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Erklärung an bestimmte Teile der Linken

Erklärung an bestimmte Teile der Linken


Wir haben geglaubt, die Wirklichkeit des Krieges ließe jene vermeintlichen
Linken verstummen, die sich mit Vehemenz und einer, uns manches Mal faschistoid
anmutenden Rethorik für eine militärische Reaktion der Vereinigten Staaten
eingesetzt haben. Indess, sie verstummen nicht.

Auch wir sind für das Ende des Taliban-Regimes, so wie wir für das Ende von
Pol-Pots Herrschaft in Kambotscha waren. Auch uns wäre ein Ende mit Schrecken,
wenn es denn der Schrecken für die Taliban wäre, lieber, als als ein Schrecken
ohne Ende. Was aber wird dort, in Afghanistan, folgen, wenn die Taliban besiegt
sein werden durch die "Koalition" und die Stammeskrieger der "Nord-Allianz".
Mehr als ein neuer, ein anderer Schrecken? Wohl kaum.

Die Krieger der "Nordallianz", jene von den Taliban geschlagenen Warlords der
Konterrevolution, die unsere GenossInnen in Afghanistan nach dem, durch die
Unterstützung der entwickelten kapitalistischen Staaten, erzwungenen Rückzug
der Roten Armee ermordet haben - sie sollen jetzt die Lösung sein? Sie sind es
nicht. Sie waren es, die das moderne Afghanistan im Blut erstickten, als es
ihren zum Opfer fiel.

Wer den amerikanischen Präsidenten beim Wort nimmt, und es gibt keinen Anlass,
es nicht zu tun, kann nicht allen Ernstes für diesen Krieg sein. Afghanistan
ist nur eine Schlacht in einer militärischen Ausseinandersetzung, die die
US-amerikanische Regierung mit Ausdauer und dem Willen zum totalen Sieg zu
führen gedenkt. Wer glaubt, es ginge allein um das Niederringen der Banden von
fanatischen Gotteskriegern, wird spätestens dann eines Besseren belehrt werden,
wenn Navy-Seals und Green Barrets zur Unterstützung der kolumbianischen Armee
gegen die FARC eingesetzt werden. Und weshalb soll man nicht glauben, daß die
Warnung Bush's, die Sandinistas aus Nicaragua hätten intensive Kontakte zu
Terroristen, die Aktion nicht schon projezierte, die man erwarten können darf,
wenn eben diese Sandinistas in Nicaragua die nächsten Wahlen gewinnen.

Das Perfide an der gegenwärtigen Situation ist, daß die, die in dieser ersten
Schlacht den US-amerikanischen Generälen entgegenstehen, ebenso den Krieg
wollen wie diese. Zu nichts anderem diente der faschistoide Terror gegen die
Menschen in New York und Washington. Er sollte, darauf deutet alles hin, genau
das erreichen, was er erreicht hat. Man kannte sich eben. Zum Beispiel aus
gemeinsamen militärischen und geheimdienstlichen Arbeitszusammenhängen, als es
noch darum ging, daß islamische Fanatiker gute Kämpfer gegen unsere GenossInnen
waren. Die SAS- und CIA-Angehörigen, die sich während der Konterrevolution in
Afghanistan befanden, haben weggesehen, wenn gefangene russische Soldaten
gevierteilt wurden, wenn man den gefesselten Gefangenen die Bäuche aufschnitt
und sie in der Sonne langsam sterben ließ. Man mußte lange wegsehen - denn der
Todeskampf konnte schonmal einen ganzen Tag dauern. Man mußte auch weghören,
denn die sterbenden sovietischen Soldaten schrien in ihrem Tode!
skampf. Und da war keine erlösende Bewustlosigkeit. Die Stammeskrieger hatten
von der CIA gelernt, wie man die langsam sterbenden Soldaten bei Bewustsein
hielt. Übrigens waren das in der Regel die Mudjaheddin, jene also, die jetzt
als Nordallianz bezeichnet werden.

