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Hamburg: Berufungsverhandlung gegen Verweigerer

Am Montag, d. 30.04.01 um 10.00 Uhr
findet am Landgericht Hamburg,
Kapstadtring 1, 22297 Hamburg
Sitzungsraum: Anbau
die Berufungsverhandlung gegen
Jan Reher wegen totaler Kriegsdienstverweigerung statt.

Den Kriegsdienst zu verweigern ist in Deutschland verboten.
Freigesprochener Kriegsdienstverweigerer erneut vor Gericht.

Hamburg, April 2001. Am Montag, d. 30.04.01 um 10.00 wird die
Berufungsverhandlung gegen den konsequenten Kriegsdienstverweigerer
Jan
Reher (23) vor dem Landgericht Hamburg stattfinden. Ihm wird
vorgeworfen, seinen Zivildienst nicht angetreten zu haben. Die
Desertöre laden deswegen alle Interessierten zum Prozess ein.

Jan war vom Amtsgericht Hamburg-Harburg im November vergangenen Jahres
aufgrund der in Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes garantierten
Gewissensfreiheit vom Vorwurf der ‚Dienstflucht' (§53
Zivildienstgesetz) freigesprochen worden.
Nach vierstündiger Verhandlung kam Richter Panzer vor ca. 80
Zuschauern und etlichen Vertretern der Presse damals zu dem Ergebnis,
"eine
Verurteilung zu Strafe bei diesem Angeklagten, der sich auf Grundlage
seines persönlichen Wissens zur Verweigerung auch des zivilen
Ersatzdienstes entschlossen hat, würde sich als Missachtung seiner
individuellen Würde darstellen."
( http://www.squat.net/infopool/msg02508.html)

Die Staatsanwaltschaft hatte in der ersten Instanz 10 Monate Knast
ausgsetzt zur Bewährung gefordert und ist gegen dieses Urteil in
Berufung gegangen.

Jan ist einberufen worden, seinen Zivildienst zum 1.3.99 in einem
Altenheim in Bad Bramstedt bei Hamburg anzutreten. Da der Student
jedoch auch den Ersatzdienst für einen "militärisch verplanten Dienst,
bei dem obendrein unausgebildete Hilfskräfte das Fachpersonal von
seinen Arbeitsplätzen verdrängt" hält, hat er diesen nicht angetreten.
Als Folge droht ihm nun eine Verurteilung zu einer empfindlichen
Haftstrafe. Zu seinen Gründen äußert er sich: "Der Zivildienst geht
genau wie der direkte Waffendienst bei der Bundeswehr in die Strategie
der Gesamtverteidigung ein. Selbst das Bundesverteidigungsministerium
bestreitet nicht, daß Kriege ohne Zivildienstleistende nicht mehr
führbar
sind. Meine Entscheidung, auch den Ersatzdienst zu verweigern, ergab
sich einfach zwingend aus den Gründen, warum ich eigentlich nicht zum
Bund wollte." Damit gehört Jan zu den Menschen, denen man vorenthält,
was gemeinhin als große Errungenschaft der Bundesrepublik gewertet
wird: Aus Gewissensgründen den Kriegsdienst zu verweigern. Denn das
einzige, was in Deutschland rechtmäßig abgelehnt werden kann, ist der
direkte Waffeneinsatz. Jan: "Es ist für mich jedoch nicht ausreichend,
niemanden erschießen zu müssen, um dafür im Sanitätswesen diejenigen
zu versorgen, die dann an meiner Stelle kämpfen."

Dem jetzt anstehenden Urteil kommt für die Rechtsprechung gegen
konsequente Kriegsdienstverweigerer eine große Bedeutung zu. Zum einen
ist die Sonderzuständigkeit für Wehrstrafsachen am Landgericht neu
vergeben worden: Richter Kaut hat noch keine Erfahrung mit dem
Themengebiet, wird aber den übergroßen Anteil der Wehrstrafsachen am
LG in den nächsten Jahren verhandeln. Er ist zudem bisher durch
aufsehen erregende Urteile aufgefallen, ein erster Befangenheitsantrag
der Verteidigung wurde bereits im Vorfeld des Prozesses gestellt und
abgelehnt, ein zweiter, der sich auf eine schikanöse
Sicherheitsverfügung des Richters stützt ist noch nicht beschieden.
Zum anderen muss sich zeigen, ob die aktuelle Diskussion um die
Wehrpflicht sowie die Legitimität und Legalität deutscher
Kriegseinsätze auch auf Landgerichtsebene mit in die juristische
Bewertung der konsequenten Kriegsdienstverweigerung eingeht.

Bildmaterial stellen wir auf Anfrage zur Verfügung.

Aktenzeichen:
7303 Js 220/99 (StA Hamburg)
619 Ds 32/00 (AG Hamburg-Harburg)
711 Ns 10/01 (LG Hamburg)

Verhandlungsdaten:
30.04.01, 10.00, Einlass ab 9.30, LG Hamburg (s.u.), Sitzungssaal:
Anbau

Für die Richtigkeit,
Susanne Münch

Adressen:
Die Desertöre, Nernstweg 32, 22765 Hamburg, mailto: desertoere@gmx.de

Verteidiger Jörg Eichler, Tel./Fax.: 0351/8014989,
mailto: je519121@rcs.urz.tu-dresden.de

Verteidiger Detlev Beutner, Tel./Fax.: 06198/577626,
mailto: d.beutner@link-f.frankfurt

Jan Reher, 040/76755879 oder 0160/2084856, mailto: jan.reher@gmx.de

Amtsgericht Hamburg-Harburg, Buxtehuder Str. 9, 21073 Hamburg,
Abteilung 619, Richter Panzer, Tel: 040/42871-3650

Landgericht Hamburg, Kapstadtring 1, 22297 Hamburg,
Abteilung 711, Richter Kaut, Tel.: 040/42843-7011

 

23.04.2001
Die Desertöre   [Aktuelles zum Thema: Antimilitarismus]  Zurück zur Übersicht

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