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Türkei: Bericht einer Delegationsteilnehmerin

13.11 2001

Eindrücke einer Teilnehmerin der Delegation im November 2001 und
Hinweise auf aktuelle Aktionen
Hungerstreik gegen Folter und Isolationshaft in der Türkei
Verschärfte Repressionen gegen die Widerständler von Seiten des
Staates

Die deutsche Delegation, deren Mitglied ich war, ist vor genau 2 Tagen
aus Istanbul zurückgekehrt. Wir waren 2 Tage in dem Viertel Kücük
Armutlu.
Dort werden die Todesfastenden, die im Moment nicht inhaftiert sind ,
von ihren Angehörigen in Häusern versorgt.
Am Montag, den 5. November. 01 wurde eine Polizei- Aktion auf eines
der beiden Häuser der Todesfastenden durchgeführt. Dabei starben 4
Menschen, die anderen im Haus befindlichen wurden inhaftiert und in
Krankenhäuser gebracht. Nur zur Information- die türkischen Medien
berichteten, daß die Hungerstreikenden durch Selbstverbrennung
gestorben seien. Aber nach unseren Gesprächen vor Ort mit
Augenzeugen sowie Rechtsanwälten der Todesfastenden sind
nachweislich mindestens zwei Menschen durch Schüsse gestorben. Die
Autopsieberichte sollen in nächster Zeit veröffentlicht werden. Wir
haben das Haus gesehen, es ist durch Feuer zum größten Teil zerstört,
der Rest steht unter Wasser. Überall sind Einschusslöcher an den
Hauswänden zu sehen und zahlreiche Gasbomben wurden sichergestellt.
Heute wird seit ca 6 Uhr die zweite polizeiliche Aktion gegen die
Menschen in Kücük Armutlu durchgeführt. Nach den bisherigen
Informationen wurden alle dort befindlichen Todefastende und weitere
Leute, die sich in dem Haus aufhielten, festgenommen. Weitere Häuser
von Bewohnern sind vermutlich von der Aktion ebenfalls betroffen., es
finden Straßenschlachten statt.

Zum Hintergrund des Todesfasten in der Türkei:
In der Türkei wurde im letzten Jahr eine neue Gefängniss- Form
eingeführt, die sogenannten F- Typ- Gefängnisse.
In diesen Gefängnissen werden die politische Gefangenen in
Isolationshaft gehalten, eine Form, die auch hier in Deutschland bekannt
ist.
Sinn der Isolationshaft ist die Zersörung der Identität der politischen
Gefangenen, sie zu brechen.
Um gegen die Isolationshaft sowie Folter und gewaltsame Übergriffe
gegenüber der Inhaftierten zu protestieren, befinden sich Inhaftierte seit
dem 20. Okober letzten Jahres im Todesfasten.
Schon über 70 Menschen sind auf Grund dessen gestorben.
Häftlinge, die das Bewußtsein verlieren, werden zwangsernährt. Da
bewußt kein B1 benutzt wird, sondern Zuckerlösung beigefügt wird,
verlieren die Menschen ihre Erinnerung, auf Grund explosionsartiger
Reaktionen im Gehirn. Sie werden als „lebende Tode“ bezeichnet und als
solche vorlaufig aus der Haft entlassen.
Am 19. Dezember 00 wurden in den Gefängnissen Massaker verübt, um
die Häftlinge von ihrem Widerstand abzubringen. Tod, Folter und
Zwangsernährung waren die Folge.

Um sich solidarisch zu zeigen und um unzensierte Informationen aus der
Türkei ins Ausland zu bringen, fahren immer wieder Delegationen in die
Türkei, um ihre Solidarität zu bekunden und sich ein persönliches Bild
von der Situation in den Gefängnissen und auch von Kücük Armutlt zu
machen, um die Bevölkerung hier und in anderen Eu- Ländern zu
informieren.

