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Das "rot-grüne Projekt" hat eine Ideologie, die "Neue Rechte" stand Pate: Biosozialismus

"Zum Glück haben Sie Ahnenforschung gemacht", sagte der Sprachhistoriker Prof. Dr. Jürgen Udolph
kürzlich einer stolzen Frau, die im Radio die Bedeutung ihres Familiennamens erklärt haben wollte,
denn die territoriale Herkunft der Familie sei entscheidend für die nominale Sinndeutung. Die tägliche
Sendung mit dem Namensforscher, der sich bisweilen ungeniert auf Nazi-Literatur beruft und über
"Namenkundliche Studien zum Germanenproblem" die frühgeschichtliche germanische "Landnahme"
der belgischen und französischen Zielgebiete späterer deutscher Weltkriege nachweist, ist der Renner
in Radio Eins, dem Programm von SFB und ORB für junge moderne Menschen in Berlin und
Umgebung. Viele rufen beim Sender an und wollen wissen, warum ihre Familie so heißt. Udolph hat
an der Uni Leipzig den einzigen deutschen Lehrstuhl für Onomastik und ist renommiertes Mitglied der
wissenschaftlichen Indogermanischen Gesellschaft. Im Radio erklärte er bisher nur deutsche Namen,
keine türkischen, afrikanischen oder jüdischen, der Nachfrage wegen.

Stolz und Schönheit

Zwischendurch sendet Radio Eins Werbe-Jingles für die in Berlin gastierende Ausstellung
verstorbener Menschen des Prof. Dr. Gunter von Hagens ("Körperwelten"), die der Sender promotet.
"Echte Leichen, die, sagen wir mal, wie der Elchkopf an der Wand präpariert sind. Wenn Sie noch nicht
da waren, dann nichts wie hin!", tönt der DJ aus den Empfangsgeräten des Volkes. Von Hagens gibt
zu, auch "herrenlose Leichen" für seine "Plastination" zu benutzen, die zu Lebzeiten nichts davon
wußten, einmal aufgeschlitzt angegafft zu werden. Mehr als eine Million Schaulustige kamen bisher
schon nach Berlin, zweiundzwanzig Mark kostet der Eintritt. Der Leichenverwerter will den Besuchern
mit seinen Exponaten helfen, "Körperstolz" zu entwickeln. Bei der Love Parade der stolzen Schönen
fuhr er selbst mit, ließ 5000 Freikarten verteilen und in der Ausstellung Techno-Musik spielen. Das
gefiel Radio Eins. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin Andreas Nachama sah dagegen
in der Leichenschau "die logische Konsequenz dessen, was im 20. Jahrhundert schon passiert ist - da
wurde kein Halt gemacht vor lebenden Menschen, da wurden menschliche Körper millionenfach von
Mördern zu Asche verbrannt oder zu Seife verarbeitet, aus menschlicher Haut Lampenschirme
hergestellt". Der Berliner Tagesspiegel wiederum ließ zum Jubiläum der "Sendung mit der Maus" auf
seiner Kinderseite die lustig belehrenden ARD-Tiere für die Ausstellung werben: "Wir finden, daß
Kinder so etwas ruhig anschauen dürfen. Man bekommt ein Gefühl dafür, was für eine genau
ausgetüftelte Maschine so ein Körper ist." Gutes Deutsch lernen die Kinder so nicht, aber Wichtiges für
den Standort Deutschland.

L'homme machine hat kein Gedächtnis, sondern Ahnen, kein Bewußtsein, sondern Gene. Die
Rückkehr zum bürgerlichen Materialismus ist von der Verwertungslogik des Kapitals gefordert, da beißt
die Maus kein' Faden ab. Der Sozialismus habe sich "historische überlebt", meint Gerhard Schröder,
und mit ihm das historisch-materialistische Menschenbild. Körperstolz und Ahnenstolz treten an seine
Stelle, das soziale Individuum wird zum Nachkommen, der Tote zum Ausstellungsobjekt, das Subjekt
zur Ware Mensch, auch stückweise verkaufbar als Stammzellenhaufen, Ersatzteil der Maschine.

