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Tschechien & BRD: Themenseiten der Jungle-World zu Hitlers fünfter Kolonne

Aus: „Jungle-World“ Nr

 

Aus: „Jungle-World“ Nr. 10/2002 – Themenseiten

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Keinen Fußbreit der Kolonne

von pascal beucker

Für die tschechische Bevölkerung gehören die Benes-Dekrete zum Selbstverständnis des heutigen Staates.

Neue Heimat: Edmund Stoiber findet sie nicht gut, Jörg Haider ist gegen sie, und jetzt hat auch der ungarische Ministerpräsident die Rücknahme der Benes-Dekrete gefordert. Da kann der deutsche Außenminister Joseph Fischer nicht zurückstehen. In Prag verteidigte er die Sudetendeutschen gegen die Vorwürfe der tschechischen Regierung.


Zum Abschluss seiner Prager Stippvisite gab sich Joseph Fischer am Mittwoch vergangener Woche versöhnlich. Im Gespräch mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman hätten »Irritationen« ausgeräumt werden können. Natürlich sei die Vertreibung der Sudetendeutschen »für uns immer Unrecht« gewesen, betonte der Grüne im Stil eines Vertriebenenfunktionärs. Aber es gebe »beachtenswerte« Versöhnungsansätze, zu denen auch »sehr hoffnungsvolle Signale seitens der Vertreter der Sudetendeutschen« gehörten. Es müsse nun weiter daran gearbeitet werden, die »noch vorhandene Bitterkeit bei der Erlebnisgeneration auf beiden Seiten zu überwinden, Schritt für Schritt und mit der notwendigen Sensibilität«, verkündete Fischer generös.

Zeman machte gute Miene zum bösen Spiel der Vermischung von Tätern und Opfern. Unmittelbar vor Fischers Besuch hatte die missverständliche Wiedergabe einer Äußerung des Sozialdemokraten über den PLO-Vorsitzenden Yassir Arrafat für erhebliche Verstimmungen in der EU gesorgt. Nun versuchte er, die Wogen zu glätten. Er vermied daher eine Konfrontation mit dem deutschen Außenminister, nahm aber trotzdem nichts von dem zurück, was er in den Wochen zuvor über die von Fischer so gelobten Sudetendeutschen gesagt hatte. Schließlich hatte Zeman sie nur als das bezeichnet, was sie vor der Zerschlagung der Tschechoslowakischen Republik tatsächlich waren, die »fünfte Kolonne Hitlers«. In deutschen Zeitungen brachte ihm das Titulierungen wie »notorischer Vertreiber«, »Grobian vom Dienst« oder »Polterer aus Prag« und Spekulationen über seinen Geisteszustand ein.

In Tschechien dagegen hielt sich die Aufregung über Zemans Äußerungen in Grenzen. Denn »hoffnungsvolle Signale« von den Vertriebenenverbänden kann höchstens ein deutscher Politiker entdecken. In der tschechischen Republik glaubt daran niemand. Zwar halten nicht wenige die Formulierungen Zemans, der sich gerne als der »provokanteste Politiker Europas« bezeichnet, für etwas undiplomatisch. Doch in der Sache selbst wird ihm über die Parteigrenzen hinweg Recht gegeben.

Zu geschichtsvergessen agieren die Nachfahren der sudetendeutschen Nazi-Parteigänger, zu laut reklamieren sie bis heute ihre Ansprüche auf »Wiedergutmachung«. Entsprechend gibt es in der tschechischen Bevölkerung keinen Streit um die in Deutschland und Österreich verteufelten Benes-Dekrete, in denen unter anderem die Enteignung und Aussiedlung der Deutschen, Ungarn und anderer »staatlich unzuverlässiger Personen« geregelt wurde. Dass sie weiterhin ihre Rechtsgültigkeit behalten müssen, darüber besteht ein Konsens von den Kommunisten bis zu den Konservativen.

Wie könnte auch die tschechische Bevölkerung in den Sudetendeutschen die armen Opfer sehen, als die sie in Deutschland und Österreich präsentiert werden? Das hieße zu vergessen, dass sich über 90 Prozent in der Zwischenkriegszeit gegen die einzige Demokratie in Osteuropa entschieden und gemeinsam mit der Sudetendeutschen Partei des Hitler-Verehrers Konrad Henlein jubelnd ins Dritte Reich marschierten. Zudem besteht bei vielen Tschechen die Befürchtung, dass die Aufhebung der Dekrete ein Einfallstor für alle Forderungen der Nachfahren sein könnte.

