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Halle: Initiative betrieb antisemitische Internetseite

.iz halle goes npd

Die "Initiative Zivilcourage" Halle (IZ) ist ein Zusammenschluss hallescher
Vereine, kultureller Einrichtungen und Einzelpersonen, der 1998 als Reaktion
auf die massive Wahlwerbung der Deutschen Volksunion (DVU) bei den
Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt gegründet wurde. Während sich die
Initiative zunächst gegen Nazis und rassistische Übergriffe engagierte
("Aktion Noteingang" usw.), scheint sie sich mittlerweile nach anderen
Tätigkeitsbereichen umzusehen. Eine Stellungnahme zur
"Palästina-Sonderseite" auf der Website der "Initiative Zivilcourage" Halle
(IZ):


Anfang Januar fand sich auf der Internetseite der halleschen "Initiative
Zivilcourage" ein Bericht, der auch von einem NPD-Mitglied hätte verfasst
werden können. Ein Vertreter der Initiative hatte sich der Nahostproblematik
angenommen und hierbei kaum ein antiisraelisches Stereotyp ausgelassen:
Israel, das in dem betreffenden Artikel meist in Anführungszeichen gesetzt
wurde, sei ein "Pseudostaat"; in der Knesseth säßen Verbrecher; in Israel
sei ein "Verbrecherregime" an der Macht usw. Die Anführungszeichen sowie die
Bezeichnung Israels als "Pseudostaat" sollten suggerieren, dass Israel kein
"organischer" Staat sondern ein "künstliches Produkt" ist. In Bezeichnungen
wie "Pseudostaat" und den Anführungszeichen lebt damit, wie die ISF Freiburg
in einer ihrer Schriften ausführt, "die antisemitische Zwangsvorstellung vom
‚wurzellosen Volk' weiter, von Ahasver, dem ‚ewig wandernden Juden', der
nicht aus Blut und Boden schafft, sondern immer nur Machwerke, Konstrukte,
‚Gebilde' zuwege bringt".

Darüber hinaus präsentierte die "Initiative Zivilcourage" eine moderne
Version der antisemitischen Theorie der jüdischen Weltverschwörung: Die
Handlungen Israels, so wurde behauptet, würden von us-amerikanischer Seite
nicht kritisiert, weil die Schlüsselpositionen in Politik, Verwaltung,
Medien und Wirtschaft der USA von "Israelis" (!) besetzt seien. Im Kapitel
"Juden in den USA", in dem der angeblich gigantische Einfluss von Juden in
den Vereinigten Staaten beklagt wurde, wies die IZ weiterhin auf die
Mitgliedschaft des derzeitigen us-amerikanischen Präsidenten, George W.
Bush, im "berüchtigten Skulls&Bones Orden" der Universität Yale hin. Die
Juden, so wurde hierdurch angedeutet, nehmen nicht nur über offizielle
Kanäle (Politik, Verwaltung, Medien und Wirtschaft) Einfluss auf die Politik
der USA, sondern auch über Geheimbünde und Orden. Auf die Nähe dieser
Anspielungen zu antisemitischen Verschwörungstheorien muss vermutlich nicht
eigens hingewiesen werden.

Auch für die Lösung des Nahost-Konfliktes hatte die IZ einige Tipps auf
Lager: Um die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern zu
beenden, genüge es nicht, wie etwa von gemäßigten Palästinensern gefordert,
die besetzten Gebiete zu räumen. "Auch die Besitznahme palästinensischen
Bodens und seine israelische Besiedlung", so wurde erklärt, "ist eine
kriminelle Handlung. Das muss nicht nur aufhören, sondern rückgängig gemacht
werden." Mit anderen Worten: Der "Initiative Zivilcourage" ist nicht nur die
israelische Politik ein Dorn im Auge. Sie stört sich vielmehr an der bloßen
Existenz des jüdischen Staates.

Auf einer Internetseite (www.muslim-markt.de), zu der man von der Website
der IZ durch Mouseclick gelangte, wurden die Äußerungen der Initiative
ergänzt: Israelkritische deutsche Politiker und Unternehmen, so wurde dort
behauptet, würden in der Bundesrepublik "gnadenlos verfolgt" und "regelrecht
‚fertig' gemacht"; die deutsche Literatur werde größtenteils von Juden
finanziert; und in Großbritannien, den USA und der Bundesrepublik säßen
Juden an den "Schalthebeln der Macht". Weiterhin wurden der vermeintliche
"Welteinfluss der Zionisten" angeprangert; antiisraelische
Selbstmordattentate gerechtfertigt; zum Boykott "zionistischer Waren"
aufgerufen und israelfeindliche Demonstrationsparolen und
Vernichtungsphantasien ("Zionisten woll´n die Welt/kaufen mit geklautem
Geld", "Teufelsstaat Israel/Raubt und mordet wie er will", "Muslime kennen
keinen Schreck/Israel muss weg, muss weg" usw.) verbreitet.

Um den Besuchern der Internetseite zu zeigen, wie sie sich die Vertreter des
"heiligen Verbrecherregimes" (IZ) in Israel vorzustellen haben, wurde auf
den Rassekundeunterricht zurückgegriffen: So waren die Juden in den unter
www.muslim-markt.de aufgeführten Karikaturen nicht nur mit einem Davidstern,
sondern auch mit Hakennasen gekennzeichnet. Auf dieser Internetseite, aus
der die IZ einen Großteil ihrer Informationen gezogen hat (einige Passagen
wurden wörtlich übernommen), fand sich somit nahezu das gesamte Programm des
modernen Antisemitismus.