Konjunktur, wenigstens für "Soziobiologen" und "Ahnenforscher(innen)"

Die Biologisierungs-Propaganda treibt Blüten. Als Höhepunkt einer einschlägigen Artikelreihe brachte
der Tagesspiegel Ende Juli einen ganze Seite über das Verlieben, das "in den Zeiten von
Stammzellen- und Genomforschung" nun ebenfalls von "Soziobiologen" erforscht werde. "Der
biologische Imperativ" zwinge Mann und Frau beim "berühmten 'ersten Blick'" dazu, das
"Reproduktionspotenzial des Gegenübers" abzuschätzen; Frauen bevorzugten von Natur aus
Ehepartner mit hohem Einkommen, um durch bessere Startchancen der Nachkommen "die
Weitergabe ihrer Gene (zu) sichern", während beim Mann "die Biologie des Fremdgehens" den
Selektionsvorteil bringen soll. Gerhard als Bundeskanzler, sein Halbbruder dagegen schon wieder
arbeitslos - für den "stern" ist auch das ein Bio-Thema: "Brioni gegen Ballonseide, das kann nur
daran liegen, daß sie unterschiedliche Väter haben". Die Biologisierung des Strafrechts war Schröders
eigener Sommerhit: "Wegschließen, und zwar für immer". Der Tagesspiegel ergänzte zur Vorbereitung
des 7. Weltkongresses für Biologische Psychiatrie, der erstmals nach 1945 in Berlin tagte: "Kälte aus
den Genen. Schwerverbrecher wie der Mörder von Ulrike" seien nur ein "Teil einer größeren Gruppe
mit einer 'Antisozialen Persönlichkeitsstörung'"; zum Glück fahndeten Forscher bereits nach der
"biologischen Basis" der Antisozialen. Der Schließer bekommt einen sicheren Arbeitsplatz.

Ahnenforschung betrieb auch Forschungsministerin Edelgard Bulmahn zur Eröffnung ihres "Jahres der
Lebenswissenschaften", das die gesellschaftliche Akzeptanz der Biotechnologie herstellen soll,
nachdem die Presse, bis hin zur kapitalfreundlichen "Welt", im Jahr 2000 noch sehr kritisch über die
"Ersatzteillager-Züchtung" in Großbritannien berichtet hatte. "Selber Banane!" rief Bulmahn nun dem
Volk auf Postkarten zu, die kostenlos in Kneipen verteilt wurden, und duzte jovial: "Dein Genom ist zu
50 % mit dem der Banane identisch. Mehr unter www lebenswissen de." Auf einer anderen Karte
forderte sie: "Mach mir den Affen! Das dürfte dir nicht schwerfallen, denn dein Erbgut stimmt zu über
99 % mit dem des Zwergschimpansen überein". Der Affe schaut konsterniert, doch die Ministerin
lächelt auf der Karte und verspricht: "Das Jahr der Lebenswissenschaften bietet große Chancen zur
Diskussion auf gleicher Augenhöhe. Jeder soll die Möglichkeit haben, mit Forscherinnen und Forschern
Meinungen und Argumente auszutauschen und dadurch informierter zu entscheiden." Lustig listige
PR-Strategie für die Stammtische der Neuen Mitte. Wenn man Bananen zermatschen darf, dann
wohl auch den achtzelligen Embryo, der ja augenscheinlich zu weit weniger als 50 % Mensch ist - ein
Mißverständnis der Pop-Kampagne, ich gebe es zu, ebenso wie die Frage nach der Identität des
"normalen" Genoms des Deutschen mit dem "kalten" des Schwerverbrechers, die sich aber,
Entschuldigung, angesichts der "über 99"-prozentigen Nähe, die sogar zu den Laborversuchstieren
besteht, doch geradezu aufdrängt.

Auch "gleiche Augenhöhe" und "Entscheidungsfreiheit" für "jeden" sollte man nicht mißverstehen. Wer
mit Bulmahns "Lebenswissenschaften"-Kampagne die Lebensphilosophie assoziiert, die in
Deutschland die Biologie als Gesellschaftswissenschaft "implementierte" und derart die für manche
schon prähistorischen politischen Schwerverbrechen ermöglichte, wurde bei der
Eröffnungsveranstaltung der Kampagne in Berlin nicht enttäuscht. Als Bulmahns Hausphilosoph saß
Peter Sloterdijk auf dem Podium gleich neben der Ministerin, der legitime Nachfolger der
Lebensphilosophie, der sich schon 1999 als conclusio seines Textes "Regeln für den Menschenpark",
sich ausführlich auf seinen Ahnherrn Nietzsche berufend, gegen die "gleiche Augenhöhe"
ausgesprochen hatte: "Der würdigste Hüter und Züchter der Menschen" sei "der Weise", quasi als
Abstraktion des Ethikrates. Dem Volk bleibt immerhin die Entscheidung zwischen Euro- und
Dollar-Bananen.

