nadir start
 
initiativ periodika archiv adressbuch kampagnen aktuell

Berlin: Räumung verhindern!

Wohn- und Kulturprojekt Rigaer Straße 94 in Berlin-Friedrichshain in
seiner Existenz bedroht!!

Am 20.12. gab das Landgericht dem Räumungsbegehren des Eigentümers
Suitbert Beulker statt. Damit ist dass im Erdgeschoss befindliche
Kulturprojekt "Kadterschmiede" und die offene Werkstatt akut
räumungsbedroht!
Bereits am Dienstag entschied das Amtsgericht Lichtenberg negativ für
die BewohnerInnen über eine Räumungsklage gegen eine Wohnung.
Mit der Entscheidung des Landgerichts wurde auch die Ablehnung der Klage
der BewohnerInnen, auf Abschluß eines Rahmenvertrags bekannt gegeben.
Dieser sollte die kollektive Wohnstruktur absichern, das Recht auf
Vereinsräume untermauern und den BewohnerInnen die Möglichkeit geben,
selbst zu bestimmen, mit wem sie zusammenleben werden.
Bei der Urteilsverkündung bemerkte der Richter, dass er auch für die
BewohnerInnen hätte entscheiden können. Er gab damit nicht nur den
Interessen eines ?Eigentümers? Vorrang, sondern verdeutlichte ein Mal
wieder, dass im bürgerlichen Staat Privateigentum Vorrang hat, vor
linken, kollektiven, selbstorganisierten Strukturen.
Eines Eigentümers, der auch in den anliegenden Häusern Rigaer Str. 95,
96 und Liebigstr. 14 ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse und
Vorstellungen der BewohnerInnen seine Profitinteressen durchsetzt. So
beteiligt er sich durch Sanierungsbestrebungen aktiv an der
Umstrukturierungs- und Vertreibungspolitik der StadtentwicklerInnen, die
eine Vertreibung finanziell benachteiligter Menschen in Randgebiete zur
Folge hat. So kann eine Altbauwohnung, die im Innenstadtbereich liegt,
nach einer Räumung problemlos saniert werden und findet auf dem
Wohnungsmarkt zu einem erheblich höheren Preis leichter wieder einen
Abnehmer als eine Wohnung in einer Plattenbausiedlung. Insgesamt sind in
Berlin jedes Jahr mindestens 12 000 Haushalte von Zwangsräumungen
bedroht, die größtenteils mit Mietschulden begründet werden. Diese
wiederum haben ihre Ursache in der drastischen Verteuerung der Miete bei
ausbleibender Kompensation durch höhere Einkünfte. So wurden 1993
durchschnittlich noch 17% der Nettoeinnahmen für Miete ausgegeben, bis
1998 stieg dieser Anteil auf 27%.
Dies ist keine zufällig Entwicklung, das Gesicht der neu ?erblühenden?
deutschen Hauptstadt wird gezielt verändert. Die Innenstadtbezirke
sollen ausschließlich finanziell Starken vorbehalten sein, nicht
Erwünschte werden an den Rand gedrängt.

