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Bernsdorf & Bautzen/ Sachsen: Soli-Kundgebung fuer Thung

solidaritaet mit thung!
antirassistische kundgebung in bautzen (sachsen) am dienstag, den 15. mai ab 8.00 uhr zum beginn des prozess gegen tung aus bernsdorf

rassistische normalitaet angreifen!

Mitte Dezember 2000 hat Tung, ein 15jaehriger Vietnamese, im Verlauf einer Auseinandersetzung mit Faschisten den 20jaehrigen Neonazi Matthias F. mit einem Messer getoetet und einen weiteren Nazi schwer verletzt. Dem voraus gegangen ist ein rassistischer Angriff auf dem Weihnachtsmarkt im saechsischen Bernsdorf, bei dem die Nazis den Stand von Tungs Familie angegriffen und ihn bedroht haben. Tung sitzt im Moment in Untersuchungshaft im Abschiebeknast in Goerlitz und ist im schlimmsten Fall von doppelter Repression betroffen: ihm drohen - wie vielen anderen migrantischen Haeftlingen auch - u.U. sowohl Haft als auch Abschiebung.

eine kleine stadt in sachsen

Was in Bernsdorf darauf hin passiert ist, stellt eine typische Reaktion auf Ereignisse dar, bei denen migrantischer Widerstand sichtbar und effektiv wird. Das staedtische Ansehen bzw. die ungestoerte, deutsche (Volks-) Gemeinschaft steht im Vordergrund fast jeglicher Aeusserung und Besorgnis. Die Mehrheit der (Ost-)Deutschen, in diesem Fall die Bernsdorfer, halluzinieren sich wie ueblich als die eigentlichen Opfer. In ihrer verzerrten Wahrnehmung ist der Osten schon zu sehr von den vermeintlich antifaschistischen West-Medien "gebrandmarkt". Das Wort "Sebnitz" haengt sozusagen wie ein Damoklesschwert ueber Bernsdorf und soll auf keinen Fall seinen Fluch ueber eine "friedliche", ostdeutsche Kleinstadt bringen.
So wendet sich bspw. der Buergermeister Menzel entschieden gegen rechte Symbole, Rufe oder Ausschreitungen waehrend des Trauermarsches fuer den toten Matthias F., weil "wir Bernsdorfer wollen doch hier Ruhe haben. Wenn jemand dieses Bild stoert, ist das doch nur zum Schaden des Gesamtanliegens". [Lausitzer Rundschau - Rundschau fuer Hoyerswerda (Internet-Ausgabe), 16.12.2000]. Wessen Gesamtanliegen er damit meint, laesst sich nur erraten. Schliesslich haben alle vietnamesischen EinwohnerInnen Bernsdorf nach dem Uebergriff aus Angst vor der Rache der Nazis umgehend verlassen. Der beschworenen Ruhe wegen wendet er sich auch gegen eine Gedenktafel fuer den toten Matthias F., fuer die so fleissig deutsche/Bernsdorfer Unterschriften gesammelt wurden. Schliesslich solle der Ort kein "Wallfahrtsort" fuer Rechte werden. Bernsdorf soll in der Oeffentlichkeit nicht als "rechtes Nest" dastehen. Er verschweigt, dass sich die lokale Nazi-Szene ueber mangelnden Zulauf ohnehin nicht gerade beklagen kann. Aber wahrscheinlich hat jemand, der sich selbst durch dumm rassistische Aeusserungen hervortut und scheinbar ganz ahnungslos im "Spiegel" fragt, ob es denn rassistisch sei, "Fidschi" zu sagen [Der Spiegel, Nr.51, 2000], dafuer ohnehin jeden Blick verloren.
Diese Vorstellung von einem friedlichen Ort irgendwo in Sachsen, der von aussen bedroht wird, ist eine wiederkehrende Metapher in vielen Aussagen. So wird in der Presse immer wieder von einem Bernsdorfer Jungen gesprochen, der von einem vietnamesischen Jungen (also Nicht-Bernsdorfer) erstochen wurde. Dieser Bernsdorfer gehoerte zwar der rechten Szene an, jedoch - so wird in relativierender und entpolitisierender Weise stets betont - sei er ein durch und durch "netter, lieber Junge" gewesen, der "immer hilfsbereit" war und "nie gross aufgefallen ist". [Saechsische Zeitung - Hoyerswerdaer Tageblatt (Internet-Ausgabe), 11.12.2000].
Der Nicht-Bernsdorfer (also der Vietnamese) Tung ist dagegen einer, von dem einige ploetzlich wissen, dass er ein poebelnder Schulschwaenzer ist, dessen Auftreten in der Oeffentlichkeit schon mal dazu fuehrte, dass er im Waldbad keinen Zutritt mehr bekam [Lausitzer Rundschau - Rundschau fuer Hoyerswerda, 21.12.2000]. Kein Wunder also, dass er mit Messern um sich sticht.
Ebenso ist die Reaktion auf den Wegzug aller Bernsdorfer Vietnamesischen Familien (oder auch die Feindseligkeit gegenueber der Presse) zu bewerten. Es findet sich zwar teilweises Bedauern ueber den Verlust der "voll integrierten" vietnamesischen FreundInnen der Bernsdorfer Kinder. Jedoch haelt sich dieses ansonsten in Grenzen. So sind viele froh ueber die nun fehlende Konkurrenz auf dem Wochenmarkt. Ausserdem hatte man eh nicht viel miteinander zu tun, wobei es scheinbar immerhin genuegend Kontakt gab, um beurteilen zu koennen, dass die Vietnamesen zwar "die ganze Zeit Karten gespielt [haben], aber abends trotzdem volle Kassen" hatten. [Lausitzer Rundschau - Rundschau fuer Hoyerswerda, 21.12.2000]

