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Tübingen/ Reutlingen: social forum gegründet!

social forum gegründet!

Im Rahmen eines Hearings lokaler Gruppen und Initiativen wurde in Tübingen das erste lokale "social forum" (Plattform
globalisierungskritischer Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen) in der
Bundesrepublik Deutschland gegründet.


Am "Hearing Tübinger und Reutlinger Initiativen zu den lokalen Folgen der
neoliberalen Globalisierung" in der Eberhardsgemeinde in Tübingen haben am
Samstag, 23.2.2002, 200 Personen teilgenommen, 25 Gruppen und Initiativen waren aktiv beteiligt.
(Ankündigung für das Hearing und Aufruf zur Gründung von lokalen social
foren in allen Städten unter:  http://germany.indymedia.org/2002/02/15692.html)

Nach einem einleitenden Vortrag der Politologin Daniela Setton (Frankfurt)
stellten zwölf Gruppen in Redebeiträgen ihre Arbeit und die Auswirkungen von
Privatisierung, Mittelkürzung, Flexibilisierung, etc. auf ihr Leben bzw.
ihre Aktivitäten dar.

Um die Vielfalt und Breite deutlich zu machen, sollen diese Gruppen hier
auch genannt werden: AK Stellenstreichung der Fachschaftsrätevollversammlung
an der Universität Tübingen; Personalrat des Universitätsklinikums Tübingen; Klimagruppe Tübingen;Initiative gegen die geplante Bioethikkonvention; Arbeiterbildungsverein
Reutlingen; Club für Behinderte und ihre Freunde in Tübingen und Umgebung
e.V.; Theatergruppe des Zentral Amerika Komitee; ATTAC Tübingen; Aidshilfe Tübingen; Kein Mensch Ist Illegal Tübingen; DGB-Arbeitskreis Tübingen/ Reutlingen; Friedensplenum Tübingen.

Weitere Initiativen die mit Wandzeitungen, Infotischen etc. beteiligten waren:
Infoladen Tübingen; Informationsstelle Militarisierung, IMI; Freie
ArbeiterInnen Union Tübingen, FAU; Cubagruppe Tübingen; Wohnprojekt Schellingstraße; Wohnprojekt Wilhelma; Tübinger Arbeitslosen Treff, TAT;
Kirchen(asyl)-Plenum; Gruppe Arbeitermacht Tübingen; Freies Radio Wüste Wüste; Bündnis gegen Abschiebehaft Tübingen; Frauen International Tübingen,FIT.
Food not Bombs hat das Hearing mit einem superleckeren, kostenlosen, vegetarischen
Büffet unterstützt.


Durch die Beiträge der Gruppen wurde deutlich: Die neoliberale
Globalisierung zerstört das menschliche Zusammenleben in Tübingen/Reutlingen und weltweit. Dagegen wollen wir Protest und Widerstand organisieren. Eine andere Welt ist nötig - und möglich!

In der abschließenden Diskussion über die Zusammenarbeit in einem lokalen
"social forum" wurden Ideen gesammelt und weitere Zusammenkünfte zur Planung von ersten gemeinsamen Aktionen vereinbart.

Nach dem Vorbild des Genua social forum haben sich nach Protesten gegen den
G8-Gipfel in ganz Italien "social forums" als gesellschaftliche Plattformen
des außerparlamentarischen Widerstandes gebildet. Mit dem "social forum
Tübingen/Reutlingen" ist damit das erste lokale "social forum" in der
Bundesrepublik Deutschland gegründet worden.

Kontaktadresse:  socialforum-tuebingen@gmx.de
WWW:  http://www.niatu.net/socialforum-tuebingen


Hier noch der Text der Hearing-Vorbereitungsgruppe, auf dessen Grundlage die
Gründung des "social forum Tübingen/Reutlingen" diskutiert und beschlosssen
wurde:

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Grundlagen der Zusammenarbeit im Tübinger Social Forum
Thesen zur Vorstellung der Idee, ein "social forum" in Tübingen zu gründen
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I. Einleitung:
Wir sind in der Vorbereitung immer wieder darauf angesprochen worden, welche Vorstellungen wir mit der Gründung eines "social forums" verbinden. Weil wir keinen Diskussionsprozess dominieren wollten, waren wir damit bislang zurückhaltend.
Nachdem aber nicht nur unsere eigenen Vorstellungen in vielen Diskussion mit unterschiedlichen Gruppen und Einzelpersonen im Vorfeld des Hearings Gestalt angenommen haben, wollen wir einige Thesen zur Diskussion stellen.

