nadir start
 
initiativ periodika archiv adressbuch kampagnen aktuell

Berlin: Heute ist der "Kronzeuge" , Mousli, im Zeugenstand.


Der Zeuge der Anklage jetzt im Zeugenstand!!!!

Am 17.5.01 begann vor dem Kammergericht Moabit der zweite Anlauf im Berliner
"RZ-Verfahren". Am nunmehr 7. Verhandlungstag (15.6.01) wird der Zeuge der
Anklage in den Zeugenstand treten. Aufgrund der Aussagen dieses Kronzeugen
sitzen die fünf Angeklagten seit Dezember 1999 bzw. April 2000 in
Untersuchungshaft.

Wir möchten Euch/Sie darauf aufmerksam machen, dass wir regelmäßig und
zeitnah über die einzelnen Prozesstage berichten. Unter
http//www.freilassung.de/prozess
sind wichtige Kurzmeldungen, Berichte und
Hintergrundinformationen abrufbar.

Zugang zu einer E-Mailliste bekommt Ihr / bekommen Sie unter
 http://www.freilassung.de/prozess/ticker/mailing.htm.
Prozessbrichte und
wichtige Pressemitteilungen erreichen die Eingetragenen dann unmittelbar
über E-Mail.

Anbei Presseerklärungen der Verteidigung und des Komitee für Grundrechte zum
ersten Aufritt des Kronzeugen in der Hauptverhandlung:

----------------------------------------------------------------------------
----------------------------------------------------------------

Presseerklärung der Verteidigung im Berliner RZ-Verfahren :
Kronzeuge Tarek Mousli in der Hauptverhandlung am 15.6.2001

Am insgesamt elften Verhandlungstag im Berliner RZ-Verfahren vor dem 1.
Strafsenat des Berliner Kammergerichts soll der Kronzeuge Tarek Mousli
erstmals vernommen werden. Die fünf Angeklagten in diesem Verfahren wurden
praktisch ausschließlich aufgrund der Aussagen des Kronzeugen unter anderem
wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Sie
befinden sich seit Dezember 1999 bzw. April 2000 in Untersuchungshaft.
Mousli selbst war wegen seiner Aussagebereitschaft nach kurzer
Untersuchungshaft von 23.11.1999 bis 27.04.2000 vorzeitig entlassen und am
18.12.2000 vor dem 2. Strafsenat des Kammergerichts zu einer
Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden.

Ohne irgendeine Beteiligung der Verteidigung war Mousli von
Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt allein zwischen seiner Festnahme am
23.11.1999 und dem 24.01.2001 nach Aktenlage 44 Mal vernommen worden.
Daneben fanden zahlreiche Vorgespräche, Gespräche, Besprechungen mit den
Staatsschutzbeamten statt, von denen die Verteidigung weiß, die aber
inhaltlich aktenmäßig nicht nachvollziehbar sind. In diesen Gesprächen ging
es um die Kronzeugenregelung, Vergünstigungen für Mousli in der Haftfrage,
das Zeugenschutzprogramm, inklusive der monatlichen Alimentierung von DM
2.400,00 plus Miete, Krankenversicherung, Mietwagen und
Telefongrundgebühren, sowie nicht zuletzt um die Inhalte von Mouslis
Aussagen.

Die Verteidigung ist sich mit zahlreichen Bürgerrechtsorganisationen und
auch einem Teil der Bundestag vertretenen Parteien in der Ablehnung der
Kronzeugenregelung einig. Der Zeugenbeweis ist ohnehin der Unsicherste im
Strafprozess. Der Kronzeuge hat alle Möglichkeiten und viele gute Gründe zur
Falschaussage. Auch wenn er nach eigenen Angaben in bestimmte
Geschehensabläufe verwickelt war, spricht dies gerade nicht für
wahrheitsgemäße Aussagen. Er kann nach eigenem Belieben, den eigenen
Tatbeitrag schmälern und andere Personen, aus welchen Gründen auch immer,
ent- bzw. belasten. Vor allem im angloamerikanischen Rechtsraum wird daher
eine Verurteilung allein aufgrund der Aussage eines Kronzeugen für mit
rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar erachtet. Im Falle von Mousli
kommt dazu, dass in den Akten eine Vielzahl von Hinweisen enthalten sind,
wonach der Kronzeuge nach allen Regeln der Kunst für seine Vernehmung
präpariert wurde. Ihm wurden zahlreiche Aktenbestandteile, Zusammenfassungen
von Zeugenaussagen und Urkunden während des Verlaufes seiner Aussage zur
Verfügung gestellt. Mehrfach gaben ihm die Beamten die Möglichkeit, seine
mit objektiven Feststellungen nicht in Einklang zu bringende Aussage noch
während der laufenden Vernehmungen zu berichtigen.

Die Verteidigung hatte daher während der zahlreichen Haftprüfungen immer
wieder ihre grundsätzlichen Bedenken gegen den Einsatz des Kronzeugen
vorgebracht. Schon zu Beginn des Verfahrens war ein Antrag auf Einstellung
des Verfahrens gestellt worden, weil der Einsatz des Kronzeugen Mousli gegen
den Grundsatz des fairen Verfahrens verstößt.

