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Hamburg: Selbstbestimmung, Selbstverwaltung, Selbstausbeutung?


Selbstbestimmung, Selbstverwaltung, Selbstausbeutung?

Die Talkshows. Im Ahoi.


Es kommt darauf an, aus den Resten der Geschichte, aus den Bruchstücken eines Schiffes, ein neues, tragfähiges Schiff zu bauen. So muss es auch möglich sein, die Trümmer der radikalen Linken zusammenzukehren und die Bruchstücke neu zusammenzufügen, auf dass es wenigstens ein Rettungsboot wird. Dieses wird uns als Entwurf für eine neue Geschichte dienen.


Anhand des inflationär gebrauchten Begriffes der Autonomie werden im Rahmen einer dezenten Talkshow- Reihe verschiedene Ansätze der praktischen Alltagsgestaltung vorgestellt, die für sich in Anspruch nehmen, innerhalb eines kollektiven Prozesses ein gewisses Maß an Selbstbestimmung für die beteiligten Individuen oder Gruppen zu ermöglichen. Wir laden also Kollektivbetriebe, Kommunen und Lebenszusammenhänge mit einem praktischen Selbstorganisationsansatz ein, von ihrem theoretischen Ansatz und ihrem real existierenden Alltag zu berichten und den politischen und persönlichen Wirkungsgrad dieser Existenzformen zu benennen. Gruppen, die theoretisch dazu was zu sagen haben, sind ebenfalls am Start. In einer locker aufeinander aufbauenden Folge soll von März bis Juli ein roter Faden gesponnen werden. Für öffentlichkeitsscheue GenossInnen werden die Beiträge im Radio FSK (FM: 93,0 MHZ; 101,4 im Kabel) übertragen, die Termine entnehmen Sie bitte der Programmillustrierten.


Viele "Autonomiekonzepte" der Linken in Deutschland teilen die Kritik an
der traditionellen Lohnarbeit innerhalb einer kapitalistischen Vergesellschaftung. In Abgrenzung zu zentralistischen K- Gruppen und der Avantgarde-Konzeption der legalen und militanten Antiimps entstanden in den 80-ern die neuen sozialen Bewegungen. Neben der Identifikation über die jeweiligen Teilbereichs- Schwerpunkte und der Betonung einer gemeinsamen widerständischen Kultur, eines "autonomen" Lifestyles, lag ihnen -bei aller Uneinheitlichkeit- ein gemeinsames politisch- strategisches Modell zugrunde. Sie versuchen, bereits innerhalb der bestehenden Verhältnisse Autonomie und Kollektivität zu entfalten. Demzufolge wurde subjektive Emanzipation als Voraussetzung jedes revolutionären Prozesses gesehen. Die gedankliche Grundlage dessen ist, nicht nur "politisch" auf die Revolution hinzuarbeiten, sondern Brüche, Widersprüche und Spielräume innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung aufzuspüren und zu nutzen, um bereits im "Hier und Jetzt" Aspekte eines befreiten Lebens vorweg zu nehmen. Der Kampf gegen Umstruktierierung, Kernkraft usw. sollte Vehikel sein, auch sich selbst zu verändern, sollte eine Form bieten, den Bruch mit der Ordnung im eigenen Schädel voran zu treiben.


Die politische autonome Bewegung existiert de facto nicht mehr, die subkulturellen Impulse sind als zahnlose Gesten degeneriert und wurden somit integrierbar. Andererseits verdienen die praktischen Ansätze kollektivistischer Alltagsgestaltung besonders nach dem Wegbrechen der realsozialistischen Bezugssysteme eine besondere Aufmerksamkeit und sollten vor dem Hintergrund der derzeitig scheinbaren Alternativlosigkeit in ihrer Beispielfunktion nicht unterschätzt
werden.


Die Fallstricke eines solchen "Inseldaseins" sind nicht selten: Bauchnabelschau, Verrohung der Sozialformen untereinander, Relativierung der einstigen Ansprüche, Entpolitisierung und gesellschaftliche Konformität, institutionell gesetzte Grenzen,....

Wenn es gut läuft, können die Projekte allerdings eine stabile Basis für persönliche und kollektive politische Entwicklung bieten, häufig verdammt dennoch der gesellschaftlich verengte Spielraum zu bloßer Nischenexistenz.


Die Veranstaltungsreihe möchte Gelegenheit geben, sich über genannte Ansätze auf einem gemäßigten Niveau zu informieren und diese gemeinsam zu reflektieren. Dies findet in der AHOI- Kneipe statt, somit wird Theorie mit Unterhaltung verbunden: das zeitgemäße "Infotainment"; unsere Konzession an den Zeitgeist und Antwort auf die didaktischen Mangel brachialer Frontalvorträge


Die Gäste werden in ca. einstündige Plusche ("Talks") verwickelt; entlang eines roten Fadens sollen oben angesprochene Thesen im konkreten Fall geprüft werden. Im Anschluss erwartet Sie das Gastro- Team zu einem herrlich frischen Bierchen mit Kickern und so.


Programm:

15.3.: Flexibilisierung und Prekarisierung. Grenzen der Selbstbestimmung in der Lohnarbeit

Die Arbeitsbedingungen für einen Großteil der Lohnabh=E4ngigen verschlechtern sich rasant. Reguläre Verträge mit garantierten sozialen Sicherheiten sind die Ausnahme; unter dem Banner der Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse und Verschlankung der Produktion werden neue, "ganzheitliche" Formen der Ausbeutung zur
Norm. Der selbständige, eigenverantwortliche und kreative Angestellte,
der aufgrund völliger Entrechtung und Identifikation mit den Betriebszielen keiner Fremdkontrolle mehr bedarf, verk=F6rpert die postfordistische Version von moderner Selbstbestimmung im Arbeitsprozess. Diese Uminterpretation von "Selbstbestimmung" wollen wir mit der Gruppe "Blauer Montag" aus Hamburg diskutieren.


