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Frankenstein kann es nicht richten | Einige Anmerkungen zu Anselm Jappes "Gene, Werte, Bauernaufstände"

Die Auseinandersetzung mit dem Problemkreis Produktivkraftentwicklung und Ökologie ist im wertkritischen Rahmen in den letzten Jahren, euphemistisch gesprochen, ein wenig in den Hintergrund gerückt. Einschlägige Fragestellungen standen das letzte Mal vor ziemlich genau 15 Jahren im Zentrum der Debatte. Seinerzeit widmete die Marxistische Kritik Nr. 3, das Vorläuferprojekt der Krisis, ihren Schwerpunkt einem Phänomen, das etliche der jüngeren Krisis-Leser nur noch vom Hörensagen kennen dürften, der grün-alternativen Produktivkraftkritik.


In der Zwischenzeit hat sich der große gesellschaftliche Bezugsrahmen gleich in mehrerlei Hinsicht verändert. Neue Phänomene, von BSE über den massiven Vormarsch der Biotechnologien bis zum Überhandnehmen menschengemachter sogenannter Naturkatastrophen (ā la El Niņo) lassen die Naturschranke deutlicher denn je hervortreten. An die Stelle potentieller künftiger Gefahrenszenarien rücken allmählich akute. Gleichzeitig haben sich mit dem Einsickern postmoderner Vorstellungen die Vorzeichen gründlich verschoben, unter denen der öffentliche Diskurs, vor allem dessen linke Unterabteilung, das Thema Natur verhandelt. Aber auch der Fortgang der wertkritischen Binnendiskussion taucht diesen Themenkomplex in ein neues Licht. Die Erweiterung wertkritischer Theoriebildung um wissenschaftskritische Aspekte, die Absetzbewegung von traditionellen Fortschrittsvorstellungen oder die Infragestellung des warengesellschaftlichen Reichtumsbegriffs, genauso wie subjektkritische und abspaltungstheoretische Überlegungen eröffnen Zugänge zum "Naturproblem", die einer gerade mit der Herausarbeitung aus dem marxistischen Denkuniversum beschäftigen Wertkritik ā la Marxistische Kritik noch ziemlich fremd waren.


Anselm Jappe kommt das Verdienst zu, dieses weitgehend brachliegende Feld unter den Pflug genommen zu haben. Mit seinem Beitrag "Gene, Werte, Bauernaufstände" liefert er mehr als nur eine (gelungene) Analyse der neuen Reproduktionstechnologien und ihrer Konsequenzen. Er kritisiert die Biotechnologie - und das hebt seine Position aus der Flut sonstiger gentechnologieskeptischer Publikationen heraus - als Zuspitzung von Grundtendenzen, die der Wertgesellschaft und ihrem Weltbemächtigungsverständnis von Beginn an inhärent waren.


In der Hauptstärke der Argumentation liegt freilich zugleich der Schlüssel zu ihren Schwächen. In Jappes Kritik an dem großen Kontext, in dem die gentechnologische Zurichtung des Naturerbes steht, vermengt sich radikale Wertkritik mit ihr fremden Momenten. Wo die Kritik die ganz grundsätzliche Ebene berührt und vom wertkritischen Standpunkt noch offene Fragen ins Spiel kommen, behilft sich Jappe immer wieder anderweitig und intoniert Motive, die fatal an das Repertoire der Gegenaufklärung erinnern.


Eine kleine, freilich nicht ganz folgenlose Unschärfe durchzieht den gesamten Artikel. In der Darstellung verschwimmt die völlig richtige Aussage, die Erfolge der Biotechnologie enthüllten, wie es um die Medizin, die Wissenschaft und die Landwirtschaft insgesamt bestellt sei, mit ihrem nicht ganz so richtigen Umkehrschluss. Die Klassifikation der Biotechnologie als Ausgeburt des warengesellschaftlichen Ungeistes reicht Jappe, um sie in toto zu verwerfen. Nicht, dass das Ergebnis, das bedingungslose Nein zur Gentechnologie, in Frage zu stellen wäre, aber die Begründung will nicht so recht einleuchten. Wer Jappes Maßstab konsequent anlegt, müsste jede große und kleine technische Innovation der letzten zweihundert Jahre verwerfen und die Produktivkraftentwicklung in dieser Zeit insgesamt rein negativ werten. Vom CD-Player bis zum Reißverschluss, keine Neuerung, an deren Wiege als Eltern nicht die betriebswirtschaftliche Logik und der moderne Typus von Wissenschaft gestanden hätten. Schlimmer noch, so ziemlich sämtliche basale Neuerungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts sind Ausgeburten der Produktion von Destruktion, sprich sie wurden ursprünglich für militärische Zwecke ersonnen.(Letztes prominentes Beispiel ist neben der Gentechnologie die Mikroelektronik). Spätestens seit dem fordistischen Zeitalter war die zivile Verwendung noch jedes Mal Sekundärnutzung, und das ist ihr über weite Strecken auch anzusehen. Muss man aber die Teflonpfanne allein wegen ihrer hässlichen Herkunft gleich außer Kurs setzen? Die Abstammung allein kann nicht darüber entscheiden, ob Wissen und handgreifliche Technologien sich für einen anderen als den Verwertungskontext umwidmen lassen oder nicht.


