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Weltweiter Kapitalismus, Globalisierungs-Ideologie und Globalisierungsgegner

GegenStandpunkt – Politische Vierteljahreszeitschrift

Weltweiter Kapitalismus, Globalisierungs-Ideologie und Globalisierungsgegner

Nun ist der erste Demonstrant erschossen, andere sind verletzt, sitzen im Gefängnis. So geht der "Dialog" der G7-Staatschefs mit Kritikern der Globalisierung. Einen Appell an ihren guten Willen nehmen diese "Verantwortlichen" gern entgegen, dafür muss die "Bewegung" aber den Nachweis erbringen, dass sie mit denen, die den Gipfel mit zivilem Ungehorsam stören, nichts zu tun haben will. Es heißt, ihre "berechtigten Anliegen" würden "durch die Vermummten diskreditiert". Das ist ein starkes Stück: Bis zum Zeitpunkt der Straßenkämpfe von Seattle usw. haben die Staatschefs und ihre Sachverständigen in Wissenschaft und Publizistik den bis dato "friedlichen Demonstranten" nie bescheinigt, "berechtigte Sorgen" zu äußern, da wurden sie einfach als weltfremde Spinner abgetan. Seit es Störer gibt, schmeicheln Politiker und ihre journalistische Öffentlichkeit den nichtmilitanten Teilen der Globalisierungsgegner, sie hätten ja "so bedenkenswerte" Einwände. Es geht ums Sortieren, das die Staatsgewalt mit ihren Mitteln durchführt...

1.
Dagegen steht bei denjenigen, die sich selbst die "Gegner der Globalisierung" nennen, alles andere als solide begründete Einigkeit. Es gibt die unterschiedlichsten Auffassungen und Strömungen. Da gibt es Gewerkschafter aller Couleur, ziemlich viele kirchliche Organisationen, alternative Professoren der Volkswirtschaftslehre, Freunde der Bewahrung indigener Kulturen, Kritiker des Kapitalismus, die Marx zitieren, Umweltaktivisten, Schwule und Lesben usw. usf. Die "Bewegung" ist stolz darauf, dass all diese Auffassungen, die oft genug recht gegensätzlich sind, in der "Bewegung" nebeneinander existieren können - denn auf die je einzelne Auffassung kommt es ihr gar nicht so an. Geeint sind sie nämlich darin, dass sie alle einen Beitrag leisten wollen zum Widerstand gegen ihren gemeinsamen Feind: gegen die weltmächtige und "menschenverachtende" Allianz von IWF, Weltbank, WTO und sogenannter Transnationaler Konzerne.

2.
Die Institutionen, die Globalisierungsgegner für die Durchsetzung der "Globalisierung" verantwortlich machen, existieren schon sehr lange. IWF, Weltbank und GATT – aus dem später dann die WTO geworden ist - sind staatliche Schöpfungen und es gibt sie seit 1945. Wenn man "Globalisierung" einmal schlicht nimmt, nämlich als: Weltweit-Machen von Handel und Kapitalverkehr, dann gibt es sie, seit es den Kapitalismus gibt, und seit 1945 unter besonderer Betreuung durch die genannten Institutionen. Die Staatenwelt - früher noch mit der großen Ausnahme der Sowjetunion und ihrer Verbündeten - weiß als zwingendes Gebot ihrer Wirtschaftsweise, dass der grenzüberschreitenden Tätigkeit des Kapitals immer mehr Möglichkeiten und Freiheiten verschafft werden müssen - die nationale Kapitalmacht bedarf zu ihrer Entfaltung der Be- und Ausnutzung des Weltmarkts. Das hat die "Multis", die es auch schon ziemlich lange gibt, so richtig in Schwung gebracht und wachsen lassen, denn die Tätigkeit der Institutionen war ja gerade darauf berechnet. Umgekehrt ist klar, dass kapitalistische Staaten nicht einfach bloß so für die Internationalisierung des Kapitals sind, sondern sie selbstverständlich mit der Berechnung betreiben, dass sie zum nationalen Vorteil ausschlagen soll. Der Ort, an dem dieser Widerspruch - der zwischen dem gemeinsamen Interesse an weltweiter Kapitalisierung und den konkurrierenden Interessen am Ertrag daraus - auf der höchsten diplomatischen Ebene ausgetragen wird, sind eben IWF, Weltbank und GATT/WTO. Diese Institutionen sind also Agenten des weltweit agierenden Kapitals, sind es aber nur in dem Maße, auf das, und in dem Rahmen, auf den sich die Staaten einigen. Genauer gesagt: Die Macht dieser Institutionen ist gar nicht ihre eigene; sie wird ihnen vielmehr von ihren Auftraggebern, den Weltwirtschaftsmächten, verliehen. Von deren Einigung sind nämlich die Regeln der Weltmarktkonkurrenz abhängig, an die sich diese Institutionen zu halten haben.. Klar, dass dieser Kampf um Einigung - an der formell zwar weiterhin a
ten beteiligt sind - nur von einigen wenigen, den kapitalmächtigen, bestimmt und entschieden wird, was wiederum ihrer Kapitalmacht zugute kommt. Immer mehr Staaten sind im Zuge dieser "Globalisierung" in die wirtschaftliche und politische Bedeutungslosigkeit versunken, während die mächtigen Staaten eben in und mit ihrer Konkurrenz in der Zurichtung der Welt für ihre Bedürfnisse und ihren Reichtum vorangeschritten sind. - Das wurde aber 40 oder mehr Jahre lang niemals, genauso wenig wie das staatlich gestiftete und begleitete Wachstum der Multis, als "Globalisierung" bezeichnet.

