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Berlin: Kongress | "Die Anschläge, Ursachen und Folgen" [ 6.-8. September 2002]

Ein Kongress vom 6. bis zum 8. September 2002
Kongressort: Technische Universität Berlin (Mathegebäude)

Nach dem 11. September 2001 ist nichts mehr so, wie es war. So lautete zumindest die beliebteste Phrase nach den Anschlägen in New York und Washington. Was hat sich tatsächlich verändert, wie lässt sich die Lage ein Jahr danach beschreiben? Dieser Frage will der Kongress nachgehen und bestimmen, wie eine emanzipatorische Bewegung darauf reagieren könnte. Diskutiert werden sollen auf der einen Seite die Ideologien und Stärken der islamistischen Bewegungen. Auf anderen Seite soll untersucht werden, welche Ziele mit dem ėKrieg gegen den Terror" verfolgt werden und welche Konsequenzen er hat.

Freitag, 6. September:
19-22 Uhr Auftaktdiskussion:
Linker Antiimperialismus nach dem 11. September
Revival oder Bankrott?

Bernd Beier (Redakteur Jungle World), Bernhard Schmid (Journalist, Paris), Joachim Rohloff (Autor, Berlin), Günther Jacob (Autor, Hamburg). Moderation: Anton Landgraf (Redakteur Jungle World)

Der Behauptung mit den Anschlägen auf die USA habe sich alles verändert, setzte ein Teil der Linken einen Rückgriff auf alte antiimperialistische Positionen entgegen. Sie distanzieren sich zwar von dem reaktionären politischen Islam, doch letztlich habe die Politik der USA die Anschläge provoziert. Jetzt dienten die Anschläge der einzigen Weltmacht nur als Anlass, um ihre imperialistische Politik zu legitimieren. Aufgabe einer linken Kritik sei es, die materiellen Interessen aufzuzeigen, die hinter der Parole "Krieg gegen den Terrorismus" stehen Pipelines, Rohstoffe und Einflusssphären. Andere betrachten Al Qaida als militärische Avantgarde eines islamischen Faschismus. Der traditionelle Antiimperialismus sei nicht mehr adäquat, um die Entwicklung zu verstehen. Schon gar nicht ließen sich die Anschläge als Teil eines irgendwie positiven Aufbegehrens gegen den weltweiten Kapitalismus verstehen. Die Islamisten richteten sich vielmehr gegen eine als jüdisch dominiert halluzinierte USA, die ihnen nicht als führende kapitalistische Macht verhasst ist, sondern als Symbol eines gottlosen globalen Liberalismus.

Die Auftaktdiskussion soll die Reaktionen auf den 11.9. in der Linken resümieren und mit dem Abstand von einem Jahr bewerten. Wie kann eine Position zwischen einen antisemitisch konnotierten Antiimperialismus, der die USA letztlich selbst für die Anschläge verantwortlich macht und dem Lob westlicher Zivilität oder der Forderung nach härterem militärischen Vorgehen gegen die Islamisten aussehen?

Samstag, 7. September:
9:30 Uhr
Die islamistische Ideologie

Matthias Küntzel (Journalist, Hamburg), Hazem Saghiya (Kolumnist der Zeitung Al-Hayat, London), Jochen Müller (iz3w, Freiburg), Claudia Dantschke (Journalistin, Berlin), Moderation: Götz Nordbruch (Memri)

Lange vor den Anschlägen in den USA gewannen islamistische Gruppierungen in den arabischen und islamischen Ländern an Einfluss. Zu einem Thema für die breite Öffentlichkeit und die Linke wurde Islamismus erst mit dem 11. September 2001. Die Anschläge und anschließenden Erklärungen aus dem Umfeld der al-Qaida stehen nur für die extremste Form islamistischer Ideologie. Die Programmatik sowohl der Hamas als auch des Islamischen Djihads ähneln den Statements Bin Ladens. Jenseits realer Opfer - und deren Nationalität und Religion - wendete sich der Angriff auf das WTC gegen ein Objekt, welches im Bewusstsein der Täter ein Symbol der angeblichen amerikanisch-jüdischen Herrschaft ist. Die wahnsinnige Tat ist konsequenter Ausdruck der dahinter stehenden Ideologie, die nicht nur in kleinen islamistischen Zirkeln Anklang findet.