Die Vorbehalte der Verteidigung wurden durch den bisherigen
Verhandlungsverlauf noch verstärkt. Zunächst wurde bekannt, dass der
Zeugenbeistand und Mousli selbst, unter Umgehung des Kammergerichts, von der
Bundesanwaltschaft Teilakteneinsicht erhielten. Die entsprechenden
Auskunftsanträge der Verteidigung sind bis zum jetzigen Zeitpunkt von der
Bundesanwaltschaft unbeantwortet geblieben. Bisher sind zwei der
Vernehmungsbeamten Mouslis in der Hauptverhandlung vernommen worden. Am
07.06.2001 berichtete der pensionierte KHK Schulzke aus dem
Bundeskriminalamt über die Vernehmungen mit Mousli. Obwohl er der
hauptsächlich mit Mousli befasste Beamte war, konnte er sich
bezeichnenderweise an Einzelheiten von Absprachen zur Kronzeugenregelung
selbst nach Vorhalt entsprechender Hinweise aus den Akten nicht erinnern. Er
wusste allerdings zu berichteten, dass Mousli sich nach erfolgter
Verurteilung durch das Kammergericht mit dem inzwischen schon pensionierten
Beamten im Bundeskriminalamt traf, um sich bei diesem dafür zu bedanken,
dass das Verfahren so „rechtsstaatlich“ ablief. Der am 08.06.2001 vernommene
Bundesanwalt Griesbaum musste zugeben, dass er über den Akteninhalt hinaus
Gespräche mir dem Kronzeugen geführt hatte, über die keine schriftlichen
Vermerke angefertigt wurden. Er habe dies für nicht notwendig gehalten, ohne
dass er irgendeine plausible Begründung hierfür geben konnte. Hierdurch
wurde die notwendige Aufklärung und damit die Kontrolle der Gesprächsinhalte
erheblich erschwert.
Aus diesen Gründen hält die Verteidigung das Beweismittel Mousli bereits vor
seiner Ausage für entwertet. Da sich aber das Gericht dieser Auffassung
bisher noch nicht anschließen konnte, wird die Verteidigung alles daran
setzen, im einzelnen die Fragwürdigkeit der Kronzeugenaussage nachzuweisen.

Für die Verteidigung
Wolfgang Kaleck, Rechtsanwalt Edith Lunnebach, Rechtsanwältin
Hans Wolfgang Euler, Rechtsanwalt Jasper von Schlieffen, Rechtsanwalt
Silke Studzinsky, Rechtsanwältin Andrea Würdinger, Rechtsanwältin
Nicolas Becker, Rechtsanwalt

----------------------------------------------------------------------------
----------------------------------------------------------------------------
--------------

Komitee für Grundrechte und Demokratie Berlin, den 14.6.2001

Presseerklärung zum Auftritt des Kronzeugen Mousli im Rahmen des Verfahrens
gegen Axel Haug, Sabine Eckle, Rudolf Schindler, Harald Glöde und Mathias
Borgmann vor dem 2. Strafsenat des Berliner Kammergerichtes.


Am 15. Juni 2001, dem 7.Prozesstag soll der Kronzeuge Tarek Mousli zum
ersten Mal in persona auftreten.

Was immer Herr Mousli von sich geben und welche ´Figur´ er dabei machen
wird, seine Person und ihre Aussagen demonstrieren schon vorweg einen
doppelten Skandal, der dieses Verfahren erst möglich gemacht hat.
Zum ersten und allgemein an der Person Mousli den Skandal, wie in
Strafverfahren Kronzeugen eingeführt und benutzt werden. Schon die
Anklageschrift liest sich wie ein einziges Trimm-Spiel der
Bundesanwaltschaft mit der offenkundig knetbaren Person Mousli. Die gesamte
Anklage bräche in sich zusammen, verlöre sie die wurmstichige, sprich voll
der widersprüchlichen und unerwiesenen Aussagen stehende „Säule“ der
Kronzeugenaussagen. Die andere Säule besteht in den pauschalen
Verdächtigungen, die der grundrechtlich strafrechtswidrige
Strafrechtsparagraph § 129 a StGB zulässt. Welchen massiven Einfluss die
Bundesanwaltschaft darauf geübt hat, ist von der Verteidigung schon in den
ersten Verfahrenstagen klarsichtig herausgearbeitet worden. Vielmehr hat
sich die Bundesanwaltschaft in ihrer Arroganz bornierter Macht nicht
entblödet, zuletzt vertreten durch den Bundesanwalt Rainer Griesbaum,
weitgehend zuzugestehen wie sie Mousli aufgebaut und wie sie diesen
Bundesanwaltschaftszeugen bis zur Fertigstellung der Anklage und dem Beginn
des Prozesses selbst dem Gericht zur zureichenden Prüfung entzogen hat.
Der andere Skandal besteht darin, dass das Gericht und seine Vorsitzende
Richterin nicht nur ein höchst durchscheinenden Prozess überhaupt eröffnet
haben; dass sie außerdem sich gegen die sofortige Aufhebung der
Untersuchungshaft gewandt haben; dass sie vielmehr und darüber hinaus an
diesem üblichen Possenspiel, das einem grundrechtlich gegründeten
Strafverfahren Hohn spricht, bis her jedenfalls in bundesanwaltlich faktisch
zugeordneten Nebenrollen mitspielen.

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie, das viele Verfahren, so auch
dieses, genau verfolgt hat und verfolgt, protestiert gegen diese dem
demokratischen Rechtsstaat schadende Art des bundesanwaltschaftlich, aber
auch richterlich betriebenen Strafverfahrens. Wir werden zusammen mit
anderen alles Erdenklich tun, um dieses Verfahren zu skandalisieren. Um
eines demokratisch grundrechtlich gegründeten Strafverfahrens willen. Um
willen der grundrechtlich rechtstaatlich unmöglich traktierten Angeklagten.


Gez. Prof.Dr. Wolf-Dieter Narr, Sprecher des Komitees

 

15.06.2001
Prozessbegleitung "Freilassung" [homepage]   [Email] [Aktuelles zum Thema: Repression]  Zurück zur Übersicht

Zurück zur Übersicht