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Aachen/ Kerkrade: Naziaufmarsch im Raum Aachen - Eine erste Auswertung

Naziaufmarsch im Raum Aachen - Eine erste Auswertung

Lediglich knapp 100 Neonazis um Christian Malcoci (Braune Kameradschaften
Rheinland) und Constant Kusters (Nederlandse Volks Unie) haben gestern das
Aachener Grenzland erreicht, um hier "gegen die Kriminalisierung von
Nationalisten" zu demonstrieren.

Damit ist das antifaschistische Ziel, den Naziaufmarsch zu verhindern, rein
quantitativ zu 75% gelungen. Dass nur ein kleiner Teil der erwarteten 400
Faschisten letztlich sein Ziel erreicht hat, ist im gleichem Masse der
Aufmerksamkeit von AntifaschistInnen und der ausgepraegten, eigenen Dummheit der Nazis
zu verdanken.

Es bleibt aber auch zu verzeichnen, dass diese 100 Faschisten - dank
tatkraeftiger Unterstuetzung sowohl der niederlaendischen als auch der deutschen
Polizei - sowohl im niederlaendischen Kerkrade wie auch in Wuerselen (Kreis
Aachen) aufmarschieren bzw. eine Kundgebung abhalten konnten.

So kann der gesamte Tag aus antifaschistischer Sicht nur als Teilerfolg
angesehen werden.

Im einzelnen:

- Die Aktionen der Nazis:
Zunaechst sind in den Mittagsstunden ca. 80 Neonazis im Bereich des
Kerkrader Bahnhofs aufmarschiert. Neben den ueblichen Parolen wurde dort auch "Ruhm
und Ehre der Waffen-SS" neben weiteren Verherrlichungen des
Nationalsozialismus skandiert - in den Niederlanden keine Straftat. Nach 15 Minuten war der
Spuk, der quasi unter Ausschluss der Oeffentlichkeit stattfand, beendet.
Anschliessend sammelten sich die Nazis, die allesamt mit PKWs angereist
waren, im Kerkrader Stadtteil Bleyerheide auf's neue, um - inzwischen auf 100
Stueck angewachsen - nach Deutschland weiterzureisen. Hier versammelten sie sich
am fruehen Nachmittag auf dem Gelaende der Feuerwehr (!) in
Wuerselen-Broichweiden (Kreis Aachen). Malcoci und Kusters hielten eine zwanzigminuetige
Kundgebung ab, ebenfalls ohne von der Bevoelkerung beachtet zu werden.
Anschliessend verschwanden die Nazis groesstenteils ueber die Autobahn in Richtung
Duesseldorf.
Beteiligt waren Nazis aus dem Raum Duesseldorf, dem Ruhrgebiet,
Norddeutschland, Berlin und dem Grossraum Rotterdam. Vor allem Nazis aus der naeheren
Umgebung und aus Belgien konnten die Veranstaltungsorte ihrer Kameraden nicht
erreichen. Der Lautsprecherwagen der Faschisten (Norddeutsche Kameradschaften,
Bad Segeberg) traf nur mit ganz erheblicher - ausgesprochen "undeutscher" -
Verspaetung ein.

