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Heidelberg: Beutekunst im Hörsaal der Mörder!

Weitere Infos findet Ihr unter
 http://www.autonomes-zentrum.org/ai.
 http://www.psychiatrie-erfahrene.de/eigensinn
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- Aufruftext:


Die Neueröffnung der „Prinzhornsammlung“ gerät zu einer Verhöhnung der
KünstlerInnen und zu einer Reinwaschung der Euthanasie-Täter


Jahrzehntelang lagerte die „Prinzhornsammlung“ in den Kellern des
Universitätsklinikums Heidelberg. Im September dieses Jahres sollen die Kunstwerke auf
dem Gelände der Heidelberger Klinik ausgestellt werden.

Bei der Sammlung handelt es sich um rund 6000 Kunstwerke von
Psychiatriepatientinnen und –patienten, die der Psychiater Hans Prinzhorn in den Jahren 1919
bis 1921 „zusammengetragen“ hat.

Während die Sammlung Künstlern wie Paul Klee und Pablo Picasso als
Inspiration für ihre eigenen Arbeiten diente, waren ihre Werke für die Nazis
willkommene Beispiele für „entartete Kunst“ – etliche Exponate fanden sich in der
gleichnamigen Ausstellung der Nazis wieder, wo sie mit höhnischen Kommentaren den
Bildern anderer moderner Künstler gegenübergestellt wurden. Wenn heute die
Universität Heidelberger und die Organisatoren der „Prinzhorn-Ausstellung“
argumentieren, für diese „Auswüchse“ sei Prinzhorn, der kurz vor der
Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933 starb, nicht verantwortlich zu
machen, so vertuschen sie bewusst, dass Prinzhorn schon vor 1933 ein Teil
jener völkischen Bewegung war, die auf die Vernichtung alles „Undeutschen“ und
„Minderwertigen“ aus war.

„Es ist und bleibt grotesk, dass eine einflussreiche, hochintellektuelle
Presse es in den letzten Jahren wagen durfte, unser geistiges Leben mit einer
zäh und konsequent betriebenen anti-arischen Propaganda zu durchsetzen“ schrieb
Prinzhorn etwa und wetterte weiter gegen „die rasend schnelle, in kaum zwei
Generationen geschehene Überflutung mit jüdischem Geist“.

Auf einer Gegenveranstaltung zum Weltkongress der Psychiatrie 1999
erläuterte der Sprecher des Bundesverbandes der Psychatrierfahrenen (BPE), René
Talbot, die Motive für Prinzhorns Sammeleifer: „Was ihn bekannt gemacht hat, ist
die Plünderung der künstlerischen Werke psychiatrisierter Menschen für die
Gründung eines psychopathologischen Museums.. Dabei nütze er die entrechtete
Situation dieser Menschen schamlos aus – eingesperrt und entmündigt raubte er
ihnen das letzte, was ihnen als Urhebern gehörte, ihre künstlerischen Werke
(...). Bis heute werden die Werke nicht identifizierter Künstler mit Wörtern wie
„Schizophrenie“, „Paranoia“ und „degenerativer Schwachsinn“ diffamiert.“
Hans Prinzhorn wurde 1886 geboren. 1919 kam er als Assistent an die
psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg. Seine Aufgabe bestand dort darin,
eine in Ansätzen bestehende Sammlung einer "Lehrsammlung" mit Bildern von
PsychiatrieinsassInnen weiterzuführen. Mit welchem Feuereifer sich Prinzhorn daran
machte, sich der Kunstwerke psychiatriesierter Menschen zu bemächtigen,
lässt sich drei Jahre später feststellen: Als Hans Prinzhorn 1921 Heidelberg
wieder verließ, war die Sammlung auf ca. 5000 Werke angewachsen.
In seinen psychiatrischen Schriften wird der Arzt als "Idealbild des
Nietzscheschen Übermenschen" präsentiert. Weniger bekannt sind die
gesellschaftspolitischen Schriften. Prinzhorns politisches Denken ist geprägt von
Volksgemeinschaftsideologie und Führertgedanken. Die nationalsozialistische Bewegung übt
eine große Faszination auf ihn aus. Eines seiner letzten Werke heisst denn
auch "Gemeinschaft und Führertum. Ansatz zu einer biozentrischen
Gemeinschaftstheorie.
1933 stirbt Hans Prinzhorn kurz vor der Machtübergabe an die
Nationalsozialisten.




