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Köln: Überwachen - Kontrollieren - Ausgrenzen

DEINE GEHEIMNISSE SIND NICHTS, DER STAAT WEIß ALLES

Vortrag und Diskussion mit
Peter Urban (Kommunikationstechniker)

Über die totalitäre Qualität von neuen Überwachungstechniken

14. März 2001
20 Uhr
ESG, Bachemer Straße 27
Eintritt frei

Veranstaltet von der Alternativen Liste Fachhochschule und Universität Köln
und Ökologische Linke Köln im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Überwachen -
Kontrollieren - Ausgrenzen"


Dein Chef präsentiert dir eine Abmahnung: dein Terminal hat ihm gemeldet,
daß du extensiv Moorhühner gejagt hast, statt für seinen Profit zu arbeiten.
Und das in deinem Dienstwagen eingebaute GPS (Global Positioning System) hat
überdurchschnittlich viele Zwischenstops für deine Pinkelpausen
aufgezeichnet. Macht nichts, dein letztes Genscreening hat ergeben, daß du
die Schadstoffe im Betrieb wahrscheinlich sowieso nicht verträgst und du
demnächst gekündigt wirst. Mit einem neuen Job oder einem Nebenverdienst ist
es allerdings Essig, weil auf deiner persönlichen Identitäts-Chipkarte deine
Krankheiten, Allergien, Einkommensverhältnisse und staatlichen
Sozialleistungen verzeichnet sind und bei allen Ämtern und Firmen eingelesen
werden können.
Seit kurzem hast du wegen einer Hausdurchsuchung auch Schwierigkeiten mit
deinem Vermieter. Denn du hast dich am Telefon zu oft mit Freunden im
Ausland über deinen geplanten Skiurlaub unterhalten und diese
Telefongespräche, e-mails und Faxe sind von ENFOPOL obligatorisch
mitgeschnitten worden. Bei der Durchsuchung nach verdächtigen Begriffen ist
man wohl zu oft auf das Wort „Schnee“, dem Synonym für Rauschgift, gestoßen
und du hattest eine Polizeirazzia in der Wohnung.
Seitdem hast du neben der Erfassung im Polizeiregister auch noch eine
Paranoia entwickelt – beide Merkmale sind auf deiner Identitäts-Chipkarte
eingetragen, was die bei den ständigen verdachtsunabhängigen Kontrollen des
BGS am Bahnhof schon etliche Unannehmlichkeiten bereitet hat. Warum du heute
wieder festgehalten wirst, ist dir ein Rätsel: Hat eine Überwachungskamera
das Flugblatt über eine Anti-Nazi-Aktion mitgelesen, das du in der
Straßenbahn zufällig gefunden hast oder hat ein Sicherheitsdienst durch das
Mitprotokollieren deiner Handy-Nutzung ein auffälliges Bewegungsmuster bei
dir festgestellt?
Diesmal hast du keinen Bock auf Schwarze Sheriffs und den BGS und willst
dich der Kontrolle entziehen. Als du später nach Hause kommst, steht
tröstlicherweise ein Paket mit Lebensmitteln und neuen Büchern vor der Türe,
das dein Lieferant auf Basis deiner aus deinem PC abgefragten Eß- und
Lesegewohnheiten zusammengestellt hat. Na also, die Rundumerfassung
und -speicherung hat auch ihre angenehmen Seiten, was macht das schon, daß
aus den Dateien über dich jedeR unter anderem erfahren kann, daß du
notorischeR RindfleischesserIn bist und eine Vorliebe für Gewaltkrimis hast…

Übertrieben? Eine Karikatur? Alle beschriebenen Dinge gibt es bereits oder
sie sind in unmittelbarer Vorbereitung.
Schuld daran sind allerdings nicht ein paar durchgeknallte
law-and-order-PolitikerInnen oder hysterische BetriebsbesitzerInnen, die
ihren psychotischen Überwachungs- und Sauberkeitswahn ausleben. Die
„zunehmende Bedeutung der Telekommunikationstechnologien in den
kapitalistischen Gesellschaften verändert die Lebens- und Arbeitsbedingungen
der Menschen nachhaltig.“ Telekommunikationstechnologien sind
Überwachungstechnologien. Sie „beobachten die Bewegungen des Individuums,
seinen Besitz und andere Vermögenswerte [und] sind fester Bestandteil aller
modernen Unternehmen.“ (Peter Urban in: Technische Entwicklung und
Kommunikationstechnologien, 1999). Sie wurden entwickelt, um neue und
zwanghaftere Formen der Arbeit durchzusetzen, um neue Profitquellen zu
erschließen und um potentielle StörerInnen der „schönen neuen Welt“ zu
identifizieren und für das System ungefährlich zu machen.