3.
Eine Neuheit ist dagegen die Erfindung und Verbreitung des Schlagworts "Globalisierung". Bekanntlich sind darauf nicht die Globalisierungsgegner gekommen, sondern die Staaten, die als "Weltwirtschaftsmächte" die Maßstäbe der Konkurrenz auf dem Weltmarkt setzen. Was die über Jahrzehnte betrieben haben, nämlich den ganzen Globus mit ihren Kapitalverwertungsinteressen zu überziehen, bezeichnen sie nun mit dieser Modevokabel - aber mit einem entscheidenden und alles verdrehenden Zusatz. Sie behaupten nämlich, sie seien der "Globalisierung" ausgesetzt. Da gibt es jetzt also das international agierende Kapital, dessen sich - ausgerechnet die kapitalstärksten - Staaten angeblich erwehren müssen. Sozusagen reihum bezeichnet sich jeder dieser Staaten als Opfer der Konkurrenz, die er über Jahrzehnte vorangetrieben hat. Diese Lüge ist zu der Ideologie der heutigen Macher geworden. Mit dieser Ideologie ziehen sie eine Maßnahme nach der anderen durch, die von nichts anderem zeugen als dem unbedingten Willen, in der Konkurrenz der Nationen zu bestehen und andere Nationen zu den wirklichen Opfern, also Konkurrenzverlierern zu machen. Damit wird der nationalen Arbeitskraft in der Konkurrenz der Nationen ein neuer Status aufgezwungen: Sie soll als Waffe in dieser Konkurrenz eingesetzt werden, indem sie verbilligt wird. Was das für die beschäftigten und beschäftigungslosen Arbeitskräfte bedeutet, kennt jeder: Unter Titeln wie "Modernisierung des Sozialstaates" und "Standortsicherung" spricht der Staat erstens klipp und klar aus, dass er den Zugriff auf alle Lebensumstände seines Arbeitsvolkes hat und dass er es zweitens als Material im Kampf gegen andere Nationen beansprucht und einsetzt. Deswegen befindet er es drittens als zu teuer. Dies führt er viertens darauf zurück, dass er ihm in der Vergangenheit zu viele "Besitzstände" zuerkannt habe, die nicht mehr "in die heutige Zeit der globalen Konkurrenz passen" sollen. Daher "muss" er fünftens diesen Fehler schleunigst korrigieren und dem Volk diese "Besitzstände" wieder aberkennen
ürlich wird das sechstens immer von einem "leider" begleitet: Nur auf Grund der äußeren Zwänge der Globalisierung "müsse" sich der Staat so verhalten. Mit dieser Globalisierungsideologie rechtfertigt der Staat das, was er als führender kapitalistischer Staat will, als unabänderlichen "Sachzwang".