deutsche normalitaeten

Rassistische Poebeleien, Uebergriffe und Morde sind deutsche Realitaet und Normalitaet. Fuer alle, die "nicht weiss", "nicht deutsch" sind oder ohne deutschen Pass hier leben oder auch in anderer Hinsicht der deutschen Norm nicht entsprechen, heisst das, staendig Zielscheibe zu sein. Wer als dieses "Fremde" oder "Andere" definiert wird, legt die deutsche Mehrheitsgesellschaft fest. In dieser Sichtweise stellen MigrantInnen keine eigenstaendig handelnden Subjekte dar, sondern sie existieren hauptsaechlich durch Zuschreibungen, Stereotypisierungen und Projektionen von aussen.
Was passiert nun, wenn etwas oder jemand diese Normalitaet durchbricht, also einen gewissen Toleranzrahmen bzw. Zuschreibungen nicht beachtet, sondern ueberschreitet?
Es wird einerseits die Allgegenwaertigkeit und Wirksamkeit rassistischer Verhaeltnisse sichtbar gemacht, die erst Widerstaende notwendig machen. Andererseits wird diese Normalitaet bestaetigt, indem Widerstaende von der deutschen Oeffentlichkeit zu etwas Stoerenden, nicht zur Normalitaet gehoerigen, Feindlichen gemacht werden. So werden sie zu etwas, das man kriminalisieren, irrationalisieren und von sich selbst distanzieren kann und womit man selbst nichts zu tun hat. Das schweisst zusammen.
Wenn sich dann jemand - wie in diesem Fall Tung - wehrt, scheint fuer einen Moment dieses Verhaeltnis durchbrochen. Das "Opfer" wird zum handelnden Subjekt. Jedoch werden solche Ereignisse - sofern sie ueberhaupt wahrgenommen werden - in der Oeffentlichkeit haeufig zu etwas gemacht, was herrschende Zustaende eher zementiert als hinterfragt. So ist die handelnde Person, die sich gegen rassistische Zuschreibungen und Uebergriffe wehrt, dann doch wieder der/die kriminelle "Fremde", unberechenbar, irrational, fanatisch. In dieser restlos paranoiden Sichtweise sind es die "Fremden", die die Normalitaet, Frieden und Ruhe stoeren und nicht der alltaegliche Rassismus. Dieser Rassismus ist vielmehr fest verankerter Bestandteil jener deutschen Normalitaet, wird aber nicht als solcher wahrgenommen, sondern "ausgelagert" auf die Nazis. So entsteht eines von vielen dominanten deutschen Bildern: hauptschuldig an der Stoerung deutscher Normalitaet ist hiernach das "Fremde" (z.B. Nichtdeutsche). Nazis werden nur sehr begrenzt dafuer verandwortlich gemacht. Sie sind "unbequem", weil sie den alltaeglichen Rassismus auf die Spitze treiben und nicht zu uebersehen sind. So stellen sie auf der einen Seite einen Stoerfaktor fuer den (Wirtschafts-)Standort Deutschland dar, auf der anderen Seite bilden sie eine Projektionsflaeche fuer saemtliche rassistische Verhaltensweisen der Mehrheitsgesellschaft, von denen diese sich in der Regel zumindest oeffentlich abzugrenzen versucht. Beides - Stiefelnazis und rassistischer Mainstream - kann demnach nicht isoliert betrachtet werden, es handelt sich vielmehr um zwei Seiten einer Medaille.

racism sucks!

Uns geht es nun darum, diese Wirkungsweisen zu durchbrechen. Wir wollen nicht Personen fuer politische Inhalte instrumentalisieren. Aber gerade weil in der Regel die Art der Darstellung migrantischen Widerstands in der Oeffentlichkeit bestehende rassistische Verhaeltnisse eher noch bestaetigt, ist es wichtig, nicht darueber zu schweigen, sondern uns zu solidarisieren und diese Widerstaende gegen die deutsche rassistische und antisemitische Normalitaet in ihrem Kontext sichtbar zu machen. Sie legen fuer einen Moment nicht nur ein Stueck der Verhaeltnisse offen, gegen die sie sich wenden. Sie zeigen vor allem, dass es sich nicht nur um Objekte rassistischer Angriffe handelt, sondern gleichzeitig um Subjekte, die darunter leiden und sich dagegen wehren.
Wir fordern nicht nur die sofortige Freilassung von Tung, sondern den Gegenangriff auf die deutsche, rassistische Normalitaet. Dazu gehoert die alltaegliche rassistische Produktion von Bildern des "Anderen"/"Fremden" versus der "eigenen Identitaet" genauso, wie die ebenso alltaeglichen Uebergriffe auf MigrantInnen und v.a. auch die unzaehligen Morde an denjenigen, die als nicht zur "deutschen Volksgemeinschaft" zugehoerig definiert werden.

Prozess gegen Tung
Beginn: 15.5. im Landgericht Bautzen, Lessingstr.6
Kundgebung: 15.5., 8.00 Uhr, Friedrich-Engels-Platz (Bautzen)

infos, texte:
http:www.antifa.net/venceremos

freiheit fuer tung!

 

07.05.2001
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Antirassismus]  Zurück zur Übersicht

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