Und diese Angst ist berechtigt. Immerhin gehört es zu den in der Satzung verankerten Zielen der Sudetendeutschen Landsmannschaft in der Bundesrepublik, »die Rückgabe des konfiszierten Vermögens auf der Basis einer gerechten Entschädigung zu vertreten« und »den Rechtsanspruch auf die Heimat, deren Wiedergewinnung und das damit verbundene Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppe durchzusetzen«. Dieses Ziel möchte der Revanchistenverein nun auch vor Ort verfolgen. Am 1. April will die Landsmannschaft eine »Verbindungsstelle« in Prag eröffnen, kündigte der Bundesvorsitzende Bernd Posselt an.

Die Sudetendeutsche Landsmannschaft in Österreich geht in ihren Forderungen noch weiter. Deren Obmann, Gerhard Zeihsel, verlangt nicht nur eine finanzielle Entschädigung, sondern auch die Aufhebung des Amnestiegesetzes vom Mai 1946, mit dem jene Handlungen zwischen 1938 und 1945 für straffrei erklärt wurden, »deren Zweck es war, einen Beitrag zum Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zu leisten oder die eine gerechte Vergeltung für die Taten der Okkupanten und deren Helfershelfer zum Ziel« hatten. Dieses Gesetz verhindere, so der FPÖ-Politiker, »eine Verfolgung von heute noch lebenden bekannten Mördern an wehrlosen Sudetendeutschen«.

Es ist daher wenig überraschend, dass in Tschechien die von Zeman seit Jahren vertretene Auffassung, es sei völlig unakzeptabel, »die Erben jener zu respektieren, die Hitlers fünfte Kolonne waren«, weit verbreitet ist. Auch für die größte Oppositionspartei Tschechiens, die konservative Demokratische Bürgerpartei (ODS) des Parlamentspräsidenten Václav Klaus, sind die Benes-Dekrete nicht verhandelbar. Nach Ansicht von Jan Zahradil, dem ODS-Schattenaußenminister, wäre das Beharren auf der Aufhebung der Dekrete sogar »ein Grund, nicht der Europäischen Union beizutreten«.

An die Adresse von Zemans sozialdemokratischem Minderheitskabinett richtete Klaus zudem die Forderung, im tschechischen EU-Beitrittsvertrag eine »exklusive Klausel« zur unumstößlichen Rechtsgültigkeit der Benes-Dekrete zu verankern. Die von Zeman in seinem Gespräch mit Fischer in Aussicht gestellte humanitäre Geste Tschechiens an sudetendeutsche Hitler-Gegner lehnt die ODS ab. Dies wäre für Klaus der erste Schritt auf eine »schiefe Ebene«, die »definitiv« zur Revision der tschechischen Eigentumsverhältnisse führen würde.

Nicht einmal Staatspräsident Václav Havel, der Intimfeind von Zeman und Klaus, der ansonsten stets um das beste Verhältnis zu Berlin bemüht ist, scherte aus dem Kreis der Bewahrer der Benes-Dekrete aus. Zwar kritisierte er Zeman, die deutsch-tschechischen Beziehungen seien »empfindliches Terrain«, auf dem man »vorsichtig wandeln« und sich »weniger bunter Ausdrucksmittel« bedienen müsse, aber in der Sache selbst gab er sich unnachgiebig. Die Dekrete stellten einen Bestandteil der Geschichte des tschechischen Rechtsstaates dar und könnten daher nicht einfach aufgehoben werden. »Ich glaube nicht, dass es überhaupt denkbar ist, irgendwelche Eigentumsforderungen oder Restitutionen zu erwägen.«

Rückendeckung bekommen die deutschen und österreichischen Revanchisten hingegen vom ungarischen Regierungschef Viktor Orban. Der Ministerpräsident, dessen liberal-konservative Koalitionsregierung stramm nationalistisch ausgerichtet ist, forderte am vergangenen Mittwoch, die Benes-Dekrete müssten mit dem Beitritt Tschechiens und der Slowakei zur EU aufgehoben werden. Zeman und der slowakische Ministerpräsident Mikulas Dzurinda reagierten umgehend. Aus Protest gegen das »unangebrachte« Anliegen sagten sie ihre Teilnahme an dem für den ersten März in Budapest geplanten Treffen der EU-Aufnahmekandidaten Ungarn, Tschechien, Polen und Slowakei ab.