Anselm Jappe parallelisiert die beiden großen Basisinnovationen des gegenwärtigen Zeitalters, die Gentechnologie und die Informatik. Beide seien Ausgeburten einer "ständigen reductio ad unum" und entsprängen dem gleichen Ungeist. Diese in ihrer Allgemeinheit sicher richtige Feststellung lässt freilich eine zentrale Frage offen: Impliziert diese Gemeinsamkeit, dass ein emanzipatorischer Standpunkt in beiden Fällen konsequente Verweigerung und Ablehnung gebietet oder nicht?


Der grundsätzliche Unterschied ist eigentlich, gerade wenn man von Jappes Darstellung ausgeht, gar nicht so schwer zu fassen. Die Biotechnologie vollzieht die "reductio ad unum" unmittelbar in der sinnlichen Wirklichkeit. Ihre Eingriffe formen Natur irreversibel um. Im Fall der Mikroelektronik hat der Abstraktions- und Reduktionsprozess in einer vom Rest der sinnlichen Wirklichkeit prinzipiell abtrennbaren Parallelwelt seinen Platz. Selbstverständlich wirkt die Etablierung dieser Parallelwelt auf die sinnliche Wirklichkeit zurück. Es besteht unter den kapitalistischen Bedingungen die Tendenz, Betriebs-, aber auch Lebensabläufe erfassungsgerecht auszugestalten. Als Echtzeitmedium sind die neuen Kommunikationsmedien außerdem ihrer Struktur nach ideal zur Durchsetzung des atemlosen Präsens geeignet. Sie tragen damit entscheidend zur Internalisierung eines wertkonformen Zeiterlebens bei. Das löscht aber den grundsätzlichen Unterschied nicht aus, dass die "Daten" und das, was in dieser Form abgebildet wird, nicht unmittelbar zusammenfallen. Diese Spannung macht einen anderen Einsatz und eine alternative Ausgestaltung zumindest denkbar1. Nicht nur die mimetische Anpassung der sinnlichen Welt an die Informatik ist vorstellbar. Gerade im Hinblick auf die repetitiven Momente geistiger Tätigkeiten lässt sich auch die umgekehrte Form der Adaption denken. Teilweise findet so etwas sogar innerhalb der kapitalistischen Hülle statt. Gestandene Wertkritiker erkennen diesen Fakt und damit den kleinen großen Unterschied zwischen Gentechnologie und Mikroelektronik durchaus lebenspraktisch an. Sogar Anselm Jappe soll seine Kritik an der Gentechnologie weder in Stein gemeißelt noch auf einer konventionellen Schreibmaschine erstellt und sie auch nicht mit der klassischen Post versandt haben. Sie hat durch diese Praxis nicht im Geringsten an kritischer Qualität verloren. Es täte der Theoriebildung gut, wenn sie mit dieser wenig kritikablen Umgangsweise kompatibel bliebe.