Big Boss is watching you
Eine massenhafte Zusammenballung von ArbeiterInnen in Großbetrieben war die
dominierende Methode der kapitalistischen Warenproduktion in den
Nachkriegsjahren. Sie geriet in den Siebzigern in die Krise, u. a. aufgrund
eines Zyklus von Arbeitskämpfen und (wilden) Streiks. Das System der
direkten Kontrolle durch Werksschutz, Meister usw. reichte nicht mehr, die
innerbetriebliche (Arbeits-) Disziplin herzustellen. Mit dem intensiven
Einsatz der Mikroelektronik sollten diese Gefahren gebannt werden: Die
Fabriken wurden in verstreute Standorte zerlegt, die Arbeitssituation
vereinzelt, die Aufsicht der Betriebsleitung über jeden einzelnen Handgriff
wurde direkter. Mit Hilfe von elektronischen Informations- und
Kommunikationstechnologien ist die Kontrolle über die Arbeitskraft heute
tendenziell lückenlos. Leerzeiten und Nischen von Selbstbestimmung im
Arbeitsablauf werden aufgespürt und ausgemerzt – z. B. durch geheim
installierte PC-Überwachungs-Software, die bei vernetzten Systemen
Abweichungen der ArbeiterInnen von den vorgegebenen Arbeitsaufträgen melden
können und die ihre gesamte Tätigkeit mitprotokollieren.
Lesegeräte für Fingerabdrücke oder Irismuster überprüfen die
Zugangsberechtigung der Beschäftigten für Büros und Hallen und verweigern
sie gegebenenfalls. Damit wird die Bewegungsfreiheit und Kommunikation der
KollegInnen untereinander zu unterbinden versucht. Überwachungselektronik
und Computernetze sind für die Zerlegung der Betriebe in kleine, räumlich
und sozial zerstreute Einheiten bis hin zu Heim-Telearbeitsplätzen und für
die anschließende „just-in-time“-Koordination der so aufgesplitterten
Produktion notwendig.

Der Feind hört immer mit…
In den eigenen vier Wänden ist mensch in Sicherheit? Von wegen: Das
Grundrecht des Telekommunikationsgeheimnisses ist längst ausgehöhlt. Die
ausufernde Verwendung von mobiler Telekommunikation (Handys) und von
elektronischen Datennetzen hat die Arbeit der staatlichen Bespitzelung und
Überwachung weiter vereinfacht. Die BRD nimmt weltweit den Spitzenplatz im
Abhören von Telefongesprächen ein. ISDN-Anschlüsse z. B. ermöglichen über
ihre Leitungen die Raumfernüberwachung: Telefone können bei aufgelegtem
Hörer von außen eingeschaltet werden und alle Geräusche und Gespräche im
Raum mitgeschnitten werden. TeilnehmerInnen und Dauer aller Telefongespräche
werden obligatorisch gespeichert. Alle internationalen Telefongespräche,
e-mails und Internetverbindungen werden automatisch aufgezeichnet und auf
Schlüsselworte hin durchsucht. Im Telekommunikationsgesetz (TKG) werden alle
Provider und Mailboxen dazu verpflichtet, staatlichen Behörden einen Zugang
zum Datenfluß zu verschaffen, der von den Telekommunikationsunternehmen
nicht beeinflußt werden kann und an dem nicht feststellbar ist, wenn er
genutzt wird. Seit den 50er Jahren besteht das Abhörsystem ECHELON, das
früher für militärische Spionage benutzt wurde und das seit einigen Jahren
die gesamte satellitengestützte elektronische Kommunikation abhört auf der
Suche nach privaten, politischen und Wirtschaftsgeheimnissen.