Prinzhorn sah in seinen PatientInnen Objekte, die ihn nicht als Menschen
interessierten, sondern vielmehr als TrägerInnen eines zu erforschenden
psychopathologischen Syndromes. Dieser biologistische Ansatz fand seine konsequente
Fortführung in den Aktivitäten des Neurologen Prof. Carl Schneider und seiner
Kollegen, unter deren Leitung die Heidelberger Universitätsklinik zum Motor
der Euthanasie wurde.

Als die Euthanasie der Zwangssterilisation folgte, übernahm die Wissenschaft
die Leitung des Mordprogramms. Menschen, die nicht in das Schema eines
„rassisch homogenen Volkes“ passten, sollten vernichtet werden, um das „nationale
Erbgut“ nicht in Gefahr zu bringen. Wissenschaftler machten sich die
Forschungsmöglichkeiten zu Nutze, die ihnen das Mordprojekt mit dem Namen „Aktion T4“
lieferte. Carl Schneider arbeitete 1942 einer Aktennotiz zufolge an einer
„Absterbeordnung für Idioten“, seine Assistenten Dr. Schmieder, Dr. Rauch und
Dr. Wendt, standen unter der Rubrik „Forschung Heidelberg“ auf der
Gehaltsliste der „Euthanasie-Zentrale“. Ihre Korrespondenzen sind durchzogen von der
Suche nach „geeigneten Gehirnen“, die sie sich entweder aus den „noch
existierenden Idiotenanstalten“ oder direkt aus den Euthanasie-Mordanstalten wie der
„Kinderfachabteilung Eichberg“, in der behinderte Kinder massenweise durch
Spritzen getötet wurden.

Schneider nahm sich im Dezember 1945 in der Untersuchungshaft das Leben.
Vielleicht ein unüberlegter Entschluss, machten doch seine Kollegen auch nach
1945 steile Karrieren: Dr. Wendt wurde Professor an der psychiatrischen
Uniklinik Heidelberg, Dr. Schmieder, der sich 1944 bei Schneider habilitiert hatte,
wurde Eigentümer und Leiter einer der größten neurologischen Rehakliniken in
Gailingen (Bodensee-Kreis) und erhielt 1979 das Bundesverdienstkreuz erster
Klasse. Dr. Rauch wurde gefragter Gutachter u.a. in Prozessen gegen politische
Gefangene. Erst der Befangenheitsantrag des Verteidigers von Jürgen Boock,
Heinrich Hannover, brachte die mörderische Tätigkeit Rauchs wieder an die
Öffentlichkeit.
Carl Schneider wurde 1891 geboren. 1932 trat er in die NSDAP ein. Seit
1933 war er ordentlicher Professor an der Universität Heidelberg, Direktor der
psychiatrischen Klinik, später auch Leiter des "Rassepolitischen Amtes in
Heidelberg" und Mitarbeiter des SD (Sicherheitsdienst der SS) sowie
Euthanasie-Obergutachter.
Schneider war einer der führenden Täter und "wissenschaftlichen Nutznießer"
der Euthanasieaktion "T4". Für seine "Forschung forderte er regelmäßig
Gehirne ermordeter Kranker an. Teilweise wurden die Mordopfer bereits mit seinen
Sezierungsanweisungen in die Mordanstalten geschickt. Schneider war mitnichten
nur Befehlsempfänger oder Mitläufer des Mordprogramms. In einer Fülle von
Anträgen an den Reichsausschuss, in dem über die Vernichtung "unwerten Lebens"
entschieden werden sollte, drängte er, das Euthanasieprogramm zu
intensivieren. Angegliedert an die Tötungsanstalten sollten nach Schneiders Vorstellungen
"Forschungszentren" gegründet werden, in denen die PatientInnen vor ihrer
Tötung eingehend psychologisch und physiologisch untersucht werden sollten.
Schneider floh vor dem Einmarsch der Amerikaner aus Heidelberg. Er taucht
zunächst als Patient in der Psychiatrischen Klinik Erlangen unter. Nach seiner
Verhaftung beging er im Dezember 1945 in seiner Zelle Selbstmord.


Nach 1945 wurde es zunächst still um die „Prinzhorn-Sammlung“. Heute, im
Jahr 2001, unterstützen die Heidelberger Universität und die Landesregierung
Baden-Württembergs ein Ausstellungskonzept ausgerechnet in einem eigens
umgebauten Hörsaal der Psychiatrie.

Von den Zusammenhängen mit faschistischer Ideologie und dem Krankenmord der
Nazis wird der künftige Besucher der „Prinzhorn-Sammlung“ nichts erfahren,
nicht über Prinzhorns antisemitische Exzesse und auch nichts über die Tatsache,
dass einige der ausgestellten KünstlerInnen im Rahmen der T4-Aktion ermordet
wurden.