Die Zivilgesellschaft schlägt zu. Sie tut es mit allem, was sie aufbieten kann.
Auch mit der, aus dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien schon bekannten,
orwellschen Methode der Verschleierung durch Sprache. So änderte CNN am Tag des
Angriffs auf Afghanistan das Nachrichtenlogo von "War against Terrorism" auf
"Strikes against Terrorism". Denn was ein Krieg ist bestimmen die, die ihn
führen.

In Gefahr sind alle jene Staaten, die nicht in das globalisierte Weltbild der
Zivilgesellschafter passen. Um sich eines passenderen Sprachgebrauches,
allerdings eines zu bedienen, der derzeit auch in der Linken weitläufig verpönt
ist: jene Staaten, die den imperialistischen Interessen entgegenstehen. Es ist
zu erwarten, daß mit dem Grauen von New York und Washington das Grauen von
Bogota oder Havanna ebenso produzieren läßt, wie das von Zimbawe oder Lybien.
Wir hoffen, wir irrten uns. Indess - die Hoffnung ist klein.

Der Bruch des Völkerrechts, der mit dem Angriffskrieg auf Jugoslawien
augenscheinlich wurde und jetzt fortgestetzt wird, schafft Tatsachen, die es
möglich machen sollen, ohne öffentlichen Widerstand Interessen der
imperialistischen Zentren durchzusetzen. Ich gebe zu, daß die in Afghanistan
herrschenden Mörder Haß und Abscheu hervorrufen können. Uns geht es nicht
anders. Aber die Konsequenzen zu leugnen, die aus der Befürwortung dieses, auf
Jahre angelegten Krieges gegen "den Terrorismus" entspringen können nicht zu
erkennen und folglich in die Interventionsfalle zu tappen, die gelegt wurde -
das können wir nicht akzeptieren.

Es ist mit dem Leid der Opfer und Angehörigen von New York und Washington ein
Automatismus geschaffen worden, der schon jetzt auch die betrifft, die das
leisten, was geleistet werden muß: Demokratischen Widerstand in ihren Ländern.
Die Sicherheitsmaßnahmen, die Schaffung des "gläsernen" Bürgers findet nicht
nur mit der Billigung derer statt, die vor ein paar Jahren die Träger ihrer
jetzigen Ämter für Maßnahmen auf einem weit niedrigeren Level als
Polizeistaatsbüttel beschimpft hätten, sondern mit deren tatkräftiger
Unterstützung.

In Kanada hat die Regierung StudetenInnen aus bestimmten Staaten (u.a. dem Iran
und dem Irak) das Studium der Chemie aus Sicherheitsgründen verboten. Nicht nur
dort wird einem neuen Rassismus Vorschub geleistet. Hierorts werden solche
Ausländer islamischen Glaubens per Rasterfahndung durchleuchtet, die nicht
straffällig geworden sind. Das ergibt in letzter Konsequenz die totale
Erfassung aller Moslems im Lande.

Wer ja sagt zum Recht auf Völkerrechtsbruch in diesem Falle, sagt auch ja zu
dem was folgen wird. Wer nicht den Anfängen wehrt, macht sich für den Protest
gegen die kommenden Interventionen unglaubwürdig. Man darf unseren GenossInnen
und uns den Haß glauben, den wir gegen die Mörder unserer GenossInnen in
Afghanistan hegen; man darf uns allerdings auch glauben, daß wir die kennen,
die eben diese Mörder mit Waffen und Know-How beliefert haben; und daß wir
nicht in die Falle gehen werden, die da gelegt wird - auch daß darf man uns
glauben. Wer heute nicht Stop sagt zu dieser Schlacht in diesem Krieg, der
nimmt billigend in Kauf, daß, wenn nicht morgen, dann später, das Ziel der
Cruise Missiles vielleicht Havanna heißt.


Paul und Martin / Red. Red Globe

 

15.10.2001
Red. Red Globe   [Aktuelles zum Thema: Globalisierung]  [Schwerpunkt: WTC / Pentagon]  Zurück zur Übersicht

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