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Marburg: Kein Verbindungsfest in Marburg!

Marktfrühschoppen? Trinkt Wurstwasser, Burschen!
Auch dieses Jahr wird wieder in Marburg am ersten Sonntag im Juli (7.7) der
Marktfrühschoppen der Marburger Studentenverbindungen (Korporationen) stattfinden.
Eine grundsätzliche Kritik am Korporationswesen tut not.

Traditionell? wird dieser Frühschoppen seit 50 Jahren gefeiert. Korporierte
fast aller Couleur standen gemeinsam mit Marburger BürgerInnen auf dem Markt
und kippten sich zu Blasmusik und völkischen Gesängen Bier in den Hals. Lange
Jahre wurden die Verbindungen schriftlich eingeladen, ihnen Tische
reserviert und jede Verbindung einzeln namentlich begrüßt. Die Korporierten
dominierten den Frühschoppen mit ihren Uniformen und ihrem Verhalten: Trinkrituale,
nationalistische Reden und Gesänge und die Dominanz weißer, deutscher Männer.
Und so wurde unterschiedslos allen Verbindungen ein Forum geboten für ihr
Elitebewusstsein, Nationalchauvinismus und das Lebensbundprinzip. Seit einigen
Jahren ist das einträchtige Nebeneinander von rechtsextremen Burschenschaften,
angeblich ?liberalen? Verbindungen und ?unpolitischen? BürgerInnen nicht mehr
so, wie es immer war. Denn plötzlich störte antifaschistische Kritik dieses
Treiben und große Aufregung verbreitete sich. Infolgedessen ändert der
Marktfrühschoppen alljährlich sein Gesicht in Details und behält doch all` das bei,
was ihn ausmacht - er ist eine Feierlichkeit der Korporierten. Selbst
Minimalforderungen wie z.B. die explizite Ausladung der rechten ?Deutschen
Burschenschaft? oder die Ergänzung des Festes durch ?Multi-Kulti? sind für die
Verantwortlichen zuviel.

Warum der Marktfrühschoppen weg muss
Der Marktfrühschoppen eignet sich, eine grundgrundsätzliche Kritik am
Korporationswesen zu formulieren: Kritik an rechten Tendenzen bei Teilen der
Korporierten ist richtig, trifft aber beim Marktfrühschoppen nicht den Kern. Denn
hier treffen sich eben nicht nur rechtsextreme Burschenschaften, sondern die
gesamte Breite des Korporationswesens. Und bei allen Verbindungen sind
kritikwürdige Aspekte zu finden: Hierarchien und das Lebensbundprinzip,
männerbündische Strukturen, eine konservative Grundeinstellung und unhinterfragte
Traditionen.
Zwar sind solche Elemente auch bei anderen gesellschaftlichen Gruppen zu
finden, sie treten jedoch bei Studentenverbindungen deutlicher hervor und
entfalten eine besondere politische und gesellschaftliche Wirkungsmächtigkeit, da
diese mit dem Anspruch auftreten, zukünftige Eliten herauszubilden. Durch
Protektionsmechanismen der Verbindungen (d.h. ?Verbandsbrüder? in führende
Stellungen von Politik, Wirtschaft und Verwaltung entsenden) wird dieser Anspruch
in die Realität umgesetzt. Der ehemalige Bundesinnenminister Manfred Kanther
(CDU), Mitglied des Marburger Corps Guestphalia et Suevoborussia sagte, er
sähe den Sinn einer Verbindung heute darin, ?auch weiterhin national gesinnte
Menschen in alle führenden Berufe unserer Gesellschaft zu entsenden?.

Hierarchien & Lebensbund
Füxe, Burschen, Alte Herren - das sind die Hierarchien in allen
Verbindungen. Vor allem die Rolle der Alten Herren als ?Geldgeber? bedeutet eine
exponierte Stellung für diese innerhalb der Verbindungen. Durch die finanzielle
Förderung und die Hoffnung auf Protektion werden Abhängigkeiten geschaffen und die
Möglichkeit für Kritik an Ideologie und Verhalten der Alten Herren
eingeschränkt. Immer wieder gibt es Konflikte innerhalb von Korporationen zwischen
Aktivitas und Alten Herren, die im Zweifel zugunsten der Alten Herren
entschieden wurden, bzw. werden. Auch das korporierte ?Lebensbund-Prinzip?, die
Lebensgemeinschaft von jung und alt, macht eine kritische Auseinandersetzung mit der
Vergangenheit innerhalb von Korporationen schwierig oder unmöglich, weil
Anpassung angestrebt wird. Daraus ergeben sich weitgehende personelle und v.a.
ideologische Kontinuitäten.

Männerbund
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann sich die hierarchisch
konzipierte Ideologie des Geschlechterantagonismus auszuformen: Es entstand ein
immer stärker männliche und weibliche Stereotype festschreibendes
Rollenverständnis. Mit dem Verweis auf eine angebliche ?natürliche Bestimmung? der
Geschlechter wurde so männlich und weiblich strikt getrennt und den Begriffen
bestimmte Verhaltensmuster zugeschrieben. Männlich wurde immer stärker durch
martialisch-heroische Züge geprägt. Parallel zu dieser Diskussion um die
Geschlechterpolarität stand auch die Entwicklung der burschenschaftlichen Bewegung.
Waren die Verbindungen zu dieser Zeit ganz selbstverständlich reine
Männerverbindungen - Frauen war der Zugang zu den Universitäten noch verwehrt - so
entwickelten sich den Vorstellungen entsprechende Verhaltensweisen und Rituale:
Schlüsselbegriffe dafür waren ?Ehre?, ?Mut?, ?Kameradschaft?, ?Wehrhaftigkeit?,
?Patriotismus?. Diese werden bis heute ebenso gepflegt wie spezifische
Formen studentischen Brauchtums: Körperlich-männliche Härtetests und
Tauglichkeitsprüfungen (z.B. Mensur und Trinkrituale), mit denen die ?Neuen? Härte
demonstrieren, die eigenen Grenzen und vermeintlich ?weibliche? Charakterzüge wie
Emotionalität und Schwäche überwinden und negieren sollen. Der Soziologe und
Philosoph Theodor W. Adorno hat derartige Gebräuche als ?eine unmittelbare
Vorform der nationalsozialistischen Gewalttat? definiert.

