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Berlin: Freisprüche für Aufruf zur Desertion

Desertiert aus allen kriegführenden Armeen!
Kammergericht: "Das ist kein Aufruf."

Das Berliner Kammergericht hat in einem Verfahren wegen Aufruf zu
Desertion die Revision der Staatsanwaltschaft abgewiesen. Ralf
Siemens von der Berliner Kampagne war vor einem Jahr durch das
Landgericht Berlin von dem Vorwurf freigesprochen worden, Soldaten
der Bundeswehr zur Desertion aufgerufen zu haben. Es ging dabei um
ein Plakat der Kampagne, das die Aufforderung enthielt "Desertiert
aus allen kriegführenden Armeen".

Hintergrund ist die Auffassung der Kampagne, dass jeder Soldat der
Bundeswehr das Recht und die Pflicht hat, völkerrechtswidrige und
grundgesetzwidrige Befehle zu verweigern. Wie die Gerichte in den
Vorinstanzen hat auch Richter Dr. Dietrich vom Berliner Kammergericht
es abgelehnt, sich mit der alles entscheidenden Frage, der der
Völkerrechtswidrigkeit des Krieges gegen Jugoslawien zu beschäftigen.
Er bestätigte den Freispruch der Vorinstanz, äußerte aber Zweifel
daran, dass die Soldaten den Aufruf überhaupt als solchen hätten
erkennen können. Deshalb sei die Frage, ob Soldaten mit Desertion
und Befehlsverweigerung eine Straftat begangen hätten, für ihn
ebenso irrelevant wie die Frage der Völkerrechtswidrigkeit. Der
Freispruch ist rechtskräftig.

Im Verfahren gegen Volker Böge, der als Unterzeichner eines in der
taz veröffentlichten Desertionsaufrufs verurteilt worden war, wurde
die Verurteilung mit der gleichen Begründung - der Aufruf sei kein
Aufruf gewesen - ebenfalls heute rechtskräftig aufgehoben.

Diese Entscheidung der Revisionsinstanz (Kammergericht) ist für
die Untergerichte bindend und wird damit Auswirkungen auf die 40
laufenden Verfahren gegen die UnterzeichnerInnen des Desertionsaufrufs
haben. Es ist zu erwarten, dass die Staatsanwaltschaft ihre Berufungen
gegen Freisprüche der ersten Instanz bzw. ihre Revisionen gegen
Freisprüche der Berufungsinstanz zurückziehen wird.

Nach mehr als 2 Jahren Verfolgungs- und Ermittlungshatz durch die
Berliner Staatsanwaltschaft scheint sich nunmehr in Berlin ein Ende
der Prozesswelle gegen AufruferInnen zur Fahnenflucht und
Befehlsverweigerung abzuzeichnen. Nicht weniger als 50 Verhandlungen
vor dem Berliner Amts- und Landgericht haben stattgefunden.
Formaljuristisch endete diese Kriminalisierung der Aufrufe mit
einer großen Schlappe für die staatlichen Ermittlungsbehörden. Es
ist uns aber auch nicht gelungen, die Justiz zur Prüfung der
Rechtswidrigkeit des Nato-Angriffs auf Jugoslawien zu bewegen. Sie
hat sich einer juristischen Auseinandersetzung verweigert und den
rechtlich bequemsten Weg gewählt: Die Aufrufe seien keine Aufrufe
gewesen und deshalb entfielen alle weiteren rechtlichen Prüfungen.

Die Auffassung der Berliner Generalstaatsanwaltschaft, dass Soldaten
auch im Falle eines rechtswidrigen Krieges die Truppe nicht verlassen
dürfen, bleibt rechtlich unangetastet.

Die Frage von Krieg und Frieden ist keine juristische, sondern eine
politische. Das betrifft selbstverständlich auch die Beteiligung
am Krieg gegen Jugoslawien, der nicht nur völkerrechtswidrig war,
sondern vor allem Tausende ziviler Opfer gefordert hat. Der Angriff
gegen Jugoslawien hat nicht zu einer Stabilisierung der Situation
in Südosteuropa geführt, sondern im Gegenteil einer auf Jahre hin
unabsehbaren weiteren Eskalation Vorschub geleistet.

 

05.07.2001
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