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Berlin: FelS-Position zum 1.Mai

· Der 1.Mai in Berlin ist seit 1987 ein wichtiger Kristallisationspunkt der radikalen Linken. Neben den zahlreichen kleinen und größeren Gruppen nutzen auch sehr viele unorganisierte Menschen diese Gelegenheit, ihre grundsätzliche Oppositionshaltung zu den bestehenden Gesellschaftsverhältnissen auszudrücken. Die Linke hat es in den vergangenen Jahren aber meistens nur begrenzt geschafft, diese allgemeine und oft sehr diffuse Aussage des 1.Mai aus eigener Kraft politisch zu konkretisieren. Die (teils schon seit 1988 beklagte) Ritualisierung der Ausdrucksformen in Form von konsum-orientiertem Straßenfest, Demo-Happening mit Großbeschallungsfahrzeug und Dämmerungs-Scharmützel enttäuscht viele Linke.

· Dennoch wäre es verkürzt, von einer generellen "Entpolitisierung" des 1.Mai zu sprechen. Alle beklagten Rituale sind zumindest politische Rituale, deren Rhetorik und beabsichtigtes Erscheinungsbild linksradikal sind. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß v.a. bei der Randale vielfach (übrigens auch schon seit 1988) "unpolitische Jugendliche" und "Zugereiste" verantwortlich gemacht werden. Der "1.Mai-Event" bietet der radikalen Linken weiterhin eine Möglichkeit, eigene Vorstellungen in die Öffentlichkeit zu bringen und diffus linke und (noch) unorganisierte Menschen zu erreichen und weiter zu politisieren.

· Der Versuch einiger Linker ("Personenbündnis"), im Jahr 2002 den 1.Mai zu "repolitisieren", muß differenziert betrachtet werden. Es sind verschiedene Interessen zu unterscheiden:

1. das Bemühen, tatsächlich linken Diskursen in der Gesellschaft wieder mehr Öffentlichkeit und Wirksamkeit zu verschaffen;

2. die Hoffnung, von einer solchen Stärkung werde eine linke reformistische Strömung am Rande des Parlamentarismus profitieren, also linke PDS/Grüne, aber auch Gruppen wie Attac;

3. die Sorge, es könne sich der 1.Mai 1989 wiederholen, als die Innenpolitik der neuen rot-grünen Landesregierung durch heftige Randale ins Trudeln geriet;

4. der Versuch, durch integrative Kräfte und praktische Einbindung radikaler Linker den 1.Mai zu befrieden und seiner fundamental-oppositionellen Rituale zu berauben.

· Die Chance auf Verwirklichung des Konzeptes "Personenbündnis" ist gering. Seine Initiatoren verfügen selbst über keine starke Basis. Sie sind angewiesen auf die Mobilisierungskraft der radikalen Linken und auf die höchst unwahrscheinliche Kooperation der Innenbehörde. Für die radikale Linke stellt sich daher die Frage, ob sie das "Personenbündnis" auflaufen läßt, indem sie es - aktiv oder passiv - sabotiert, oder ob sie ein taktisches Verhältnis dazu einnimmt.

· Die bisherige linksradikale Kritik am "Personenbündnis" ist eindimensional und verkürzt. Sie schätzt gesellschaftliche Kräfteverhältnisse, Interessen der Beteiligten und mögliche politische Optionen falsch ein. Die reale Bedeutung und Mächtigkeit von "Befriedungsprojekten" wird dabei ebenso übertrieben wie die reale Stärke der radikalen Linken. Die Notwendigkeit zum taktischen Umgang mit BündnispartnerInnen wird nicht wahrgenommen bzw. anderen Gruppen als der eigenen das Recht dazu abgesprochen. Die Konzentration auf die Entlarvung angeblicher VerräterInnen innerhalb der "wahren" Linken wird zum politischen Hauptinhalt. Diese Reduzierung radikal linker Politik auf interne Machtkämpfe und isolationistisch-autonome Besserwisserei führt nirgendwo hin.

· Andererseits bedeutet die Einbindung in ein von liberalen bzw. reformistischen Linken dominiertes Projekt oft, daß radikale Linke viel Arbeit leisten und später in der Außenvertretung des Projektes politisch nicht mehr wahrgenommen werden. Stattdessen werden sie dann intern in Mithaftung für die unerwünschten Folgen (etwa öffentliche Distanzierungen) genommen. Insofern hätten die Gruppen aus der radikalen Linken, die sich dem "Personenbündnis" angeschlossen haben, mit scharfer Kritik rechnen müssen und ihre Politik vorher zur Diskussion stellen sollen.

