nadir start
 
initiativ periodika archiv adressbuch kampagnen aktuell

Türkei: Wir haben gesehen...

 
 
IKM
Izolasyon Iskencesine Karsi Mücadele Komitesi
Komitee gegen Isolationshaft
Comitee for Struggle against Torture through Isolation
tel/ fax.:0049 / 40 / 28053625
Adr.: Kreuzweg 12 - 20099 Hamburg
Kontoverbindung; Postbank/ Hamburg Kto-Nr: 79 966 205 BLZ: 200 100 20
Internet.: www.noisolation.de E-Mail.: noisolation@ninebyte.de

Hamburg, 20.11.01
 

DIE JENIGEN, DIE DAS MASSAKER UND DEN WIDERSTAND ERLEBT HABEN ERZÄHLEN:

"Wir haben gesehen, wie unsere Freunde verbrannt wurden."
 Ihre Vorgesetzter schoss am meisten. Sie schossen auf bestimmte Personen, besonders auf Sultan. Sie jedoch ging zur Tür. "Es soll geschehen, was geschehen soll." sagte sie. Sie stand an der Tür. Sie sagte: "Ich werde sie nicht hereinlassen." Sie rief: "Beschützt unsere Widerstandskämpfer!"
Auch sie tat diese Aufgabe. Die da draußen riefen unter Gelächter "Kommt, kommt doch her und holt euch eure Genossen"
Ich habe Haydar gesehen. Er befand sich mitten in Flammen. Dann gingen die Flammen aus. Als ein Polizist einen Molotowcocktail auf ihn warf, entflammte er wieder... Ich habe Baris gesehen, er lief auf den Panzer zu.
An dem Moment sah ich wie Bülent und Baris auf den Boden fielen. Wir gingen um Baris zu holen. Lächelnd sagten wir ihm "Steh, stehe doch bitte auf, der Widerstand geht weiter." Wir konnten ihn nicht auf die Beine bringen, denn wir merkten, dass er an seinem Rücken und Magen schwer verletzt war.
Die folgenden Erzählungen gehören denjenigen, die in Armutlu das Massaker
erlebt haben. Manche waren Augenzeugen, manche nahmen an dem Widerstand
teil. Ihre Namen sind uns bekannt.

Augenzeuge Nr. 1: Ein Freund kam laufend her. Er sagte, der Panzer ist gekommen, er fuhr hinter uns her. Als wir in Richtung des Hauses liefen, verfuhr er sich in ein großes Loch auf der Straße, währenddessen die Freunde Steine auf ihn warfen. An diesem Moment wurden mehrere Gasbomben auf uns zugeworfen. Wir konnten nicht mehr sehen. Dabei wurde Baris ohnmächtig und fiel auf den Boden. Er wurde aufgehoben. Nochmals warfen sie Gasbomben und
feuerten dazu mit ihren Waffen. Es hagelte überall Bleikugeln und die Gruppe ging auseinander. Dann sah ich Haydar. Er befand sich mitten in Flammen. Dann gingen die Flammen aus. Als ein Polizist auf sein Kopf einen Molotowcocktail warf, ging er wieder in Flammen auf. An diesem Moment fiel ich ohnmächtig auf den Boden und kann mich an das weitere nicht mehr
erinnern.

Augenzeuge Nr.2: Wir befanden uns an der Barrikade. Es wurde gesagt, dass die Panzer kommen. Als wir in der Richtung hinguckten, sahen wir drei Panzer auf uns zufuhren. Wir fingen an um die Widerstandshäuser zusätzliche Barrikaden zu errichten. Sie warfen Gasbomben und uns unbekannte Bomben auf uns zu. An diesem Moment trat Haydar vor und sagte, dass er sich opfern
wird. Die Zahl der Polizisten nahm zu. Alle waren Scharfschützen. Als Haydar sich opferte, lief er auf die Polizisten zu. Sie schlugen ihn mit den Ziegelsteinen aufs Kopf und traten ihn mit ihren Füßen. Wir liefen auf sie zu und die Polizisten flohen. Dann warfen sie einen Molotowcocktail auf
unseren Widerstandskämpfer zu. Der Molotowcocktail platzte aus und Haydar ging wieder in Flammen auf. Eine Gasbombe wirkte auf mich ein. Als ich meine Augen aufmachte, sah ich Sultan Yildiz auf dem Boden liegen. Das letzte Wort von Baris Kas war: "Falls ein Angriff auf die Häuser gestartet wird, werde ich es nicht zulassen. Ich werde meinen Körper zu einer Barrikade vor ihnen
verwandeln." Wir zogen uns in das Widerstandshaus der Frauen zurück. Der Widerstand ging dann dort weiter.

