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Erfurt: Martin Walser Veranstaltung gestoert

Presseerklärung

Ca. 25 Antifaschist(inn)en störten am 13.September eine Buchlesung mit
dem Schriftstellter Martin Walser. Sie besetzten das Podium - mit einem
Transparent "Deutschland denken heisst Auschwitz denken" - und hielten
eine Redebeitrag.

Die Aktivist(inn)en wurden durch Handgreiflichkeiten des Publikums, der
Bereitschaftspolizei und Martin Walsers persönlich aus der Kriche
befördert. Ca. 7 Personen wurden in Gewahrsam genommen.

Rückfragen: 0361-2118712 oder  sabotnik@infoladen.net. Weitere
Informationen:  http://www.infoladen.net/sabotnik

Redebeitrag antifaschistischer Gruppen am 13.September in der Erfurter
Michaeliskirche. Es gilt das gesprochene Wort:

Herr Walser, hochverehrtes Publikum,

gestatten, dass wir ihre Veranstaltung hier beenden. Wir -
antifaschistische Gruppen - haben für heute Proteste und Störungen
angekündigt, hiermit sollen sie artikuliert werden.

Herr Walser, sie werden ahnen, warum wir da sind, um sie einen
Antisemiten und geistigen Brandstifter zu nennen.

Doch schon allein ein Mitveranstalter des heutigen Abends - der
Mitteldeutsche Rundfunk, dessen Sendegebiet bis an die deutsche
Ostgrenze reicht - wäre Grund genug, diese Veranstaltung zu stören. Aber
nein, heute widmen wir uns dem Gast, dem Star des Abends.

Wie dem Mitteldeutschen Rundfunk ist dem Dichter - ihnen Herr Walser -
die Grenze zwischen Innen und Außen abhanden gekommen. Die Fähigkeit die
Umwelt wahrzunehmen, sich von ihr abzugrenzen, sie zu reflektieren und
auf dieser Grundlage mit ihr umzugehen.

Ein Beispiel: Vor Kühnheit zitternd - so ihre Worte - hielten sie eine
Rede in der Paulskirche gegen die "Instrumentalisierung unserer
Schande". Danach stand fast das gesamte Publikum auf und applaudierte,
tausende Deutsche schrieben ihnen zustimmende Briefe. Etwas zu sagen
jedoch, worin zwischen Mob und Elite Einigkeit besteht, ist
offensichtlich nicht kühn. Damit sind wir beim Kern des Gegenstandes, um
den es uns geht. Denn die beschriebenen Phänomene Wahn und konforme
Revolte sind auch vom Antisemitismus nicht zu trennen.

Der Wahn etwa, daß fremde Mächte ihnen weh tun wollen. Daß diese Mächte
nichts unversucht lassen, ihnen - und ihren Leidensgenossen - zu
schaden. Daß sie verfolgt werden, daß sie "beschuldigt" werden, daß
ihnen eine "Schande" immer wieder unter die Nase gerieben wird. Das ist
nicht nur ausgesprochen doof, daß ist sogar ähnlich dem, was Deutsche
glaubten, als es für sie keine moralische oder politische Frage mehr war
Menschen zu töten, sondern eine technische.

Es können nur die Opfer von damals sein, deren Vertreter und Nachfahren,
die das Böse wollen, das sprach ihr Wehrmachtskollege Rudolf Augstein
offen aus. Und weil das Böse der Nazis das Böse des Martin Walsers ist,
erkennt er auch keine Schuld an. Er redet gar nicht erst davon, nur noch
Schande.

Wir wollen uns hier nicht in der Kritik Martin Walsers erschöpfen, sie
alle kennen wahrscheinlich seine Lügen über die deutsche Wehrmacht,
seine Paulskirchenrede und die anschließende Kontroverse. Er hat
schließlich nicht irgendeine Rede gehalten, er hat das Gründungsmanifest
der Berliner Republik gepredigt. Die - ideologisch aufgerüstet - wieder
andere Länder überfällt und nun zusieht, wie aus dem Kosovo Serben,
Serbinnen, Roma, Sinti, Juden und Jüdinnen vertrieben werden. Niemand
kann behaupten dafür trage Martin Walser die Verantwortung. So gesehen
ist er auch nicht der Brandstifter, er brennt nur mit. Er ist auch nur
ein autoritärer Charakter, der seine Erfüllung im Kollektiv findet. Auch
ist er wohl nur einer, der alles Moderne verachtet: Liberalismus und
Kommunismus, Geist und Individualität. Aber als einer von vielen, als
selbst Verantwortlicher, als Teil der deutschen Avantgarde der
bürgerlichen Verhältnisse steht er heute in unserer Kritik.

Deutsche Täter - Heimatvertriebene - stellen sich selbst als größte
Opfer des 2. Weltkrieges dar, das geschah letzte Woche hier in Erfurt.
Jüdische Friedhöfe sind Ziele unzähliger Attacken, nicht einmal der Tod
genügt den Antisemiten, letztes Jahr geschah das hier in Erfurt. In
Deutschland brennen wieder Synagogen, der Vernichtungswille wird offen
artikuliert, letztes Jahr hier in Erfurt. Das nehmen wir nicht hin und
darum wollen wir auch nicht akzeptieren, daß sie heute Abend
weiterreden. Wir wollen das Podium heute Abend nutzen, um über
sekundären Antisemitismus und deutsche Vergangenheitspolitik zu
diskutieren.

Sie sind ein Antisemit und geistiger Brandstifter.

 

13.09.2001
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