Neben der Verbreitung antisemitischer Stereotypen und der Empfehlung übler
Internetseiten schien die "Initiative Zivilcourage" besondere Freude an der
Anwendung nationalsozialistisch konnotierter Begriffe auf Handlungen des
Staates Israel zu finden. Hierdurch sollte suggeriert werden, die Israelis
seien die Nazis von heute: Israel, so behauptete die Initiative, betreibe
eine "Blut-und-Boden-Politik", eine rassistische Äußerung eines israelischen
Politikers wurde mit Nazipropaganda verglichen, die Israelis würden Menschen
in "Ghettos" halten, und Israel würde seine Weltanschauung und seine
Gründungsidee auf eine "Rasse" zurückführen.

Hinter dieser Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Zionismus sowie den
antisemitischen Äußerungen auf der Internetseite der "Initiative
Zivilcourage" steht das Verlangen nach einer ungehinderten Identifikation
mit Deutschland und der deutschen Geschichte. Anders als in anderen Staaten
wird diese ersehnte positive nationale Identität in Deutschland jedoch durch
die Verbrechen des Nationalsozialismus behindert. Diese Verbrechen wiederum
finden ihre deutlichste Manifestation in der Existenz des Staates, der sich
als Staat der Überlebenden des Holocaust begreift. "Wer von Israel spricht,"
so Detlef
Claussen, "thematisiert, ob er will oder nicht, die Massenvernichtung der
europäischen Juden."

Israel steht somit durch sein bloßes Bestehen dem Bedürfnis nach einer
ungebrochenen Identifikation mit Deutschland und seiner Geschichte im Wege.
Folglich richtet sich der Hass derer, die endlich wieder ungestört
"Deutschland, Deutschland" brüllen wollen, gegen diejenigen, die dieses
Bekenntnis zu behindern scheinen.

Da das Motiv dieser antiisraelischen Agitation nicht die Kritik bestimmter
Handlungen des jüdischen Staates, sondern die Abwehr von Schuld ist, bedient
sie sich beinahe zwangsläufig antisemitischer Stereotypen. "Die Abwehr der
Erinnerung an das Unsägliche das geschah," so charakterisierten Theodor W.
Adorno und Max Horkheimer den deutschen Umgang mit Schuld bereits in den
50er Jahren, "bedient sich eben der Mittel, die es bereiten halfen":
antisemitischer Projektionen, die lediglich eine neue Ausprägungsform
erhalten.

Da die Störenfriede der positiven nationalen deutschen Identität einstweilen
glücklicherweise nicht aus dem Weg geräumt werden können, wird von
denjenigen, denen Israel aus den genannten Gründen ein Dorn im Auge ist,
immer wieder versucht, zumindest die deutschen Verbrechen zu relativieren.
Besonders beliebt ist hierbei die bereits erwähnte Gleichsetzung von
Nationalsozialismus und Zionismus. Anders als von den entsprechenden
Personen und Gruppierungen immer wieder behauptet, haben diese Vergleiche
jedoch nichts mit der Politik Israels zu tun - es gibt keinen faschistischen
Staat, in dem eine kommunistische Partei legal agieren kann, in dem
Zehntausende gegen eine ihnen unliebsame Politik demonstrieren dürfen, in
dem Mitglieder einer angeblich zur "Ausrottung" freigegebenen Personengruppe
im Parlament sitzen und Medien kritisch über Ausschreitungen der Polizei
u.ä. berichten können. Die Gleichsetzung von Zionismus und
Nationalsozialismus entspringt vielmehr dem Bedürfnis, endlich auch einmal
die Juden als Täter vorführen und damit die Deutschen indirekt entlasten zu
können. "Wenn sich die deutsche Vergangenheit schon nicht verteidigen und
rechtfertigen lässt," so Wolfgang Pohrt, "dann soll wenigstens niemand
besser sein, und schon gar nicht die Juden. (...) Die Unterdrückung und
Verfolgung der Palästinenser wird so genau beobachtet und so
leidenschaftlich angeprangert, weil sie beweisen soll: es gibt keinen
Unterschied."

Israel wird damit nicht, wie deutsche Israelfeinde immer wieder für ihr
Handeln in Anspruch nehmen, als "ganz normaler Staat" betrachtet. Es dient
vielmehr als Projektionsfläche für die Vergangenheitsbewältigung des
Kollektivs, zu dem man sich endlich wieder ohne Wenn und Aber bekennen will.
Die Wut und der Hass, mit denen gegen Israel agitiert wird, sowie die
Zielstrebigkeit, mit der man sich aus einer Masse von mehreren hundert
Staaten, in denen Teile der Bevölkerung diskriminiert werden, gerade Israel
als Lieblingsfeind heraussucht, haben ihre Ursache wiederum im Verlangen
nach der Befreiung von der historischen Last eben dieses Kollektivs.


Nach Protesten verschiedener Gruppierungen und Einzelpersonen wurde die
"Palästina-Sonderseite" am 14. bzw. 15. Januar 2002 von der Website der
"Initiative Zivilcourage" entfernt. Da die Äußerungen auf dieser Sonderseite
jedoch keine Kindereien, dummen Sprüche o.ä. darstellten, die man nach dem
Motto "Na ja, dann eben nicht" kommentarlos einfach wieder aus seinem
Internetangebot entfernen kann, verlangen wir von der IZ zumindest noch eine
öffentliche Stellungnahme!

Lang lebe Israel!

Antifaschistischer Arbeitskreis Halle, 17. Januar 2002

Kontakt über:


ag antifaschismus-antirassismus
im studentinnenrat der mlu halle
uniplatz 7
06099 halle-s
 agantifa@hotmail.com
 http://www.uni-halle.de/stura/referate/agantifa/html-seiten/

 

22.01.2002
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