Die Analyse dieser Ideologie ist das Thema des Panels. Wo lässt sie sich zwischen völkischem Denken und religiösem Extremismus, zwischen Befreiungsnationalismus und Vernichtungsabsicht einordnen? Welche sind ihre zentralen Bestandteile, und in welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Gibt es einen Zusammenhang zwischen den religiösen Grundlagen des Islams und dem Islamismus, oder speist sich diese moderne Ideologie vor allem aus Anleihen aus Antiimperialismus und europäischem Antisemitismus?

Samstag, 7. September:
13 Uhr:
Der Nahostkonflikt nach dem 11. September

Eyal Zisser (Historiker, Universität Tel Aviv), Sylke Tempel (Journalistin, Berlin), Amr Hamzawy (Politikwissenschaftler, Berlin). Moderation: Stefan Vogt (Jungle World)

Einige Kommentatoren glaubten nach dem 11. September, der Aufbau einer Anti-Terror-Allianz durch die USA könne zu einer Deeskalation des palästinensisch-israelischen Konflikts beitragen. Die Serie von Selbstmordanschlägen und das verschärfte Vorgehen der israelischen Armee in den palästinensischen Autonomiegebieten in den Monaten nach den Anschlägen weist in die umgekehrte Richtung.

In Israel wurde der 11. September als Bestätigung der existenziellen Bedrohung gesehen, die von den islamistischen Bewegungen ausgeht. Folgerichtig sieht die israelische Regierung ihre harte Politik als Teil des Kampfs gegen den Terror. In den arabischen Ländern bestärkten die Anschläge und die anschließende militärische Intervention in Afghanistan eine Entwicklung, die bereits während des zweiten Golfkrieges an den Fundamenten der gesellschaftlichen und politischen Ordnung der arabischen Länder gerüttelt hatte. Die als moderat gefeierten Regime stehen mehr denn je vor dem Problem, auf den zunehmenden öffentlichen Druck reagieren zu müssen und gleichzeitig den Bündnispflichten gegenüber den USA und - im Falle Ägyptens und Jordaniens - Israels gerecht zu werden. Im Konflikt zwischen finanziellen und militärischen Abhängigkeiten von den USA und dem Widerstand der Öffentlichkeit gegen zu starke Bindungen an den Westen und die Normalisierung der Beziehungen zu Israel bedienten die Anschläge in New York und Washington die antiamerikanischen Ressentiments der Straße. Die Sympathiebekundungen für Bin Laden in diversen arabischen Medien richteten sich dabei immer häufiger auch gegen die eigenen Regierungen. Mit der absehbaren Intervention im Irak ist eine Eskalation des Konfliktes zwischen Regime und Öffentlichkeit auch in den moderateren Ländern zu befürchten.

Wie lassen sich diese Veränderungen in der politischen Landschaft der Region nach den Anschlägen beschreiben? Wie haben sich die Strukturen des israelisch-palästinensischen und des israelisch-arabischen Konflikts nach dem 11. September verändert? Führt die Suche der USA nach arabischen Bündnispartnern für einen Krieg gegen den Irak zu einer Gefährdung Israels oder bieten sich Chancen, die Sicherheit der Israelis langfristig zu verbessern?

Samstag, 7. September:
16 Uhr
Der Afghanistan Krieg und der mögliche Angriff auf den Irak:
Kabul befreit? Bagdad noch nicht?

Vertreterin der RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan, Islamabad), Jörn Schulz (Redakteur Jungle World), Aras Fatah (Journalist, Frankfurt/M.), Hazem Saghiya (Kolumnist der Zeitung Al-Hayat, London). Moderation: Mirjam Gläser (Memri)

Afghanistan war nach dem 11. September der erste Schauplatz des ėKriegs gegen den Terror". Nach monatelangem Bombardement mit tausenden zivilen Toten waren die Taliban entmachtet. In Kabul regiert, von der Loya Jirga bestätigt, die Regierung Karzai, große Teile des Landes werden nach wie vor von Warlords beherrscht. ėDie Frauen Afghanistans sind nicht befreit worden", erklärt die Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans (RAWA).