Eine verwandte Problematik tut sich auch da auf, wo Anselm Jappe den Bogen von der Gentechnologie zur konventionellen Medizin und ihrem zergliedernden Menschenbild schlägt. Dass Wertkritik dem Papst eine Enzyklika gegen Nierentransplantationen abverlangen soll, leuchtet, gelinde gesagt, nicht unbedingt ein. Die Prügel, die das Oberhaupt der Katholiken bezieht, weil es sich auf "subtile Unterscheidungen" einlässt, "sobald es um genetische Therapien und Organverpflanzungen geht", bezieht es zu Unrecht. Natürlich muss man an der modernen Medizin kritisieren, dass sie den Menschen als Ansammlung nur lose verdrahteter Einzelteile betrachtet. Daraus die Konsequenz zu ziehen, der Mensch hätte seine menschliche Würde nur gewahrt, wenn er ohne eingeführte "kapitalistische Prothesen" mit den gleichen Organen ins Grab sinkt, mit denen er einst dem Mutterschoß entschlüpfte, scheint aber doch leicht überzogen. Im Zweifelsfall bleibt die genagelte Fraktur unabhängig von der gesellschaftlichen Form noch immer die bessere Alternative zum ärztlich unangetasteten gebrochenen Knochen.


Aufgrund schön überpointierter Formulierungen fiele es an diesem Punkt leicht, Jappes Beitrag im Gestus des gesunden Menschenverstandes abzutun. Gerade an der Stelle, an der die Argumentation über die Grenze zum Unfug zu rutschen droht, verweist seine Darstellung aber über die schon oben angesprochene Problematik hinaus auf ein ganz zentrales, in der wertkritischen Diskussion bisher nicht befriedigend aufgelöstes Problem: Von welchen Standpunkt aus argumentiert radikale Kritik eigentlich?


Jappes Kritik will so radikal wie nur möglich das herrschende abstraktifizierende und entdifferenzierende Naturverständnis kritisieren, das auch den Menschen als beliebig zergliederbares totes Ding behandelt. Was wäre dagegen einzuwenden? Dummerweise rekurriert er bei dieser Absetzbewegung aber auf ein Gegenbild, gegen das sich eine ganze Menge sagen lässt. Als Kontrapunkt zur Auflösung der Wirklichkeit in beliebig verfügbare Objekte bemüht er "das Individuum als qualitative Einheit". Dass es sich dabei möglicherweise um ein Hirngespinst handelt, wäre noch das geringste Problem. Schwerer wiegt, dass hinter dieser Wesenheit kaum verkennbar das autonome, in sich geschlossene und aus der objektivierten Restwirklichkeit herausgehaltene Subjekt hervorlugt. Die Subjektemphase macht ausgerechnet den Träger des Objektivierungsprozesses zur Gegeninstanz, zu dessen eigenem Destruktionswerk. Mary Shelley beschrieb den jungen Frankenstein als einen Mann, der sich im äußeren Erscheinen und seinen Manieren sehr angenehm von seinem Geschöpf abhob. Dennoch oder gerade deswegen ist ihr Thema der Zusammenhang zwischen beiden Figuren. Dementsprechend beschloss in ihrem Roman Frankensteins Kreatur im Angesicht der Leiche ihres Schöpfers, ebenfalls aus dem Leben zu scheiden. Damit hatte sie unserem Gentechnologiekritiker einen entscheidenden Erkenntnisschritt voraus.


Die gentechnologische Forschung lehrt, dass der Mensch ein Gutteil seines Erbgutes mit "niederen Lebensformen" teilt. Weil es in seiner Verblendung Leben im Kern auf genetische Ausstattung reduziert, auf dieser Ebene aber keine qualitative Differenz auszumachen ist, löscht biotechnologisches Denken tendenziell überhaupt den Unterschied zwischen Mensch und Bakterium aus. Damit desavouiert es sich. So weit hat Anselm Jappe ohne jede Abstriche recht. Das Groteske liegt freilich - und daran ist festzuhalten - einzig und allein im Kriterium, an dem die Unterscheidbarkeit von Mensch und belebter Natur festgemacht wird. Bei Jappe schwingt ein anderer Zungenschlag mit. Das Faktum selber muss, wenn es schon nicht negiert werden kann, als irrelevant abgetan werden. Die Durchlässigkeit der Artengrenze für die Gene erscheint als eine Art Majestätsbeleidigung, eine Versündigung an der einmaligen Großartigkeit der Spezies Homo sapiens. Ein solcher Duktus passt zur Subjektemphase, bei der Jappe Zuflucht sucht, die möglichst keine Ebene anerkennen will, auf der die menschliche Gattung gegenüber dem Rest der Natur nicht als das ganz Andere glänzen kann. Das ergänzt gleichzeitig auf der Gattungsebene die Vorstellung, ein "fremdes Organ" im eigenen Körper sei als Anschlag auf die Würde des Einzelnen zu interpretieren. Von einem identitäts- und subjektkritischen Standpunkt liegt hier aber eine gänzlich andere Akzentsetzung nahe.