"Biopolitik" aus der "Neuen Rechten"

So geht Biopolitik, mal populär, mal elitär. Machen auch wir Ahnenforschung: Der Begriff "Biopolitik"
stammt aus den Schriften der Neuen Rechten. Die heute wieder aktuellen Bücher von Michael Billig
(Die rassistische Internationale, 1981) und Margret Feit (Die 'Neue Rechte' in der Bundesrepublik,
1987) analysierten, wie der intellektuelle Neofaschismus - international organisiert, in Deutschland im
Thule-Seminar - von Alain de Benoist über Sigrid Hunke bis Armin Mohler zurückgreift auf
biologistische Konzepte von Konrad Lorenz, Hans Jürgen Eysenck oder Arthur Jensen, die sich nicht
scheuten, auch in den Blättern der Neuen Rechten, wie Benoits "Nouvelle École" (Lorenz) oder
Jürgen Riegers "Neue Anthropologie" (Eysenck, Jensen), zu publizieren, in denen auch
Nazi-Rassisten wie Hans F. K. Günther wieder zu Ehren kamen. Eysencks erbpsychologische
Arbeiten zum Charakter des Kriminellen, Jensens Thesen von der genetisch minderen Intelligenz der
Schwarzen wurden in den Kampagnen gegen die teure Bildungsförderungs- und
Resozialisierungspolitik in den USA direkt politisch umgesetzt.

Auch heute ist die Biopolitik eng verzahnt mit der Ideologie der Neuen Rechten. Der Präsident der
Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Hubert Markl, ein Schüler von Konrad Lorenz, schloß sich in seiner
Rede auf der diesjährigen Hauptversammlung der MPG im Juni dem nominalistischen Verständnis der
Neuen Rechten vom Menschen an., nach dem "Mensch" ein willkürlicher Zuschreibungsbegriff ist.
"Zwar gehört jeder heute lebende Mensch biologisch zur Art Homo sapiens", sagte Markl, doch
"Menschenwürde, ja eigentlich Menschsein ist mehr als dies Faktum, es ist eine kulturell-sozial
begründete (!) Attribution", und zwar "mit allen Rechtsfolgen"; die "Zuschreibung des vollgültigen
Menschseins" werde "in heutigen Hochkulturen ... durchaus verschieden begründet". Mensch ist
demnach nicht als absolute, sondern als eine nach weltanschaulichen Kriterien relative Kategorie zu
verstehen. Den Nominalismus, der im Gegensatz zur Rousseauschen und Kantschen Auffassung
steht, nach der jeder Mensch von Natur aus gleiche Rechte hat, wies Feit - neben dem Postulat von
der Bestimmtheit des Menschen durch biologische Triebe (Territorial-, Aggressions-, Dominanz-,
Besitz-, Sozietäts- und Sexualtrieb) - als die zentrale Kategorie der Neuen Rechten nach. Er eröffnet
erst die Möglichkeit, bestimmten Menschen die Qualität des Menschseins abzusprechen. Selbst die
FAZ tat einen Aufschrei, weil Markl hieraus die Berechtigung zu Eugenik und "Sterbehilfe" ableitete
und diese auch noch - ganz Lorenz-Schüler - in den Dienst der Evolution stellte, deren natürliche
Auslesemechanismen in den zivilisierten Gesellschaften nicht mehr funktionierten. Markl knüpfte nun
auch noch "Wissenschaft" und "technische Erfindungsgabe" an die Zuschreibung und schloß mit
einem Bekenntnis zum faustischen Menschen, der "seine Grenzen überschreiten muß, um ganz
Mensch zu sein", die Rede ab. So kam er implizit an die Thesen des Neurechten Guillaume Faye
heran, der 1988 in dem Buch des Thule-Seminars "Mut zur Identität" nur die Indoeuropäer als
berechtigte Träger der Attribution "Mensch" anerkannte, weil nur sie Wissenschaft und Technik
entwickelten und auch die Willenskraft hätten, "vor allem durch die Beherrschung der Genetik ... die
differenzierende Logik der natürlichen Evolution ab(zu)lösen" (Faye) und ihre kulturelle Überlegenheit
genetisch zu festigen. Damit nicht genug. Markl rief schon im Januar dazu auf, die Zahl der Menschen
weltweit auf zwei Milliarden zu senken, und er ließ keinen Zweifel daran, wer zu wessen Gunsten weg
muß: "Ein Fünftel der Menschheit braucht dringend mehr, vier Fünftel brauchen dringend weniger
Nachkommen". Dies sind in der Tat "gattungspolitische Entscheidungen" (Sloterdijk), die Markl mit
Lorenz' "Parasiten"-These begründete, nach der die bald zehn Milliarden Menschen "ein gigantisches
Nahrungsreservoir für gefährliche Mikroben" (Markl) darstellten, die am Ende auch das zu
vermehrende Fünftel bedrohten. Lorenz hatte diese These 1976 in Benoists "Nouvelle École"
publiziert. Im Februar forderte Markl in Anspielung auf die Jensen-Debatte der 70er Jahre dann auch,
die genetischen Grundlagen von menschlichem Verhalten und Intelligenz stärker zu berücksichtigen,
als es die Sozialwissenschaften im Gefolge von Marxismus und Frankfurter Schule bisher tun.