Bei einem Angriff auf den Irak hätten es die USA schwerer, Bündnispartner zu finden, die europäischen Verbündeten verfolgen offen eigene Interessen und die Regierungen in den anderen arabischen Ländern fürchten eine Solidarisierung der Bevölkerung mit dem Irak. Bisher lehnt auch die innerirakische Opposition einen Militärschlag ab, sie setzt auf einen Aufstand der Bevölkerung gegen Saddam Hussein. So fordert z.B. der oppositionelle Dachverband Iraqi National Congress (INC) von den USA vor allem Unterstützung bei der Ausbildung irakischer Kräfte, die zu einem Umsturz fähig sind.

Aufgabe des Panels ist es, die Ziele und konkreten Ergebnisse des von den USA geführten ėKriegs gegen den Terror" in Afghanistan zu diskutieren und Konsequenzen für den angekündigten Schlag gegen den Irak zu ziehen.

Bringt die Intervention in Afghanistan nur neue ėMonster" hervor? Oder ist eine Befriedung unter westlicher Hegemonie, eine Stabilisierung im Zeichen kapitalistischer Interessen möglich, die mehr Ansatzpunkte für emanzipatorischer Politik bietet als eine Zukunft unter islamistischen Warlords? Sind in Afghanistan mit falschen Gründen die richtigen Feinde bekämpft worden? Wie muss die Angriffsdrohung gegen den Irak bewertet werden?

Samstag, 7. September:
19-22 Uhr
Antiamerikanismus und Antisemitismus in Deutschland und Europa

Ralf Schröder (Autor, Aachen), Yoram Kaniuk (Schriftsteller, Tel Aviv), Michael Hahn (Autor, Freiburg), Marco Bascetta (Il Manifesto, Rom). Moderation: Stefan Wirner (Jungle World)

Nach dem 11. September versprach Bundeskanzler Gerhard Schröder den USA ėuneingeschränkte Solidarität" in ihrem Kampf gegen den Terror. Gleichzeitig warnten Politiker aus allen Parteien die USA vor unüberlegten Aktionen. Bei den Kriegsvorbereitungen gegen den Irak gibt sich die Bundesregierung als Bremser, schickt aber ABC-Abwehrpanzer nach Kuwait. Nach den ersten Solidaritätsbekundungen dominierte in der europäischen Öffentlichkeit die Warnung vor dem Unilateralismus der ėBush-Krieger" (Spiegel) und Schröder setzt inzwischen setzt Schröder auf den deutschen Weg. Gleichzeitig erlebt Europa eine Welle antisemitischer Aktionen. In Frankreich werden Juden und Synagogen angegriffen, in Deutschland warb Jürgen Möllemann mit Verbalattakten gegen Juden um Wählerstimmen. In den Nachbetrachtungen zum 11.September wurden immer wieder die Anschläge in den USA mit der Politik Israels in Verbindung gebracht.

In der Diskussion soll bestimmt werden, welche Bedeutung hat Antiamerikanismus und Antisemitismus in Europa und insbesondere in Deutschland. Welche Rolle spielt Antiamerikanismus in der Rezeption des 11. September in der Öffentlichkeit? Welchen Einfluss hat er auf die Politik der europäischen Regierungen?

Sonntag, 8. September:
10:30-12 Uhr
Elfter September. Innere Sicherheit und Rassismus
Feindbild Islam - Neuer Rassismus in Europa?

Udo Wolter (Publizist, Berlin), Oliver Tolmein (Publizist, Weinheim), Manuela Bojadzijev (Kanak Attak, Frankfurt, angefragt), Michael Kiefer (Islamwissenschaftler, Düsseldorf). Moderation: Ivo Bozic (Jungle World)

Der "Krieg gegen den Terror" findet auch im Inland statt. In den USA wurden Sondergesetze erlassen, um mutmaßliche ausländische Terroristen schneller aufzuspüren. In Deutschland sucht die Polizei per Rasterfahndung nach verdächtigen arabischen Gaststudenten, in den so genannten Antiterrorpaketen wurden die Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten erheblich erweitert.

Gleichzeitig nehmen die Ressentiments gegen die "Fremden" in der Bevölkerung zu. Rechtsextreme Politiker wie Pim Fortuyn in den Niederlanden oder Le Pen in Frankreich setzen auf rassistische Parolen und haben damit Erfolg. Die amtierenden Regierungen reagieren darauf, indem sie die populistischen Forderungen übernehmen.