Augenzeuge Nr.3: ...Wir bewarfen sie mit den Steinen. Sultan kam aus dem Widerstandshaus heraus. Baris befand sich auch dort. Baris wurde durch die Gasbombe ohnmächtig und wir hoben ihn auf. Überall gab es Rauch und so fingen sie an zu feuern. Haydar zündete sich an und lief auf die Polizisten zu. Er sagte: "Ich opfere mein Leben für mein Volk und meine Genossen! Es
lebe die völlig unabhängige Türkei!" und so lief er auf die Polizisten los.
Als er bei ihnen ankam, wurde er von ihnen auf den Boden geschleudert und getreten. Dann liefen sie von ihm weg und einer der Polizisten schleuderte an diesem Moment einen Molotowcocktail auf ihn zu und traf ihn am Kopf. Haydar stand wieder auf den Beinen und ging einpaar Schritte in ihrer Richtung mit dem Siegeszeichen mit der Hand. Dann fiel er wiederum auf den Boden. An diesem Moment fingen die Polizisten an auf ihn zu schießen. Bei diesen Schüssen fiel auch ein Freund an der Barrikade auf den Boden. Als ein anderer Freund diesen zu holen versucht, bekam auch dieser eine Wunde an den Kopf. Ich sah Sultan zum Widerstandshaus gehen. Da blickte ich kurz woanders hin und dann sah sie auf dem Boden liegen. Ich sah auch Baris, wie er auf
den Panzer loslief...

Augenzeuge Nr.4: Wir zogen uns zu den Widerstandshäusern zurück zum Zwecke der Verteidigung. Dann sahen wir die Spezialeinheiten , Sondertruppen und Polizisten vor dem Haus mit ihren Waffen und Bomben. Wir warfen Steine auf sie. Sie feuerten mit Bleikugeln zurück. In diesem Moment sahen wir einen Freund auf den Boden fallen. Wir wurden zorniger. Da reagierte Haydar und führte seine Veropferungsaktion durch. Sie schossen massiv. Sie warfen
Gasbomben auf uns. Sultan stärkte unsere Moral. "Habt keine Angst!", "Zögert nicht!" An diesem Moment stand sie unter massiver Gasbombenwirkung. Aber sie stand entschlossen vor der Tür und rief uns zu: " Ich werde sie nicht hereinlassen. Wir sind entschlossen. Schon unsere Haltung reicht aus." An diesem Moment sah ich Bülent und Baris auf den Boden fallen. Wir gingen um
Baris zu holen. Lächelnd sagten wir ihm: "Steh, stehe doch bitte auf, der Widerstand geht weiter." Wir konnten ihn nicht aufheben, denn er hatte an seinem Rücken und an seinem Magen schwere Verletzungen. Sie kamen näher. Zuletzt sah ich noch Sultan vor der Tür stehen. Ich bekam eine Schusswunde während ich Baris hoch hieb. Wir konnten nicht alle mitnehmen. Wir haben
gesehen, wie die Spezialeinheiten unsere Freunde mit den Gasflaschen verbrannt haben. Sie versuchten dort durch die Glasscheiben das Dach aufzureißen. Sie zerschlugen die Fensterscheiben und riefen uns unter Gelächter zu: "Kommt, kommt doch her und holt euch eure Genossen." Dann fingen sie an Salvenschüsse abzufeuern. Wir erwiderten mit Steinwürfen. Durch das Fenster schossen sie mit einem rohrförmigen Gebilde. Damit warfen sie etwas Feuerball ähnliches auf unsere Widerstandskämpfer. Sie zielten auf Sultan. Ja, sie feuerten gezielt auf sie. Wir befanden uns unter enormer Gaseinwirkung, welches unser Inneres zum einengen brachte, als ob unser
ganzer Körper aufplatzen würde. Unter Gelächter schossen sie aus dem Zimmerfenster von Arzu herein. Sie hatten das Haus umzingelt und ließen keine Medien in die Nähe kommen. Sie machten selbst Kameraaufnahmen. Ich habe gesehen, wie sie mit ihren Füßen auf Baris trampelten. Besonders ihr Vorgesetzter schoss massiv. Er schoss auf bestimmte Personen, als ob er es vorher geplant hätte. Besonders auf Sultan. Sultan ging zur Tür und sagte: "Es solle geschehen, was
geschehen soll." Dann rief sie: " Beschützt unsere Widerstandskämpfer!" Auch sie tat dies. Baris sagte: " Wir leisten hier Widerstand und werden es bis zum Schluss leisten. Notfalls werde ich meinen Körper vor den Panzern zur Barrikade verwandeln." Dann sah ich Haydar. Er stand in Flammen. Er machte Siegeszeichen mit der Hand. Er rief die Parole "Tod oder Sieg" Sie schossen und warfen einen Molotowcocktail auf ihn. Ich sah Bülent zusammengekrümmt am Husten. Ich rief
zu ihm "zieh dich zurück!" Sultan war vor der Tür. Wir haben versucht, sie zu holen. Als wir uns nach unten zurückzogen, waren Sultan, Bülent und einpaar Freunde dabei. Dort gab es sehr konzentrierten Gasrauch. Die gasmaskierten Einheiten häuften sich dort. Sie ließen uns und konzentrierten sich auf die Tür, soweit wir von dieser Entfernung beobachten konnten... Die
Panzer richteten sich auf die Häuser, dahinter die Spezialeinheiten, die Sondertruppen dann die offiziellen Polizisten und dahinter die Feuerwehr. Auch die Feuerwehrmänner warfen Steine auf uns. Es gab auch welche in Ärztekleidung, die Steine auf uns warfen.