Auf Grund meiner persönlichen Eindrücke dort und auch durch die
Reaktion der türkischen Polizei auf unser Kommen, möchte ich Euch
informieren und Euch die Möglichkeit bieten, sich mit der Situation in der
Türkei auseinanderzusetzen.
Die Delegation wurde schon am Flughafen von der türkischen Flughafen-
Polizei inhaftiert. Wir wurden für 4 Stunden festgehalten- wir mußten
uns einer Leibesvisitation unterziehen und wurden getrennt nach Frauen
und Männern verhört. Mit der Aussage, auf keinen Fall illegale
Handlungen in der Türkei durchzuführen, wurden wir entlassen. Hierbei
möchte ich noch anmerken, daß in der Türkei die Unterstützung der
Todesfastenden gesetzlich verboten ist, daher haben Rechtsanwälte und
Angehörige der Todesfastenden sowie die Menschen, die sich
solidarisieren, mit erheblichen Folgen zu rechnen. Rechtsanwälte wurden
umgebracht oder inhaftiert.
Die Personen, die uns abholen sollten, waren ebenfalls festgenommen
worden, sind aber am nächsten Tag glücklicher Weise wieder
freigelassen worden.
Nachdem wird den Flughafen verlassen hatte, wurden wir verfolgt, bis
kurz vor das Viertel, unser Handy abgehört.
Auf Grund dieser Situation und der Aktionen der vergangenen Tage,
waren wir die Zeit über nur in ücük Armutlu, da wir damit rechnen
mußten, inhaftiert und ausgewiesen zu werden.
Wir haben dort mit den Todesfastenden gesprochen, mit Ehemaligen,
sowie Angehörigen und Rechtsanwälten. Wir haben die Barrikaden
gesehen, die das Viertel vor der Polizei schützen sollen und haben ein
Radio- Interview nach Deutschland geführt.
Wir sind wieder sicher nach Deutschland zuzückgekehrt.
Obwohl wir von der Erklärung des istanbuler Polizeipräsidentes wußten,
daß nach dem 5. November.01 weitere Polizei- Aktionen durchgeführt
werden, um die Situation im Viertel zu klären und die Bewohner von
Kücük Armutlu täglich damit rechnen, sind wir tief betroffen von den
neuesten Entwicklungen (Polizeiliche Aktion auf das Viertel (Polizei-
Aktion am 13.11.01) den Menschen gesprochen.
Wir hatten den Eindruck, daß es in dem Viertel auf Grund unserer
Anwesenheit sehr ruhig war und auch nach Aussagen der Menschen
dort , konnten wir verstehen, daß die Delegationen dorthin auch ein
Stück weit Schutz bieten.
Wir versuchen, möglichst viele Menschen mit unseren Eindrücken zu
erreichen und möchten eine Auseinandersetzung und Solidarisierung mit
dem Todesfasten und der Situation in der Türkei ermöglichen.

Meine Gedanken gehen vorallem in die Richtung: Türkei und Demokratie,
Türkei und Eu- Anwärter, Türkei und Folter, Türkei und
Menschenrechtsverletzungen!!!!!
Ich kann nur persönlich von meiner Seite sprechen, aber ich möchte Euch
allen sagen, daß mich die Kraft und der Glaube dieser Menschen an die
Freiheit und an ihre Rechte zutiefst bewegt hat. Ich denke die meisten
von uns werden Schwierigkeiten haben, dies nachzuvollziehen, wir leben
nun mal in einer Welt, in der demokratische Grundsätze sowie
Menschenrechte sind gewährleistet sind.
Ich selbst habe noch nie ein solche Deligation begleitet, aber ich bin
froh, dort gewesen und mit einem geschärften Bewußtsein
zurückgekommen zu sein.

Wenn ihr euch weiter informieren wollt, ich stehe euch gerne zu
Verfügung ( über:  tayadkomite@web.de)
Einige Adressen:
www.noisolation.de Komitee gegen Isolationsfolter
www.Pwi.action.at Prison Watch International-Wien
www.libertad.de Libertad
außerdem könnt ihr auch im Internet auf den Seiten von Amnesty
International weitere Informationen finden

Ich kann Euch nur sagen, daß die Menschen dort schon allein durch
Solidarität unterstützt werden, wenn ihr in irgendwelchen Gruppen seit
oder sonstwie die Möglichkeiten habt, sprecht mit Freunden und
Bekannten, macht öffentlich, was dort passiert . Es ist schon allein gut,
daß ihr davon wißt.
Es finden überall in der Welt Menschenrechtsverletzungen statt, wir
werden mit Berichten über Kriege und Flüchtlingswellen überschwemmt-
mir geht es auch so, aber ich denke mir immer wieder, daß wir nicht die
Augen zu machen sollten, wenn wir die Möglichkeit haben,
hinzuschauen.
Ich danke Euch für Eure Interesse und bitte Euch, auch den Brief
weiterzusenden- es ist wichtig.
Und meldet Euch auf jeden Fall bei mir, wenn ihr helfen wollt oder weitere
Informationen möchtet, ich stelle mich auch für Info- Aktionen zur
Verfügung.

Vielen Dank

 

16.11.2001
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Int. Solidarität]  [Schwerpunkt: Kampf gegen die F-Typ Gefängnisse in der Türkei]  Zurück zur Übersicht

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