II. Zur Notwendigkeit neuer Politikformen (Analyse/Hintergrund):
1. Neoliberale Politik und Globalisierung fordert viele Opfer: Lokal wie global. Ihre ideologischen Absicherungen lassen eine für soziale Veränderungen offene Zukunft kaum noch denkbar erscheinen.
Wir stehen nach wie vor einer uniformen medial vermittelten politischen Öffentlichkeit gegenüber. In ihr ist keine andere Zukunft als die der Herrschaft des Marktes und der Global Players vorstellbar.
Ob wir den Verheißungen einer radikalisierten Ökonomie widerstehen können ist ganz entscheidend auch eine Frage der Denkbarkeit von Alternativen.
2. Die letzten Jahre haben gezeigt: Es gibt zahlreiche Proteste gegen die Folgen von Neoliberalismus/Globalisierung, die aber in Deutschland großteils individuell und vereinzelt geführt werden.
Inzwischen ist aber weltweit eine soziale Bewegung entstanden, die nicht mehr Ja und Amen sagt, die nicht mehr die Unausweichlichkeit der kapitalistischen Globalisierung hinnimmt, mit Menschen, die sich wehren. Um politische Bedeutung hierzulande zu erlangen, muss die Vereinzelung überwunden werden.
3. Die Globalisierungkritik-Bewegung darf sich jedoch nicht auf symbolische Inszenierungen wie in Genua und Seattle beschränken - so wichtig diese sind - sondern braucht eine Verankerung im politischen Tagesgeschäft lokal arbeitender Gruppen und Einzelpersonen. Daher muß der Protest gegen die Ökonomisierung des Lebens hier vor Ort deutlich werden. Und unser heutiges Hearing ist ein Schritt in diese Richtung.
4. Dabei geht es auch um eine Re-Politisierung der sozialen Frage.
Die Gesellschaft ist durchzogen von vielen isolierten Auseinandersetzungen und Kämpfen. Sie sind konkret und wenig spektakulär. Ihre Einbindung in ein lokales gesellschaftliches Forum gibt ihnen einen größeren Rückhalt und treibt sie im gegenwärtigen Rückenwind für die globalen Bewegungen von unten weiter voran. Ein »social forum« wäre ein Schritt zur Re-Politisierung der sozialen Frage.
Wir sind nicht so naiv anzunehmen, daß die klassischen Interessensorganisationen mit eher caritativer Ausrichtung und von staatlichen Subventionen abhängigen Organisationen von heute auf morgen re-politisierbar sind. Aber ein Bezug auf ein social forum könnte auch ihrem Agieren einen anderen, einen politisch-oppositionellen Hintergrund geben. Insofern würde auch dieses Agieren in einem veränderten Kontext erscheinen.

III. Vorschlag: Gründung eines Tübinger "social forum" (Inhalte/Ziele):
Konsequenz/Vorschlag: Gründung eines "social forum" in Tübingen, das sich als Teil der internationalen Globalisierungskritik versteht und die lokal arbeitenden politischen, sozialen, ökologischen und kulturellen Initiativen in einer Plattform zusammenbringt.

Was bringt das und wie soll das funktionieren?

1. Proteste sichtbar machen
Das bedeutet soziale Auseinandersetzungen transparent machen und wieder auf die Tagesordnung setzen. Damit können wir der herrschenden neoliberalen Ideologie der Verwertung, Bewertung und Abwertung menschlichen Lebens andere, abweichende Sichtweisen auf die Organisation menschlichen Zusammenlebens gegebenüberstellen.
Dazu müssen wir uns

2. Auf-einander-beziehen statt eine Vereinheitlichung von Positionen zu versuchen.
Das Ziel soll nicht eine vorschnelle Vereinheitlichung sein, sondern wir schlagen ein Aufeinander-in-Beziehung-setzen vor. Sich gegenseitig informieren/mobilisieren über/für jeweils geplante Aktivitäten ist ein Aspekt der Zusammenarbeit, sie sollte sich aber darin nicht erschöpfen.

3. Austausch und von-einander-lernen
Das social forum soll einen Prozess ermöglichen, in dem alle Beteiligten ihre politischen Positionen schärfen, weiterentwickeln, neu definieren wollen und können.

4. Solidarität in der praktischen Arbeit
Die vorgeschlagene Vernetzung macht Zusammenhänge erkennbar, auch für uns selbst. Das Netzwerk, das wir anstreben beinhaltet eine Dynamik und die Möglichkeit eines Prozesses, der sich nicht so schnell vereinnahmen und befrieden läßt, weil wir durch unsere manchmal lockere, manchmal engere Form der Zusammenarbeit nicht so einfach gegeneinander ausspielbar sind.

