm, ein zweiter eine Platzwunde am Hinterkopf, die im Krankenhaus ge-näht werden musste. Die zu Hilfe gerufene Polizei schützte die Flüchtlinge vor weiteren Übergriffen, nahm jedoch keine Personalien der Täter auf. Lediglich die Personalien der betroffenen Flüchtlinge wurden registriert. Danach verließ die Polizei zunächst den Ort.

Nachdem die Polizei weg war, kamen die Täter zurück und zerschlugen mehrere Schei-ben der Unterkunft mit Stühlen. Ein Tamile wurde durch einen Glassplitter im Auge ge-troffen. Von der erneut gerufenen Polizei verlangten die Bewohner nunmehr ultimativ eine Unterbringung in einer anderen Unterkunft, was von der Polizei jedoch abgelehnt wurde. Wenigstens wurde das Gebäude über Nacht von der Polizei bewacht.

Am Sonntagabend überfielen gegen 21 Uhr etwa 50, teils mit Eisenstangen bewaffnete Schützenfestbesucher erneut die Unterkunft, diesmal unter Bezugnahme auf einen an-geblichen Versuch sexueller Nötigung durch einen der Flüchtlinge. Uns liegen zu dem Vorfall keine weiteren Informationen vor. Offenkundig diente dieser Vorwurf jedoch der Bestätigung und Verfestigung bereits vorhandener rassistischer Vorurteile und Stereoty-pen. Diesmal handelte es sich nicht nur um Jugendliche, sondern um erwachsene Dorf-bewohner, die lauthals rassistische Parolen grölten. Einige Personen drangen in die – nicht abschließbare - Flüchtlingsunterkunft ein, zertrümmerten eine Zwischentür und ver-suchten, auch die abgeschlossenen Zimmertüren aufzubrechen, hinter die sich die in Angst und Schrecken versetzten Bewohner geflüchtet hatten. Auch als die Polizei eintraf, ließen sie nicht von ihrem Tun ab, sondern schlugen weiter gegen die Tür. Sie blieben mehr als eine Stunde im Haus. Die Polizei sah sich nicht in der Lage, zu den um Hilfe ru-fenen Flüchtlingen in den ersten Stock zu kommen. Aus der Menge wurde die Polizei auf-gefordert zu verschwinden und angegriffen, eine Person wurde daraufhin festgenommen. Erst nach mehr als einer Stunde verschwanden die Angreifer. Die Polizei sah nun keinen anderen Ausweg mehr, als die tamilischen Flüchtlinge in eine andere Unterkunft zu eva-kuieren.

Nach Recherchen des Hildesheimer Vereins „Asyl e.V.“ sowie des Niedersächsischen Flüchtlingsrats sind den Angriffen vom Wochenende bereits mehrere rassistischen Über-fälle vorausgegangen: Vor 5-6 Monaten wurde ein Tamile vor seinem Zimmer ins Gesicht geschlagen und erstattete Anzeige gegen den Täter. Vor drei Monaten wurden sämtliche Wände innerhalb der Flüchtlingsunterkunft mit rassistischen und rechtsradikalen Parolen sowie Hakenkreuzen besprüht, welche die Gemeinde beseitigen ließ, offenbar ohne Strafanzeige zu stellen. Vor 2,5 Monaten wurden tamilische Flüchtlinge von einem Mann, der einen in der Flüchtlingsunterkunft lebenden deutschen Obdachlosen besuchte, mit ei-ner Gaspistole aufgefordert, „ins Haus“ zu gehen. Ständig hat es nach Aussage der tami-lischen Flüchtlinge Drohungen und Beschimpfungen durch Besucher dieses Obdachlosen gegeben, die offensichtlich ungehindert in der Unterkunft ein- und ausgehen konnten.

Der Niedersächsische Flüchtlingsrat und der Flüchtlingshilfeverein „Asyl e.V.“ fordern eine sofortige Festnahme und strafrechtliche Verfolgung der Täter, die den betroffenen Flücht-lingen teilweise bekannt sind. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Flüchtlinge vertrieben werden, während die Täter nach wie vor frei herum laufen. Schärfstens kritisieren wir die unsäglichen Verharmlosungen durch den Gemeindedirektor und die Polizei: Offenkundig haben sich bereits mehrere rassistische Übergriffe in Algermissen ereignet, bevor es zu dem Überfall vom Wochenende kam. Wenn der Gemeindedirektor behauptet, es gäbe „keine ausländerfeindlichen Gruppen“ in Algermissen, so entspricht dies offenkundig nicht der Realität. Auch erscheint uns schleierhaft, warum die Polizei keinen „rechtsradikalen Hintergrund“ zu erkennen vermag. Für unerträglich halten wir es schließlich, wenn ein Mit-arbeiter der Ausländerbehörde nach einer Unterbringung außerhalb von Algermissen mit der Bemerkung kommentiert, die Betroffenen könnten ja „zurück nach Sri Lanka“ gehen. Die betroffenen Opfer haben Anspruch auf unseren Schutz und unsere Solidarität. Sie dürfen nicht erneut zwangsweise nach Algermissen geschickt werden.

 

04.09.2002
nfr / indymedia   [Aktuelles zum Thema: Antirassismus]  Zurück zur Übersicht

Zurück zur Übersicht