Und noch ein anderes Treffen steht auf der Kippe. Auch nach dem Besuch von Fischer in Prag bleibt es unklar, ob Gerhard Schröder Ende März seinen Amtskollegen Zeman besuchen wird. Der Bundeskanzler habe sich noch nicht entschieden, verbreitete das Bundespresseamt. Die tschechische Tageszeitung Pravo berichtete bereits nach Fisches Treffen mit Zeman, dass Schröders Besuch »offenkundig nicht zum geplanten Termin am 22. und 23. März zustande kommen« werde. Denn Schröder stehe weiterhin »unter ziemlich starkem Druck«, sich von seinem tschechischen Genossen wegen dessen Bezeichnung der Sudetendeutschen als »fünfte Kolonne Hitlers« zu distanzieren. Das Lavieren Schröders ist verständlich: Die Anerkennung geschichtlicher Tatsachen kann Wählerstimmen kosten.

 


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Heimat, die sie meinen

von klaus thörner

 

In Deutschland sind die Vertriebenen trotz der deutsch-tschechischen Erklärung und trotz Rot-Grün noch immer ein außenpolitischer Faktor.

Deutsche Volkstums- und Vertriebenenpolitik ist wieder en vogue. Im Zuge der EU-Ost-Erweiterung und mit der Strategie, Restitutionsfragen zu internationalisieren, setzt eine große Koalition aus Vertriebenenfunktionären der deutschen, der österreichischen und der bayerischen Regierung und dem Europaparlament ein Thema auf die politische Agenda, das nach der deutsch-tschechischen Erklärung von 1997 abgehakt schien: die Benes-Dekrete.

Im Januar 1997 vereinbarten die damaligen Regierungschefs Helmut Kohl und Vaclav Klaus, die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht mit historischen Fragen zu belasten. Jetzt qualifiziert der Bayernkurier dieses Dokument der CDU/ CSU-Regierung ab: »Vor fünf Jahren wurde in Prag die 'deutsch-tschechische Erklärung' unterzeichnet. Nach tschechischer Lesart sollte das Dokument die sudetendeutsche Frage endgültig erledigen. Nun hat ausgerechnet der tschechische Ministerpräsident klargestellt, dass das Problem weiterhin offen ist.«

Die Frage, welches »offene Problem« Zeman denn genau »klargestellt« habe und wie es zu lösen sei, ließ das CSU-Organ unbeantwortet. Aber der Kommentar zeigt, wie die jüngsten Äußerungen des tschechischen Ministerpräsidenten über die Sudetendeutschen gegen ihn und die historischen Fakten gewendet und dazu benutzt werden, deutsche Ansprüche an Tschechien zu aktualisieren.

Die Deutschen sind nicht allein. In der letzten Woche sagte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban in Brüssel, Tschechien müsse nach dem EU-Beitritt die Benes-Dekrete formal für nichtig erklären. Zufall? Wenige Tage zuvor hatte Edmund Stoiber Budapest besucht und sich für eine vorrangige Aufnahme Ungarns in die EU ausgesprochen.

Deutlicher ist die Unterstützung aus Österreich. Die Vize-Kanzlerin Susanne Riess-Passer (FPÖ) meinte Anfang Februar, die Frage der Benes-Dekrete müsse vor einem EU-Beitritt Tschechiens geklärt werden. Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) will die Dekrete in Verhandlungen mit Tschechien zu »totem Unrecht« erklären lassen. Anders als aus der von Prag favorisierten Formel »erloschene Dekrete« ließen sich aus dem Begriff »Unrecht« vermögensrechtliche Forderungen ableiten.

Auch die Vetriebenenfunktionäre verfolgen die Strategie der Internationalisierung. An einer Schaltstelle sitzt seit kurzem der Bundesvorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft und CSU-Abgeordnete im Europaparlament, Bernd Posselt. Anfang Februar wurde er zum Vizepräsidenten des Ausschusses Europäisches Parlament - Tschechisches Parlament gewählt. Dieser gemischte parlamentarische Ausschuss begleitet die einschlägigen Beitrittsverhandlungen.

Posselt, im vergangenen Oktober für seine »Verdienste um Volk und Staat« von Johannes Rau mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet, ist außerdem seit Jahrzehnten an führender Stelle für die Paneuropa-Union-Deutschland aktiv, eine einflussreiche und international tätige rechtskonservative Organisation, die ein geeintes Gesamteuropa unter deutscher Führung anstrebt. Zu den politischen Zielen der Paneuropa-Union gehört ein europäisches »Volksgruppenrecht«, das unter anderem den Sudetendeutschen Sonderrechte in der Tschechischen Republik verschaffen würde.