?Dualismus? der Geschlechter
Da die Herrschaftsordnung im 19. Jahrhundert den Ausschluss von Frauen aus
der Öffentlichkeit sicherte, war eine explizit männerbündische Legitimation
für die eigene Organisationsform nicht notwendig. Erst als zum Ende des 19. /
Anfang des 20. Jahrhunderts die bis dahin festgefügte Herrschaftsordnung durch
Modernisierungsprozesse und die sie begleitenden Emanzipationsbewegungen
(Frauen- und ArbeiterInnenbewegung) massiven Angriffen ausgesetzt war, wurden
als ?Abwehrhaltung? erste Überlegungen hinsichtlich einer spezifisch-männlichen
Separierung laut. Zu dieser Zeit entstand eine explizite
geschlechts-dualistisch ausgerichtete Männerbund-Ideologie. Diese wurde als idealer Gegenpart -
gepaart mit einer autoritären Staatsauffassung - zur Abwehr von Zivilisation,
Demokratie und Gleichberechtigung angesehen. Ein derartiger Männerbund
konstruiert in Permanenz sowohl die ?friedfertigen Frau? als auch den
?aggressiven Mann? und schreibt damit eine angeblich ?natürliche? Geschlechterordnung
fest. Bis heute haben diese Ideen in den Verbindungen überlebt: Mal
ausgeprägter in den schlagenden Verbindungen, mal weniger in anderen Verbänden. Die
Anzahl der Verbände, die Frauen aufnehmen, ist marginal. Die konservative,
dualistische Vorstellung der Geschlechterrollen herrscht bis heute vor - nicht nur
in Verbindungen. Und so kann man auch heute in Selbstdarstellungen lesen:
?Frauen können unserer Verbindung nicht beitreten (...). Wir meinen, dass durch
eine aus beiden Geschlechtern bestehende Mitgliedschaft innere Konflikte
entstehen können, die uns nicht helfen, unsere Ziele zu verwirklichen.?
(Sängerschaft Gotia et Baltia Kiel zu Göttingen) Und so wird im Männerbund das Prinzip
der Ungleichheit gepredigt und gelebt.

Die Frauen-Diskriminierung macht sich also nicht an der vordergründigen
Exklusion von Frauen fest, sondern es ist vielmehr der dahinterstehende
Biologismus zu kritisieren. Denn die korporierte Vorstellung geht vom ?Dualismus? der
Geschlechter aus. Es wird also die Auffassung vertreten, es gebe - abgesehen
von körperlichen Unterschieden - biologisch determinierte Gründe für die
Unterteilung in die Kategorien Mann und Frau - also die Annahme, bestimmte
Verhaltensweisen wären biologisch veranlagt. Dieser konservativen und reaktionären
Ideologie gegenüber gilt es daher, ?Geschlecht? als soziale Konstruktion zu
begreifen und die Art und Weise ihre Reproduktion zu verstehen, um sie
letztendlich dekonstruieren zu können (vgl. hierzu Gildemeister/ Wetterer 1992).

Schlußendlich - eher eine nur noch überfällige Randnotiz: Nahezu alle
Korporations-Dachverbände arbeiten gemeinsam im Convent Deutscher Akademiker (CDA)
und Convent Deutscher Korporationsverbände (CDK) zusammen, um dort
verbandsübergreifende Zusammenarbeit zu organisieren und gemeinsame Belange aller
Dachverbände zu regeln. Es kann also keine Rede von allzu großer Distanz sein,
zwischen den sich ?liberal? oder ?konservativ? gebenden Verbindungen und den
explizit rechtsextremen.

Es ist eindeutig: Das Verbindungswesen insgesamt - selbst das ?Liberale? -
enthält keine fortschrittlichen Ideen. Vielmehr steht es progressiver Politik
diametral gegenüber.

Marktfrühschoppen kippen!

Weitere Infos:
Projekt Konservatismus und Wissenschaft: www.p-kw.de
www.geocities.com/gruppe_dissident/marktfruehschoppen.htm
www.fachschaft-theologie.de/gegenrechts.htm

Literatur:
Projekt Konservatismus und Wissenschaft (Hg.): Verbindende Verbände,
Marburg, 2000

Heither, Dietrich: Verbündete Männer - Die Deutsche Burschenschaft -
Weltanschauung, Politik und
Brauchtum, PapyRossa, Köln, 2000

Heither, Dietrich / Lemling, Michael: Marburg, O Marburg, Marburg, 1996
Gildemeister, Regine/Wetterer, Angelika: Wie Geschlechter gemacht werden.
Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in
der Frauenforschung, in: Knapp, Gudrun-Axeli/Wetterer, Angelika (Hg.):
Traditionen. Brüche. Entwicklungen feministischer Theorie, Freiburg, 1992

Gruppe dissident - Juni 2002
e.mail:  4dissident@gmx.de
infos: www.geocities.com/gruppe_dissiden

 

01.07.2002
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