Wie reagiert eine antirassistische Politik auf diese Entwicklung? Und wie grenzen sich linke Gruppen von einem kulturalistischen Antiislamismus ab, ohne dabei die reaktionären Implikationen des politischen Islams zu ignorieren?

Sonntag, 8. September:
13-16 Uhr Abschlussdiskussion:
Alles neu macht der September?
Imperalismus, Empire, Neue Weltordnung

Günther Jacob (Autor, Hamburg), Katja Diefenbach (Autorin, Berlin), Heiner Möller (Autor, Hamburg, angefragt), Marco Bascetta (Il Manifesto, Rom), Michael Hahn (Autor, Freiburg). Moderation: Ferdinand Muggenthaler (Jungle World)

Kein Ende der Geschichte, keine Friedensdividende, stattdessen drohen am Anfang des 21. Jahrhunderts neue Kriege: Indien und Pakistan bringen ihre Atomraketen in Stellung, islamistische Terroristen kündigen Anschläge mit bislang ungeahntem Ausmaß an und beschwören Israels Vernichtung, die EU bemüht sich um eigene militärische Schlagkraft und die USA rüsten gegen Raketenangriffe. Des nächste große Ziel des ėKriegs gegen den Terror" soll der Irak sein. Doch die USA haben Schwierigkeiten ihre arabischen Bündnispartner bei der Stange zu halten und auch die europäischen Alliierten kündigen eigene Wege an.

Wodurch sind die weltweiten Verhältnisse geprägt, in welchen Begriffen sind sie zu fassen? Sind wir auf dem Weg zu einer Weltinnenpolitik, in der mächtige Staatenbündnisse gegen internationale Terrororganisation vorgehen und einzelne Nationalstaaten an Bedeutung verlieren? Oder erleben wir ein Revival des Imperialismus, in dem um Einflusszonen und Ressourcen gekämpft wird, und der einzig verbliebenen Supermacht USA in einem von Deutschland dominierten Europa eine ernsthafte Konkurrenz erwächst?

Der Kongress wird veranstaltet von Memri (  http://www.memri.de ), Der Zeitschrift iz3w (  http://www.iz3w.org/iz3w/ ), dem AStA der TU  http://autos.cs.tu-berlin.de/studis/asta/ und der Wochenzeitung Jungle World (  http://www.jungle-world.com/ )

Unterstützt von: Netzwerk Selbsthilfe e.V.:  http://www.netzwerk-selbsthilfe.de/
Das Jahr danach. Ein Mail-Magazin Spezial von Stories & Texte  http://www.storiestexte.20m.com/spezial-9-11-new.htm
Internationaler Treffpunkt Berlin e.V. (ITB e.V.) AStA der FU:  http://beam.to/astafu/

Eintritt: Gesamter Kongress (3 Tage): 12 Euro
Tageskarte Freitag: 4 Euro
Tageskarte Samstag: 7 Euro
Samstagabend: 4 Euro
Tageskarte Sonntag: 5 Euro
Abschlussdiskussion: 4 Euro

Links und Literaturhinweise:

Disko-Serie in der Jungle-World zu Imperialismus:
Martin Krauß: Das letzte Studium des Kapitalismus
Alexander Schudy: Antiimps gegen Antiemps
Michael Heinrich: Radikale Kurzschlüsse
Rainer Trampert: Realer Imperialismus und Mythenbildungen
Felix Kurz: Multitude aller Länder
Elfriede Müller: Die Revolution neu denken
Bernhard Schmid: Totgesagte leben länger

Günther Jacob: Manhattan Transfer

Thomas Schmidinger: Koranschule I - Export und Hopp

Götz Nordbruch: Koranschule II - Teuflische Feinde

Eyal Zisser: Hizbullah Attacks: Motives and Implications Kurzbiografie

Sylke Tempel:
Israel ist unser Unglück
Warum die Debatte um die Äußerungen von Jürgen W. Möllemann nicht beendet ist

Michael Kiefer: Antisemitismus in den islamischen Gesellschaften, Der Palästina-Konflikt und der Transfer eines Feindbildes

Hazem Saghiya:
The Arabs and Antisemitism
Egypt's Political Culture

Oliver Tolmein: Vom Deutschen Herbst zum 11. September, konkret Literaturverlag, 2002

Udo Wolter: Das obskure Subjekt der Begierde, Unrast Verlag, 2001

 

25.08.2002
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