Eugenischer und völkischer Rassismus

Der Antifaschismus der 80er und 90er Jahre kritisierte vor allem den völkischen Rassismus als
wichtigste politische Konsequenz neurechter Ideologie und überließ die Kritik des eugenischen
Rassismus weitgehend der Frauenbewegung und den politisch bewußten Behinderten, die den
Nominalismus in der Debatte um Peter Singers Euthanasie-Konzept der "Person" und "Nicht-Person"
thematisierten. Doch Markls Aufruf, die dringend benötigten ausländischen Fachkräfte ins Land zu
holen und gegen die Stiefel und Knüppel der Neonazis zu verteidigen, verbunden mit seiner
Forderung, die Zahl der nicht indoeuropäischen Menschen auf der Welt zu verringern, zeigt einmal
mehr die Grenzen dieses Antifaschismus. Schon der Ahnherr des Rassismus, Francis Galton, hatte
eine "intelligente Auslese" durch menschlichen Willen und Wissenschaft gefordert. Markl verband nun,
vor der MPG und in Zeitungsartikeln, die "Willenskraft" und die "Pflicht zur selbstverantwortlichen
Lenkung der eigenen Geschicke" (Markl) mit den vermeintlichen Anforderungen der Evolution und den
tatsächlichen der hochentwickelten Ökonomien des Nordens. Dennoch ist auch der eugenische
Rassismus, der die wirtschaftlich Brauchbaren aus allen Kontinenten rekrutiert und die Unbrauchbaren
überall biopolitisch bekämpft, nicht frei vom völkischen Rassismus. Bulmahn belehrt uns auf einer
weiteren Postkarte ihrer Lebenswissenschaften-Pop-Kampagne: "Fast wäre aus dem Bayern ein
Eskimo geworden. Ihr Erbgut ist zu 99,99 % identisch" - fast, denn Eskimos sind eben keine
indogermanischen Computer-Inder, sondern - siehe oben - offenbar näher am Zwergschimpansen
als am Süddeutschen, wenn man den Postkarten der Forschungsministerin glaubt. Passend berief
Bulmahn, die kürzlich selbst - und erstmalig seit 1945 - den Begriff der Evolution wieder in die
deutsche Politik einführte, Markl sogleich in den "Innovationsbeirat", dem fast nur Industriemanager
angehören und der das Projekt "futur" anleiten soll, eine Quasi-Sekte aus 2000 Leuten, die im
Internet-Dialog miteinander "Leitvisionen", "Zukunftsbilder" und "wahrscheinliche Zukünfte" entwerfen,
Transzendentes also, an dem sich die Forschungspolitik der Bundesregierung demnächst ausrichten
soll. Das Projekt ergänzt den praktisch orientierten Nationalen Ethikrat, der neben der
Stammzellenforschung bereits die Pränataldiagnostik (eine Voraussetzung der Eugenik) und die
Euthanasie zu seinen Themen bestimmte und dem mit Jens Reich ebenfalls ein Anhänger
Lorenz'scher Ausmerze des als fehlerhaft definierten menschlichen Erbgutes angehört.