Bettina Brand-Claussen, die im Auftrag der Universität für die
Prinzhorn-Sammlung forscht, zieht jedenfalls einen dicken Strich zwischen dem
Nazisympathisanten und dem geehrten Kunstsammler Prinzhorn: „Die Sammlung trägt den Namen
Prinzhorns, weil dieser nach seiner erfolgreichen Sammeltätigkeit eine
erste, noch heute beachtenswerte Bearbeitung der Werke vornahm“.

René Talbot resümmiert: „Die Verantwortlichen betrachten die Kunstwerke noch
immer als Patientenkartei, die sie nicht herausgeben wollen. Sie wollen noch
immer nicht akzeptieren, dass sie die Kunstwerke bösgläubig erworben haben
und die Eigentümerrechte nicht an sie übergegangen sind“.

Das vom Kulturamt der Stadt Heidelberg organisierte 'Kulturprogramm' zur
Eröffnung der Ausstellung spricht denn auch eine deutliche Sprache: "Die Jahre,
die Hans Prinzhorn in Heidelberg verbrachte, zählen zu den Sternstunden der
Wissenschaftsgeschichte" ist alles, was die Oberbürgermeisterin Beate Weber
(SPD) über den fanatischen Anhänger der "arischen Art" zu sagen weiss. Über die
Geisteshaltung Prinzhorns heisst es ein wenig später im Programmheft
lapidar: "Das Denken Hans Prinzhorns kreiste Zeit seines Lebens um die von Nietzsche
übernommene Frage nach dem Authentischen am Menschen."
Wirklich unappetitlich wird es allerdings, wenn in der Broschüre über den
Menschen geschrieben wurde, der die Nazi-Phantasien vom Übermenschen in die Tat
umsetzte. In der beigefügten 'Chronik der Sammlung Prinzhorn' heisst es:
"1938: Klinikderoktor Carl Schneider übergibt der Wanderausstellung "Entartete
Kunst" Zeichnungen der Sammlung. Er instrumentalisiert die Sammlung und ihre
Schöpfer als pathologisches Beweismaterial gegen die Kunst der "Moderne",
greift aber den Bestand nicht weiter an." Das ist alles, was das Kulturamt der
Stadt Heidelberg über den Euthanasie-Massenmörder Carl Schneider zu sagen
weiss!

Weitere Geschmacklosigkeiten in dem fünfzig Veranstaltungen umfassenden
"bunten Programm" verwundern da nur noch am Rand. Am Sonntag, den 30.9.2001 wird
auf der nationalsozialistischen Propagandaanlage der Thingstätte eine
Performance-Show unter dem Untertitel "Sonderfälle, Rückschläge und Kuriositäten"
dargeboten. Ob die BesucherInnen mit Popcorn und Luftballons versorgt werden,
ist noch nicht bekannt.

All diese Abgeschmacktheiten dienen letzlich dem Ziel, vergessen zu machen,
dass es sich bei dem geplanten Museum um nichts anderes handelt als
Beutekunst im Hörsaal der Mörder.

Eine Ausstellung unter dem Namen des Faschisten Prinzhorn verhöhnt seine
Opfer ein weiteres Mal!

Die Präsentation der Bilder darf nicht unabhängig von der Dokumentation der
Verbrechen der Täter in Psychatrie, Medizin und Euthanasie-Bewegung
stattfinden!

Für eine Ausstellung, die den Künstlerinnen und Künstlern ihre Würde
zurückgibt!

Termine:
11.9.2001 – 20.00 Uhr
TIKK-Theater im Karlstorbahnhof Heidelberg
Veranstaltung zur „Sammlung Prinzhorn“ mit René Talbot (Sprecher des
Bundesverbandes der Psychiatrieerfahrenen [BPE]) und einem Vertreter der
Antifaschistischen Initiative Heidelberg [AIHD] im.


13.9.2001 – 15.45 Uhr
Voßstr. 2 - Heidelberg
Protestaktion gegen die Ausstellungseröffnung der „Sammlung Prinzhorn“. Für
eine Ausstellung, die den KünstlerInnen ihre Würde zurückgibt!
Euthanasie-Täter benennen!


Weiter Informationen unter:  http://www.psychiatrie-erfahrene.de/eigensinn

 

04.09.2001
Antifaschistischen Initiative Heidelberg [AIHD] [homepage]   [Aktuelles zum Thema: Antifaschismus]  Zurück zur Übersicht

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