nadir start
 
initiativ periodika archiv adressbuch kampagnen aktuell

Bremen: PRESSEINFO / Urteil gegen Totalverweigerer

PRESSEINFO
13. Mai 2002


NON SERVIAM!
c/o Infoladen * St.Pauli-Str. 10-12 * 28203 Bremen * E-Mail:  non.serviam@gmx.net


Im ersten Verfahren gegen einen Totalverweigerer seit dem Wehrpflichturteil
des Bundesverfassungsgerichts kam es am 02. Mai 2002 vor dem Amtsgericht
Osterholz-Scharmbeck zu einem Urteil. Gegen den Totalverweigerer Kai S., der
als konsequenter Pazifist im Sommer vergangenen Jahres von der Bundeswehr
insgesamt 64 Tage zu sogenanntem Disziplinararrest in eine Einzelzelle
gesperrt worden war, wurde unter Vorbehalt eines zweijährigen
Bewährungszeitraumes eine Verwarnung nach §59 des Strafgesetzbuches
ausgesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Geldstrafe von 40
Tagessätze á 15 ? gefordert, die Verteidigung Freispruch.

Am 02. Mai 2002 fand im Amtsgericht Osterholz-Scharmbeck das
Gerichtsverfahren wegen totaler Kriegsdienstverweigerung gegen Kai S. statt.

Kai S. war im letzten Sommer seiner Einberufung zum Kriegsdienst zum 2.
Panzergrenadier- Bataillon Schwanewede gefolgt, mit der Absicht dort klar zu
stellen, dass er keinen Kriegsdienst leisten und unterstützen werde. Kai S.
ist Pazifist und kann es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren,
militärischen Dienst zu leisten oder diesen direkt oder indirekt zu
unterstützen.

Schon beim Eintreten in die Kaserne machte er sofort klar, dass er keinen
Dienst leisten würde.

Als er in der ihm zugewiesenen Kompanie eingekleidet werden sollte, lehnte
er dankend ab. Kais Verhalten wurde von den vorgesetzten Offizieren als
Befehls- und Gehorsamverweigerung gewertet und Kai wurde schon nach kurzem
Aufenthalt (ca. 5 Stunden) bei der Bundeswehr für die ersten 7 Tage in
Arrest gesteckt. Aus den ersten sieben Tagen sollte im Verlauf seiner
Kasernenzeit noch 64 Tage durchgängiger Arrest werden. Nach diesen 64 Tagen
wurde Kai vom Kasernenkommandeur, nachdem das Truppendienstgericht keinem
weiteren Arrest zustimmte, Dienstverbot erteilt. Im laufe der nächsten
Monate wurde Kai S. unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassen und in zwei
Fällen der Gehorsamverweigerung angeklagt.

Kai S. hat also zwei Monate im Bundeswehrarrest verbracht. Der Alltag dort
gestaltet sich alles andere als humanistisch. Der Arrestant wird dort in
eine zwischen 6 und 8 Quadratmeter großen Zelle gesteckt, in der sich eine
hochklappbare Pritsche mit Schaumstoffauflage befindet, ein Waschbecken,
eine Toilette, ein Tisch, ein Stuhl, eine Bibel und ein Zettel in dem
beschrieben wird, wie sich ein Arrestant zu verhalten hat. Das Fenster in
der Zelle ist in ca. 2 Meter Höhe angebracht, zu zweidrittel aus einer Art
Milchglas und nicht selber zu öffnen oder zu schließen. Die Wände sind in
einer grünen glänzenden Farbe gestrichen, die eigentlich dem Innenanstrich
von Panzern dient. Alle Gegenstände, mit denen der Arrestant sich oder
andere verletzen kann, wie z.B. Löffel, Tassen und zum Teil Schnürsenkel,
werden dem Arrestanten abgenommen.
Eine Stunde Ausgang auf dem Kasernengelände unter Bewachung zweier
Wachsoldaten werden ihm zugestanden, in der Regel herrscht Sprechverbot
gegenüber den Soldaten, um einer Wehrzersetzung vorzubeugen.
Verschärft kam hinzu, dass Kai S. sich völlig vegan ernährt, also keine
Tierprodukte isst oder benutzt, und offensichtlich auf eine Ernährung durch
die Bundeswehr angewiesen war. Mit dieser Problemstellung war das
Küchenpersonal der Kaserne völlig überfordert, was für Kai eine zweifelhafte
Ernährung und eine Haftverschärfung bedeutete.

