nadir start
 
initiativ periodika archiv adressbuch kampagnen aktuell

Northeim: Demo gegen die Massenabschiebung libanesischer Flüchtlinge

“Wir bleiben hier!”

Bleiberecht für staatenlose KurdInnen aus dem Libanon!
Im Landkreis Northeim und anderswo!


Mehreren Familien, die seit bis zu 16 Jahren im
Landkreis Northeim leben, steht seit Anfang letzten Jahres die Abschiebung in die Türkei bevor. Betroffen von diesem Vorhaben des Landkreises sind insgesamt 110 Menschen, größtenteils Kinder und Jugendliche, die in
Deutschland geboren oder aufgewachsen sind, hier zur Schule gehen oder schon arbeiten, und für die eine Abschiebung – in welches Land auch immer – eine Katastrophe bedeuten würde.
Den Familien, die in den achtziger Jahren aus dem
Libanon nach Deutschland geflohen sind, wird
vorgeworfen, sie seien tatsächlich türkischer Herkunft und hätten sich ihren Aufenthalt durch Angabe einer falschen Identität “erschlichen”. In einer diffamierenden Öffentlichkeitsarbeit wurde ihnen von den hiesigen Behörden “Asylmissbrauch” und “Sozialhilfebetrug” vorgeworfen. Es war die Rede von organisiertem “Großbetrug” und “Schaden” für den Landkreis Northeim in Höhe von “mindestens sechs Millionen Mark”.

Dass Flüchtlinge nicht wie Diplomaten reisen können, soll den Northeimer Familien nun zum Verhängnis werden.
Die Vorfahren der so an den Pranger gestellten
Familien flohen ab Mitte der zwanziger Jahre nach
Gründung der Türkischen Republik in den Libanon. Dort lebten sie zumeist als Staatenlose ohne Bürgerrechte und Pässe. Bedroht im libanesischen Bürgerkrieg ab Mitte der 70er Jahre, waren die Nachkommen dieser Familien wiederum zur Flucht gezwungen. Sie flohen zum Teil direkt aus dem Libanon in die BRD, zum Teil verlief ihre Flucht über die Türkei. Hier konnten sie sich türkische Pässe beschaffen, mit denen sie ihre Flucht fortsetzten und legal in Westeuropa einreisen
konnten. Einige stellten nach ihrer Einreise sogleich unter ihrem arabischen Namen als staatenlose LibanesInnen Asylanträge, die abgelehnt wurden.

