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Berlin: "Politischer 1. Mai 2002" : Neues Befriedungskonzept für Kreuzberg!

"Politischer 1. Mai" : Neues Befriedungskonzept für Kreuzberg!

1. Mai 2001: Die revolutionäre 1. Mai Demo ist verboten worden. 3 - 4.000
Personen versammeln sich am Lausitzer Platz gegen diese Entscheidung. Vorne
weg ein Bürgerbündnis und dahinter die Autonomen und die AAB. Das Motto:
"Freiheit stirbt mit Sicherheit" ist jedes revolutionären Inhaltes beraubt.

Appelliert wird an die Demokratie, dass es nicht angeht, dass die Faschos
laufen und die Linken nicht. War die 1. Mai Demo um 18.00 h schon in den
letzten Jahren eher zu einem "Event" geworden, so bot sie wenigstens einen
Ansatzpunkt für revolutionärer Kritik und Aktion und war dementsprechend den
Herrschenden in dieser Stadt ein Dorn im Auge. Mit dem Regierungsantritt des
rot-roten Senats, sollen nicht nur die sozialen Angriffe widerspruchsloser
durchgesetzt werden, sondern soll sich auch der revolutionäre 1. Mai in
einen Tag für die "Demokratie von Unten" verwandeln. Vor allem die neuen
Regierungslinken von der PDS scheuen weder Mühe noch Mittel, um zu
verhindern am 1.Mai in die politische Zwickmühle zwischen (von ihr zu
integrierendem) militanten sozialen Widerstand und (von ihr repräsentierter)
Staatsraison zu geraten. Dieses Experiment versuchte schon der rot - grüne
Senat am 1. Mai 89.

Zur feindlichen Übernahme hat sich ein "Personen-Bündnis für einen
politischen 1. Mai 2002 in Berlin - Kreuzberg" formiert. Die Veranstalter
formulieren ihre Hegemonie über den Stadtteil, indem sie "sich als
Alternative zur ritualisierten Gewalt - Konfrontation" verstehen.
"Politische Teilhabe als Demokratie von Unten ist zu erneuern", heißt es in
dem Gründungsaufruf. Konstruktiv soll das Projekt "eine neue Qualität von
themenbezogener Auseinandersetzungen schaffen und Gewalt unmöglich machen."
Welche Gewalt damit gemeint ist, dürfte klar sein. Das Bündnis will nach
Berichten der Berliner Zeitung vom 12.2.02 mehr als 100 Ordner stellen. Der
Mitorganisator und PDS-Politiker Michael Prütz kommt mit folgendem Zitat zu
Wort: "Jeder der Randale will, muß wissen, dass er isoliert ist." So kommt
es dann auch, dass laut Protokoll des Bündnis-Treffens, die Gewerkschaft der
Polizei wie auch der Innensenat großes Interesse an diesem Konzept zeigen,
steht dieses doch ganz im herrschenden Diskurs der Konfliktbewältigung.
Revolution als Inhalt soll zugunsten einer ´Globalisierungskritik´
wegfallen. Die Befriedung und damit Entwaffnung des Konflikts wird wie so
oft in der Geschichte von der parlamentarischen Linken (1918, 1968 usw.)
-auch als Linke des Kapitals zu bezeichnen- durchgezogen. So reicht die
Liste der Erstunterzeichner von Stefan Zackenfels (SPD, MdA Berlin) über
Sascha Kimpel (Attac Berlin), Sofia Eltrup (Bündnis 90 / die Grünen), Prof.
Dr. Peter Grottian (Komitee für Grundrechte und Demokratie / FU Berlin) bis
Marc Schlosser von der AAB. Damit der "erlebnisorientierte Jugendliche"
nicht vor Langeweile stirbt, "sollen Straßenfeste und Kinderfeste
durchgeführt werden, Hearings- und Diskussionsforen stattfinden,
Musikgruppen und Klassiker auftreten, das satirische Kabarett seinen Platz
haben, Demonstrationen vielfältiger Art eine Selbstverständlichkeit sein,
Zukunftswerkstätten Phantasie und Kreativität herausfordern. Inhalte und
Formen sollen etwas anbieten, was es noch nicht gegeben hat und Chancen für
neue Politisierung öffnen." Das Ziel ist jedoch klar formuliert, es geht um
"ein politisches Signal für eine andere politische Konfliktbewältigung"und
ist damit dem alljärlichen Straßenfest der Berliner Polizei am 1. Mai in
Form und Zweck gleichzusetzen.