4.
Wie anfangs gesagt, bezeichnen die Globalisierungsgegner die Allianz von IWF, Weltbank, WTO und Transnationalen Konzernen als ihre gemeinsamen Gegner und finden sich darin zusammen. Damit machen sie den Fehler, dass sie die "Globalisierungs"-Ideologie der Staaten bitter ernst nehmen. Statt zu kritisieren, was ihre Staaten zu Hause tun, um sich in der globalen Konkurrenz durchzusetzen, melden sich die Globalisierungsgegner am entgegengesetzten Ende, auf der obersten Ebene der internationalen Konkurrenz, zu Wort. Hier erst fällt ihnen das "Unsoziale" des Kapitalismus überhaupt so richtig auf, und sie deuten es als Folge dessen, dass der Kapitalismus es mit seiner Internationalisierung zu weit getrieben haben soll. Dass die Staaten das, was sie ihren Völkern zumuten, als Folge des angeblichen "Sachzwangs" der "Globalisierung" bezeichnen, glauben ihnen die Globalisierungsgegner; sie glauben, dass die Staaten - auch die führenden - der "Globalisierung" tatsächlich unterworfen sind. Alle Länder kommen ihnen so als Opfer der Globalisierung vor. Das "Unsoziale", das sie ihren Völkern und dem Rest der Welt antun, erscheint ihnen dann als deren unausweichliche Folge.
Eine Kritik an den führenden Nationen haben sie dabei schon: Sie hätten doch bei dieser internationalistischen "Übertreibung" selber mitgewirkt - sei es, indem sie sich von den Multis und internationalen Institutionen entmachten ließen, sei es, dass sie einer "neoliberalen Ideologie" verfallen seien und die Internationalisierung - von dieser Ideologie verblendet - vorangetrieben haben. Aber wie sie nun selbst sagen, sind sie Betroffene dessen, was sie mit sich haben machen lassen oder selbst angezettelt haben - und nach Auffassung der Globalisierungsgegner müssten sie daraus die Lehre ziehen, dieser Verselbständigung der internationalen Kapitalmacht Einhalt zu gebieten.
Wenn die - neu entstandene - Protestbewegung sich ausschließlich zu hochrangigen internationalen Treffen einfindet und dort viel Leidenschaft und Empörung an den Tag legt, hat das also seine Logik. Sie nimmt die "Globalisierungs"-Lüge ernst und glaubt, dass Staaten unter der Internationalisierung des Kapitals leiden und sich von daher zu den "sozialen Härten" gezwungen sähen, die sie ihren Völkern zumuten. Damit ist ein Gegensatz zwischen 'national' und 'international' eröffnet, der besagt: Wenn man der internationalen Betätigung des Kapitals freie Bahn verschafft, dann führt das aufgrund von dessen "räuberischer" und "profitgieriger" Natur zu einem einzigen Auswuchs. Der wäre aber nicht eingetreten, wenn die Staaten die nationale Kontrolle über das Kapitalgeschehen behalten hätten. Und dieser Auswuchs ließe sich wieder zurückstutzen, wenn die Staaten sich gemeinsam darauf einigten. Der nationalen Politik wird so der "Schutz des Sozialen" zugewiesen. Die Pflicht des Nationalstaates sei die Zähmung des Kapitalismus, der als "globaler" hemmungslos ist. Gerade weil der Staat sich diese Aufgabe aus der Hand hat nehmen lassen, kann man an den unheilvollen Wirkungen sehen, wie sehr sie seine eigentliche Aufgabe ist. Daher wissen sich die Globalisierungsgegner zu ihrem Protest berechtigt, denn sie sind ja beseelt von der staatsbürgerlichen und demokratie-idealistischen Überzeugung, dass der Staat dafür da ist, seinen Bürgern - insbesondere den sozial schwächeren - zu dienen und ihre Wohlfahrt zu mehren. Diesen Glauben an den eigentlich guten Zweck des Staates lassen sie sich durch die "Globalisierungs"-Ideologie der Staaten noch einmal bestätigen: Die politische Sonntagspredigt, dass der Staat selbstverständlich für das Wohl seiner Bürger da ist und sie vor "sozialen Härten" zu schützen hat, wird selbst dann nicht aus dem Verkehr gezogen, wenn derselbe Staat nun "soziale Härten" verordnet, - er ist ja angeblich dazu gezwungen. Damit sagt er ja zugleich, dass er das eigentlich nicht will, dass er eigentlich weiterhin nur
Wenn die 7 führenden Industriestaaten auf ihren G7-Treffen überhaupt keine Anstalten dazu machen, die vermeintlichen Übertreibungen der Globalisierung rückgängig zu machen; wenn sie vielmehr in ihrer "neoliberalen Verblendung" betonen, so recht eigentlich sei die Globalisierung noch gar nicht Wirklichkeit und das sei der Grund für die "sozialen Härten" zu Hause und für das Elend in der "Dritten Welt", dann fühlen sich die Globalisierungsgegner zu Widerstand berechtigt. Die G7-Staaten, die gemeinsam doch dazu die Macht hätten, weigern sich in ihren Augen ihrer eigentlichen menschenfreundlichen Aufgabe - dem Schutz ihrer Bürger und der gerechten Verteilung des Reichtums auf dem Globus - nachzukommen. Daher fordert ein Teil der Globalisierungsgegner die G7-Führer auf: Wenn ihr eigentlich das Wohl der Menschheit wollt und wenn ihr doch eigentlich auch die Macht dazu habt, dann haltet euch doch endlich an die gute Meinung, die wir von euch - oder zumindest von den demokratischen Institutionen haben, denen ihr vorsteht! Ein anderer Teil bezichtigt die Staatschefs des Verrats an ihren eigentlichen Pflichten und bezieht daraus die Berechtigung, den staatsbürgerlichen Gehorsam bei Anlässen wie Genua demonstrativ aufzukündigen.

5.
Die gute Meinung über sich hören die Staatenlenker gerne, sie sind durchaus auch "dialogbereit", aber um zu definieren, wo die Grenzen sind - und zwar mit aller Schärfe.

Text: Analyse des GegenStandpunkt-Redaktion in Radio Lora ( http://home.link-m.de/lora/gegenstp/index.htm)
Lesetipps:
“Globalisierung” - Der Weltmarkt als Sachzwang (GEGENSTANDPUNKT 4-99);
WTO-Konferenz in Seattle: Der Kampf der Nationen um den Reichtum der Welt und seine neuesten Gefechtsfelder (GEGENSTANDPUNKT 3-2000);
Herbsttagungen von IWF, Weltbank und eine "globalen Anti-Globalisierungsfront" (GEGENSTANDPUNKT 4-2000)
Link:
 http://www.gegenstandpunkt.com/
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21.08.2001
GegenStandpunkt – Politische Vierteljahreszeitschrift   [Aktuelles zum Thema: Soziale Kämpfe]  [Schwerpunkt: Genua G8 Treffen]  Zurück zur Übersicht

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