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                        Hamburg: Lesung und Diskussion | Madjiguène Cissé und der Kampf der Sans Papiers 
						 
                          Madjiguène wird am Donnerstag, dem 1. August, um 20 Uhr in der
 "Buchhandlung im Schanzenviertel" (Schulterblatt 55, 20357 Hamburg) zu Gast sein, aus dem Buch lesen und für eine
 Diskussion zur Verfügung stehen. 
 Weiter unten findet ihr einen Kurztext zur Veranstaltung mit Madjiguène
 sowie eine Buchrezension, die vor drei Jahren nach dem Erscheinen der
 französischen Originalausgabe im "Freitag" erschienen ist. 
 Bei Bedarf könnt ihr ein kleines (digitales) Foto von ihr bei mir
 anfordern oder ein - in der Qualität besseres - Foto von einer
 Demonstration der Sans Papiers in Paris. 
 
 Die Bewegung der Sans Papiers in Frankreich
 Lesung mit Madjiguène Cissé
 »Aus dem Schatten treten« - so bezeichnen die llegalisierten in
 Frankreich ihren Aufbruch. 1996 wurde in Paris die erste Kirche besetzt
 und die Bewegung der Sans Papiers breitete sich in kürzester Zeit in
 ganz Frankreich aus. Geschickt und hartnäckig entfaltete sie
 Aktivitäten, die immer wieder in die Schlagzeilen kamen und in der
 französischen Gesellschaft eine ungeahnte Unterstützung fanden. So
 gelang ihr der Brückenschlag zu den sozialen Bewegungen der Arbeitslosen
 und Obdachlosen und zu Gewerkschaften. 
 Madjiguène Cissé, im Senegal geboren, Studium u.a. in Deutschland, wurde
 1996 zur Sprecherin der Sans Papiers gewählt, sie erhielt im Dezember
 1998 die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für
 Menschenrechte. Den beispielhaften Kampf der Sans Papiers beschreibt sie
 als Teil ihrer eigenen Biographie in der ersten Person - und als
 politische Chronologie auf einem neuem Terrain: der erste noch
 unvollendete Versuch kämpferischer Selbstorganisation von
 Illegalisierten für gleiche Rechte im neuen Europa. 
 »An der Schwelle zum 3. Jahrtausend macht die Aktion der Sans Papiers in
 Frankreich die großen internationalen Wanderungsbewegungen zum Thema. 
 Wir kommen zum großen Teil aus Ländern des sogenannten Südens, deren
 Ökonomien Jahrhunderte lang ausgeplündert wurden und die heute durch die
 Strukturanpassungs-programme von Weltbank und IWF paralysiert werden.
 Unser Kampf hier, in einem Land, das zum Norden zählt, setzt die Frage
 nach den Nord-Süd-Beziehungen, nach der Verteilung des planetaren
 Reichtums, auf die Tagesordnung.«
 Donnerstag, 1. August, 20 Uhr, Buchhandlung im Schanzenviertel
 Madjiguène Cissé liest aus ihrer Autobiografie: 
 Papiere für alle. Die Bewegung der Sans Papiers in Frankreich, 224
 Seiten, 16 Euro, ISBN 3-935936-14-1, Verlag Assoziation A,
 Berlin-Hamburg-Göttingen 2002 
  