Die Entdeckungen der Gentechnologie wären an diesem Punkt als die zweite große produktive Demütigung für den Glauben an ihre Gottähnlichkeit anzuerkennen, die der abendländischen Vernunft vonseiten der Biologie zu Teil wird, nachdem Darwin der Krönung der Schöpfung äffische Verwandte an die Seite gestellt hat. Gerade das Fehlen hermetischer Grenzlinien auf der genetischen Ebene könnte Mahnung sein, ein anderes Verhältnis zur Natur - dem gar nicht so fern liegenden "unorganischen Leib des Menschen" (Marx) - zu entwickeln, als es sich spätestens seit Descartes einbürgert hat.


Anselm Jappe geht es in keiner Weise darum, die Hybris des modernen Denkens fortzuschreiben. In der Logik seines emphatischen Bezugs auf das "Individuum als qualitativer Einheit" ist das trotzdem enthalten. Er kann denn auch diese Konsequenz nur vermeiden, indem er neben dem so gefassten Individuum und mit ihm durchmengt eine zweite Gegeninstanz zum Objektivierungs- und Reduktionsprozess durch seine Darstellung spuken lässt: "das Natürliche". Vor allem im Schlussteil des Aufsatzes, bei der Kritik der industriellen Landwirtschaft, begegnet diese ominöse Substantialisierung der Leserin und dem Leser auf Schritt und Tritt. Diese Art der Rettung läuft aber nur auf die Wiederholung der schon angesprochenen theoretischen Malaise hinaus. Auch mit "der Natur" wird nur wieder die Kehrseite des warengesellschaftlichen Bewusstseins gegen ihre Vorderseite mobilisiert. Diese Wendung ist ebenso prekär2 wie unnötig. Anselm Jappes Hymnen auf den traditionellen Landbau suggerieren, dass es so etwas wie eine natürliche, "eigentliche" Beziehung zwischen dem Menschen und seinem "unorganischen Leib" gäbe. Durch ein solches Konstrukt gewinnt die Kritik an der Agrarindustrie, an einer Naturbeziehung, in der unter dem Diktat von abstrakter Reichtumsproduktion und Wertverwertung von allen stofflichen Zusammenhängen abstrahiert und ihnen Gewalt angetan wird, nichts an Deutlichkeit. Als Kontrastmittel hilft der Vergleich zwischen den spezifischen Verrücktheiten der heutigen Produktionsweise und traditionellen Lebens- und Produktionsformen durchaus weiter. Wo sich das aber mit normativer Setzung vermischt, führt der Rekurs in die Irre. Im Bruch mit der reduzierenden Monotonie von naturwissenschaftlicher Weltsicht und abstrakter Reichtumserzeugung bleibt die Entfaltung und Ausdifferenzierung der Naturbeziehung geschichtliche Tat - auch in der Landwirtschaft.

1
Nicht erst das "Informationszeitalter" hat neben seiner tragenden Schlüsseltechnologie eine "apokalyptische Technologie" (Robert Kurz) hervorgebracht, die dem gleichen Denken entstammt. Eine ganz ähnliche Konstellation kennzeichnet auch schon das fordistische Zeitalter. Die Hybris der Verbrennungsgesellschaft nahm in der Atomenergienutzung eine nicht mehr emanzipativ umwandelbare, sondern nur noch entsorgbare technologische Gestalt an. Auch in diesem Fall zwingt die radikale Ablehnung der Atomenergie nicht dazu, jedwede Anwendung von Verbrennungsmotoren zu inkriminieren.

2
Die Unbefangenheit, mit der Anselm Jappe diese Kategorie bemüht, lässt sich nur durch seine gründliche Entwöhnung von der Debatte in der deutschen Linken erklären, in der die Sensibilität dafür, wie gut sich die Beschwörung der Natur zu knallhart reaktionären Ideologien fügt, aus bekannten Gründen sicherlich weiter entwickelt ist, als in der gesellschaftskritischen Debatte in den romanischen Länder.


(siehe hierzu: "Gene, Werte, Bauernaufstände" von Anselm Jappe  http://www.nadir.org/nadir/aktuell/2002/05/11/10049.html )

 

13.05.2002
Ernst Lohoff / Krisis   [Aktuelles zum Thema: Kritik d. Gentechnik]  Zurück zur Übersicht

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