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Diskussionstext | "Ein symbolischer Garant" - Was heißt »Solidarität mit Israel«?

Ein symbolischer Garant

Was heißt »Solidarität mit Israel«? Obwohl der Begriff »Solidarität« problematisch ist, sollte die Solidarität mit Israel für aufgeklärte Linke außer Frage stehen, meint stefan vogt und eröffnet die Debatte

Politische Parolen wie »Solidarität« tendieren dazu, Komplexität dort zu reduzieren, wo sie dringend aufrechtzuerhalten wäre. Gerade wenn es um Israel und den Konflikt im Nahen Osten geht, ist die Rede von »Solidarität« durchaus problematisch. Angesichts der anhaltenden Bedrohung von Jüdinnen und Juden durch Antisemitismus und weil der Staat Israel letzten Endes die einzig sichere Zuflucht für die Opfer des Antisemitismus darstellt, sollte die Solidarität mit diesem Staat für eine aufgeklärte Linke außer Frage stehen. Das gilt unabhängig davon, welche Politik von der israelischen Regierung betrieben wird und wie man diese Politik einschätzen mag. Gerade dann aber ist es notwendig, sich der Problematik eines solchen Begriffs bewusst zu sein und den Versuch zu unternehmen, ihn kritisch und theoretisch zu bestimmen.

In dem Begriff »Solidarität« schwingen von Anfang an zwei teils konkurrierende, teils komplementäre Inhalte mit. Einerseits kann er ein Gefühl der Identifikation, der objektiven Zugehörigkeit zu einem Ganzen ausdrücken, andererseits das subjektive Bewusstsein einer gemeinsamen Interessenlage und die darauf gegründete Bereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung.

In der sozialistischen Bewegung, für die dieser Begriff immer zentral war, bedeutete er mit unterschiedlicher Gewichtung stets beides. Dort waren diese beiden Seiten über das Ziel der Emanzipation vermittelt. Solange die Geschichte insgesamt auf dieses Ziel zuzusteuern schien, konnte die Zugehörigkeit zu einem Kollektiv, das sich als Motor dieser Geschichte begriff, durchaus emanzipatorisch sein. Zugleich jedoch teilte der Sozialismus das Misstrauen der Aufklärung gegen ihre eigenen emanzipatorischen Ziele, wenn er die individuelle Freiheit durch eine kollektive Zugehörigkeit absichern zu müssen glaubte. Dies war einer der Gründe für das Scheitern der Emanzipation.

Anstatt der Befreiung der Menschen hat die Aufklärung den Antisemitismus hervorgebracht und nicht verhindert, dass dieser Antisemitismus mit der nationalsozialistischen Judenvernichtung die Aufklärung selbst aufgehoben hat. Seither kann Solidarität, will sie eine emanzipatorische und aufklärerische Kategorie bleiben, nicht mehr bedeuten, sich im Einklang mit der Geschichte und ihren kollektiven Trägern zu befinden. Sie kann nur noch den individuellen Opfern der Geschichte gelten.

So hat Solidarität nichts mit Emanzipation zu tun, wenn sie sich Völker oder nationale Befreiungsbewegungen als ihre Objekte erwählt. Und es hat nichts mit Aufklärung zu tun, wenn sich die Linke »Solidarität mit Palästina« auf die Fahnen schreibt. Die offenen Allianzen mit Antisemiten, die unter dieser Parole eingegangen werden, zeigen dies mit aller Deutlichkeit. Was aber heißt dann »Solidarität mit Israel«?

Israel ist zunächst einmal ein bürgerlicher Nationalstaat wie andere Staaten auch und damit ein Kollektiv. Er ist darüber hinaus jedoch der Staat der Opfer, nicht notwendigerweise der Opfer des Nationalsozialismus, in jedem Fall jedoch der Opfer der gescheiterten Aufklärung. Die nationale Bewegung, die zu seiner Gründung führte, unterscheidet sich von europäischen Nationalismen dadurch, dass sie eine Konsequenz aus dem diesen Nationalismen inhärenten Antisemitismus darstellt.

Wenn der Antisemitismus kein temporärer irrationaler Rückfall hinter die Aufklärung ist, sondern eine Grundstruktur kapitalistischer und nationalstaatlicher Vergesellschaftung, dann werden seine Vernichtungspotenziale so lange bestehen, solange jene Vergesellschaftung besteht. Daraus folgt aber notwendig, dass die Existenz des Staates Israel stets prekär sein wird.

Diese prekäre Konstellation kann sich jederzeit in eine handfeste Bedrohung verwandeln. Auch wenn ein Krieg arabischer Staaten gegen Israel oder die Vernichtung des Staates durch palästinensische Kräfte im Moment nicht sehr wahrscheinlich ist, so ist die gegenwärtige weltpolitische und regionale Situation alles andere als stabil und kann sich relativ schnell radikal ändern.