· Eine Mitgestaltung des 1.Mai 2002 sollte mit der notwendigen auch formalen Distanz zum "Personenbündnis" geschehen. Das kann z.B. bedeuten, daß ein linksradikales Plenum verschiedener Gruppen seine Kooperation mit dem "Bündnis" erklärt, sich aber dessen Erklärung nicht zu eigen macht. Der teils höhere, teils einfach andere mediale Aufmerksamkeitspegel "gemäßigter" Initiativen und ihr mögliches finanzielles und technisches Fundament können von der radikalen Linken ausgenutzt werden, um eigene Inhalte zu transportieren (so vorhanden!).
Die Unterstützung auch reformistischer Gruppen für die revolutionäre 18-Uhr-Demo sollte wahrgenommen werden. Das bedeutet für die radikale Linke aber auch, sich mehr als in den letzten Jahren auf den 1.Mai vorzubereiten - inhaltlich wie praktisch.

· Dreh- und Angelpunkt der 1.Mai-Debatte ist die Frage der Legitimität von Randale, also politischer Gewalt. Ein wesentlicher Aspekt des "Personenbündnis" ist hier der Versuch, die Randale auf Polizei-Provokationen zurückzuführen ("Ohne Bullen kein Krawall"). Für radikale Linke ergeben sich daraus zwei Optionen: Entweder diese vor allem auf medialer Ebene ausgetragene Schuldzuweisung zu unterstützen, indem das Konzept mitgetragen wird und so zumindest symbolisch guter Wille demonstriert wird. Oder diese Form der Gewalt-Debatte zurückzuweisen und die Legitimität offensiver militanter Aktionen zu verteidigen.

· Ob mit oder ohne polizeiliche Provokation, es wird auch 2002 Randale auf den Straßen geben. Es bietet sich aber der radikalen Linken die Möglichkeit, diese politisch zu beeinflussen. War 2001 die Randale durch das Demo-Verbot öffentlich schon im voraus legitimiert, fällt diese Vermittlung 2002 weg. Wenn sich 2002 das Spiel einfach nur wiederholt, wird damit auch die Straßenmilitanz von 2001 nachträglich (weiter) entwertet und wieder ins "Ritual"-Muster eingeordnet. Wenn andererseits die radikale Linke 2002 ein politisches Ziel benennen kann, das die Konfrontation mit der Polizei einschließt, hat sie die Chance, die Randale stärker zu politisieren.

· So oder so wird es nach dem 1.Mai ein Distanzierungs-Ritual der gemäßigten Linken geben. Auch hier lohnt sich der Blick nach 1989: die zuspitzende Wirkung innerhalb der Linken ist um einiges größer, wenn die "taz" schreibt, was sonst "BZ" und "Bild" schreiben. Hier sollten radikale Linke sich rechtzeitig darauf vorbereiten, die eigenen Standpunkte auch argumentativ offensiv zu vertreten und sich nicht unnötig in die Defensive drängen zu lassen.

· Fazit: Das "Personenbündnis - Denk Mai neu" hat zumindest ein Ziel erreicht: Die Diskussion um den 1.Mai in der radikalen Linken neu zu beleben. Die notwendige Positionierung, in Abgrenzung oder auch in Bündnisbereitschaft zu reformistischen Gruppen/Tendenzen, ist solange zu begrüßen, solange daraus handlungsfähige Initiativen für einen revolutionären 1.Mai entstehen. Weder eine trotzige Konfrontation gegen angebliche "Befriedungsstrategen" noch ein Mitlaufen in dubiosen Reform-Bündnissen kann dieses Ziel erreichen. Vielmehr sollte die radikale Linke versuchen, Lücken im gesellschaftlichen Konsens auszunutzen und sowohl inhaltlich wie auch praktisch eigene Akzente dorthin zu setzen. Die Thematisierung des "friedlichen" 1.Mai bietet da einige Möglichkeiten, von der "Friedlichkeit" deutscher Außenpolitik über den "friedlichen" deutschen Rassismus bis zum "sozialen Frieden".

 

13.03.2002
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