Diese Bemühungen könnte man getrost als lächerlich abtun, wenn sich die
radikalen Kräfte dem verweigern würden und die eigene revolutionäre Stärke
betonen würden. Doch das Gegenteil ist der Fall. "Nach eigenen Aussagen
reicht das Bündnis `von den Autonomen bis zur SPD.´" ( Berliner Zeitung,
12.02.02) Die AAB ist gar nicht faul und kümmert sich laut Protokoll "um die
Diskussion im linksradikalen Spektrum der Stadt." "Die Revolutionäre 1. -
Mai - Demo, die um 18 Uhr beginnt, soll ´integraler Bestandteil´ sein."
(Berliner Zeitung, 12.02.02) Die Strategen der besagten Gruppe meinen damit,
einen besseren Schutz für ihre Demo zu haben. Dieses Argument ist nicht nur
historisch als die Logik des kleineren Übels ins revolutionäre Gedächtnis
eingegangen, sondern hat sich in aller Konsequenz als Selbstentwaffnung der
Revolutionäre erwiesen. (siehe unser Flugi: "Antideutsche, Antiimperialisten
und die Logik des kleineren Übels") In der Konsequenz wird die AAB so das
Potential dieser Demo in die ideologischen Fänge der parlamentarischen
Linken treiben, indem einerseits das Rebellionsgefühl angesprochen und im
selben Atemzug man sich in die oben beschriebene Kampagne einordnen wird.
Die Radikalität dieser Gruppe reduziert sich auf die moralische Kritik:
"Leider lässt sich nichts mehr vorhandenes vorfinden, das den Weg zum Reich
der Freiheit weißt. Der einzige haltbare Standort ist der der
Standortlosigkeit, die destruktive Kritik, die am schlechten Dasein nichts
verbessern will, und das einzige Anliegen das der Überwindung des Kapitals
als gesellschaftliches Verhältnis" (Aus Phase 2, Nr. 1 Artikel zum 1. Mai).

Die "Standortlosigkeit" zur Perspektive erklärt, hört sich radikal an, steht
aber im Widerspruch zur zum unteren Teil des Zitats. Die Kritik des
Reformismus steht ganz im Widerspruch zu ihrer Suche nach dem bürgerlichen
Bündnispartner. Und damit hat die AAB Erfahrung, betrachtet man ihre
"antifaschistische Lobbyarbeit", die sie schon neben Thierse aufs Podium
führte oder zur verbalen Unterstützung von Josef Fischers Außenpolitik gegen
Haider brachte. Beim abstrakten Antikapitalismus, der nicht nur von der AAB
propagiert wird, spielt ein zur antagonistischen Kraft gewordenes
Proletariat keine Rolle. Ihr Antikapitalismus kann sich nur in abstrakter
Symbolik (gegen Bonzentreffen) oder verwaltender Politik (für "linke"
Mehrheiten) ausdrücken. Für sie gibt es kein revolutionäres Subjekt, das
sich in Kämpfen zur Klasse konstituiert und die Kraft gesellschaftlicher
Veränderung besitzt. Die Betrachtung des Kapitalismus als konkretes
gesellschaftliches Verhältnis im Spannungsfeld von Klassenkampf und
Kapitalinteressen wird so realpolitisch negiert. Nun sehen wir die
Konsequenz auch bei der AAB: Mit ihrer Standortlosigkeit findet sie sich im
Schoße der bürgerlichen und zivilgesellschaftlich bewegten Mitte wieder.