Als Nationalismus einer so genannten »nachholenden«, tatsächlich aber abgehängten kapitalistischen Gesellschaft hat der arabische Nationalismus einen besonders radikalen Antisemitismus entwickelt. Israel bleibt deshalb darauf angewiesen, dass seine Existenz von den Vereinigten Staaten garantiert und von den Europäern nicht in Frage gestellt wird. Was die Europäer betrifft, so machen sich seit einiger Zeit Anzeichen bemerkbar, dass dies nicht immer so bleiben muss.

Zugleich erlebt der Antisemitismus weltweit einen ungeahnten Aufschwung. »Solidarität mit Israel« heißt unter diesen Vorzeichen auch Solidarität mit den Jüdinnen und Juden außerhalb Israels. Und dies nicht nur, weil sowohl der wieder auflebende Antizionismus als auch der antiisraelische Meinungsumschwung in der Politik und der Öffentlichkeit eine reale Bedrohung für diese Menschen darstellt. Sondern auch deshalb, weil Israel für die Jüdinnen und Juden in der ganzen Welt - nicht nur in Israel - der symbolische Garant dafür ist, dass es möglich ist, sich gegen Antisemitismus zu wehren.

Versteht man Solidarität mit Israel als Solidarität mit den Opfern, so verbietet sich jede Identifikation mit Israel und dem Zionismus. Denn dies würde leugnen, dass es sich sowohl bei Israel als auch beim Zionismus um die Konsequenz aus einer welthistorischen Katastrophe handelt: dem Scheitern der Aufklärung.

Die Existenz des israelischen Staates ist eine Tragödie, dieser Staat verlangt aber gerade deshalb die Solidarität einer aufgeklärten Linken. Sie muss sich dabei jedoch im Klaren darüber sein, dass sie nicht mit einer aufstrebenden emanzipatorischen Kraft solidarisch ist, sondern mit den Opfern, die das Ausbleiben der Emanzipation gefordert hat.

Enthält sich Solidarität mit Israel der Identifikation, dann ist sie nicht nur in der Lage, die Politik der israelischen Regierung zu kritisieren, sondern sie kann auch die palästinensischen Opfer einbeziehen. Solidarität mit Israel verlangt geradezu die Parteinahme für eine friedliche Lösung des Konflikts im Nahen Osten. Denn das ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass Israel den nationalstaatlich organisierten Kapitalismus überlebt. Und dies ist eine Bedingung dafür, dass es jemals eine befreite Menschheit geben kann, weil die Alternative dazu eine »judenfreie« Menschheit wäre.

Dies vorausgesetzt bedeutet Solidarität mit Israel die Solidarität mit all jenen Kräften in den beiden Gesellschaften, die einen palästinensischen Staat in den israelisch besetzten Gebieten und die gegenseitige Anerkennung des Existenzrechtes der beiden Staaten fordern. In beiden Gesellschaften sind diese Kräfte derzeit in der Minderheit. Auf palästinensischer Seite fehlt jedoch die dafür notwendige Einsicht fast völlig, dass sowohl der Staat Israel als auch der Nahostkonflikt eine Konsequenz des Antisemitismus und der Shoah sind.

Zur Solidarität mit Israel gehört daher auch eine Auseinandersetzung mit dem arabischen Antisemitismus, der diese Einsicht systematisch verhindert. Mehr noch bedeutet Solidarität mit Israel die Bekämpfung des hiesigen Antisemitismus. Viel eher ist die Politik Israels eine Konsequenz des Antisemitismus in Deutschland, als dass der Antisemitismus in Deutschland eine Konsequenz der Politik Israels ist.

Ein ganz entscheidender Aspekt einer linken Solidarität mit Israel ist schließlich, dass jede Form der Instrumentalisierung des Konfliktes bekämpft wird. Das gilt insbesondere für die Auseinandersetzungen innerhalb der Linken. Wer sich in Israel ein revolutionäres Subjekt halluziniert, spricht nicht nur jeder kritischen Gesellschaftstheorie Hohn. Die unerträgliche Situation, in der sich Israelis und Palästinenser befinden, wird benutzt, um absurde theoretische Konstruktionen gegen Kritik abzudichten und um lächerliche Kämpfe um die ideologische Vorherrschaft in der Linken auszutragen. So werden dann, wie am vorletzten Wochenende in Berlin, unter dem zynischen Titel »Es geht um Israel« israelische und jüdische Intellektuelle eingeladen, die lediglich als Beweis dafür dienen, dass ihre deutschen Gastgeber schon immer im Recht waren.

Dem ist eine Solidarität entgegenzuhalten, der es wirklich »um Israel« geht und die deshalb die Komplexität des Konflikts anerkennt, anstatt sie aus niederen Beweggründen und mit unappetitlichen Konsequenzen einzuebnen.

 

23.05.2002
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