5. Spaltungen und Gegeneinander-ausspielen verhindern
Es kommt dabei darauf an, sich nicht in einen bösen und guten, militanten und konstruktiven Protest spalten zu lassen. Schon gar nicht von denen, die militärische Mittel zur Grundlage ihrer Außenpolitik gemacht haben. Wir müssen verstehen, daß wir hierfür die Vielheit (»Multitude«) des Protests brauchen. Dazu ist Offenheit notwendig. Wir müssen jenen Respekt füreinander entwickeln, den eine so neue Form der (Nicht-)organisationen nötig hat. Es geht nicht um den Sieg einer Linie, sondern es geht darum, die Kräfte der Selbstregierung zu stärken. Wer hier mit sozialdemokratischen, leninistischen, maoistischen, autonomen, anarchistischen oder gar grünen Führungsansprüchen daherkommt, der ist bereits zu spät gekommen.

6. Trotzdem: keine inhaltliche Beliebigkeit - Abgrenzung von der rechten Globalisierungskritik ("wir sind selbst Teil einer globalen Bewegung")
Aber das bedeutet keineswegs eine inhaltliche Beliebigkeit. Die von uns vorgeschlagene Plattform globalisierungskritischer Gruppen hat nichts zu tun mit Überfremdungsängsten, sie hat nichts zu tun mit der Verteidigung von Pseudo-Identitäten,
seien sie ethnischer, kultureller oder biologistischer Herkunft.
Das bedeutet eine klare Trennlinie gegenüber rechten und nationalbornierten Positionen gegen Globalisierung. Die von uns vertretene Kritik der Globalisierung meint nicht die Verteidigung des "Standort Deutschland" oder "deutscher Interessen" bzw. der "Festung Europa".
Das Verständnis einer lokalen Plattform globalisierungskritischer Gruppen kann daher nur auf der Basis von globaler Zusammenarbeit mit anderen ähnlich denkenden und handelnden Gruppen beruhen. Das social forum wird mit einer Kirchturmsperspektive nicht überleben.

7. Politische Differenzen offensiv thematisieren
Es bedarf auch inhaltlicher Diskussionen zwischen uns. Daher wollen wir auch kurz die politischen Differenzen ansprechen, die uns von einander trennen.
Die politische Herausforderung vor der wir stehen, ist, daß wir zwei unterschiedliche Spielarten von Kritik zusammendenken und zusammenbringen müssen.
Da sind auf der einen Seite diejenigen, die sich die Verteidigung des fordistischen Wohlfahrtsstaates zur Aufgabe gemacht haben. Sie setzen nach wie vor auf die bisherige Sozialstaatspolitik.
Auf der anderen Seiten finden sich diejenigen, die keinen großen Sinn in der Verteidigung des Sozialstaates sehen und die Krise des Fordismus als Ausgangspunkt für eine umfassende Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse sehen. Sie verweisen auf die Kontrollmechanismen und die Bevormundungen des Sozialstaates.
Dieser Widerspruch wird uns weiter beschäftigen.

8. "Diffusität" als Vorteil
Die mit unserem Vorschlag notwendigerweise verbundene Diffusität sollten wir als Vorteil empfinden. Was nicht fassbar ist, läßt sich nur schwer denunzieren, in Schubladen packen und ablegen. Darin besteht ja gerade der Charme der ganzen Angelegenheit. Die Verortung in einer globalen außerparlamentarischen Bewegung verleiht den eigenen Anliegen eine größere Bedeutung. Eine solche Perspektive ermutigt das "Sich Einmischen", sie befördert das Engagement und sie verstärkt unsere Bedeutung in den kommenden sozialen Kämpfen.

9. Netzwerk-Gedanke
Das SocialForum soll ein Netzwerk ergeben aus Einzelpersonen, Gruppen und Initiativen, die lokal/regional zusammenarbeiten. Wir schlagen wir vor, an einer globalen sozialen Bewegung teilzuhaben, die gegenwärtig die Chance für einen emanzipatorischen Wandel besitzt. Kurzum, wir schlagen vor, ein "social forum" in Tübingen als inhaltlich Plattform zu gründen, das sich als vielfältige, außerparlamentarische Opposition versteht und auf die Stärkung der Selbstregierung abzielt.

 

25.02.2002
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