Das Mitmachen im Bündnis "für einen politischen 1. Mai" ist genauso fatal,
wie die Teilnahme an Wahlen oder der Versuch, in den Gewerkschaften
praktische Politik zu betreiben. Das Argument ist immer gleich, dass man
versuchen müsse, Relevanz zu erlangen, bzw. bessere Ausgangsbedingungen für
die Revolutionäre zu schaffen. In der Konsequenz geht es dann um die
Bündnisfähigkeit, wo man die revolutionären Inhalte verhandelt, taktiert und
entstellt. Ganz dieser Logik entsprechend steht in der Interim 543: "Denn
eines ist klar, wenn wir in pure Konfrontation zum Bündnis und nicht
zumindest ein tolerantes Miteinander üben, brauchen Polizei und Senat uns
gar nicht erst klein machen, das würden wir damit schon selbst besorgen." So
ist man bereit mit für einen friedlichen 1. Mai zu sorgen, wenn die Polizei
vom Kiez fern bleibt. "Sollten die Bullen auf der Oranienstraße gar nicht
erst auftauchen, könnten wir sogar darauf verzichten, ihnen das Leben dort
schwer zu machen." (Interim 543, 7.2.02) Gegen diese Logik schrieb schon
Thomas Ebermann: "`Ohne Bullen keine Krawalle´ - das ist so spießig wie
`ohne Kontrolleure kein Schwarzfahren`, ´ohne Überwachungskameras kein
Ladendiebstahl`, ´ohne Stempeluhr keine Unpünktlichkeit`, ´ohne
Gefängnismauern keine Flucht` oder pauschaler: ´Ohne Ordner keine
Unordnung´" (Thomas Ebermann: Straße frei für die Polizei , zum 1. Mai 89).
Keine humane Fabrik oder modifizierte Polizeitaktik kann das Übel der
Ausbeutung und die Revolte dagegen verhindern. Von diese Erkenntnis, die
alle Linken mal kannten, will man sich jetzt, so fern nicht schon früher
geschehen, gemeinsam verabschieden.

Der revolutionäre 1. Mai ist jedoch nicht nur Aktionsfeld für die oben
benannten Nachwuchspolitiker, sondern auch ein Zeichen von Revolte. Die
gezeigte Wut gegen die herrschenden Verhältnisse, jehnseits staatlicher
Politikverordnung ist dann auch das Positive. Gab es früher wenigstens noch
den Versuch diese Wut inhaltlich zu artikulieren, reduzierten die Autonomen
ihre Weltsicht auf die repressive Seite des Kapitalismus oder man überließ
das Feld der Pop-Antifa. Aber auch bei den Autonomen erschöpfte sich der
Inhalt auf die Repression, die sich konkretisierte an den einsitzenden RAF
Leuten, an der Wohnungsnot, brutalen "Polizeieinsätzen", Aktivitäten gegen
Faschos, dem Rassismus, Sexismus und aktuell am Krieg usw. Dieses für sich
allein genommen, ist jedoch nicht Zweck, sondern Resultat der
kapitalistischen Ordnung und dient meistens dazu, den ausbrechenden Untertan
wieder mit Gewalt oder unter Androhung dieser, wieder einzugliedern. Der
Zweck des Staates ist aber der, dass die Leute sich für die
Reichtumsvermehrung abrackern sollen, alle 4 Jahre ihrer eigenen
Beherrschung zustimmen und brav ihre Steuern, Abgaben und Beiträge zahlen.
Die linke Weltsicht nimmt nicht zur Kenntnis, dass der Polizeiknüppel die
Ausnahme, die Schule, Arbeit und das Wählen aber die Normalität sind. Der
Mensch ist dabei weder geborener Untertan, noch natürlicherweise Rebell.
Weil einem das Verständnis von kapitalistischer Gesellschaft abhanden
gekommen ist, bewies man sich als Autonomer in den letzten Jahren lediglich
selber, dass man sich nicht unterkriegen lässt. Dass jedoch ist nicht nur
bescheiden, sondern auch nicht mehr politisch, denn wenn man niemanden mehr
überzeugen will, braucht man auch keinen Standpunkt mehr und kann dann auch
der jetzigen Integration wenig entgegensetzen.