In seinem 1994 erschienenen Buch »Sturmzeichen« entwickelt Posselt den Plan, die Herkunftsgebiete der deutschen »Vertriebenen« direkt oder indirekt unter deutsche Hoheit zu stellen. Er plädiert für eine »übernationale Rechtsordnung, die auf die Tradition des Heiligen Römischen Reiches zurückgeht«. »Multinationale Regionen« - gemeint sind die Herkunftsgebiete der »Vertriebenen« - sollen entweder »direkt der europäischen Ebene« oder gleich unter die »Oberhoheit beider Nachbarstaaten« gestellt werden. Deutschland könnte dann Teile der Tschechischen Republik verwalten.

Bereits im Mai 2001 hat sich Posselt im parlamentarischen Ausschuss mit der Forderung durchgesetzt, dass Tschechien mit dem EU-Beitritt den Landerwerb von Sudetendeutschen zulassen müsse. Beim »Tag der Heimat« des Bundes der Vertriebenen im September 2001 ging Stoiber einen Schritt weiter. Er forderte die tschechische Regierung im Namen von »Bayerns viertem Stamm«, den Sudetendeutschen, auf, die Benes-Dekrete zurückzunehmen, in denen 1945 u.a. die Enteignung der Deutschen und die Bestrafung der von den Nazis begangenen Verbrechen verfügt worden war. Die Rücknahme der entsprechenden Verfassungsdekrete hätte eine Welle von Entschädigungsklagen gegen die Tschechische Republik zur Folge.

Als zweiter Festredner erinnerte Peter Glotz (SPD) daran, was Kanzler Gerhard Schröder im Jahr zuvor an derselben Stelle ausgerufen hatte: »Vertreibung, daran kann es keinen Zweifel geben, ist stets ein Unrecht.« Glotz begrüßte den »politischen Paradigmenwechsel«, den Schröder damit eingeleitet habe. Im Anschluss verglich Glotz die 1945 im Potsdamer Abkommen beschlossene Umsiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei mit den Ereignissen von Srebrenica.

Die Konsequenz dieser Rhetorik formulierte in der vorigen Woche die FAZ und drohte dem tschechischen Ministerpräsidenten: »Der Kern des Problems liegt darin, dass der Ministerpräsident eines Landes, das der Nato bereits angehört und sich der EU anschließen möchte, nun unter dem dringenden Verdacht steht, die Deportation von ganzen Bevölkerungsgruppen für ein legitimes Mittel der Lösung nationaler Konflikte zu halten. Milosevic muss sich in Den Haag auch deshalb vor Gericht verantworten, weil er dieses Mittel angewandt hat.«

Bereits Ende Januar waren in einer Aktuellen Stunde des Bundestages über Äußerungen Zemans Drohungen laut geworden. Er hatte im Januar darauf hingewiesen, dass die Sudetendeutschen froh sein können: »Wenn sie vertrieben oder transferiert worden sind, war das milder als die Todesstrafe.« Schließlich hätte Landesverrat nach damaligem Recht auch mit der Todesstrafe geahndet werden können.

Christoph Zöpel (SPD), ein Staatsminister im Auswärtigen Amt, versuchte sich im Bundestag als Prophet: »Ich gehe davon aus, dass wir in einigen Wochen feststellen können, dass auch die tschechische Regierung alles tut, um den Beitritt Tschechiens möglich zu machen.« Die Bundesregierung wolle zusammen mit den Sudetendeutschen dafür sorgen, dass es zu einer »weiteren Aufarbeitung nicht gelöster Probleme kommt«.

Auch wenn sich die Regierung die sudetendeutschen Forderungen nicht gänzlich zu eigen macht, so bilden sie doch ein willkommenes Faustpfand in den Verhandlungen über den EU-Beitritt Tschechiens. Ein zentraler Bereich ist dabei der Agrarsektor. Die EU will die Bauern Osteuropas erheblich geringer subventionieren als die westeuropäischen.

Auf der sudetendeutschen Bundesversammlung in München gab Mitte Februar deren Sprecher Johann Böhm die Richtung der Zusammenarbeit mit der rot-grünen Regierung vor. Er unterstrich, dass es in den vergangenen Jahren gelungen sei, das sudetendeutsche Anliegen zu internationalisieren. Nun komme es darauf an, die Sache im Rahmen der EU durch kluges Vorgehen auf der Tagesordnung zu halten. Posselt bemerkte auf der Versammlung: »Dreimal hat das Europäische Parlament seit 1999 Prag zur Überprüfung und Aufhebung der Benes-Dekrete aufgefordert.« Auf Dauer könne das Straßburger Parlament aber nicht mehr für die Sudetendeutschen tun als Deutschland selbst.