 Dina Shaked: Die Frauen wollen durchhalten - Madjiguène Cissé, die erste
 Sprecherin der Bewegung der "Sans Papiers", beschreibt den Kampf von
 MigrantInnen in Frankreich 
 Für die in der Altstadt von Dakar, Senegal, geborene Madjiguène Cissé
 ist es überhaupt nicht ungewöhnlich, dass eine Frau an der Spitze der
 Bewegung der "Sans papiers" steht. In Afrika, schreibt sie, hätten
 Frauen trotz der patriarchalischen Gesellschaften immer einen besonderen
 Status gehabt, weil sie für die Beschaffung von Nahrung zuständig sind.
 Haushaltsvorstand zu sein, erfordert von Menschen, die ums alltägliche
 Überleben kämpfen müssen, also von Unterdrückten besondere Zähigkeit,
 Engagement und Verantwortungssinn. Vor allem in Krisenzeiten ist es eine
 starke Rolle. Madjiguène Cissé, die Sprecherin der Bewegung der
 Illegalisierten in Frankreich, glaubt, dass die in "Sans papiers"
 organisierten Frauen sich dieses Bewusstsein und Selbstverständnis in
 oder trotz der Migration nach Europa bewahrt hätten. Dieses aus der
 traditionellen Frauenrolle kommende Selbstbewusstsein habe sich gegen
 die aus Erziehung und Abhängigkeiten resultierende Schüchternheit der
 Frauen durchgesetzt und die Zusammenhalt verbürgenden Frauen zu
 Sprecherinnen der einzelnen Gruppen gemacht. Es sei nicht verwunderlich,
 dass es Frauen waren, die im Sommer 1996 weitermachten, als die Bewegung
 in der Krise war und viele Männer aufgeben wollten. 
 Die Autorin des Buchs "Die Bewegung der Sans Papiers" ist selbst das
 beste Beispiel für die Frauenpower, die aus dem Süden nach Europa kommt,
 der aber Rechte verweigert werden. Ihre Mutter war Analphabetin, ihr
 Vater, ein Busfahrer, ebenfalls, aber er brachte sich später selbst
 Lesen und Schreiben sei. 1968, im neunten Schuljahr, nahm Madjiguène
 Cissé in Dakar an Schulstreiks teil und ging in Schülerinnendemos auf
 die Straße. Später an der Universität erlebte sie noch die Endphase der
 Studentenbewegung. Zwei Jahre studierte sie mit einem Stipendium in
 Saarbrücken, ging dann zurück nach Dakar, heiratete und kam 1994 zurück
 nach Europa, weil sie ihren beiden Töchtern ein Studium in Paris
 ermöglichen wollte. Wie viele Einwanderinnen sah sie in Frankreich ein
 liberales Land, die Heimat der Menschenrechte. Sie hoffte, dort gut für
 sich und ihre Familie sorgen zu können. Zunächst hatte sie Papiere,
 arbeitete und nahm erneut ein Studium auf - bis sie durch
 Gesetzesänderungen ihren legalen Status verlor. Seither schlägt sie sich
 mit Jobs durch. Ursprünglich hatte sie in den Senegal zurückkehren
 wollen, sobald ihre Töchter sich eingelebt hätten. Aber die Gewalt, mit
 der der französische Staat in ihr Leben einbrach, veranlasste sie, zu
 bleiben und sich zu wehren. Die vitale, schlagfertige Frau wurde gleich
 zu Beginn 1996 zur nationalen Sprecherin der "Sans papiers" gewählt (bis
 1998). 
 In ihrem Buch analysiert Cissé Gründe für Migration, beschreibt den Weg
 vieler vom Dorf in die Stadt, die Fahrt weniger in ein anderes
 afrikanisches Land und schließlich die Reise einer sehr kleinen Gruppe
 nach Europa, nach Frankreich. Sie widerlegt damit auch, dass man sauber
 zwischen wirtschaftlichen und politischen Gründen für Migration
 unterscheiden könne. Den Interessen der MigrantInnen entgegen setzt sie
 die Beschreibung der restriktiven Entwicklung der französischen
 Einwanderungsgesetzgebung nach 1945. 1974, nach der Ölkrise, wurde die
 Arbeitsmigration für beendet erklärt. Cissé zeigt, wohin es führte, dass
 Innenminister Pasqua 1993 alle Nichtfranzosen in Frankreich als Feinde
 der öffentlichen Ordnung brandmarkte. 
 Die "Sans papiers", die sich ihrer Illegalisierung widersetzen, sind
 über Frankreichs Grenzen hinaus erfolgreich und berühmt geworden, auch
 wenn ihre zentrale Forderung bis heute nicht erfüllt wurde. Allerdings
 hat die Bewegung erreicht, dass Teile der französischen Gesellschaft sie
 unterstützen, was wiederum auch daran lag, dass die "Sans papiers" nie
 das staatliche Etikett der Außenseiter annahmen, sondern sich immer als
 Teil der soziopolitischen Geschichte Frankreichs verstanden und
 präsentierten. Sie sehen sich als Teil der französischen
 Arbeiterbewegung, als ihren rechtlosesten. Während die Gewerkschaften
 bei den Streiks der 80er Jahre noch "die Nordafrikaner" ausgegrenzt
 hatten, kämpfen sie seit 1996 gemeinsam und füreinander. Die "Sans
 papiers" solidarisierten sich darüber hinaus mit anderen sozialen
 Bewegungen, mit Arbeits- und Obdachlosen. 
 Die Bewegung der Illegalisierten behauptete sich, indem sie den
 Korruptionsversuchen französischer Beamter widerstand, einzelne zu
 legalisieren, um andere auszuweisen. Cissé beschreibt den Alltag ohne zu
 idealisieren: Besetzungen, Räumungen, Gefängnisaufenthalte,
 Hungerstreiks, Demonstrationen, Schikanen, Enttäuschungen und Erfolge,
 Entbehrungen und Durchhaltevermögen, Organisationstalent und die
 Notwendigkeit permanenter Präsenz. 
 Sich nicht im Geist der Integration und der Gemeinsamkeit irritieren,
 sich nicht auseinander-dividieren zu lassen, dieses Prinzip, mit dem
 Frauen in Krisenzeiten immer wieder Klein- und Großfamilien zusammen-
 und am Leben erhalten, wurde von den "Sans papiers" zur erfolgreichen
 politischen Strategie ausgeweitet. Diese Geisteshaltung ist auch die
 Klammer des Buches - und bezeichnend für das Wesen seiner Autorin ist,
 dass sie eigens Chinesisch lernte, um eine aus China stammende, wegen
 mangelnder Französischkenntnisse isolierte Gruppe innerhalb der Sans
 papiers zu integrieren.
 (Die Besprechung erschien im Freitag, am 26. November 1999) 
						 
	                      
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