Die Widerstandskämpfer erklären:
Hüseyin Akpinar: Vier unserer Freunde sind gefallen, wurden ermordet. Manche unserer Freunde sind schwer verletzt davon gekommen. Während der Operation befanden wir uns in diesem Haus. Wir konnten aufgrund der Position unseres Hauses nichts sehen. Sie waren wieder mal gekommen "um Leben zu retten". Wir kennen ihre Lebensrettung vom 19. Dezember her. Wir kennen sie sehr gut an unseren abgerissenen Händen, Beinen, ermordeten Genossen. Das ist die Realität dieses Staates. Sie haben viele Lügen und Intrigen u.ä. Alles was sie sagen ist eine Lüge. Ich wende mich nicht mehr an diejenigen, die nichts gesehen und gehört haben wollen, denn jeder hat unseren Widerstand gesehen und gehört. Jeder soll jetzt endlich hinsehen und hinhören. Wir werden bis
zum Sieg Widerstand leisten.

Özkan Güzel: Das erste Haus, das sie angriffen war Senay´s Haus. Dort befanden sich fünf unserer Widerstandsgenossen. Sie bombten, schossen, brannten nieder und zerstörten alles. Auch am 19. Dezember haben wir dieses erlebt. Auch dort sagten sie, sie kämen ums Leben zu retten. Dieser
Widerstand wurde nirgends wo auf der ganzen Welt und nirgends wann in der Geschichte so erlebt. Und wir wissen, sind fest davon überzeugt, dass dieser Widerstand auf jeden Fall mit dem Sieg enden wird. Sie mögen so viele Morde, Massaker, Operationen machen, alles verdrehen und lügen wie sie wollen, und gleich wie lange es andauern wird, werden wir diesen Widerstand auf jeden
Fall mit dem Sieg krönen.
 
 
 

 

20.11.2001
Komitee gegen Isolationshaft [homepage]   [Email] [Aktuelles zum Thema: Int. Solidarität]  [Schwerpunkt: Kampf gegen die F-Typ Gefängnisse in der Türkei]  Zurück zur Übersicht

Zurück zur Übersicht