- Die antifaschistischen Aktionen:
Je 500 AntifaschistInnen versammelten sich an den zentralen Treffpunkten
Herzogenrath-Bahnhof und Kerkrade-Nieuwstraat. Im Laufe der Zeit wuchsen diese
Gruppen erheblich an, da auf beiden Seiten der Grenze viele Menschen aus dem
"buergerlichen" Spektrum (GewerkschafterInnen, ParteipolitikerInnen,
Zivilcourage-AktivistInnen und erstaunlich viele "NormalbuergerInnen", darunter
hunderte oertliche Jugendliche) sich anschlossen. Als die beiden Gruppen sich am
Mittag in Kerkrade zusammenfanden, ergab sich daraus eine antifaschistische
Demonstration mit 3000 TeilnehmerInnen und dem gemeinsamen Ziel, den
Naziaufmarsch zu blockieren.
Zu diesem Vorhaben in kurzen Worten: Aus Kerkrade waren die Nazis schon
wieder verschwunden, bevor die AntifaschistInnen reagieren konnten. Nach
Wuerselen-Broichweiden zu gelangen, war unmoeglich, da die meisten AntifaschistInnen
nicht motorisiert waren. Einzelnen AntifaschistInnen, die rechtzeitig nach
Broichweiden gekommen waren, blieb nur die Beobachtung des Szenarios.
Aufgegangen ist das Konzept, den Nazis die Anreise per Bahn unmoeglich zu
machen. Die "strategischen Punkte" entlang der moeglichen Anreisestrecken waren
fest in antifaschistischer Hand. Die niedrige Anzahl von Faschisten, die
letztendlich demonstrieren konnten, ergibt sich hieraus.
Die antifaschistische Mobilisierung hat ebenso den urspruenglichen Plan der
Nazis zunichte gemacht, in Herzogenrath aufzumarschieren und ueber die Grenze
in die Niederlanden einzufallen. Auch hier waren die "strategischen Punkte"
von AntifaschistInnen besetzt.
Sehr erfreulich ist fuer uns vor allem die Anzahl und die Zusammensetzung
(alle antifaschistischen gesellschaftlichen Spektren, je zur Haelfte deutsche
und niederlaendische TeilnehmerInnen) der Nazi-GegnerInnen vor Ort. Ohne die
zeitgleiche Anti-Castor-Mobilisierung in Deutschland und die sehr kurzfristige
Beschlusslage der Gerichte waere die anvisierte Zahl von 4000
DemonstrantInnen bei weitem uebertroffen worden.
Zu kritisieren ist, dass die Informationsbeschaffung vor Ort zeitweise sehr
unkoordiniert verlaufen ist. Bei besserer Vorbereitung waere es zumindest in
Kerkrade moeglich gewesen, den Naziaufmarsch unmittelbar zu behindern.
Und ein Dilemma bleibt: Das grosse Plus, das urspruengliche Vorhaben der
Faschisten verhindert zu haben, erweist sich im Nachhinein auch als das grosse
Minus: Genuegend Flexibilitaet, um auf das Ausweichen der Nazis nach Wuerselen
zu reagieren, war nicht vorhanden. Hier werden wir unser Augenmerk in
Zukunft verstaerkt auf moegliche Reisewege der Faschisten richten.

- "Demokraten gegen Rechts"
Dieses Herzogenrather Buendnis aus allen Stadtratsfraktion (CDU, SPD, Gruene
und FDP), zahlreichen Vereinen (u.a. der "Siedlerverein 1934 (!) Merkstein")
und Verbaenden ist der grosse politische Verlierer dieses Tages.
Die "Demokraten" unter Fuehrung des Herzogenrather CDU-Buergermeisters - und
tatkraeftig unterstuetzt von den oertlichen Medien - hatten bis zuletzt
versucht, die AntifaschistInnen zu diskreditieren und den Protest gegen die Nazis
in einen "Guten" und einen "Boesen" zu spalten. Dieses Konzept ist
gruendlich gescheitert. Der groesste Teil, vor allem der jugendlichen Herzogenrather
Bevoelkerung schloss sich vor Ort den AntifaschistInnen an, die sich den Nazis
unmittelbar in den Weg stellen wollten. Sogar Teile der "Demokraten" selber
liefen kurzfristig zur boesen Antifa ueber. Ausloeser dafuer duerfte unter
anderem auch der Buergermeister gewesen sein, der seinem Publikum ein
ironisches "Dann geht doch zu den Linken!" zugerufen hatte.
Schlussendlich blieben die "Demokraten" auf ihrem abgelegenen
Kundgebungsplatz unter sich und feierten ein deutschtuemelndes Volksfest, waehrend einige
Kilometer entfernt die Faschisten marschierten. Sicher nicht sehr attraktiv
fuer die wenigen Nazi-GegnerInnen, die sich dorthin verirrten.
Diese politische Pleite der "Demokraten" laesst fuer die Zukunft hoffen,
dass den Nazi-GegnerInnen in Herzogenrath weniger Steine in den Weg gelegt
werden (so war AntifaschistInnen nicht erlaubt worden, in Schulen ueber den
Naziaufmarsch zu informieren).
Die etablierte Politik in Kerkrade hatte von Anfang an darauf gesetzt, einen
ungestoerten Ablauf des Naziaufmarschs zu gewaehrleisten. Hier fanden sich
die ParteivertreterInnen auch erst gar nicht zu einem solchen Pseudobuendnis
"gegen Rechts" zusammen. Politisch ist auch dieser Ansatz gescheitert, die
Kerkrader Bevoelkerung lehnte das Auftreten der Nazis durchweg ganz entschieden
ab. Entsprechend viele Menschen schlossen sich den AntifaschistInnen an und
machten ihrem Unmut ueber die Verantwortlichen lautstark Luft.