…und weiß, wo du bist…
Nicht nur der Inhalt von Gesprächen, auch der Aufenthaltsort aller
Handy-Nutzer ist aufgrund der Funkimpulse ihrer eingeschalteten Geräte auf
10 Meter genau jederzeit feststellbar. Räumliche Bewegungen des/der NutzerIn
im Einzugsbereich von Mobilfunknetzen sind durch den Wechsel von einer
Funkzelle in die nächste nachvollziehbar. Jedes Handy im „stand-by“-Betrieb
ist eine Wanze. Für nichttelefonierende AutofahrerInnen: Die angeblich zur
Verkehrsüberwachung, Orientierung und Staumeldung installierte Telematik
(GPS, Videokameras) liefert präzise Bewegungsbilder der Reisenden; das in
der BRD eingeführte EU-Kennzeichen mit einheitlicher Schrift macht eine
eindeutige Identifizierung von Fahrzeugen möglich. „Wegen der vielfältigen
Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten kann ein für sich gesehenes
belangloses Datum einen neuen Stellenwert bekommen; insoweit gibt es unter
den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein ,belangloses’ Datum
mehr“ (P. Urban).

…und wovon du lebst und was du tust
Quellen dieser Massenerfassung von persönlichen Daten sind maschinenlesbare
Ausweise und Codekarten, automatisierte Melderegister, Kontokarten und deren
bundesweite Vernetzung. Nach der Erfassung unter anderem von
AsylbewerberInnen, EinwanderInnen und Drogenabhängigen sind als nächste
Gruppe die SozialhilfeempfängerInnen an der Reihe. Die Hetze gegen einen
sogenannten Sozialhilfemißbrauch zielt auf die Einführung einer
maschinenlesbaren Sozialhilfekarte für alle LeistungsbezieherInnen. Ihre
Daten aus Arbeitsamt, Rentenversicherung usw. dürfen seit 1998 laut § 117
BSHG zwischen den Ämtern abgeglichen werden.
Seit dem Frühjahr 1998 wird in Bremen an der elektronischen BürgerInnenkarte
gebastelt. Darüber sollen zukünftig alle Verwaltungs- und Zahlungsakte
abgewickelt werden, z. B. im Meldewesen, bei Kfz-Zulassungen,
Steuererklärungen oder auch Arz tbesuchen. Die Karte wird zur Zeit in einem
überschaubaren Rahmen, an der Uni Bremen, getestet. Bewährt sich das System,
soll es in absehbarer Zeit bundesweit zum Einsatz kommen.

Diktatur auf Abruf
Die verstärkte Überwachung ist Ausdruck von gesellschaftlichen
Veränderungen. Es gibt einen Übergang vom wohlfahrtsstaatlichen
Kapitalismus, in den die Angehörigen der ausgebeuteten Unterklassen noch
sozial und materiell integriert werden sollten, zu einem autoritären
Sicherheitsstaat. Dieser bedarf eines „verbesserten staatlichen und
polizeilichen Herrschaftsapparats, der es erlaubt, nicht nur nachträglich,
sondern präventiv tätig zu werden, soziale Brennpunkte zu erkennen“ und
repressiv zu beseitigen. die „Grenzenlosigkeit der Daten- und
Informationsverarbeitung gestattet es den Machthabern in den Zentren, das
Individuum Mensch auf seinem ganzen Lebensweg zu begleiten, von ihm laufend
Momentaufnahmen, Ganzbilder und Profile seiner Persönlichkeit zu liefern,
all seine Lebensäußerungen zu registrieren“ (P. Urban). Alltagstätigkeiten
wie Zahlungsverkehr, Gesundheitsfürsorge, Ortsveränderungen usw. werden
durch technische Aufzeichnung und Kontrolle zunehmend so gestaltet, daß sie
Teil eines totalitären Überwachungsnetzes werden, einer Diktatur auf Abruf,
die strukturell verankert ist, die ohne sichtbare Blockwarte funktioniert
und die „schwarze Listen“ und Knüppel nach Bedarf bereit hält.

--
Alternative Liste
der Fachhochschule Köln
Bergisch-Gladbacher Straße 147
51065 Köln

 AL-FH-Koeln@linkeliste.de
 http://www.linkeliste.de/AL-FH-Koeln/
--

 

07.03.2001
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