Heimliche Traditionen ...

Verdacht hat der Begriff "Biopolitik" schon anderweitig erregt. Der Faschismusforscher Michael H.
Kater stellte Ende Juli 2001, nach Schöders "Wegschließen!" und dem Bio-Psychiater-Weltkongreß,
in der Frankfurter Rundschau die Volksgesundheitspolitik der Nazis als "biopolitisches Konzept" vor.
Weitere Parallelen zum heutigen Diskurs, als in diesem Adjektiv erkennbar, wollte er nicht ziehen, ließ
die Erinnerung an die Nazipolitik für sich selbst sprechen: die von jedem Glied der Volksgemeinschaft
verlangte "sittliche Pflicht zur Gesundheit", das "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher",
die Erbgesundheitsgesetze, das nicht mehr verwirklichte Gesetz zur erbmedizinischen Ausmerze von
"Gemeinschaftsfremden", darunter soziale Randgruppen und Oppositionelle. "Toleranz gegen
moralisch Minderwertige ist eine schwere Gefahr für die Volksgemeinschaft", hatte auch Konrad
Lorenz in den 40er Jahren in seinen pro-nazistischen Artikeln geschrieben. Geradezu als sittliche
Pflicht zur Eugenik erscheint heute Sloterdijks Appell im Tagesspiegel: "Die Verhütung von schwersten
Erbkrankheiten ist keine heillose Machenschaft, sondern ein Ausdruck von Verantwortlichkeit", denn
"mißgebildete Kinder" seien "skandalös", ihre Existenz eine "Lebenszumutung". Nicht skandalös fand
er seine Anspielung auf Jürgen Habermas, der ihm bürgerlich-aufgeklärte Opposition gegen seine
"Menschenpark"-Rede zugemutet hatte. Listig machte er Habermas zum Anwendungsfall der
Eugenik: "Ich lehne die theologische Verklärung von Erbkrankheiten ab, ich glaube nicht an den Gott,
der Hasenscharten schuf." So weit geht Biopolitik schon wieder.