- Verhalten der Polizei
Die Polizei hat beide Nazi-Aktionen durch ihre Geheimhaltungstaktik erst
moeglich gemacht. Anders waere es nicht moeglich gewesen, die Aufmaersche gegen
den breiten Protest durchzusetzen, ohne hunderte "normaler BuergerInnen" von
den Strassen zu pruegeln. Vor Ort hatte die Polizei letztendlich leichtes
Spiel.
In Kerkrade waren die Busse der organisierten AntifaschistInnen aus Utrecht
und Amsterdam sehr lange festgehalten worden. Am Ende fehlte einfach die
Zeit, um den Marsch der Nazis zu erreichen. Vereinzelt gab es Knueppeleinsaetze,
allesamt grundlos, bei denen vier AntifaschistInnen leicht verletzt wurden.
Von den zivilen Festnahmetrupps der niederlaendischen "Mobilen Einheiten" (ME)
wurden AntifaschistInnen permanent beleidigt und taetlich angegriffen. Sehr
erfreulich war, dass die AntifaschistInnen sich nicht haben provozieren
lassen.
In Herzogenrath, dem Kristallisationspunkt der AntifaschistInnen, konnte die
Polizei sehr gelassen vorgehen, da ihr fruehzeitig bekannt war, dass die
Nazis dort nicht aufmarschieren wuerden. Polizeistrategen trafen mit den
Faschisten die Absprache ueber den Ausweichort Wuerselen-Broichweiden. Diese
Kumpanei fand ihren Hoehepunkt im gemeinsamen Autokonvoi von Faschisten und
deutscher Polizei nach Broichweiden. Dort, wo den Nazis das Gelaende der oertlichen
Feuerwehr zur Verfuegung gestellt wurde, waren letztlich nur drei
Einsatzhundertschaften (aus Koeln, Wuppertal und Essen) vor Ort.

- Zur Justiz
In den Niederlanden gab es von Anfang an keine ernsthaften Bemuehungen, den
Naziaufmarsch zu verbieten. Einziger Streitpunkt waren hier das Wie und Wo
des Aufmarschs.
Der Aachener Polizeipraesident hat sich durchaus ernsthaft bemueht, ein
Verbot des Naziaufmarschs zu erreichen. Noch das OVG Muenster hat das Verbot
bestaetigt, erfreulicherweise im Kern mit der Begruendung, dass die Nazis nicht
aufmarschieren duerfen, weil sie Nazis sind. Erst das BVG in Karlsruhe hat in
letzter Sekunde den Aufmarsch unter den ueblichen Auflagen (keine Uniformen,
keine Trommeln u.ae.) genehmigt, die 15-seitige Begruendung liegt uns noch
nicht vor.

- Die Rolle der Medien
Auch die oertlichen Medien haben ihren Beitrag dazu geleistet, dass die
Naziaufmaersche stattfinden konnten. Nicht nur, dass sie dem Geheimhaltungsbefehl
der Polizei brav Folge geleistet haben - die niederlaendischen Medien haben
Malcoci und Kusters reichlich Raum gegeben, ihr Verstaendnis von Demokratie
darzulegen. Die oertlichen Medien in Deutschland haben sich in den letzten
Tagen vor dem Aufmarsch ganz massiv in die versuchte Spaltung der
Nazi-GegnerInnen einbinden lassen. Die antifaschistische Mobilisierung wurde gezielt
totgeschwiegen, vergessen war die gute Zusammenarbeit noch vor zwei Wochen, als die
Medien ihre Informationen ueber die Nazis sicher nicht alleine haetten
recherchieren koennen.
Diese explizit politische Entscheidung der Medien, die Naziaufmaersche
sicherzustellen, fand ihren beschaemenden Hoehepunkt in zahlreichen Aufrufen, sich
den Faschisten nicht in den Weg zu stellen, sondern sich von ihnen
fernzuhalten.
In diesem Sinne haben die Medien ihr Ziel zwar erreicht (und die
gewuenschten Bilder im Kasten), zaehlen aber auch - aehnlich wie die "Demokraten gegen
Rechts" - zu den grossen politischen Verlierern des Tages.

Fachschaft Philosophie Aachen
(fuer das Aktionsbuendnis SAVANA)

 

26.03.2001
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