19.4.: Kollektivbetriebe: Fritz Bauch, Zimmerleutekollektiv und
Schanzenbuchladen

Innerhalb des Kapitalismus können keine egalitären Mikroökonomien entstehen; die Mechanismen kapitalistischer Akkumulation sind auf der Alltagsebene nicht (oder bestenfalls arg begrenzt ) außer Kraft zu setzen. Betriebe mit einem Kollektivanspruch, die unter Marktgesetzen bestehen müssen, erleben die daraus resultierenden Effizienz- und Rationalitätsüberlegungen häufig als Einfallstor
für konkurrenzförmige Sozialformen untereinander und kratzen betriebswirtschaftlich häufig an der Grenze des Existenzminimums. Viele Betriebe schrauben ihre Ansprüche herunter, geben auf oder wandeln sich in Chefbetriebe um. Andere funktionieren schlicht und
ergreifend, es werden solidarische Umgangsformen entwickelt und
Infrastruktur für die Szene bereitgestellt.

So oder so sagen die Erfahrungen in Kollektivbetrieben etwas über die Probleme sozialistischer Wirtschaft und kollektivistischer Organisationsform aus; sie können als Experimente oder Modelle durchaus brauchbare Erfahrungen f=FCr ein gesellschaftliches Projekt und den Umgang mit (Lohn- oder Leistungs-) Gerechtigkeit und Egoismus vermitteln.

17.5. : Kommunen

Mit über 20 Jahren ist die "BURG" in Lutter am Barenberge
(Südniedersachsen) eine der dienstältesten Anarchokommunen und in
vielfacher Hinsicht eine Institution. Das Tagungshaus ist ein nicht zu
unterschützender infrastruktureller Faktor für die regionale Polit-
und Kulturszene, die bauerlichen AnwohnerInnen kaufen das
selbstgebastelte Körnerbrot und so weiter und so fort.... Dennoch gibt
es eine Fluktuationsrate, die mit jedem großstädtischen WG- Haus zu
vergleichen ist. Als weitere Gäste begrüßen wir dynamische
JungkommunardInnen aus Bremen ("alla hopp"), die sich nach einer
längeren Zeit als Finanzkoop nun ein Stadthaus organisiert haben, aus
welchem heraus sie verschiedene Dienstleistungen anbieten. Beide
Kommunen werden über theoretische Ansprüche und tatsächliche
Realitäten, Grenzen und real existierende Spielräume sinnieren.

21.6.: Finzkoops

Eine Idee, auf die man erstmal kommen muss:

"Lohngerechtigkeit" widerspricht kapitalistischem Gesetz. Das fängt
bereits bei der klassenspezifschen Sozialisation an: zu unterschiedlich
sind die Zugangsvoraussetzungen zu Bildungseinrichtungen. überhaupt,
die Trennung von bezahlten Produktions- und unsichtbaren aber
gesellschaftlich höchst nützlichen Reproduktionsarbeiten ist
Resultat abendländisch- patriarchalischer Normen. Die Lohnhöhe
beruht also zum Großteil nicht auf gerechter Leistungsbemessung
sondern mindestens größtenteils auf geschickter Nutzung von
Privilegien. Daraus ergibt sich die Idee, innerhalb einer
Solidargemeinschaft Einkommensunterschiede auszugleichen. Ein
gemeinsamer Pott wird eingerichtet, alle Gehälter und Vermögenswerte
rein und dann geht`s los: Plenum !

Wie erreichen wir eine gemeinsame Verständigung über welche
Bedürfnisse, welcher Detailgrad von Hinterfragung meiner Bedürfnisse
ist im Alltag überhaupt ertragbar? Welche Bedürfnisse werden
aufgrund welches Bewertungsmaßstabes als gemeinsam förderungwürdig
angesehen , welche nicht? Was für ein Gefühl ist es für mich als
Kind dieser individualistischen Gesellschaft, meine GenossInnen über
die Länge meines Urlaubs feilschen zu h=F6ren? Warum finanzieren wir
Monikas Auto und Martins Hundefutter, aber nicht mein Handy? Fragen
über Fragen.

12.7.: Hafenstrasse:

Vom Europa- weit beachteten, autonomen Aneignungsprojekt mit
Symbolfunktion für eine soziale, militante Bewegung zum
genossenschaftlichen Wohnprojekt mit Elbblick. über Segen und Fluch
von Symbolen; über Wege und Sackgassen in der Stadtteilbezogenheit,
übers älter werden und immer wieder neu anfangen streiten sich
Unbedarfte, Nachgewachsene und Alt- BewohnerInnen.

Programm:

15.3.: Flexibilisierung und Prekarisierung

19.4.: Kollektivbetriebe

17.5.: Kommunen

21.6.: Finanzkoops

12.7.: Hafenstrasse

Adresse: Ahoi, Balduintreppe/ St. Pauli Hafenstrasse, Hamburg- St.Pauli

Uhrzeit: jeweils 21.00 Uhr

Programmhefte und Kontakt: AHOI/ Autonomieklub, c/o Schwarzmarkt,
Kleiner Schäferkamp 46,
20357 Hamburg


(Zitat Seite 1 nach Christian Petzold/ Hans Blumenberg)

ViSdP: Max Hoelz, Stresemannstr.85, 22769 Hamburg


 

03.03.2001
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