Berliner Linie

Immer wieder hat die herrschende Wohnpolitik in Berlin dazu geführt,
dass unliebsame und Randgruppen aus der Innenstadt vertrieben wurden.
Schon Bismarcks Politik in der Reichsgründungszeit richtete sich gegen
Schwache und Andersdenkende. Im Zuge einer Hauptstadtpolitik, die Berlin
als preußisches und deutsches Zentrum sah, regierte ebenfalls der
?Eiserne Besen?. 1872 wurden die Baracken Obdachloser am Frankfurter Tor
geräumt, woraufhin sich drei Tage lang EinwohnerInnen Friedrichshains
mit der Polizei Straßenschlachten lieferten. In den folgenden Jahren kam
es wiederholt zu Mietstreiks und Wohnungsbesetzungen. Einen weiteren
Höhepunkt erreichten die Auseinandersetzungen 1932, als aufgrund von
Arbeitslosigkeit und Preissteigerungen die Mieten für viele nicht mehr
bezahlbar waren und Räumungen von Familien die Gemüter so erhitzten,
dass es erneut zu Straßenschlachten mit der Polizei kam.
Durch die Insellage Westberlins entwickelte sich auf dem Immobilienmarkt
in den 70er Jahren ein Klima der Spekulation und des vorsätzlichen
Leerstands, gegen den Anfang der 80er Jahre durch Hausbesetzungen
demonstriert wurde.
Um das Problem in den Griff zu bekommen, schuf der Senat noch zu
Hochzeiten der Bewegung die ?Berliner Linie?. Dieser Richtlinie zufolge
wurde die Polizei angewiesen, besetzte Häuser zu räumen, wenn die
Eigentümer ein Räumungsbegehren gestellt hatten und eine Anschlußnutzung
vorweisen konnten. Neubesetzungen sollten sofort geräumt werden. Diese
Verwaltungsrichtlinie wurde im Abgeordnetenhaus mehrfach diskutiert und
geändert, zuletzt während der Hausbesetzungen in Ostberlin im
Wende-Sommer 1990. Der Text blieb unverändert, es wurde jedoch der
Stichtag 24.7.1990 vereinbart, nach dem alle Neubesetzungen sofort
geräumt werden, während für die vorher besetzten Häuser Verträge
ausgehandelt werden sollten. Etwa die Hälfte der Häuser bekam nach
jahrelangem Kampf Nutzungs- oder Mietverträge, die anderen wurden nach
und nach geräumt.
Allerdings war der Weg der ?Legalisierung? eine recht kurzfristige
Lösung und diente der Befriedung der HausbesetzerInnenbewegung. Der
grundsätzliche Widerspruch zwischen dem Anspruch auf kollektiv genutzte,
selbstorganisierte unkommerzielle Räume und den Interessen der
StadtentwicklerInnen wurde nicht aufgehoben. Im Gegenteil, es werden
immer mehr linke Freiräume angegriffen und zerstört.

Unser Widerstand gegen die heRRschende Politik braucht eine soziale
Basis. Wir brauchen Hausprojekte, Wagenburgen, kollektiv organisierte
unkommerzielle Treffpunkte, soziale Zentren, ...! Wir brauchen Räume,
die ein herrschaftsfreies Leben zumindest vorstellbar machen. Mit den
eigenen Widersprüchen konfrontiert zu werden, zu versuchen, die
politischen Utopien im Mikrokosmos umzusetzen, ist für uns ein
unersetzliches Element linker Politik.

Linke Freiräume verteidigen!
Kadterschmieden aufbauen!

Weg mit der Berliner Linie!
Für die soziale Revolution weltweit!
Rigaer 94 bleibt !

Soziale Zentren schaffen!

V.i.S.d.P.: R. Evolution, Allee der Befreiung, 10789 Berlin


Geschichte
Das Haus wurde im Herbst 2000 von Dr. Suitbert Beulker (Schönhauser
Allee 73a) gekauft, nachdem die BewohnerInnen bereits eine eigene
GenossInnschaft gründeten, um ihr Haus selber zu kaufen und zu
verwalten. Im Rahmen eines Runden Tisches sollte nun eine Lösung für die
unterschiedlichen Interessen gefunden werden, da von Anfang an klar war,
dass die Pläne eines selbstorganisierten Zusammenlebens, durch die
Fremdbestimmung eines Eigentümers nicht umsetzbar sind. Die
Verhandlungen wurden nach kurzer Zeit von Beulker abgebrochen. Da
Beulker daraufhin allen BewohnerInnen kündigte, und unzählige
Räumungsklagen einreichte, bekam der Rahmenvertrag existenzielle
Bedeutung. Er würde die kollektive Wohnstruktur absichern, das Recht auf
Vereinsräume untermauern und den BewohnerInnen die Möglichkeit geben
selbst zu bestimmen, mit wem sie zusammenleben werden. Auf Grundlage
einer dem Eigentümer am Runden Tisch abgerungenen Absichtserklärung, den
seit 91 bestehenden Rahmenvertrag zu aktualisieren, entschied sich das
Hauskollektiv, Beulker auf den Abschluß eines solchen Vertrags zu
verklagen.

 

31.12.2001
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Squatting]  Zurück zur Übersicht

Zurück zur Übersicht