... in bekanntem Auftrag

Schröder nahm in seinem Artikel "Gen-ethischer Grenzgang" zum Start des Jahres der
Lebenswissenschaften unter Bezug auf Jens Reich Markls Verbindung von Nominalismus und
faustischer Hybris schon vorweg. Einzige Grenze sei die Unantastbarkeit der Menschenwürde, und
"diese Würde steht nicht in der Buchstabenfolge des Genoms" - gegen Rousseau und Kant gelesen:
Sie ist kein Naturrecht eines Jeden. Gleichzeitig machte er klar, daß die Überbau-Kampagne der
ökonomischen Basis dient: Es gehe um "Patentschutz" für deutsche Firmen, da "eine
Selbstbeschränkung Deutschlands auf Lizenzfertigungen" zur Fremdbestimmung führe, denn
Deutschland verlöre die Macht über "die Anwendungen und Folgen dieser Techniken". Später sagte
er: "Ich setze noch einen drauf: Es ist nicht unethisch, darüber nachzudenken, ob man einem Volk ...
die ökonomische Nutzung dieser Technologie möglich macht oder nicht", ein Satz mit weitreichenden
Interpretationsmöglichkeiten, auch im Sinne Fayes. Enorme Kosteneinsparungen durch neue
Produktionsabläufe sieht der Verband forschender Arzneimittelhersteller. Das Testen neuer
Medikamente kann statt im Tierversuch, der die teure Züchtung und Haltung der Tiere erfordert, an
künstlich hergestellten Geweben aus menschlichen Stammzellen erfolgen; deshalb fordert er, wie
Schröder, die Freigabe auch der embryonalen Stammzellen als kostengünstigste Quelle der
Testgewebe-Produktion. Schon heute betreibt das Forschungsministerium "die wohl weltweit
bedeutendste staatliche Fördermaßnahme zur Entwicklung von Alternativen für Tierversuche", prahlt
Bulmahn und rühmt sich des Tierschutzes. Auf solche Wettbewerbsvorteile bei Testen und Zulassung
sind auch andere Branchen scharf, z.B. bei den Nebenwirkungen industriell eingesetzter chemischer
Substanzen oder künstlich hergestellter Lebensmittel. Dagegen ist das Arbeitsplatz-Argument nach
Studien des Forschungsministeriums weniger bedeutsam: Gut 200 000 Arbeitsplätze seien in der
Landwirtschaft, der Lebensmittelverarbeitung und im pharma-medizinischen Bereich durch die
Biotechnologie beeinflußt, nur 25 000 neue Arbeitsplätze in den Biotech-Unternehmen selbst
entstünden in den nächsten zehn Jahren. Auch die unter Linken verbreitete These, der
Wissenschaftsapparat treibe aus sich heraus die Debatte an, die Karrieren des Nachwuchses
verlangten nach neuen Promotionsthemen, ist wohl zu vernachlässigen, weil z.B. seltene Krankheiten
mangels Massen-Markt ja nicht erforscht werden. Bedeutender ist wohl die Verquickung von
Wissenschaft und Kapital, wie bei Detlef Riesner, Düsseldorfer Biologieprofessor und Mitgründer der
Qiagen AG, einer der bedeutendsten deutschen Biotech-Firmen, oder wie bei Günter Stock,
Vorsitzender des Senats der MPG und Forschungsvorstand der Schering AG, der letztjährigen
Top-Gewinnerin im Dax, die ihren Börsenkurs gegen den Trend um die Hälfte steigerte. Stock
forderte im Juli die Erlaubnis zum therapeutischen Klonen; ein Patent für die noch verbotene Technik
will sich auch Oliver Brüstle von der Uni Bonn sichern, für den NRW-Ministerpräsident Wolfgang
Clement die embryonalen Stammzellen auf dem Weltmarkt beschaffte. Ob die Stammzellen, deren
Wirtschaftskreislauf Clement zu organisieren hilft, immer nach "ethischen Mindeststandards"
gewonnen werden, bezweifelten Regine Kollek vom Nationalen Ethikrat und Ingrid Schneider von der
Ethik-Kommission des Bundestages kürzlich in der Süddeutschen Zeitung: Kontrollen über die
Herkunft der Eizellen und Embryonen, aus denen die heute handelbaren Stammzellinien gewonnen
wurden, gebe es nicht, teilweise kämen sie über dunkle Kanäle aus der Dritten Welt. Aus
abgetriebenen menschlichen Föten gewonnene Stammzellen wurden bereits in transgenen
Tierversuchen eingesetzt. Von der Verwertung "herrenloser Embryonen" bis zur Zwangsentnahme von
Eizellen in Gefängnissen, in denen ja auch zwangsweise Abtreibungen vorkommen, ist - jedenfalls
derzeit - offenbar alles denkbar auf dem Markt der Einzelteile.

Therapien mit totipotenten Stammzellen werden nur durch therapeutisches Klonen wirtschaftlich, weil
körperfremde Embryonalzellen teure Antiimmunbehandlungen (wie bei Organtransplantationen) nötig
machen. Bedenkt man, daß die gesetzlichen Krankenkassen, denen 80 % aller Versicherten
angehören, auch intern, durch ihre "sozialpartnerschaftliche" Kontrolle, dem direkten Zugriff der
Kapitalseite unterliegen, sind deren Behandlungspräferenzen vorhersehbar, auch wenn das
therapeutische Klonen ein Heer an eizellspendewilligen Frauen voraussetzt. Der Umbau der
Sozialversicherungssysteme, das Abzweigen von Profiten für private Versicherer aus diesem
gigantischen Finanzpool bei gleichzeitig sinkender Zahl der Beitragszahler, gehört ebenfalls zum
volkswirtschaftlichen Hintergrund der Bioethikdebatte, weil die Leistungen verbilligt werden müssen.
Das gilt ebenso für zukünftige Therapiearten, für die eugenische Verhinderung teurer Kranker wie auch
für deren "Euthanasie". Von Einsparungen an den Lohnnebenkosten profitieren alle Kapitalfraktionen.
So wirkt "Biopolitik" weit über eine "Ethik des Heilens" hinaus, sie wird die gesamte Gesellschaft
umgestalten.

 

02.02.2002
Peter Kratz   [Aktuelles zum Thema: Kritik d. Gentechnik]  Zurück zur Übersicht

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