Andere Betroffene hatten, soweit sie sich in der Türkei Pässe hatten besorgen können, zunächst unter den türkischen Namen Asylanträge gestellt. Später stellten auch sie Anträge unter ihrem “wahren” arabischen Namen, unter
dem sie im Libanon gelebt hatten. Keine der Familien hat jemals doppelt Sozialhilfe bezogen - wie der Vorwurf des Sozialhilfebetrugs ja nahe legt. Nachdem alle bisherigen Versuche, die staatenlosen KurdInnen als “LibanesInnen” in den Libanon abzuschieben an der Kooperations- bereitschaft der libanesischen Regierung gescheitert sind, spielen die deutschen Behörden nun die “türkische Karte”:
Ihnen soll zum Verhängnis werden, dass sie die
Türkei auf ihrer Flucht aus der Hölle des
Bürgerkrieges als Transitland benutzt und sich dort türkische Papiere organisiert haben, die überhaupt erst eine “Weiterreise” möglich machten.
Zweifelhafte Eintragungen in türkischen
Personenstandsregistern sollen zudem ihre türkische Herkunft beweisen. Um die Abschiebung in die Türkei zu bewerkstelligen, verpassten die Northeimer Behörden den Familien neue Namen und änderten die Geburtsdaten der Betroffenen.
Die Recherchereise eines Anwalts der Betroffenen und eines Mitarbeiters des Landkreises Hildesheim, der auf Vorschlag des niedersächsischen Innenministeriums an
der Reise teilnahm, ergab jedoch, dass die
Registereintragungen wenig über die
Staatsangehörigkeit und nichts über die tatsächliche Herkunft der Eingetragenen aussagen. Mehr noch: Das Bekanntwerden massenhafter fiktiver Eintragungen ließ den zuständigen türkischen Minister vor einigen Monaten eine Reform des türkischen Registerwesens
fordern. Ganze Ortsteile und Strassenzüge seien von den Kommunen erfunden worden, um in den Genuss höheren Beihilfen zu kommen, die nach der Höhe der Eintragungen berechnet würden. So wurde z. B. in einer Kommune die dreifache Anzahl der tatsächlich Einwohnerschaft in den Registern geführt.
Diese Tatsachen interessieren die Verantwortlichen ebensowenig wie die Schilderungen der Betroffenen und
Papiere und Dokumente, die die libanesische Herkunft der Familien belegen. Auch ist es bisher noch in keinem Fall gelungen, eine türkische
Staatsangehörigkeit nachzuweisen. Was für sie zählt ist die Leute abzuschieben – egal wohin.
Auf gleiche Weise diffamiert und von der Abschiebung bedroht sind mittlerweile einige tausend staatenlose Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon in etlichen Städten und Landkreisen der BRD. So in Bremen, Essen, Diepholz, Berlin, ... Schätzungen gehen von etwa
30.000 staatenlosen libanesischen Flüchtlingen in der BRD aus, die von den Massenabschiebungen betroffen sein könnten. In allen Städten handelt es sich überwiegend um Kinder und Jugendlichen, die entweder hier geboren sind oder als Kinder mit ihren Eltern vor 10 bis 15 Jahren hier einreisten. Ihnen allen droht in der Türkei Verelendung und Ausgrenzung, da sie die
türkische Sprache nicht sprechen und in eine Region abgeschoben werden sollen, in der sie keine
Lebensgrundlage und Anknüpfungspunkte vorfinden
werden. Die Northeimer Familien sind zudem einer immer stärkeren Repression ausgesetzt.
Durch die Anwendung der rassistischen Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes soll ihnen der Aufenthalt hier zur Hölle gemacht werden:
ihre Aufenthaltserlaubnis wurde ihnen entzogen und
die ausgesprochenen Duldungen bedeuten für sie ein
faktisches Arbeitsverbot die Sozialleistungen wurden bei vielen Familien rapide gekürzt. Sie erhalten kein Bargeld mehr, sondern nur noch Warengutscheine, mit denen sie nur in
bestimmten Geschäften bestimmte Waren einkaufen
dürfen. Kindern mit Lernschwierigkeiten wurde die
Finanzierung des Besuchs der heilpädagogischen
Einrichtungen gestrichen. Sie haben nur noch Anspruch auf die “unabweisbaren medizinischen Leistungen”. Die Überwachung einiger Familien durch die Polizei lässt sie in ständiger Angst leben; die Kinder trauen sich nicht mehr aus dem Haus.

Gegen die geplanten Massenabschiebungen in Northeim und anderswo stellen wir unsere Forderung nach einem
> Bleiberecht für die libanesischen Flüchtlinge.
> Gegen die Anwendung der rassistischen Sondergesetze stellen wir unsere Solidarität mit den Flüchtlingen in ihrem Protest gegen den staatlichen Rassismus und ihrem Eintreten für eine menschenwürdige Behandlung.

Damit diese menschenverachtende Politik nicht
unbeantwortet bleibt, rufen wir auf zur Demonstration und gemeinsamen Übergabe der Unterschriftenlisten an die Ausländerbehörde in Northeim!

Demonstration am 26. Juni 2001 um 14 Uhr am Parkplatz der Alten Brauerei, Northeim
Übergabe der Unterschriften und Kundgebung vor der
Ausländerbehörde um 15 Uhr

Diesen Aufruf unterstützen: AK Asyl Göttingen, AK
Solidarische Welt Göttingen, Antifaschistische Jugend Northeim, AntiKaG, Antirassismusplenum Göttingen,....


 

13.06.2001
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Antirassismus]  Zurück zur Übersicht

Zurück zur Übersicht