 


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Zeman in Israel

Ein würdiger Erbe

von tjark kunstreich

Fast schien es, als wolle Milos Zeman an die Zeit anknüpfen, als die Tschechoslowakei der verlässlichste Partner Israels war. Die Waffen, mit denen der Unabhängigkeitskrieg geführt wurde, kamen ja bekanntlich nicht aus den USA, sondern aus der Tschechoslowakei. Mit seinem Besuch in Israel zeigte sich Zeman als würdiger Erbe jenes Präsidenten, dessen Name mit den Dekreten verbunden wird, die die Rechtsgrundlage für die kollektive Ausweisung der so genannten Sudetendeutschen abgaben, und der die Staatsgründung Israels unterstützte: Eduard Benes. Die israelische Politik nahm dies ebenso überrascht wie wohlwollend zur Kenntnis.

Was hat Zeman getan? Nur wenige Tage nachdem Jörg Haider mit Saddam Hussein über Zionismus und Imperialismus philosophiert und dem irakischen Volk und seinem Führer die antiimperialistischen Kampfesgrüße des österreichischen Volkes überbracht hatte, reiste er nach Israel, um eine Solidarität der ganz anderen Art zu demonstrieren. Es ist kein Wunder, dass in Deutschland und Österreich nur ein Satz Zemans ankam, den er nicht gesagt hat. Er soll in der israelischen Zeitung Ha'aretz Yassir Arafat und Adolf Hitler verglichen haben. Nur findet sich jener Vergleich in besagtem Artikel nicht.

Vielmehr nahm Zeman die Äußerungen Ariel Sharons auf, in denen dieser kurz nach dem 11. September Israels Situation mit der der Tschechoslowakei kurz vor der Annexion 1938 verglichen hatte. Sharon wollte so die USA davor warnen, eine Anti-Terror-Koalition mit den Feinden des jüdischen Staates einzugehen. Es war ein ebenso verzweifelter wie wirkungsvoller Appell an die letzte Schutzmacht Israels.

Zeman erklärte nun in Ha'aretz, Hitler-Deutschland hätte 1936 noch von zwei französischen Divisionen besiegt werden können, aber man habe diese Chance verpasst. Er kritisierte damit die Appeasement-Politik, wie sie die europäischen Staaten gegenüber Hitler betrieben. Und welche andere Bezeichnung wäre passender für die Politik Europas gegenüber den Palästinensern?

Würden alle europäischen Politiker Zemans Gespür an den Tag legen, meinte der israelische Präsident Moshe Katsav, könnte der Terror eingedämmt werden. Richtig ist, dass der palästinensische Terror eskaliert, weil sich Arafat davon eine Stärkung der europäischen Position erhofft. Hätten die europäischen Außenminister, anstatt Arafat die Stange zu halten, sich gegen den Terror ausgesprochen und seine europäischen Basen beseitigt, wäre der Terror gegen Israel kaum ein Thema.

Vor allem aber machte Zeman eines klar: Ebenso wenig wie die Sudetendeutschen sind die Palästinenser Opfer einer fremden Macht. Der Vergleich bezieht sich auf den aggressiven Gemeinschaftsgeist, der über die Forderung nach einer Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge vermittelt wird.

Die bis heute nicht gern gehörte Wahrheit, dass die Sudetendeutschen zu 93 Prozent die Henlein-Nazis begeistert unterstützen, korrespondiert insofern mit der Situation in den palästinensischen Autonomiegebieten, als hier wie dort der Antisemitismus das zentrale Ideologem ist, mit dem jeder Kompromiss unmöglich gemacht wird. Denn solche Gemeinschaften bringen Terror und Krieg hervor, und mit ihnen kann es keinen Ausgleich geben.

Diese schlichte Konsequenz bringt die deutsch-österreichische Öffentlichkeit nicht zuletzt deswegen auf die Palme, weil aus dieser Einsicht die Gegner Deutschlands die bedingungslose Kapitulation erzwangen. Die Ausweisung der Sudetendeutschen war eine Folge dieser Einsicht. Und eine Revision der Folge käme einer Revision der Einsicht gleich.

 


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27.02.2002
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