Notwendig ist aber der linksradikale Standpunkt und für diesen gibt es eine
jahrzehntelange Erfahrung unserer Geschichte. Und dazu gehört es vor allem
die Demokratie als die entscheidende Verwaltungsform des Kapitals zu sehen.
Diese kanalisiert nicht nur die Empörung der Produzenten des
gesellschaftlichen Reichtums auf die parlamentarische Ebene, sondern macht
uns zu individualisierten Staatsbürgern, die Stimmvieh für um Einfluß
ringende Politiker sind. Sie hat sich zum Zweck der Herrschaftssicherung als
äußerst effektiv gezeigt. Auch die ideologische Konstruktion der "Demokratie
von Unten" hat das gleiche Ziel. Nur die Kontrolle der Politiker soll besser
werden. Die Frage warum überhaupt Herrschaft und warum es diese als
Institution überhaupt gibt, verschwindet so realpolitisch. Gleichzeitig ist
das System durch diese "demokratischen Verbesserungen" stabiler geworden.
Denn die Schaffung betroffenheitsorientierter Unterabteilungen, wie zum
Beispiel Bürgerinitiativen oder das aktuelle Bündnis ermöglicht es den
Parteien, sich darin zu tummeln. Das "bürgernahe" Gestalten macht aus der
Bundesrepublik nur einen noch freieren Zwangsstaat. Zu einer freien
Gesellschaft mit freien Menschen wird man aber so nicht kommen. Der
Kapitalismus war und ist immer ein Klassenverhältnis, bei dem wir zu
Konkurrenten um unser eigenes Produkt gemacht werden, bzw. wir uns zu Tode
rackern damit die Profitmaschine funktioniert. Der politische
Verfassungsstaat gerade in der Form der Demokratie will dieses Verhältnis
absichern. Sie stellt in aller Konsequenz die "präventive Konterrevolution
in Permanenz" (Agnoli) dar. Die scheinbare Stabilität wird aber immer wieder
Konflikte und Revolten hervorbringen, wie die aktuellen in Argentinien.
Diese Kämpfe die uns zu Subjekten der Veränderung machen, indem wir nicht
mehr als Staatsbürger funktionieren, sind für uns der Bezugspunkt. Damit
diese Kämpfe aber nicht wieder Abflauen oder integriert werden können, ist
die Formierung einer Radikalen Linken gegen die Logik des kleineren Übels
mit proletarischen Bezug auch gerade an diesem unter Rot - Rot
standfindenden 1. Mai nötig. Das Vorhaben dieses Bündnisses muß mit den
nötigen Kritiken veröffentlicht werden ( Protokolle dieses Bündnis sind auf
unserer Internetseite nachzulesen). Wir wollen mit so vielen wie möglich
gegen die "politische Konfliktbewältigung" als Befriedungskonzept praktisch
in Aktion treten und der Linken des Kapitals, von der AAB über Attac bis zur
SPD so einen Strich durch die Rechnung machen.

Feb. 2002

Zeitungskollektiv "Aufbrechen"

Gruppe B.O.N.E.

"Bündnis antiparlamentarische Linke"

Aus Agnoli: Auf dem Weg zur unmittelbaren Demokratie? "Was sich in der
Forderung nach Basisdemokratie konkretisiert und das Entgegen kommen des
Staates schon findet, erscheint beim ersten Zusehen als Ausweitung der
gesellschaftlichen Autonomie. In der Wirklichkeit verwandelt sich die
Autonomie in die eingegliederte Subsidiarität. Die Beteiligung wird
institutionalisiert, in eine rechtliche Form gegossen und zu einem
geregelten und kontrollierbaren Institut des Staates gemacht. Sie verliert
mit anderen Worten genau ihre Qualität, staatsfreie, machtpolitisch, nicht
tangierbare Räume zu schaffen und auszuweiten."

Weitere Infos auf unserer Homepage unter:  http://www.wahlboykott.de.vu

 

19.02.2002
"Bündnis antiparlamentarische Linke"   [Aktuelles zum Thema: Soziale Kämpfe]  [Schwerpunkt: 1.Mai]  Zurück zur Übersicht

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