Wir denken jede/r kann sich nun Vorstellen wie ein Mensch sich nach zwei
Monaten in solcher Einzelhaft fühlt und was für eine starke psychische,
physische und seelische Belastung ein solcher Arrest darstellt, zumal wenn
ein Pazifist somit jeden Tag der militärischen Willkür der ?Vorgesetzten
und dem üblichen militärischen ?Drum und Dran? ausgesetzt ist.

Diese Art der ?Behandlung? durch die Bundeswehr gilt nicht als Bestrafung,
sondern als Erziehungsmaßnahme und sollte im nun gefolgten Gerichtsverfahren
keine Rolle spielen.

Das Gerichtsverfahren fand am 02. Mai 2002 um 8.45Uhr im Amtsgericht
Osterholz-Scharmbeck statt.

Nach dem letzten Verfassungsgerichtsurteil zum Thema Wehrdienst war das
Ergebnis der Verhandlung im Vorhinein nicht einzuschätzen! Das
Verfassungsgericht hatte jede Entscheidungsverantwortung von sich gewiesen
und den Ball an die Politik und den Wahlkampf weitergegeben, eine
Entscheidung, die der Lösungsfindung nicht unbedingt zuträglich ist.

Die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer 40 Tagessätze zu je
?15, - als Bestrafung und berief sich auf die Rechte der Bürger, aus denen
nun mal auch Pflichten, wie z.B. der Kriegsdienst, erwachsen würden., von
denen sich der Angeklagte nicht einfach so distanzieren könne, Gewissen hin
oder her.
Die Verteidigung forderte hingegen einen Freispruch. Der Verteidiger
verweist in seinem Plädoyer auf die Gewissensentscheidung von Kai S. und
dem gesetzlich verankertem Recht auf Gewissensfreiheit. Er zeigte an
verschiedenen Fällen auf, dass das Strafrecht hier das Gewissen ausklammert,
aber in anderen Fällen als rechtmäßig anerkennt. Wer als totaler
Kriegsdienstverweigerer sein Gewissen anführt wird zum Straftäter gemacht
und wie ein Verbrecher behandelt, obwohl er niemanden schadet oder Leid
antut. Die Zuständigkeit des Strafrechts erscheint ihm hier fragwürdig.
Einen Freispruch hält er für möglich und geboten, doch da alle früheren
Freisprüche bisher in oberen Instanzen aufgehoben wurden, und scheinbar ein
solcher nach Ansicht der Staatsautorität nicht sein darf, verweist der
Verteidiger auf die Möglichkeit des §59, nach der eine Verwarnung
ausgesprochen werden kann.

Das Ergebnis zu dem der Richter kam, erstaunte und/oder erfreute alle
Beteiligten, mit Ausnahme der Staatsanwaltschaft, die sich sofort über den
angewandten Paragraphen sachkundig machen musste. Auf Berufung auf §59
Strafgesetzbuch wurde eine Verwarnung ausgesprochen, die auf zwei Jahre
Bewährung ausgesetzt ist. Sollte Kai S. innerhalb dieser zwei Jahre eine
Straftat verüben, so greift die von der Staatsanwaltschaft geforderten
Strafe von 40 Tagessätzen zu je ? 15, -.

Die Staatsanwaltschaft hat von ihrem Recht auf Revision keinen gebrauch
gemacht, wodurch das Urteil rechtsgültig wird.

Wir werten dieses Urteil als einen Schritt in die richtige Richtung, um
Menschen zu entkriminalisieren, die aus ihrem pazifistischen Gewissen heraus
nicht anders handeln können, als jeden Kriegsdienst konsequent zu
verweigern. Dies ist noch keine Lösung des Kriegsdienstproblems und ändert
nichts an der Tatsache, dass Wehr- und Zivildienst fallen müssen.

antimilitaristische Grüße

NON SERVIAM!


Der Prozess und das ?Drumherum? beim BW-Arrest hat Kosten entstehen lassen,
z.B. Kopierkosten, eine hohe Anwaltsrechnung etc.
Deshalb sind wir auf Spenden angewiesen.
Also, wer spenden möchte und/oder näheres zur totalen
Kriegsdienstverweigerung und Antimilitarismus wissen möchte kann sich unter
unserer E-Mail-Adresse  non.serviam@gmx.net bei uns melden. Wir würden uns
freuen!


 

13.05.2002
NON SERVIAM!   [Aktuelles zum Thema: Antimilitarismus]  Zurück zur Übersicht

Zurück zur Übersicht